Das autonome Nervensystem: Gegenspieler und Zusammenarbeit für ein harmonisches Gleichgewicht

Das autonome Nervensystem (ANS), auch als vegetatives Nervensystem bekannt, ist ein komplexes und lebenswichtiges System, das viele unbewusste Körperfunktionen reguliert. Es bildet zusammen mit dem somatischen Nervensystem das periphere und zentrale Nervensystem. Der Begriff „autonomes Nervensystem“ wurde von dem britischen Physiologen John Newport Langley (1852-1925) geprägt. Er beschreibt, dass über diesen Teil des Nervensystems biologisch festgelegte, automatisch ablaufende Vorgänge im Körper angepasst und reguliert werden. Diese können vom Menschen willentlich nicht direkt, sondern höchstens indirekt beeinflusst werden. Im Gegensatz dazu ermöglicht das somatische Nervensystem willkürliche und bewusste Reaktionsweisen. Über das vegetative Nervensystem werden lebenswichtige Funktionen (sogenannte „Vitalfunktionen“) wie Herzschlag, Atmung, Blutdruck, Verdauung und Stoffwechsel kontrolliert. Auch andere Organe oder Organsysteme werden vom vegetativen Nervensystem innerviert, so beispielsweise die Sexualorgane, endokrine und exokrine Organe wie die Schweißdrüsen, das Blutgefäßsystem (Blutdruck) oder die inneren Augenmuskeln (Pupillenreaktion). Es besteht aus zwei Hauptteilen: dem sympathischen und dem parasympathischen Nervensystem, die eng zusammenarbeiten, um den Körper im Gleichgewicht zu halten. Ohne das autonome Nervensystem wären wir nicht in der Lage, auf plötzliche Gefahren zu reagieren oder uns nach anstrengenden Aktivitäten zu erholen. Es ist der unbewusste Dirigent im Körper, der sicherstellt, dass alle lebenswichtigen Prozesse harmonisch ablaufen.

Die Notwendigkeit eines autonomen Nervensystems

Das autonome Nervensystem spielt eine entscheidende Rolle in unserem täglichen Leben, indem es viele lebenswichtige Funktionen steuert, ohne dass wir dies bewusst wahrnehmen. Es reguliert unseren Herzschlag, unsere Atmung und kontrolliert, wie unser Verdauungssystem arbeitet. Diese automatische Steuerung ermöglicht es, uns auf andere Aufgaben zu konzentrieren, ohne ständig über diese grundlegenden Prozesse nachdenken zu müssen.

Ein eindrucksvolles Beispiel für die Bedeutung des autonomen Nervensystems ist die "Kampf-oder-Flucht"-Reaktion. Stellen Sie sich vor, Sie stehen plötzlich einem aggressiven Hund gegenüber. Ihr Herz beginnt schneller zu schlagen, Ihre Muskeln spannen sich an, Ihr Atem wird schneller. Diese Reaktion wird durch das autonome Nervensystem ausgelöst, um den Körper auf eine schnelle Flucht oder einen Kampf vorzubereiten. Diese unwillkürliche Reaktion kann in lebensbedrohlichen Situationen den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten.

Die zwei Hauptakteure: Sympathikus und Parasympathikus

Das autonome Nervensystem lässt sich weiter einteilen in das sympathische Nervensystem (Sympathikus) und das parasympathische Nervensystem (Parasympathikus). Sympathikus und Parasympathikus werden oft als Gegenspieler bezeichnet. Einfach ausgedrückt: Das sympathische Nervensystem reguliert die Organfunktionen in Stresssituationen oder bei Aktivität und das parasympathische Nervensystem in Entspannungsphasen. Zum vegetativen Nervensystem zählt außerdem noch das enterische Nervensystem, das Nervensystem des Darms. Es besteht aus einem Nervengeflecht in der Darmwand und reguliert den Darm weitgehend unabhängig.

Der Sympathikus: Aktivierung für Leistung und Stress

Der Sympathikus bereitet den Organismus auf körperliche und geistige Leistungen vor. Er sorgt dafür, dass das Herz schneller und kräftiger schlägt, erweitert die Atemwege, damit man besser atmen kann, und hemmt die Darmtätigkeit. Der Sympathikus stimuliert, der Parasympathikus beruhigt. Wenn das autonome Nervensystem bestimmte Informationen über den Körperstatus und äußere Bedingungen erhalten hat, reagiert der sympathische Teil mit der Anregung von entsprechenden Körperprozessen - oder der parasympathische mit deren Hemmung: Der Sympathikus erhöht bei Gefahr Herzschlag und Atemtätigkeit und verbessert die Durchblutung - das steigert die körperliche Leistungsfähigkeit, die zur Flucht oder Verteidigung notwendig ist. Gleichzeitig hemmt der Sympathikus Vorgänge wie die Verdauung, die bei Gefahr nicht hilfreich sind.

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Ein Beispiel für die Funktion des sympathischen Nervensystems ist die Erhöhung der Herzfrequenz und die Erweiterung der Bronchien in den Lungen während körperlicher Aktivität oder Stress. Diese Reaktionen ermöglichen eine bessere Sauerstoffversorgung des Körpers und bereiten ihn auf erhöhte Leistungsfähigkeit vor.

Der Parasympathikus: Ruhe und Regeneration

Der Parasympathikus kümmert sich um die Körperfunktionen in Ruhe: Er aktiviert die Verdauung, kurbelt verschiedene Stoffwechselvorgänge an und sorgt für Entspannung. Wenn wir entspannt sind, verlangsamt der Parasympathikus den Herzschlag und beruhigt die Atmung. Der parasympathische Teil reduziert die Herzfrequenz und fördert die Verdauung, indem er die Aktivität des Magen-Darm-Trakts steigert. So sorgt er für Entspannung und Regeneration nach stressigen Ereignissen.

Anatomie und Signalübertragung

Anatomisch gesehen besteht das autonome Nervensystem aus einem Netzwerk von Nerven, die vom Gehirn und Rückenmark zu verschiedenen Organen im Körper verlaufen. Die Nervenzellen des Sympathikus befinden sich im Rückenmark im mittleren Bereich der Wirbelsäule und die parasympathischen im oberen und unteren Bereich. Von hier gehen Signale an die sogenannten Ganglien aus. Ganglien sind Anhäufungen von Nervenzellkörpern im peripheren Nervensystem. Die Ganglien sind außerdem über Axone mit den inneren Organen verbunden. Die meisten sympathischen Ganglien befinden sich in der Nähe des Rückenmarks. Viele von ihnen verbinden sich zu einem Ganglienstrang, der parallel zum Rückenmark verläuft. Die parasympathischen Nervenzellen werden hingegen erst kurz vor den Zielorganen über Ganglien zusammengeschaltet.

Um Signale übertragen zu können und die Organe zu verstärkter oder verminderter Aktivität anzuregen, sind chemische Botenstoffe notwendig: sogenannte Neurotransmitter. Die wichtigsten Transmitter bei der Kommunikation von Sympathikus, Parasympathikus und Organen sind Acetylcholin und Noradrenalin. Letzteres wirkt stimulierend und Acetylcholin überwiegend hemmend. Acetylcholin spielt bei der parasympathischen Signalübertragung die Hauptrolle. Es kommt zwar auch bei der Kommunikation in den sympathischen Ganglien zum Einsatz, für die Signalübertragung an die Organe setzen aber die meisten sympathischen Fasern Noradrenalin frei.

Zusammenspiel und Ergänzung

Beim Zusammenspiel von Sympathikus und Parasympathikus geht es darum, dass immer diejenigen Körperfunktionen Vorrang erhalten, deren Aktivität in einer jeweiligen Situation am sinnvollsten ist. Die beiden Systeme wirken also nicht unbedingt entgegengesetzt, sondern können sich in manchen Funktionen ergänzen. Sie arbeiten zusammen, um den Körper im Gleichgewicht zu halten. Der Sympathikus übernimmt so lange die Führung, wie es nötig ist, um eine Stresssituation zu meistern. Dann schaltet sich das parasympathische Nervensystem ein und führt den Organismus in den „Normalbetrieb“ zurück. Nicht nur Gegenspieler, sondern auch Ergänzung.

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Störungen des autonomen Nervensystems

Eine Störung des vegetativen Nervensystems gefährdet den ordnungsgemäßen Ablauf lebenswichtiger körperlicher Prozesse. Bei Schädigung der Nerven oder des Gehirns kann es daher zu Störungen des vegetativen Nervensystems kommen.

Ursachen für vegetative Störungen

In vielen Fällen lässt sich bei einer Störung des vegetativen Nervensystems keine konkrete Ursache ausmachen. Mögliche auslösende Krankheiten sind:

  • Diabetes mellitus: Ein unbehandelter oder schlecht eingestellter Diabetes mellitus kann das Nervensystem schädigen. Ein Beispiel ist der Blutdruckabfall beim Aufstehen (orthostatische Hypotonie), wenn infolge eines Diabetes Nerven geschädigt sind, die normalerweise beim Stehen einen blutdrucksteigernden Reflex auslösen.
  • Verletzungen vor allem in der Nähe des Rückenmarks, bei denen Verbindungen im Nervensystem beschädigt werden können
  • Horner-Syndrom, eine Störung des Sympathikusanteils, der unter anderem die Augen nervlich anbindet
  • Tumor des Nebennierenmarks (Phäochromozytom), wodurch zu viele Neurotransmitter freigesetzt werden, die zu einer kaum zu senkende Erhöhung des Blutdrucks führen
  • virale oder bakterielle Infektionen
  • Multisystematrophie, eine Erkrankung, die viele Systeme betrifft, darunter auch das autonome Nervensystem
  • genetisch bedingte oder erworbene Erkrankungen wie Amyloidose
  • Eine ausgewogene Ernährung unterstützt das Gleichgewicht der Aktivität von Sympathikus und Parasympathikus, übermäßiger Konsum von Alkohol kann Sympathikus und Parasympathikus beeinträchtigen.

Symptome bei vegetativen Störungen

Eindeutige Krankheitszeichen bei Problemen mit dem vegetativen Nervensystem gibt es nicht. Liegt eine andere Erkrankung zugrunde, wird diese behandelt. Wenn keine Grunderkrankung ausgemacht werden kann oder diese nicht heilbar ist, konzentriert sich die Behandlung auf die Symptomlinderung, zum Beispiel die Blutdruckstabilisierung bei orthostatischer Hypotonie.

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