Biografiearbeit bei Demenz: Beispiele und Methoden

Die Biografiearbeit ist ein zentraler methodischer Ansatz in der Altenarbeit, insbesondere bei der Betreuung von Menschen mit Demenz. Sie dient dazu, die Lebensgeschichte eines Menschen zu würdigen, Erinnerungen zu aktivieren und so das Selbstwertgefühl und die Lebensqualität zu steigern. Dieser Artikel beleuchtet die Grundlagen, Ziele, Methoden und Beispiele der Biografiearbeit bei Demenz.

Was ist Biografiearbeit?

Die Biografiearbeit ist eine strukturierte Form der Selbst- und Fremdreflexion, die in einem professionellen Setting stattfindet. Sie ist ein lebendiger Prozess, bei dem lebensgeschichtliche Ereignisse reflektiert und verarbeitet werden. Ziel ist es, die Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben anzuregen, Lebenserfahrungen zu ordnen und problematische Erlebnisse zu verarbeiten. Biografiearbeit blickt „zurück in die Vergangenheit, um Ressourcen für die Gegenwart und Zukunft zu erkennen“.

Biografie vs. Lebenslauf

Es ist wichtig, zwischen Biografie und Lebenslauf zu unterscheiden. Der Lebenslauf ist eine chronologische Auflistung zentraler biografischer Daten und Ereignisse. Die Biografie hingegen umfasst auch die Bedeutungen, die diesen Angaben gegeben werden. Es geht um die Interpretation der Fakten und die subjektive Erfahrung des Lebens.

Innere und äußere Biografie

Die Unterscheidung zwischen äußerer und innerer Biografie ist ebenfalls relevant. Die äußere Biografie bezieht sich auf objektive Geschehnisse und Veränderungen im Lebenslauf. Die innere Biografie fokussiert auf die Wahrnehmung, Bewertung und Einordnung der verschiedenen Lebensereignisse. Für die Biografiearbeit in der Altenarbeit sind die Schlüsselereignisse und -erlebnisse der inneren Biografie von Interesse, da subjektiv bedeutsame und emotional geprägte Inhalte stärker im Gedächtnis verankert bleiben und das Verhalten eines Menschen beeinflussen können.

Ziele der Biografiearbeit bei Demenz

Die Biografiearbeit hat vielfältige Ziele, insbesondere bei Menschen mit Demenz:

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  • Erleichterung des Umgangs: Das Wissen um die Vergangenheit des Erkrankten erleichtert den täglichen Umgang. Kennt man beispielsweise eine Hundephobie, kann man entsprechende Situationen vermeiden.
  • Stärkung der Beziehung: Das Wissen um biografische Hintergründe schafft eine wertvolle Grundlage für eine wertschätzende und empathische Beziehung.
  • Sicherheit und Verständnis: Die betagte Person fühlt sich sicherer, verstanden und in ihrem Wesen angenommen, was die Pflegesituation deutlich erleichtern kann.
  • Aktivierung von Erinnerungen: Durch gezielte Fragen und Impulse werden Erinnerungen aktiviert, was das Wohlbefinden stärkt.
  • Stärkung des Selbstbewusstseins: Biografiearbeit stärkt das Selbstbewusstsein und die Identität des Menschen mit Demenz. Die Entdeckung der Sinnhaftigkeit des eigenen Lebens kann beruhigend und wohltuend sein.
  • Verzögerung des Krankheitsfortschritts: Durch die Aktivierung von Erinnerungen kann das Fortschreiten der Krankheit verzögert werden.

Methoden der Biografiearbeit

Es gibt eine Vielzahl von Methoden, Techniken und Instrumenten für die Biografiearbeit. Diese können in verschiedenen Settings eingesetzt werden, sowohl einzeln als auch in der Gruppe, spontan oder geplant.

Lebensgeschichtliches Gespräch

Das lebensgeschichtliche Gespräch ist eine zentrale Methode der Biografiearbeit. Dabei werden Erinnerungen durch gezielte Fragen und Impulse aktiviert. Beispiele für solche Fragen sind:

  • Hattest du in der Kindheit einen Gegenstand, der dir besonders viel bedeutet hat?
  • Wo bist du aufgewachsen?
  • Wenn du einen Koffer mit den wichtigsten Gegenständen packen müsstest: welche Gegenstände würdest du einpacken und warum?
  • Gibt es etwas in diesem Raum, das dir besonders am Herzen liegt?

Der Austausch kann durch persönliche Gegenstände aus der Vergangenheit (z. B. Kochlöffel, Fotos, Kleidungsstücke) oder biografische Materialien (z. B. Bildkarten, biografische Spiele) gefördert werden.

Erinnerungskoffer

Ein Erinnerungskoffer ist eine Sammlung von Gegenständen aus der Vergangenheit des Menschen mit Demenz. Diese Gegenstände können Erinnerungen und Emotionen wecken und zu Gesprächen anregen. Der Koffer kann Gegenstände aus dem Haushalt, Flohmarktstücke oder spezielle Biografiespiele enthalten. Bei Menschen mit Migrationshintergrund sollten die Gegenstände aus der Heimat bekannt sein.

Fotoalben und Ansichtskarten

Fotos und Ansichtskarten sind gut geeignet, um Gespräche in Gang zu bringen. Alte Aufnahmen von öffentlichen Orten, Postkarten mit Stadtansichten oder Symbolfotos von Schulbesuchen, Hochzeiten und Festen können Erinnerungen wachhalten.

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Tagebücher und Poesiealben

Tagebücher und Poesiealben können Einblicke in die persönliche Vergangenheit geben. Möglicherweise gewähren Pflegebedürftige Zugang zu ihren persönlichen Aufzeichnungen.

Musik

Kirchenlieder, Kinderlieder und Volkslieder sind eine Möglichkeit, das Erinnerungsvermögen älterer Menschen zu stärken. Erlebnisse sind oft direkt mit einer bestimmten Musik verknüpft.

Erinnerungsecken

In vielen Alten- und Pflegeheimen gibt es Erinnerungsecken mit Dekorationsgegenständen aus der Vergangenheit. Das können alte Puppen, eine Nähmaschine oder ein Spinnrad sein. Bilder an den Wänden erinnern an vergangene Erlebnisse.

Therapeutische Puppen

Besonders Frauen reagieren positiv auf therapeutische Puppen. Bei Demenz kann eine Puppe die Kommunikation erleichtern. Viele Bewohnerinnen entwickeln einen starken Beschützerinstinkt und fühlen sich an die Zeit ihrer Mutterschaft erinnert.

Beispiele für Biografiearbeit in der Altenpflege

Fallbeispiel Rolf L.

Der 78-jährige Rolf L. litt unter Demenz und war unzugänglich und aggressiv. Erst als seine Tochter erwähnte, dass er leidenschaftlicher Organist war, änderte sich sein Verhalten. Im Altenheim durfte er die Orgel spielen und trug dazu einen speziellen Anzug. Dies erleichterte die Grundpflege erheblich und schuf Momente der Nähe.

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Beispielhafte Fragen und Gesprächsimpulse

  • Was war dein erster Beruf?
  • Welcher Beruf hat dir am meisten Spaß gebracht?
  • Wie hast du Papa kennengelernt?
  • Was hast du als Kind am liebsten gespielt?

Erinnerungen zum Anfassen

  • Fotoalben durchblättern
  • Eine Biografie-Kiste mit Dingen aus dem Leben füllen
  • Einen Zeitstrahl basteln - mit wichtigen Stationen der Lebensreise
  • Alte Kleidungsstücke und Gegenstände aus dem Haus oder der Wohnung

Musik & Klänge

  • Alte und neue Lieblingslieder anhören
  • Geräusche von früheren Orten abspielen

Herausforderungen und Grenzen der Biografiearbeit

Die Biografiearbeit ist eine zeitintensive Methode und birgt Risiken. Da teils sehr intime Momente aus der Vergangenheit einer Person behandelt werden, können negative Erfahrungen oder Traumata erneut zu Tage treten. Es ist wichtig, sensibel vorzugehen und ein Gespür dafür zu entwickeln, welche Themen vermieden werden sollten. Die Biografiearbeit ersetzt keine Therapie.

Tipps für die Umsetzung der Biografiearbeit

  • Zeit nehmen: Nehmen Sie sich Zeit für die Erhebung der Biografie. Auch der Erhebungsbogen muss nicht sofort komplett ausgefüllt sein.
  • Gespräche nutzen: Nutzen Sie die Gespräche, Verhaltensweisen und Erlebnisse mit dem Erkrankten, um seine Biografie besser zu verstehen.
  • Angehörige einbeziehen: Befragen Sie die Freunde und Angehörigen, und beziehen Sie diese auf diese Weise gleichzeitig mit in die Betreuung und Pflege ein.
  • Wissen zugänglich machen: Machen Sie Ihr dokumentiertes Wissen allen an der Betreuung und Pflege Beteiligten zugänglich.
  • Aufzeichnungen aktuell halten: Halten Sie Ihre Biografie-Aufzeichnungen aktuell.
  • Datenschutz beachten: Beachten Sie insbesondere bei biografischen Angaben den Datenschutz.

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