Die Trigeminusneuralgie ist eine chronische Schmerzerkrankung, die durch heftige, attackenartige Gesichtsschmerzen gekennzeichnet ist. Diese Schmerzen gehen vom fünften Hirnnerv, dem Trigeminusnerv, aus, der für die sensible Wahrnehmung in Gesicht, Mund und Nase verantwortlich ist. Die Erkrankung kann die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen, da alltägliche Aktivitäten wie Sprechen, Kauen oder Zähneputzen zu unerträglichen Schmerzen führen können.
Was ist eine Trigeminusneuralgie?
Bei der Trigeminusneuralgie handelt es sich um eine Funktionsstörung des Trigeminusnervs, die oft mit einer Entzündung einhergeht. Meist ist auch eine Rückbildung (Degeneration) der Nervenstränge mit einem Abbau der äußeren Isolierschicht (Demyelinisierung) zu beobachten. Schätzungen zufolge sind etwa 4 bis 13 von 100.000 Menschen betroffen. Die Erkrankung kann in jedem Alter auftreten, am häufigsten jedoch bei über 60-Jährigen.
Der Trigeminusnerv ist der größte Hirnnerv und teilt sich in drei Äste auf:
- Augenast (Nervus ophthalmicus)
- Oberkieferast (Nervus maxillaris)
- Unterkieferast (Nervus mandibularis)
Diese Äste versorgen den Großteil des Gesichts, insbesondere die Haut von der Stirn, den Augen, der Nase, den Wangen und der Kieferregion sowie die Schleimhäute in Mund und Nase sowie Zähne. Der Nerv leitet Sinneseindrücke wie Berührungen, Temperaturempfinden oder Schmerz an das Gehirn weiter. Er versorgt zudem die Kiefer- und Zungenmuskulatur und steuert deren Bewegungen, beispielsweise beim Kauen.
Ursachen und Risikofaktoren
Je nach Ursache wird die Trigeminusneuralgie in verschiedene Formen eingeteilt:
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Klassische Trigeminusneuralgie
Bei der klassischen Trigeminusneuralgie entstehen die Schmerzen meist dadurch, dass benachbarte Blutgefäße auf den Nerv drücken (neurovaskuläre Kompression) und so die Umhüllung des Nervs (Myelinscheide) schädigen. Ein krankhafter Kontakt zwischen Gefäß und Nerv ist wahrscheinlicher, wenn die Wände der Schlagadern (Arterien) verdickt und starr sind, wie es bei einer Arterienverkalkung (Arteriosklerose) der Fall ist. Die betreffende Arterie kann den Nerv auch verdrängen, was diesen zusätzlich reizt und eine Entzündung sowie Funktionsstörungen hervorruft. Am häufigsten ist die Arteria cerebelli superior (SCA) betroffen, eine das Kleinhirn versorgende Arterie.
Sekundäre Trigeminusneuralgie
Eine sekundäre Trigeminusneuralgie liegt vor, wenn sich eine andere Erkrankung als eindeutige Ursache für die Schmerzattacken nachweisen lässt. Zu diesen möglichen Ursachen zählen:
- Entmarkungskrankheiten: Krankheiten, bei denen die Schutzhüllen der Nervenfasern (Myelinscheiden) im Nervensystem zerstört werden, wie z. B. Multiple Sklerose (MS). Bei MS-Patienten liegt die Häufigkeit der Trigeminusneuralgie bei etwa ein bis zwei Prozent, während sie in der Gesamtbevölkerung nur etwa 0,04 Prozent beträgt.
- Hirntumoren: Vor allem Akustikusneurinome, seltene, gutartige Tumoren des Hör- und Gleichgewichtsnervs, können auf den Trigeminusnerv oder ein benachbartes Blutgefäß drücken und so die Schmerzen auslösen.
- Schlaganfall (Apoplex)
- Gefäßmissbildungen: Angiome oder Aneurysmen im Bereich des Hirnstammes.
Patienten mit einer sekundären Trigeminusneuralgie sind im Durchschnitt jünger als Menschen mit der klassischen Krankheitsform.
Idiopathische Trigeminusneuralgie
Bei der idiopathischen Trigeminusneuralgie lässt sich keine andere Erkrankung oder Gewebeveränderung an beteiligten Gefäßen und Nerven als Ursache für die Beschwerden feststellen (idiopathisch = ohne bekannte Ursache).
Weitere Risikofaktoren und Auslöser
Emotionale bzw. psychische Faktoren wie Stress oder Aufregung können die Nerven reizen und als Auslöser für eine Trigeminusneuralgie wirken. Auch alltägliche Dinge wie Sprechen, Rasieren, Kauen, Zähneputzen, eine Berührung, kaltes Wasser oder ein kalter Luftzug können die Schmerzen auslösen (Triggerfaktoren).
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Symptome
Die Trigeminusneuralgie zeichnet sich durch folgende Symptome aus:
- Heftige, blitzartig einschießende Schmerzen: Die Schmerzen werden oft als elektrisierend, stechend oder scharf beschrieben.
- Einseitige Schmerzen: Die Schmerzen sind meist auf eine Gesichtshälfte beschränkt.
- Kurze Schmerzattacken: Die Schmerzen dauern meist nur wenige Sekunden bis zu zwei Minuten, können aber mehrmals pro Tag auftreten. Die Frequenz einzelner Attacken mit stromstoßartig einschießenden Schmerzen reicht individuell bis zu Hunderten pro Tag.
- Triggerfaktoren: Bestimmte Reize wie Berührungen im Gesicht, Kauen, Sprechen oder kalte Luft können die Schmerzen auslösen.
- Beschwerdefreiheit zwischen den Attacken: Bei der klassischen Trigeminusneuralgie besteht in der Regel Beschwerdefreiheit zwischen den Schmerzattacken. Bei der symptomatischen Form können die Schmerzen auch dauerhaft vorhanden sein.
- Mögliche Begleitsymptome: In manchen Fällen können Teile der Gesichtsmuskulatur sich zusammenziehen (Tic douloureux), Hautrötung und Augentränen auftreten.
- Emotionale Belastung: Die ständigen Schmerzen und die Angst vor der nächsten Attacke können zu depressiven Verstimmungen führen.
Die Schmerzen strahlen meist in eines der drei Territorien der Gesichtshälfte aus, die durch die Äste des Nervus trigeminus versorgt werden. Am häufigsten ist der Gesichtsbereich betroffen, der vom Unterkieferast versorgt wird, seltener der Bereich des Oberkieferastes und in sehr seltenen Fällen der Bereich des Augenastes.
Diagnose
Nicht jeder Schmerz im Gesichtsbereich ist eine Trigeminusneuralgie. Es gilt, die Trigeminusneuralgie von anderen Formen von Kopf- und Gesichtsschmerzen abzugrenzen, wie z.B. Kiefergelenksproblemen, Zahnerkrankungen oder Clusterkopfschmerz.
Die Diagnose erfolgt in der Regel durch einen Facharzt für Neurologie oder Neurochirurgie. Der Arzt erhebt zunächst die Krankengeschichte (Anamnese) und befragt den Patienten ausführlich zu seinen Beschwerden. Mögliche Fragen dabei sind:
- Wo genau haben Sie Schmerzen?
- Wie lange dauern die Schmerzen jeweils an?
- Wie empfinden Sie den Schmerz?
- Haben Sie neben den Schmerzen andere Beschwerden?
- Machen Ihnen die Schmerzattacken seelisch sehr zu schaffen?
Im Anschluss führt der Arzt eine körperliche Untersuchung durch und achtet dabei auf das Empfindungsvermögen (Sensibilität) im Gesichtsbereich.
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Weitere Untersuchungen dienen dazu, eine auslösende Erkrankung der Trigeminusneuralgie auszuschließen oder zu bestätigen. Je nach Beschwerdebild kann der Arzt folgende Untersuchungen durchführen:
- Magnetresonanztomografie (MRT): Um Erkrankungen wie Multiple Sklerose, Hirntumor, Schlaganfall oder Gefäßmissbildungen (Aneurysma) auszuschließen. Mittels einer dreidimensionalen (3D) Time-of-Flight-Magnetresonanz-Angiografie (3D TOF MRA) in Kombination mit einer hochauflösenden T2-gewichteten Bildgebung (HR T2WI) lassen sich Kompressionen des Nervs erkennen.
- Entnahme und Analyse des Nervenwassers (Liquorpunktion): Um Multiple Sklerose auszuschließen.
- Computertomografie (CT): Zur Beurteilung der knöchernen Strukturen des Schädels.
- Angiografie oder Kernspin-Angiografie (MRA): Zur Erkennung von Gefäßmissbildungen.
- Elektrophysiologische Untersuchungen: Z.B. Trigeminus-SEP (Überprüfung der Funktionsfähigkeit sensibler Nervenbahnen), Überprüfung von Lidschlussreflex und Kaumuskelreflex (Masseterreflex).
- Sonstige Untersuchungen: Gegebenenfalls sind weitere Untersuchungen beim Zahnarzt, Kieferorthopäden oder HNO-Arzt erforderlich.
Therapie
Die Behandlung der Trigeminusneuralgie zielt darauf ab, die Schmerzen zu lindern und die Häufigkeit der Attacken zu reduzieren. Es gibt verschiedene Therapieansätze, die individuell auf den Patienten abgestimmt werden müssen.
Medikamentöse Therapie
In der Regel wird zunächst eine medikamentöse Therapie mit Antiepileptika wie Carbamazepin oder Oxcarbazepin begonnen. Diese Medikamente können die Reizweiterleitung im Nervensystem hemmen und so die Schmerzen reduzieren. Die Dosierung wird langsam gesteigert, bis die Schmerzen kontrolliert sind und möglichst wenige Nebenwirkungen auftreten.
Mögliche Nebenwirkungen von Carbamazepin sind Schwindel, Müdigkeit, allergische Reaktionen, Veränderungen des Blutbildes und der Leberfunktion, Verringerung der Blutsalze und Magen-Darm-Probleme. Die Nebenwirkungen können reduziert werden, indem das Medikament auf mehrere Dosen über den Tag verteilt eingenommen wird.
Wenn die Schmerzen mit der medikamentösen Therapie nicht ausreichend gelindert werden können oder die Nebenwirkungen zu stark sind, stehen weitere Behandlungsansätze zur Verfügung.
Operative Therapien
Wenn eine medikamentöse Therapie keinen Erfolg bringt, können verschiedene operative Verfahren in Betracht gezogen werden:
- Mikrovaskuläre Dekompression (MVD): Bei dieser Operation wird der Schädel geöffnet und ein Kunststoffstück (z.B. Teflonflies) zwischen das Blutgefäß und den Trigeminusnerv eingelegt, um den Kontakt zu unterbrechen und den Druck auf den Nerv zu lösen. Nach einer Jannetta-OP sind die Nervenschmerzen im Gesicht in den meisten Fällen verschwunden oder zumindest deutlich gebessert (80 bis 95%), auch die Langzeitergebnisse sind mit ca. 70% Schmerzfreiheit nach 10 Jahren gut. Mögliche Nebenwirkungen bzw. Komplikationen sind unabhängig vom Alter der Patienten beispielsweise eine Hörminderung oder Hörverlust.
- Perkutane Operationsverfahren: Bei diesen Verfahren wird der Nervus Trigeminus im Bereich des Ganglion Gasseri (sensibler Nervenknoten im Bereich der Schädelgrube) entweder thermisch (Thermokoagulation), chemisch (Glyzerolinstillation) oder mechanisch (Ballonkompression) geschädigt, um die Schmerzentstehung und -weiterleitung zu unterbinden. Der Zugangsweg erfolgt durch die Haut seitlich des Mundwinkels durch eine Schädelöffnung unter Durchleuchtung. Nachteil der perkutanen Verfahren ist, dass es sich um invasive Methoden handelt. Auch kann die Wirkung im Langzeitverlauf nachlassen, Schmerzattacken später also erneut auftreten.
- Radiochirurgische Behandlung (Gamma-Knife-Behandlung): Bei diesem Verfahren wird der Trigeminusnerv am Abgang mit einer hohen Strahlendosis einmalig bestrahlt, um eine Teilschädigung des Nervs zu erzielen.
- Robotergeführte Cyberknife-Therapie: Die ambulante radiochirurgische Behandlung mit modernen Robotersystemen, wie z. B. dem CyberKnife und dem ZAP-X, wird bei der Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Trigeminusneuralgie immer häufiger eingesetzt. Neue Erkenntnisse verschiedener Studien belegen für die radiochirurgische Behandlung weniger Komplikationen und eine bessere langfristige Linderung.
Weitere Maßnahmen
Neben den medikamentösen und operativen Therapien können auch folgende Maßnahmen zur Linderung der Beschwerden beitragen:
- Psychotherapie: Da die ständigen Schmerzen und die Angst vor der nächsten Attacke eine hohe psychische Belastung darstellen können, kann eine Psychotherapie helfen, mit der Erkrankung umzugehen und depressive Verstimmungen zu behandeln.
- Vermeidung von Triggerfaktoren: Betroffene sollten versuchen, bekannte Triggerfaktoren wie Berührungen im Gesicht, Kauen oder kalte Luft zu vermeiden.
- Schmerztagebuch: Ein Schmerztagebuch kann helfen, die Schmerzen besser zu dokumentieren und Triggerfaktoren zu identifizieren.
- Ernährungsumstellung: Da die Nahrungsaufnahme aufgrund der Schmerzen erschwert sein kann, ist eine ausgewogene und leicht verdauliche Ernährung wichtig. In manchen Fällen kann es notwendig sein, auf flüssige Nahrung umzusteigen.
Verlauf und Prognose
Der Krankheitsverlauf bei der Trigeminusneuralgie ist sehr variabel. Es ist kaum vorhersehbar, wie viel Zeit bis zur nächsten Schmerzattacke vergeht. Manchmal liegen Tage, Wochen, Monate oder gar Jahre zwischen einzelnen Attacken. Bei etwa einem Drittel der Betroffenen bleibt es sogar bei einem einmaligen Anfall. Bei den meisten Menschen treten die Attacken anfangs nur ab und zu auf, häufen sich aber im Laufe der Zeit.
Mit dem richtigen Behandlungsplan lassen sich die Schmerzen einer Trigeminusneuralgie zumindest eine Zeitlang reduzieren oder vertreiben. Komplett heilen lässt sich die Erkrankung derzeit aber nicht. Bislang ist auch nicht bekannt, ob und wie sich einer Trigeminusneuralgie vorbeugen lässt.
Auch trotz erfolgreicher Behandlung kann es erneut zu Schmerzattacken kommen. Es ist möglich, dass bei einem Schmerzrezidiv eine erneute Behandlung erforderlich ist, um die Schmerzen gut zu kontrollieren.
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