Babyfernsehen und Gehirnentwicklung: Ein kritischer Blick

Geräusche und Bilder von Bildschirmmedien üben eine große Faszination auf Babys und Kleinkinder aus. Doch was bedeutet das frühe Fernsehen für die Entwicklung ihres Gehirns? Während einige Eltern auf spezielle TV-Programme und DVDs setzen, um die kindliche Entwicklung zu fördern, warnen Hirnforscher vor negativen Folgen des Fernsehkonsums im Kleinkindalter.

Die Faszination Bildschirm

Babys und Kleinkinder sind von Natur aus neugierig und erkunden ihre Umwelt durch Ausprobieren und Nachahmen. Elektronische Medien bieten eine Fülle von Reizen, indem sie Geräusche, Bilder und Geschichten gleichzeitig liefern. Die intuitive Bedienung von Smartphones und Tablets mit Wischen und Tippen kann die Kleinsten zusätzlich begeistern.

Was Babys und Kleinkinder wirklich brauchen

Für eine gesunde Entwicklung benötigen Babys und Kleinkinder vor allem Zuwendung, Anregungen und vielfältige sinnliche Erfahrungen. Sie brauchen Personen, die mit ihnen sprechen und spielen, einfache Spielsachen, um herauszufinden, was man damit machen kann, und die Möglichkeit, sich nach Lust und Laune zu bewegen. Schmecken, Riechen, Fühlen, Hören und Sehen stehen im Vordergrund. Auch der Wechsel zwischen Anregungen und Ruhe ist wichtig.

Die Auswirkungen von Medien auf Babys und Kleinkinder

Auch wenn Babys und Kleinkinder noch wenig von dem verstehen, was sie aus den Medien wahrnehmen, reagieren sie darauf. Sie freuen sich über Musikstücke, quietschen vielleicht vor Vergnügen mit, wenn die anderen sich bei einer Unterhaltungssendung amüsieren, oder möchten auf der Computertastatur „mitarbeiten“ oder auf dem Smartphone „Bildchen antippen“.

Es ist wichtig, Kinder nicht unkontrolliert Medien wie Radio oder Fernsehen auszusetzen und darauf zu achten, wie sie auf die Medienumgebung reagieren. Werden sie durch die Geräusche, hektische Stimmen oder dramatische Musik beeinträchtigt? Weinen sie oder werden sie unruhig?

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Sprachentwicklung und Medienkonsum

Im Laufe des ersten Lebensjahres wird das Baby immer vertrauter mit „seiner“ Sprache. Es beginnt, Gesichtsausdrücke und Tonfälle zu unterscheiden und erste Wörter zu verstehen. Ab etwa sechs Monaten werden Bilder für Kinder interessant und Bilderbücher werden damit zum wichtigen Medium. Vorlesen, Geschichten erzählen und gemeinsam Singen oder Musik machen gefallen Kindern in dieser Zeit sehr gut.

Zwischen dem ersten und dem zweiten Geburtstag nehmen die sprachlichen Fähigkeiten von Kindern meist stark zu. Kleine Geschichten in Bilderbüchern sind dann genau das Richtige. Dabei ist es Ihnen überlassen, ob Sie „klassische Bücher“ lesen oder eine Bilderbuch-App auf dem Tablet oder Smartphone nutzen. Kinder genießen dann auch, einfache Geschichten vom Player zu hören, sie können anregend oder auch entspannend sein. Häufig wechseln sich einfache, kurze Hörgeschichten mit Musik ab. Besonders gefällt es ihnen, in Bilderbüchern oder bei Musikstücken oder Hörspielen Figuren oder Lieder wiederzuerkennen. Deshalb möchten sie dieselben Bücher immer wieder anschauen und dieselbe Hörgeschichten immer wieder hören.

Die Warnung der Experten

Babys und Kleinkinder brauchen kein Fernsehen, denn sie können nicht wirklich etwas damit anfangen, und die Bildfolge ist zu schnell, als dass sie überhaupt etwas erfassen könnten. In diesem Alter hat Fernsehen keine förderlichen Aspekte. Im Gegenteil - Studien weisen darauf hin, dass Fernsehen in den ersten Lebensjahren die sprachliche Entwicklung beeinträchtigen kann, Kinder schlechter schlafen lässt und den Austausch zwischen Eltern und Kind behindert. Keinesfalls sollte Ihr Baby oder Kleinkind allein vor dem Fernseher sitzen. Ihr Kinderzimmer sollte frei von Bildschirmmedien bleiben.

Hirnforscher Professor Manfred Spitzer aus Ulm kritisierte scharf TV-Sendungen und DVDs für Babys. Er betonte, dass Babys ganzheitlich lernen und neue Sinneswahrnehmungen durch eigenes Erleben erst einordnen müssen. Sie müssen die Welt praktisch mit allen ihren Sinnen erleben.

Spitzer verwies auf eine Studie, die zeigte, dass Kinder, denen chinesische Geschichten vorgelesen wurden, chinesische Laute ähnlich gut unterscheiden konnten wie Kinder, die bei chinesischen Eltern aufwachsen. Kindern, denen Videos oder Audiokassetten vorgespielt wurden, lernten dagegen nichts.

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Negative Folgen des frühen Fernsehkonsums

Kinder, die schon als Baby und Kleinkind Zeit vor dem Fernseher verbringen oder Videos anschauen, neigen später zu einer veränderten Wahrnehmung ihrer Umwelt. Sie zeigen zum Beispiel eine mangelnde Beteiligung und Desinteresse an Aktivitäten, brauchen stärkere Anreize, um zu reagieren oder sind schnell von lauten Geräuschen oder hellem Licht überwältigt.

Amerikanischen Wissenschaftler*innen zufolge entwickelten Kinder, die bis zu ihrem zweiten Geburtstag häufiger fernsahen, eher eine untypische Art, Sinneseindrücke zu verarbeiten, im Vergleich zu ihren Gleichaltrigen ohne frühen Fernsehkonsum. Sie reagierten im Alter von 33 Monaten weniger sensibel oder langsamer auf Reize.

Eine Studie des Drexel College of Medicine aus Philadelphia ergab, dass Kinder im Alter von 12 Monaten, die Zeit vorm Bildschirm verbrachten, eine um 105 Prozent erhöhte Wahrscheinlichkeit hatten, 21 Monate später hochsensorisches Verhalten zu zeigen. Und danach erhöhte jede Stunde mehr pro Tag am Fernseher das Risiko um etwa 20 Prozent.

Positive Aspekte interaktiver Medien?

Da interaktive Medien noch so neu sind, beziehen sich die meisten Studien über kindliche Hirnveränderung durch Mediennutzung auf das Fernsehen. Von daher gilt heute als erwiesen: Der kognitiv aktive TV-Konsum beginnt mit etwa zweieinhalb Jahren. Im ersten Lebensjahr nehmen Babys nur die optischen und akustischen Signale wahr, merken aber nicht, wenn der Inhalt völlig sinnfrei ist. Erst mit etwa 24 Monaten reagieren sie ungehalten, wenn Bild und Ton keinen Sinn ergeben. Ihr Hirn versteht, was auf dem Bildschirm vor sich geht. Dann aber brauchen Kinder direkte Interaktion, um das Gesehene zu verarbeiten.

Unter zweieinhalb können Kinder Informationen direkt von Menschen viel leichter aufnehmen als von Personen via Bildschirm. Auch das haben Experimente bewiesen. Dem TV fehlt die wichtigste Komponente für das Begreifen der Welt: Kommunikation in zwei Richtungen. Interaktive Computerspiele haben dieses Manko nicht.

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Dennoch sagt Stefan Aufenanger, dass der Computer nur eine Erweiterung der Möglichkeiten ist, kein Ersatz für andere Medien oder andere Aktivitäten. „Wie förderlich oder schädlich Medien für Kinder sind, hängt weniger vom Medium an sich ab als von den familiären Strukturen, in denen die Nutzung eingebunden ist. Ganz wichtig ist die elterliche Kommunikation rund um den Medienkonsum. Funktioniert sie, sind Tablet-Spiele ab zwei Jahren auch kein Problem. Aber Kleinkinder dürfen mit Medien nicht allein gelassen werden.“

Empfehlungen für Eltern

  • Bildschirmfrei bis drei: Kinder unter drei Jahren sollten besser noch gar nicht fernsehen oder mit dem Handy spielen.
  • Begleiten Sie Ihr Kind: Wenn das im Familienalltag mit älteren Kindern nicht klappt, sollten Sie als Eltern dabeibleiben.
  • Gemeinsam anschauen: Ein digitales Bilderbuch oder digitale Familienbilder gemeinsam anschauen.
  • Begrenzen Sie die Bildschirmzeit: Kinder zwischen drei und sechs Jahren sollten nicht mehr als 30 Minuten pro Tag am Bildschirm sein. Und im Alter zwischen sechs und zehn Jahren werden höchstens 45 bis 60 Minuten empfohlen.
  • Bieten Sie Alternativen: Es gibt andere Möglichkeiten, wie Sie Ihr Kind unterhalten können, während Sie etwas erledigen. Ihr Kind kann Ihnen beispielsweise beim Kochen zusehen oder beim Aufräumen.
  • Nutzen Sie die Zeit zum Sprechen: Erzählen Sie, was Sie gerade machen. Kleinkinder können sogar schon spielerisch „mithelfen“.
  • Gehen Sie raus: Oft hilft schon ein Spaziergang. Da hat Ihr Kind etwas zu gucken und Sie können durchatmen.
  • Finden Sie ein gesundes Maß: Wer ständig ins Handy schaut, tut seinem Kind nichts Gutes. Für das Kind ist es nämlich so: Man ist zwar körperlich da, aber gefühlsmäßig nicht. Und das merkt das Kind.

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