Die Alzheimer-Krankheit, eine der häufigsten Ursachen für Demenz, betrifft Millionen von Menschen weltweit. In Deutschland leiden schätzungsweise 1,8 Millionen Menschen an Demenz, wobei Alzheimer etwa 60 Prozent der Fälle ausmacht. Bis 2070 könnte sich diese Zahl laut dem Robert Koch-Institut verdoppeln. Die Forschung nach wirksamen Therapien ist daher von immenser Bedeutung. In den letzten Jahren gab es sowohl vielversprechende Entwicklungen als auch Rückschläge. Ein aktuelles Beispiel ist der Wirkstoff Lecanemab, der unter dem Handelsnamen Leqembi vermarktet wird. Dieser Artikel beleuchtet die Hintergründe von Leqembi, seine Wirkungsweise, Anwendungsgebiete, Risiken und die aktuelle Forschung im Bereich Alzheimer-Impfstoffe und -Medikamente.
Amyloid-Beta und Alzheimer: Ein zentraler Zusammenhang
Ein Kennzeichen der Alzheimer-Krankheit sind Ablagerungen von falsch gefalteten Eiweißen, insbesondere Amyloid-beta, im Gehirn. Diese Verklumpungen führen zu zunehmenden geistigen Ausfällen. Während genetische Faktoren bei manchen Menschen eine Rolle spielen, begünstigen bei anderen Lebensstil und Umweltfaktoren den Ausbruch der Krankheit. Auch ein gesunder Lebensstil schließt eine Alzheimer-Erkrankung nicht aus, kann den Ausbruch aber möglicherweise verzögern oder in manchen Fällen sogar verhindern, indem wichtige Risikofaktoren wie Rauchen, Übergewicht oder Bewegungsmangel vermieden werden.
Leqembi (Lecanemab): Ein neuer Hoffnungsträger
Leqembi (Wirkstoff: Lecanemab) ist ein Medikament zur Behandlung der frühen Alzheimer-Krankheit. Es wurde im April 2025 von der Europäischen Kommission zugelassen und ist seit dem 25. August 2025 in Österreich und ab dem 1. September in Deutschland erhältlich. In den USA wurde dem Wirkstoff bereits am 6. Januar 2023 eine vorläufige Marktzulassung unter dem Handelsnamen Leqembi erteilt, gefolgt von der vollständigen Zulassung am 6. Juli 2023 durch die US-amerikanische Arzneimittelbehörde (FDA). Leqembi ist der erste Alzheimer-Antikörper, der in der EU zugelassen wurde.
Wirkungsweise von Lecanemab
Lecanemab ist ein Antikörper-Wirkstoff, der gezielt eine Vorstufe der für Alzheimer typischen Amyloid-beta-Protein-Plaques im Gehirn erkennt und bindet. Dadurch wird das körpereigene Immunsystem aktiviert, um die Plaques abzubauen bzw. die Bildung neuer Plaques zu verhindern. Es ist wichtig zu betonen, dass Leqembi Alzheimer weder heilen noch den Krankheitsverlauf aufhalten kann. Ziel der Behandlung ist es, den geistigen Abbau bei Menschen im frühen Krankheitsstadium zu verlangsamen.
Studienergebnisse und Wirksamkeit
In der großen Phase-3-Studie CLARITY AD zeigte sich, dass die Erkrankung bei den Teilnehmenden, die Leqembi erhielten, langsamer fortschritt als in der Placebo-Gruppe. An der CLARITY AD-Studie nahmen insgesamt 1.795 Personen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung oder leichter Alzheimer-Demenz teil. Während des 18-monatigen Untersuchungszeitraums wurden in regelmäßigen Abständen kognitive Fähigkeiten wie Gedächtnis, Orientierung und Problemlösungsfähigkeit von Fachleuten überprüft. Das Ergebnis der Studie war, dass die Krankheit bei denjenigen, die Lecanemab erhielten, um 27 Prozent langsamer voranschritt als bei der Kontrollgruppe.
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Trotz der messbaren Wirksamkeit wird die Wirkung von Leqembi von vielen Expertinnen und Experten eher als moderat eingeschätzt. Es ist fraglich, inwieweit die Wirkung für an Alzheimer erkrankte Menschen spürbar ist und im Alltag einen Unterschied macht. Die Studie hat jedoch gezeigt, dass sich der verzögernde Effekt mit der Dauer der Einnahme zunimmt. Das könnte bedeuten, dass eine Einnahme über den Zeitraum der bisher untersuchten 18 Monate hinaus die Wirksamkeit von Lecanemab noch erhöht.
Wer kann Leqembi erhalten?
Die Behandlung mit Leqembi stellt neue Anforderungen an die ärztliche Versorgung und erfordert eine frühzeitige Diagnose sowie spezialisierte Einrichtungen mit ausreichender personeller und technischer Ausstattung. Die Verabreichung des Medikaments erfolgt als Infusion alle zwei Wochen direkt in die Vene, wobei die Behandlung jeweils etwa eine Stunde dauert.
Leqembi ist nur für Menschen mit einer Alzheimer-Erkrankung im frühen Stadium zugelassen - also bei leichten kognitiven Beeinträchtigungen (MCI) oder beginnender Demenz. Hinzu kommen mehrere medizinische Voraussetzungen:
- Nachweis von Amyloid-beta-Ablagerungen: Es müssen krankhafte Amyloid-beta-Ablagerungen im Gehirn nachgewiesen werden (durch Lumbalpunktion oder Amyloid-PET).
- ApoE4-Gen: Die Patientin oder der Patient darf höchstens eine Kopie des ApoE4-Gens tragen. Personen mit zwei Kopien sind wegen der erhöhten Gefahr für Hirnblutungen von der Behandlung ausgeschlossen.
- Keine Gerinnungshemmer: Wer Gerinnungshemmer einnimmt, darf nicht mit Leqembi behandelt werden, da in Kombination mit dem Medikament das Risiko für eine Hirnblutung deutlich steigt.
- Teilnahme an einem EU-weiten Register: Neben den medizinischen Voraussetzungen ist zusätzlich die Teilnahme an einem EU-weiten Register verpflichtend (Controlled Access Program, CAP). Patientinnen und Patienten sowie ihre behandelnden Ärztinnen und Ärzte müssen in ein zentrales Register eingeschrieben werden.
Mögliche Nebenwirkungen und Sicherheitsvorkehrungen
In Studien traten bei einem Teil der Teilnehmenden Nebenwirkungen auf - darunter Hirnschwellungen (ARIA-E) und Hirnblutungen (ARIA-H). Diese waren in den meisten Fällen symptomlos, wurden aber engmaschig kontrolliert. Das Risiko für solche Nebenwirkungen hängt stark vom ApoE4-Gen ab: Menschen mit zwei Kopien dieses Gens sind besonders gefährdet und daher von der Behandlung ausgeschlossen. Bei den für die EU-Zulassung relevanten Patientengruppen - also Menschen mit höchstens einer Kopie des ApoE4-Gens - kam es in rund 13 % der Fälle zu Hirnblutungen und in 9 % zu Hirnschwellungen. Weitere mögliche Nebenwirkungen sind Kopfschmerzen (11 %) und Infusionsreaktionen (26 %). Vor Beginn und während der Behandlung sind MRT-Untersuchungen notwendig, um mögliche Nebenwirkungen wie Hirnschwellungen oder kleine Blutungen im Gehirn frühzeitig zu erkennen. Diese Untersuchungen müssen vor der 5., 7. und 14. Dosis erfolgen. Werden die vorgeschriebenen MRTs nicht durchgeführt, muss die Behandlung beendet werden.
Wie viele Menschen kommen für die Behandlung in Frage?
Wieviele Menschen für die Behandlung infrage kommen, ist noch unklar. Nach einer Einschätzung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) von Mai 2025 erfüllt etwa 1 von 100 Menschen mit einer Alzheimer-Demenz alle Voraussetzungen für eine Behandlung mit Leqembi, also in etwa 12.000 Erkrankte. Neuere Berechnungen von August 2025 - etwa des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (ZI) - sprechen von bis zu 73.000 Patientinnen und Patienten in Deutschland, was bei 1,2 Millionen Erkrankten etwa 6 Prozent entspricht. Diese Zahl gilt jedoch als optimistische Obergrenze. In der Praxis wird die Zahl deutlich niedriger sein, da die aufwendige Diagnostik, mögliche Ausschlusskriterien und begrenzte ärztliche Kapazitäten berücksichtigt werden müssen.
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Gentest vor der Behandlung
Vor dem Beginn der Behandlung mit Leqembi wird geprüft, ob die Patientin oder der Patient das so genannte ApoE4-Gen besitzt. Menschen mit einer doppelten Kopie dieses Gens (ApoE4-Homozygote) haben ein erhöhtes Risiko für schwere Nebenwirkungen und können deshalb nicht mit Leqembi behandelt werden. Der Gentest macht die Therapie sicherer.
Weitere Entwicklungen in der Alzheimer-Forschung
Neben Leqembi gibt es weitere vielversprechende Entwicklungen in der Alzheimer-Forschung.
Donanemab: Ein weiterer Antikörper in der Zulassung
Seit dem 25. September 2025 ist auch ein zweites Antikörper-basiertes Alzheimermedikament in der EU zugelassen. Es enthält den Antikörper Donanemab. Im Juli hatte es eine Zulassungsempfehlung der EMA erhalten - nach einer Überprüfung der zunächst negativen EMA-Entscheidung vom 28. März 2025. Auch dieses Medikament kann Studien zufolge bei einer Anwendung im Frühstadium der Erkrankung das Fortschreiten verlangsamen.
Repurposing von Medikamenten: Diabetesmittel im Fokus
Eine spannende Richtung ist das "Repurposing", also die Umwidmung von Medikamenten. Es häufen sich vielversprechende Studien mit Diabetesmedikamenten. Gerade erst ist im British Medical Journal ein Artikel zu Gliflozinen und Alzheimer erschienen. Auch bei den neuen Abnehmspritzen wie Wegovy wird eine positive Wirkung vermutet. Studien dazu laufen bereits. Was bei den verschiedenen Wirkstoffen gegen Diabetes genau im Gehirn passiert, ist noch unklar. Vor allem zwei Faktoren spielen vermutlich eine Rolle: Entweder liegt der positive Effekt daran, dass Entzündungsprozesse im Gehirn im Gehirn gebremst werden - Entzündungen fördern die Ablagerungsprozesse im Gehirn bei Alzheimer.
Impfung gegen Gürtelrose und Alzheimer
Eine Studie im Fachmagazin Nature Medicine hat bei mehr als 100.000 Menschen untersucht, wie sich Shingrix, der neue Impfstoff gegen Gürtelrose, auf den Ausbruch von Alzheimer auswirkt. Alle Probandinnen und Probanden wurden vier bis sechs Jahre beobachtet. Alzheimer wurde zwar auch bei einigen Geimpften diagnostiziert - aber im Schnitt rund ein halbes Jahr später als bei den Ungeimpften. Noch ist unklar, wieso das scheinbar funktioniert. Eine Theorie geht davon aus, dass die Impfung das Herpes-Zoster-Virus unterdrückt, das wohl eine Rolle bei der Entstehung von Alzheimer spielt.
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Immuntherapie gegen Alzheimer: Frühe Studien mit vielversprechenden Ergebnissen
Die Aussichten auf eine Immuntherapie gegen die Alzheimer-Krankheit haben sich deutlich verbessert. Die Gedächtnisleistung der ersten Patienten, die einen therapeutischen Impfstoff erhalten haben, hat sich binnen eines Jahres kaum verschlechtert. Dies berichteten Prof. Roger M. Nitsch und Dr. Christoph Hock von der Abteilung für Psychiatrische Forschung der Universität Zürich auf der Titisee-Konferenz des Boehringer-Ingelheim-Fonds - Stiftung für medizinische Grundlagenforschung.
Gerade 16 Monate ist es her, dass die internationale Phase-IIa-Studie AN1792 (QS-21) abgebrochen wurde, an der auch Nitsch und Hock beteiligt waren. 15 von 375 Versuchsteilnehmern hatten postvakzinal die Symptome einer aseptischen Meningoenzephalitis gezeigt. In einer vorangegangenen Phase-I-Studie, mit der von der Elan Corporation und den Wyeth-Ayerst Laboratories gemeinsam entwickelten Vakzine, war diese Nebenwirkung nicht aufgetreten. Bereits 1999 hatten Tierexperimente mit transgenen Mäusen ergeben, dass AN1792 die Ablagerung amyloider Plaques im Gehirn drastisch verringern kann. Mindestens zwei Untersuchungen belegen außerdem, dass diese Intervention Mäuse vor Lern- und Gedächtnisdefiziten schützen kann.
Obwohl die Studie AN1792 vorzeitig abgebrochen wurde, konnten alle drei Patienten, die in Zürich an einer Meningoenzephalitis erkrankt waren, mit Glukokortikoiden erfolgreich behandelt werden. Auch in den anderen europäischen und US-amerikanischen Behandlungszentren sind fast alle Patienten genesen, ohne bleibende Schäden zurückzubehalten, bestätigte Dale Schenk, der „Erfinder“ der Alzheimer-Impfung.
mRNA-Impfstoffe und epigenetische Veränderungen
Die neuartigen mRNA-Impfstoffe gegen COVID-19 rufen nicht nur klassische Immunantworten des adaptiven Immunsystems wie zum Beispiel die Antikörperproduktion hervor, sondern führen auch zu langanhaltenden epigenetischen Veränderungen in Abwehrzellen des angeborenen Immunsystems. Die Studie, die von Professor Dr. Dr. med. Jan Rybniker, Leiter des Schwerpunkts für Klinische Infektiologie und Arbeitsgruppenleiter am Zentrum für Molekulare Medizin Köln (Center for Molecular Medicine Cologne - CMMC), durchgeführt wurde, zeigt, dass mRNA-Impfstoffe eine epigenetische ‚Schulung‘ des angeborenen Immunsystems fördern, was eine verstärkte Immunantwort zu Folge hat. Diese epigenetischen Veränderungen können die Grundlage für eine anhaltende und wirksame Immunität bieten, die über den bereits gut erforschten Schutz durch Mechanismen des sogenannten erworbenen Immunsystems hinausgeht.
Persistierendes Spike-Protein und neurologische Effekte
In der Studie von Helmholtz Munich und der Ludwig-Maximilians-Universität München konnte nachgewiesen werden, dass das SARS-CoV-2-Spike-Protein in den schützenden Schichten des Gehirns, den Hirnhäuten und im Knochenmark des Schädels, bis zu vier Jahre nach der Infektion verbleiben kann. Dies könnte zu chronischen Entzündungen führen und das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen wie beispielsweise Alzheimer- oder Parkinson-Krankheit erhöhen. Die Forschende konnten anhand einer neuartigen KI-gestützte Bildgebungstechnik herausfinden, wie das SARS-CoV-2-Spike-Protein das Gehirn beeinflusst.
Risikofaktoren und Prävention
Im Juli hat eine Kommission des Fachmagazins Lancet Psychiatry 14 Risikofaktoren für Alzheimer zusammengetragen und die These aufgestellt, dass sich damit rund 45 Prozent aller Fälle vermeiden ließen. Neu hinzugekommen sind auf der Risikoliste: zu hohe Werte beim LDL-Cholesterin und Sehverlust. Schlechtes Sehen scheint genauso wie schlechtes Hören den Ausbruch von Alzheimer zu beschleunigen. Es besteht Einigkeit darüber, dass man es zumindest ein Stück weit selbst in der Hand hat, ob und wann eine Alzheimererkrankung ausbricht.