Das autonome Nervensystem (ANS), oft auch als vegetatives Nervensystem (VNS) bezeichnet, ist ein unwillkürlicher Regulator lebenswichtiger Körperfunktionen. Dieses System, das sich in Sympathikus (anregend) und Parasympathikus (beruhigend) unterteilt, sorgt für ein Gleichgewicht im Körper. Stress kann dieses Gleichgewicht stören und zu einer Vielzahl von Symptomen und potenziellen Gesundheitsproblemen führen.
Das autonome Nervensystem verstehen
Das autonome Nervensystem ist ein stiller Helfer, der rund um die Uhr für uns arbeitet. Es steuert lebenswichtige Körperfunktionen wie Herzschlag, Atmung, Verdauung und Körpertemperatur, ohne dass wir bewusst darüber nachdenken müssen. Medizinisch gesehen ist das autonome Nervensystem der übergeordnete Begriff, der betont, dass diese Prozesse unabhängig von unserem bewussten Willen gesteuert werden. Der Begriff „vegetativ“ verweist eher auf die Steuerung der inneren Organe, also der sogenannten Viszeralfunktionen.
Die Komponenten des autonomen Nervensystems
Das autonome Nervensystem besteht aus drei Hauptsystemen:
- Sympathikus: Bringt den Körper auf Touren und ist aktiv bei Stress oder wenn schnelle Reaktionen erforderlich sind. Er aktiviert unseren Körper und bereitet uns auf körperliche oder geistige Leistungen vor (oft als „Kampf-oder-Flucht-Reaktion” bezeichnet).
- Parasympathikus: Sorgt für Ruhe und Regeneration, aktiviert die Verdauung und kurbelt verschiedene Stoffwechselvorgänge an. Er ist dein innerer Entspannungsmodus.
- Enterisches Nervensystem (ENS): Oft als „Bauchgehirn“ bezeichnet, besteht es aus einem dichten Netz von Nervenzellen im Magen-Darm-Trakt. Es arbeitet weitgehend eigenständig und steuert die Verdauung.
Diese drei Systeme arbeiten eng zusammen und halten den Körper in Balance.
Die Rolle des Vagusnervs
Ein Teil des parasympathischen Nervensystems ist der Vagusnerv („Nervus vagus”) - der längste Hirnnerv des Körpers. Er ist wie eine „Bremse” für das vegetative Nervensystem. Wenn er aktiviert wird, sendet er Signale an Herz, Lunge und andere Organe, um den Körper zu beruhigen. Der Vagusnerv kann durch gezielte Übungen wie Atemtechniken, Kältereize oder Summen bewusst aktiviert werden.
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Die Polyvagal-Theorie (Porges, 2009) hat unser Verständnis des vegetativen Nervensystems stark erweitert und unterscheidet drei Bereiche:
- Soziales Engagement (ventraler Vagus): Sicherheit, Verbindung, Ruhe.
- Kampf-oder-Flucht (Sympathikus): Alarmbereitschaft und Mobilisierung bei Gefahr.
- Erstarrung/Kollaps (dorsaler Vagus): Totaler Shutdown als Schutz.
Das Nervensystem entscheidet, je nach wahrgenommener Sicherheit oder Bedrohung, in welchem Bereich man sich befindet. Interessanterweise sind 80 % der Vagusnerv-Fasern afferent, was bedeutet, dass sie Informationen vom Körper zum Gehirn senden statt andersherum.
Die Stressreaktion
Wie Stress entsteht
Stress entsteht im Gehirn und wird durch die innere Bewertung äußerer Reize ausgelöst. Wenn die vorhandenen Bewältigungsmechanismen subjektiv nicht der anstehenden Herausforderung entsprechen, entsteht Stress. Ein und derselbe Reiz kann für die eine Person eine angenehme Herausforderung darstellen, für eine andere Person eine Bedrohung.
Die physiologischen Auswirkungen von Stress
In Gefahrensituationen und bei Stress wird vom Sympathikus eine Kaskade neurologischer und hormoneller Reaktionen ausgelöst:
- Adrenalin sorgt dafür, dass die Muskeln besser durchblutet werden.
- Cortisol hält uns auf Trab.
- Endorphine helfen, nicht in Panik zu verfallen.
Herzschlag und Atmung beschleunigen sich, der Blutdruck steigt, die Muskeln sind angespannt und die Sinne sind geschärft.
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Chronischer Stress und sympathische Dominanz
Aktuelle Forschungen zeigen, dass chronischer Stress zu einer dauerhaften sympathischen Dominanz führen kann (Goldstein, 2023). In unserer modernen Zeit haben sich die Bedrohungen geändert. Dauernde Anspannung durch ständige Erreichbarkeit, Überstunden, Großstadtlärm und Mental Load lässt sich nicht so schnell abschütteln. Das führt dazu, dass wir manchmal gar nicht so richtig in die Parasympathikus-Reaktion kommen, weil der Sympathikus einfach dauerhaft aktiviert bleibt - wir also dauerhaft „unter Strom” stehen.
Symptome eines überreizten Nervensystems
Zu den häufigsten Anzeichen eines überreizten Nervensystems gehören:
- Herzklopfen
- Schlafstörungen
- Chronische Verspannungen
- Reizbarkeit
- Konzentrationsprobleme
- Verdauungsstörungen
- Das Gefühl, ständig „unter Strom” zu stehen
Wenn mehrere dieser Symptome über einen längeren Zeitraum bestehen, sollte man diese unbedingt ärztlich abklären lassen, um eine ernsthafte Erkrankung auszuschließen.
Wie man das Nervensystem beruhigt
Akute Beruhigungstechniken
- 4-7-8-Atemtechnik: 4 Sekunden einatmen, 7 Sekunden halten, 8 Sekunden ausatmen. Diese Atmung aktiviert direkt den Parasympathikus.
- Konzentration auf eine langsame Ausatmung: Dies aktiviert ebenfalls den Parasympathikus.
- 5-4-3-2-1-Methode: Benenne 5 Dinge, die du sehen kannst, 4 Dinge, die du fühlen kannst, 3 Dinge, die du hören kannst, 2 Dinge, die du riechen kannst und 1 Ding, das du schmecken kannst. Diese Technik hilft, ins Hier und Jetzt zurückzukehren und Ruhe zu finden.
Langfristige Strategien zur Regulierung des Nervensystems
- Körperliche Aktivität: Hilft, das ausgeschüttete Adrenalin und Cortisol abzubauen und signalisiert dem Gehirn, dass die Gefahr vorüber ist. Zwerchfellatmung aktiviert das parasympathische Nervensystem und verbessert die Herzratenvariabilität.
- Vagusnerv-Stimulation: Übungen wie Singen, Summen oder die Zwerchfellatmung können den Vagusnerv stimulieren und entspannter werden lassen.
- Meditation und Achtsamkeitsübungen: Können den Geist und das Nervensystem beruhigen und die Stressresilienz stärken.
- Yoga: Verbindet körperorientierte Ansätze mit Atemarbeit und kann besonders effektiv sein, um das Nervensystem zu beruhigen.
- Schlafhygiene: Guter Schlaf ist essenziell, um das Nervensystem beruhigen zu können. Sorge dafür, dass du genug Ruhezeit in der Nacht hast und nutze die 10 Regeln der Schlafhygiene, um deinen Schlaf zu verbessern.
- Emotionen herauslassen: Manchmal kann es guttun, einfach mal die angestauten Emotionen herauszulassen.
- Soziale Interaktionen: Lockere, freundliche und liebevolle soziale Interaktionen sind ein gutes äußeres Zeichen, dass die Welt ein sicherer Ort ist.
- Hydrotherapie: Wechsel von Wärmereiz und Kältereiz regen Regulation an.
Zusätzliche Tipps für den Alltag
- Regelmäßige Bewegung: Hilft dem Körper, Stresshormone abzubauen und den Parasympathikus zu stärken.
- Bewusste Atmung: Langsames, bewusstes Atmen aktiviert den Parasympathikus.
- Ausgewogene Ernährung: Liefert dem Nervensystem den Grundstein für Stabilität und Regeneration.
- Entspannungstechniken: Meditation, Body Scan oder progressive Muskelentspannung bringen dich zurück in den Moment und raus aus der Alarmbereitschaft.
Messung und Behandlung von vegetativer Dysregulation
Mit Hilfe der VNS-Analyse können Veränderungen des vegetativen Nervensystems (vegetative Dysregulation) gemessen und Therapien mit derselben Methode überprüft und kontrolliert werden. Die Ableitung muss immer mit mehreren Elektroden erfolgen, da nur ein einzelner falsch gemessener Herzschlag (Artefakt) das Ergebnis um 450 % verändert.
Je nach Ursache und Schweregrad der Störung kann eine vegetative Dystonie ernsthafte gesundheitliche Probleme verursachen, doch lässt sie sich in den meisten Fällen erfolgreich behandeln. Die Behandlung erfordert eine individuelle Herangehensweise, die sich an der eigentlichen Ursache und der Lebenssituation der Patienten orientiert.
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