Unser Alltag ist oft von Stress, hohen Anforderungen und einem Gefühl der Überforderung geprägt. Ein reguliertes Nervensystem ist daher entscheidend für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden. Dieser Artikel beleuchtet, warum ein reguliertes Nervensystem wichtig ist und stellt verschiedene Methoden vor, mit denen Sie Ihr autonomes Nervensystem (ANS) regulieren können, um Stress abzubauen, Heilung zu fördern und ein höheres Wohlbefinden zu erreichen.
Warum ein reguliertes Nervensystem wichtig ist
Ein reguliertes Nervensystem ist ein Nervensystem, das in Balance ist und in dem sich Phasen von Aktivierung und Entspannung natürlich abwechseln. Es ermöglicht uns, besser mit den Anforderungen des Lebens umzugehen und Stressoren zu bewältigen, ohne dass diese nachhaltige Auswirkungen auf unser Nervensystem haben. Ein reguliertes Nervensystem ist eng mit Resilienz verbunden und trägt dazu bei, dass wir den Alltag gut bewältigen können.
Was ist ein reguliertes Nervensystem?
Ein reguliertes Nervensystem ist dadurch gekennzeichnet, dass es keine dauerhafte Überforderung gibt und nach einer Aktivierung die Entspannung wieder erfolgt, wodurch eine natürliche Balance entsteht. Es ist anpassungsfähig und kann flexibel auf unterschiedliche Situationen reagieren.
Drei Gründe, warum ein reguliertes Nervensystem wichtig ist
- Bessere Stressbewältigung: Ein reguliertes Nervensystem ermöglicht es uns, Stressoren effektiv zu bewältigen, ohne dass diese langfristige negative Auswirkungen auf unsere Gesundheit haben.
- Erhöhtes Wohlbefinden: Ein ausgeglichenes Nervensystem trägt zu einem höheren Wohlbefinden bei, da Dauerstress vermieden wird, der das Nervensystem dysregulieren und zu Gesundheitsproblemen führen kann.
- Gesundheitliche Vorteile: Die Regulierung des Nervensystems kann zur Heilung beitragen und das Risiko von Burnout, Depressionen, Herz-Kreislauf-Störungen und Verdauungsstörungen reduzieren.
Aufbau und Funktion des Nervensystems
Bevor wir uns den Methoden zur Regulierung des Nervensystems widmen, ist es wichtig, den Aufbau und die Funktionsweise des Nervensystems zu verstehen.
Zentrales und peripheres Nervensystem
Unser Nervensystem besteht aus dem Gehirn, dem Rückenmark und allen Nerven des Körpers. Dabei unterscheiden wir zwischen dem zentralen und dem peripheren Nervensystem. Das zentrale Nervensystem umfasst das Gehirn und das Rückenmark, während das periphere Nervensystem alle Nerven außerhalb des Gehirns und Rückenmarks umfasst.
Lesen Sie auch: Enterisches Nervensystem vs. Vegetatives Nervensystem: Ein detaillierter Vergleich
Somatisches und vegetatives Nervensystem
Das periphere Nervensystem wird nach seiner Funktion in ein somatisches und ein vegetatives Nervensystem unterteilt. Das somatische Nervensystem ist für die willkürlichen Bewegungsabläufe unseres Körpers zuständig, während das vegetative (oder autonome) Nervensystem zum Großteil nicht direkt steuerbar ist und unsere Körperfunktionen reguliert, die immer ablaufen müssen, egal ob wir gerade daran denken oder nicht.
Sympathikus und Parasympathikus
Das vegetative Nervensystem wirkt wie zwei große Gegenkräfte:
- Sympathikus: Aktiviert unseren Körper und bereitet uns auf körperliche oder geistige Leistungen vor (auch bekannt als „Kampf- oder Fluchtreaktion”).
- Parasympathikus: Macht genau das Gegenteil und sorgt für Ruhe und Regeneration.
In Gefahrensituationen und bei Stress wird vom Sympathikus eine Kaskade neurologischer und hormoneller Reaktionen ausgelöst, die uns helfen sollen, die Situation zu bewältigen. Adrenalin sorgt dafür, dass deine Muskeln besser durchblutet werden, Cortisol hält dich auf Trab und Endorphine helfen dir nicht in Panik zu verfallen. Dein Herzschlag beschleunigt sich, dein Blutdruck steigt und du atmest schneller. Die Muskeln sind angespannt, die Schmerzempfindlichkeit nimmt ab und deine Sinne sind geschärft.
Stressreaktionen des Nervensystems
In Stresssituationen reagiert unser Nervensystem auf unterschiedliche Weise, um unser Überleben zu sichern:
- Kampf (Fight): Aktivierung des Sympathikus, um sich der Bedrohung zu stellen.
- Flucht (Flight): Aktivierung des Sympathikus, um vor der Bedrohung zu fliehen.
- Erstarren (Freeze): Aktivierung des Parasympathikus (dorsaler Vagus), um sich tot zu stellen und die Gefahr vorüberziehen zu lassen.
In der heutigen modernen Zeit haben sich die Bedrohungen etwas geändert. Dauernde Anspannung durch ständige Erreichbarkeit, Überstunden, Großstadtlärm, Mental Load und tausend To-dos lässt sich nicht so schnell abschütteln. Das führt dazu, dass wir manchmal gar nicht so richtig in die Parasympathikus-Reaktion kommen, weil der Sympathikus einfach dauerhaft aktiviert bleibt - wir also dauerhaft „unter Strom” stehen.
Lesen Sie auch: Wie das vegetative Nervensystem die Blase beeinflusst
Methoden zur Regulierung des autonomen Nervensystems
Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, wie Sie Ihr autonomes Nervensystem regulieren können, um Stress abzubauen, Heilung zu fördern und ein höheres Wohlbefinden zu erreichen. Hier sind einige der effektivsten Methoden:
1. Orientierung (Orienting)
Orienting bedeutet, sich in Ihrer Umgebung zu orientieren und wahrzunehmen, wo Sie sind. Das sanfte Umschauen im Raum und wo du bist, kann, wenn dieser Ort sicher ist, für eine Regulation sorgen. Denn Regulation beinhaltet immer das Thema Sicherheit. Ein Nervensystem dysreguliert dauerhaft, wenn es keine Sicherheit erfährt, wenn alles, was passiert, als unsicher wahrgenommen wird bzw. Orienting kann eben dafür sorgen, dass wir uns sicher fühlen, wenn wir sehen, wo wir sind.
2. Achtsamkeitsübungen
Achtsamkeitsübungen helfen Ihnen, im gegenwärtigen Moment präsent zu sein und Ihre Gedanken und Gefühle ohne Wertung wahrzunehmen. Als Basisübung ist das Spüren und Erlauben wichtig, also das Wahrnehmen dessen, was gerade ist und das Erlauben, dass es gerade da ist. Es gibt natürlich auch Übungen wie den Body Scan oder eine achtsame Pause, achtsames Essen uvm.
3. Entspannungstechniken
Entspannungstechniken wie progressive Muskelentspannung, autogenes Training oder Yoga können helfen, die Muskelspannung zu reduzieren und den Parasympathikus zu aktivieren.
4. Meditation
Meditation kann den Geist und das Nervensystem beruhigen und dir bei regelmäßiger, täglicher Übung helfen, deine Stressresilienz zu stärken. Bereits wenige Minuten am Tag reichen aus.
Lesen Sie auch: Sympathikus und Parasympathikus detailliert erklärt
5. Atemübungen / Breathwork
Atemübungen sind eine einfache und effektive Möglichkeit, das Nervensystem zu regulieren, da der Atem der einzige Teil des autonomen Nervensystems ist, den wir aktiv steuern können. Eine einfache Übung ist die 4-7-8 Atemtechnik: Während du einatmest, zählst du langsam bis 4, dann hältst du den Atem, während du bis 7 zählst und schließlich atmest du aus, während du bis 8 zählst. Mach das ein paar Runden lang und du wirst merken, wie sich langsam eine Entspannung ausbreitet.
Präzisionsatmung kann der Schlüssel hierzu sein. Um eine optimale Leistung zu erbringen, ist unser Körper um den Erhalt der Homöostase bemüht. Ein gesundes Autonomes Nervensystem (ANS) ist dabei die Grundvoraussetzung für eine flexible Adaptionsfähigkeit. Diese Anpassungsfähigkeit ermöglicht es dem ANS, durch Aktivierung des Parasympathikus oder Sympathikus eine pathologische Dominanz des Gegenspielers zu vermeiden.
6. Sport
Körperliche Aktivität hilft dir, all das ausgeschüttete Adrenalin und Cortisol abzubauen, und signalisiert deinem Gehirn, dass du die Bedrohung erfolgreich überlebt hast und wieder sicher bist. Jede Art von körperlicher Aktivität ist also das Mittel der Wahl im Kampf gegen Stress und Burnout.
7. Natur
Sich in der Natur aufzuhalten, kann eine beruhigende Wirkung auf das Nervensystem haben. Es ist ja auch nachgewiesen durch Forschungen und Studien, dass zum Beispiel in Krankenhäusern der Blick auf einen Wald oder auf Bäume zur Heilung beiträgt.
8. Verbindungen / Nähe zu Menschen
Die Nervensysteme verschiedener Menschen können sich gegenseitig beeinflussen und regulieren. Wir machen das zum Beispiel ganz natürlich mit Babys, die schreien. Wir nehmen sie hoch und beruhigen sie dadurch, dass wir anwesend sind, dass wir Verbindung aufnehmen. Das können wir auch im Erwachsenenalter schaffen.
9. (Selbst-)Berührung
Berührungen sorgen dafür - selbst wenn du sie nur für dich alleine machst - dass das Bindungshormon Oxytocin ausgeschüttet wird. Und dieses sorgt auch wieder für eine Regulation des Nervensystems.
10. Schütteln, Klopfen, Zittern
Auch wir Menschen können so unseren Stress loswerden, wenn wir für ein paar Minuten den Stress aus uns herausschütteln. Dann gibt es noch das Zittern mit den sog. TRE (Trauma Releasing Exercises).
11. Vibration, Klang und Töne
Dazu würde ich so Sachen zählen wie Summen, Singen, Chanten (z.B. ein Mantra), Klangschalen benutzen, musizieren, ….
12. Grundbedürfnisse erfüllen
Zu den Grundbedürfnissen zählen Trinken, Essen, Schlafen, Verdauung und Ausscheidung, Atmung und auch Fortpflanzung. Das sind physiologische Grundbedürfnisse eines Menschen. Wenn wir unsere Grundbedürfnisse nicht erfüllen, ist das auch wieder ein Unsicherheitsfaktor.
Weitere Übungen zur Regulierung des Nervensystems
Neben den bereits genannten Methoden gibt es noch weitere Übungen, die Sie in Ihren Alltag integrieren können, um Ihr Nervensystem zu regulieren:
- Längere Ausatmung: Atmen Sie länger aus als ein, um den Parasympathikus zu aktivieren.
- Ausatmen durch einen Strohhalm: Stellen Sie sich vor, in einen Strohhalm pusten zu müssen, um die Ausatmungszeit zu verlängern.
- Vokalübung: Atmen Sie langsam durch die Nase ein und halten Sie sich dabei das rechte Nasenloch leicht zu. Führen Sie diese Übung hintereinander mit allen Vokalen durch.
- Füße auf dem Boden spüren: Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf Ihre Füße und spüren Sie, wie sie auf dem Boden stehen.
- 5-4-3-2-1 Übung: Benennen Sie fünf Dinge, die Sie sehen, vier Dinge, die Sie berühren können, drei Dinge, die Sie hören, zwei Dinge, die Sie riechen können, und eine Sache, die Sie schmecken können.
- Nah- und Fernsicht wechseln: Fixieren Sie abwechselnd einen Punkt in der Nähe und einen Punkt in der Ferne, um den Vagusnerv zu stimulieren.
- Zunge entspannen: Entspannen Sie Ihre Zunge und konzentrieren Sie sich darauf, dass sie in Ihrem Mund ganz leicht an den oberen Zähnen liegt.
- Leichter Druck auf die Augen: Drücken Sie leicht gegen die Augen, um einen sanften, aber wahrnehmbaren Druck auszuüben.
Der Vagusnerv und seine Bedeutung
Der Vagusnerv spielt eine zentrale Rolle bei der Regulierung des autonomen Nervensystems. Er ist der größte Nerv des Parasympathikus und verbindet das Gehirn mit vielen Organen im Körper. Eine Aktivierung des Vagusnervs kann positive Auswirkungen auf verschiedene Körperfunktionen haben, darunter die Verdauung, die Herzfrequenz und die Stressreaktion.
Übungen zur Aktivierung des Vagusnervs
Es gibt verschiedene Übungen, mit denen Sie den Vagusnerv aktivieren können:
- Bauchatmung: Legen Sie Ihre Hände auf den Bauch und atmen Sie tief ein und aus, sodass sich der Bauch hebt und senkt.
- Yoga: Übungen wie die Brücke (Setu Bandhasana) können den Vagusnerv stimulieren und Geist, Nerven und Körper beruhigen.
- Halsmassage: Massieren Sie sanft Ihren Hals, um den Vagusnerv zu aktivieren, der in der Nähe der Halsschlagader verläuft.
- Meditation mit Mantra: Suchen Sie sich ein Wort (Mantra) aus und konzentrieren Sie sich darauf, während Sie meditieren.
- Summen und Gurgeln: Summen Sie ein Lied oder gurgeln Sie mit Wasser oder Mundspülung, um den Vagusnerv zu aktivieren.
- Sport in Maßen: Treiben Sie Sport in Maßen, um den Vagusnerv zu stimulieren und Stress abzubauen.
- Geselligkeit: Verbringen Sie Zeit mit Freunden und Familie, um positive Emotionen zu erleben und den Vagusnerv zu aktivieren.
- Lachen: Lachen Sie viel, um Ihre Psyche zu stärken und den Vagusnerv zu aktivieren.
- Probiotika: Nehmen Sie probiotische Lebensmittel zu sich, um Ihre Darmgesundheit zu fördern und möglicherweise den Vagusnerv zu beeinflussen.
- Kalt- und Warmanwendungen: Duschen Sie kalt oder warm, um den Vagusnerv durch Temperaturreize zu aktivieren.
Biohacking und Body Awareness
In der heutigen Zeit suchen viele Menschen nach effektiven Wegen, ihr autonomes Nervensystem zu regulieren. Hierbei gibt es zwei unterschiedliche Ansätze: Biohacking und Body Awareness. Biohacking setzt auf gezielte, oft technologische Reize und Methoden, um neurophysiologische Prozesse zu beeinflussen. Kälteexposition (z. B. Eisbaden), Herzfrequenzvariabilitäts- (HRV-) Biofeedback, Neurofeedback oder die Einnahme von bestimmten Nahrungsergänzungsmitteln. Auf der anderen Seite steht der Ansatz der Body Awareness - also ein bewusst verkörperter, achtsamer Zugang zur Selbstregulation. therapeutische Begleitung auf körperorientierter Basis (z. B. Somatic Experiencing), Achtsamkeitspraxis, Yoga, Tanz oder andere kreative Ausdrucksformen. Beide Wege - Biohacking und Body Awareness - können hilfreich sein. Oft ist es gerade die Kombination aus beiden Ansätzen, die besonders wirksam ist.
Was tun, wenn das Nervensystem überreizt ist?
Ein überreiztes Nervensystem kann sich durch innere Unruhe, Reizbarkeit, Schlafstörungen und Konzentrationsprobleme bemerkbar machen. Körperlich können Symptome wie Herzrasen, Muskelverspannungen, Magen-Darm-Beschwerden oder erhöhter Blutdruck auftreten.
Tipps zur Beruhigung eines überreizten Nervensystems
- Regelmäßige Bewegung: Hilft Ihrem Körper, Stresshormone abzubauen und den Parasympathikus zu stärken.
- Bewusste Atmung: Langsames, bewusstes Atmen aktiviert den Parasympathikus.
- Ausgewogene Ernährung: Liefert Ihrem Nervensystem den Grundstein für Stabilität und Regeneration.
- Ausreichend Schlaf: Gibt Ihrem autonomen Nervensystem die Gelegenheit, zu regenerieren.
- Entspannungstechniken: Techniken wie Meditation, Body Scan oder progressive Muskelentspannung bringen Dich zurück in den Moment und raus aus der Alarmbereitschaft.
tags: #autonomes #nervensystem #regulieren #methoden