Epilepsie ist eine chronische neurologische Erkrankung, die durch wiederholte Anfälle gekennzeichnet ist. Diese Anfälle können zu Bewusstseinsverlust und Kontrollverlust über den Körper führen, was beim Autofahren eine erhebliche Gefahr darstellen kann. Daher gibt es in Deutschland strenge Regeln und Voraussetzungen für Menschen mit Epilepsie, die ein Kraftfahrzeug führen möchten.
Epilepsie und Fahrtauglichkeit: Ein Überblick
Nicht jeder Mensch hat das Glück, unversehrt zu sein und sich bester Gesundheit zu erfreuen. Und wie sieht es bei chronischen Krankheiten wie der Epilepsie aus? Wer epileptische Anfälle erleidet, ist nicht in der Lage, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen beider Gruppen gerecht zu werden, solange ein wesentliches Risiko von Anfallsrezidiven besteht. Ob Sie mit Epilepsie ein Fahrzeug führen dürfen, hängt davon ab, wie lange der letzte Anfall zurückliegt und wie ein Arzt Ihre Fahrtauglichkeit einschätzt. Die plötzlichen epileptischen Anfälle können zu Unfällen führen und sowohl das eigene als auch das Leben anderer Verkehrsteilnehmender gefährden.
Gesetzliche Grundlagen und Begutachtungsleitlinien
Das Straßenverkehrsgesetz (StVG) besagt im § 2, dass geeignet zum Führen von Fahrzeugen ist, wer die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt. Die Entscheidungsgrundlage zur Beurteilung der Fahrtauglichkeit von Menschen mit epileptischen Anfällen und Epilepsien sind die „Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung gültig für Epilepsie seit dem Jahre 2022.“ Es handelt sich bei dieser Leitlinie um Empfehlungen, die in der Praxis jedoch einen nahezu verbindlichen Charakter haben. Die rechtlichen Voraussetzungen für eine Fahrerlaubnisentziehung bei Personen mit Epilepsie in Deutschland sind in der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) festgelegt.
In den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung wird grundsätzlich festgestellt, dass wer an epileptischen Anfällen leidet, nicht in der Lage ist den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen gerecht zu werden, solange ein wesentliches Risiko von Anfallsrezidiven besteht. Grundsätzlich gilt dies auch für andere anfallsartig auftretende Störungen mit akuter Beeinträchtigung des Bewusstseins, der Motorik oder anderer handlungsrelevante Funktionen, wie z.B. für Synkopen (Kreislaufkollaps) oder psychogene Anfälle. Assoziierte körperliche oder psychische Störungen müssen berücksichtigt werden. Besteht eine antiepileptische Medikation, so darf die Fahrtüchtigkeit hierdurch nicht herabgesetzt werden. Bei Fahrerlaubnis Inhabern beider Gruppen (s.u.) sind fachneurologische Untersuchungen sowie fachneurologische Kontrolluntersuchungen in zunächst jährlichen Abständen erforderlich. Im Verlauf der Erkrankung (etwa bei einer langjährigen Anfallsfreiheit) kann das Intervall zwischen den Untersuchungen verlängert werden
Fahrerlaubnisgruppen und ihre spezifischen Regelungen
Die Begutachtungsleitlinien unterscheiden zwischen zwei Fahrerlaubnisgruppen, für die unterschiedliche Regelungen gelten:
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Gruppe 1: Pkw und Motorräder
- Klassen: A, A1, A2, B, BE, AM, L und T
- Erstmaliger Anfall ohne erkennbaren Auslöser: Nach frühestens sechs Monaten ohne weitere Anfälle darf die Fahrerlaubnis nach Prüfung wieder erteilt werden. Zuvor sind Untersuchungen von Fachärztinnen oder Fachärzten für Neurologie notwendig.
- Anfall mit plausibler Erklärung (z.B. bestimmte Medikamente): Nach Abklärung durch einen Facharzt und wenn kein generell erhöhtes Risiko epileptischer Anfälle besteht und die auslösenden Ursachen fortbestehen, kann die Zeit der Fahruntauglichkeit auf drei Monate verkürzt werden.
- Wiederholte Anfälle (Epilepsie): Bevor eine Patientin oder ein Patient wieder Auto fahren darf, muss nachgewiesen werden, dass sie oder er mindestens ein Jahr lang keinen Anfall hatte.
Gruppe 2: Lkw und Busse
- Klassen: C, C1, CE, C1E, D, D1, DE, D1E und FzF
- Hier gelten strengere Vorgaben als für die Gruppe 1.
- Die Fahreignung kann nach epileptischen Anfällen nur festgestellt werden, wenn die Betroffenen keine Medikamente gegen Epilepsie (anfallssuppressive Medikamente) einnehmen.
- Erstmaliger Anfall ohne erkennbaren Auslöser: Wie in Gruppe 1 ist auch hier eine fachärztliche Untersuchung notwendig, bei der kein erhöhtes Risiko für weitere Anfälle festgestellt wird. Außerdem wird die Kraftfahreignung frühestens nach zwei Jahren ohne Anfälle wieder erteilt.
- Anfall mit plausibler Erklärung: Wenn es aus fachärztlicher Sicht keine Hinweise auf ein gesteigertes Risiko eines Rückfalls gibt, kann die Fahreignung frühestens nach sechs anfallsfreien Monaten wieder erteilt werden.
- Bei wiederholten epileptischen Anfällen bleibt die Kraftfahreignung für die Gruppe 2 in der Regel langfristig ausgeschlossen. Hier bedarf es stets einer Einzelfallprüfung.
Sonderfälle und Ausnahmen
Es gibt einige Sonderfälle, in denen Ausnahmen von den oben genannten Regelungen möglich sind:
- Ausschliesslich an den Schlaf gebundene Anfälle: Eine Fahreignung ist gegeben, wenn ausschließlich an den Schlaf gebundene Anfälle auftreten (die Bindung ist an den Schlaf und nicht notwendigerweise die Nacht zu sehen). Hierfür ist eine mindestens 3-jährige Beobachtungszeit erforderlich.
- Einfach-fokale Anfälle ohne Bewusstseinsstörung: Die Fahreignung ist auch gegeben, wenn ausschließlich einfach-fokale Anfälle auftreten, die ohne Bewusstseinsstörung und nicht mit motorischer, sensorischer oder kognitiver Behinderung für das Führen eines Kraftfahrzeug einhergehen. Hierzu ist eine mindestens einjährige Beobachtungszeit notwendig. Die Angaben müssen durch Fremdbeobachtung gesichert sein und dürfen sich nicht allein auf die Angaben des Patienten stützen.
- Anfallswiederkehr nach langjähriger Anfallsfreiheit: Kommt es nach langjähriger Anfallsfreiheit zu einem "sporadischen" Anfall (oder mehreren Anfällen innerhalb von 24 h) so kann die Kraftfahreignung schon nach einer Fahrpause von 6 Monaten wieder bejaht werden. Hierzu muss eine fachneurologische Abklärung erfolgen, die keine Aspekte ergibt, die ein erhöhtes Rezidivrisiko bedingen würden. Lassen sich in dieser Situation relevante Provokationsfaktoren eruieren, die in Zukunft vermieden werden können, so kann die Fahrpausen auf 3 Monate verkürzt werden.
- Beendigung der antiepileptischen Therapie: Bei schrittweiser Beendigung einer antiepileptischen Therapie bei Menschen, die fahrgeeignet sind, ist die Fahreignung für die Dauer der Reduzierung des letzten Medikamentes sowie für die ersten 3 Monate ohne medikamentöse Therapie nicht gegeben. Ausnahmen sind in gut begründeten Fällen möglich (z.B. insgesamt weniger Anfälle, Epilepsie-Syndrom mit niedrigem Rezidivrisiko, erfolgreiche epilepsiechirurgische Behandlung).
Ärztliche Beratung und Meldepflicht
Unterstützung erhalten Epilepsie-Patienten von ihrem Arzt. Er muss sie über ihre Anfallsfreiheit bzw. ihre Tauglichkeit, ein Fahrzeug zu führen, informieren. Seine Entscheidung gründet er auf die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung herausgegeben vom Bundesamt für Straßenwesen (BAST-Leitlinien). Für den Arzt besteht ein Melderecht, aber keine Meldepflicht. Er versteht sich grundsätzlich als Anwalt ihrer Interessen. Lediglich für den Fall, dass ein höheres Rechtsgut bedroht wird, wird er Meldung über das Fahrverhalten machen müssen. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn er erfährt, dass ein Busfahrer oder LKW-Fahrer trotz mehrerer Anfälle weiterhin seiner Arbeit nachgeht und einen Bus oder LKW fährt.
Interiktale Epilepsietypische Potentiale (IEP) und Fahrtüchtigkeit
Epileptische Anfälle sind normalerweise zeitlich begrenzt. Allerdings können zwischen den Anfällen sogenannte interiktale epilepsietypische Entladungen (Interiktale Epilepsietypische Potentiale=IEP) auftreten. Diese sind viel häufiger als die eigentlichen Anfälle, werden in der Regel von den Betroffenen nicht wahrgenommen und können nur in einer Elektroenzephalografie (EEG) nachgewiesen werden. Der Schweregrad der Beeinträchtigung durch IEP kann von einer vernachlässigbaren Einschränkung bis hin zur Unfähigkeit reichen beispielsweise ein Stoppschild zu erkennen, und dadurch einen Unfall zu verursachen. Eine aktuelle Studie des Epilepsiezentrums Frankfurt Rhein-Main mit Kooperationspartnern hat die Folgen von IEP auf die Fahrtüchtigkeit von Epilepsie-Patientinnen und -Patienten untersucht und Methoden zur Einschätzung dieser Auswirkungen überprüft. Die Studie zielt darauf ab, das Verständnis von IEP und ihren Einfluss auf die Fahrtüchtigkeit zu vertiefen, und die Kriterien für die Beurteilung zu verbessern.
Die Studienergebnisse können dazu beitragen, dass bisher als risikoreich eingestufte Menschen mit Epilepsie wieder eine Fahrerlaubnis erhalten und somit ein Stück Lebensqualität zurückgewinnen - nicht zuletzt deshalb, weil die Empfehlungen Ärztinnen und Ärzten dabei helfen, den Einfluss klinisch relevanter IEP-Effekte auf die Fahrtüchtigkeit einzelner Betroffener besser einzuschätzen.
Verantwortung und Konsequenzen bei Verstößen
Wer sich trotz Epilepsie hinter das Steuer setzt, obwohl er aus ärztlicher Sicht nicht fahren darf, stellt ein (erhebliches) Risiko für den Straßenverkehr und andere Verkehrsteilnehmer dar. Aus diesem Grund drohen dem Betroffenen von Seiten des Gesetzgebers mitunter harte Sanktionen. Verursacht der erkrankte Fahrer einen Unfall, liegt darüber hinaus eine Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c Strafgesetzbuch (StGB) vor. Je nach Unfallart kann dann zum Beispiel eine Straßenverkehrsgefährdung, eine Körperverletzung oder sogar ein Tötungsdelikt vorliegen. Das Führen eines Fahrzeugs unter dem bekannten Risiko eines epileptischen Anfalls gilt als grob fahrlässig. Das Strafmaß reicht bis zu mehreren Jahren Freiheitsstrafe.
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Zudem kann die Kfz-Haftpflichtversicherung bereits an die Unfallgeschädigten ausgezahltes Geld zurückfordern; die Kaskoversicherungen können Leistungen kürzen oder verweigern.
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