Das Rückenmark (Medulla spinalis) ist ein lebenswichtiger Bestandteil des zentralen Nervensystems (ZNS). Es stellt die Verbindung zwischen Gehirn und Peripherie dar und spielt eine entscheidende Rolle bei der Steuerung von Bewegung, Sensibilität und Reflexen. In diesem Artikel werden wir uns detailliert mit dem Aufbau des Rückenmarks, seiner Funktion und möglichen Erkrankungen befassen, wobei ein besonderer Fokus auf dem kaudalen Ende des Rückenmarks liegt.
Aufbau und Anatomie des Rückenmarks
Das Rückenmark ist ein etwa 45 Zentimeter langer und ungefähr einen Zentimeter dicker Strang aus Nervenzellen und ihren Fortsätzen. Es erstreckt sich vom Hirnstamm bis zu den unteren Lendenwirbeln und liegt geschützt im Wirbelkanal der Wirbelsäule. Gemeinsam mit dem Gehirn bildet das Rückenmark das zentrale Nervensystem.
Die Wirbelsäule und der Wirbelkanal
Die Wirbelsäule (Columna vertebralis) dient dem Körper als Stütze und ermöglicht eine aufrechte Körperhaltung sowie flexible Bewegungen. Sie besteht aus 33 Wirbeln, die in verschiedene Abschnitte unterteilt sind:
- 7 Halswirbel (Zervikalwirbel)
- 12 Brustwirbel (Thorakalwirbel)
- 5 Lendenwirbel (Lumbalwirbel)
- 5 Kreuzbeinwirbel (Sakralwirbel), die zum Kreuzbein (Os sacrum) verschmolzen sind
- 3-5 Steißbeinwirbel (Kokzygealwirbel), die das Steißbein bilden
Innerhalb der Wirbelsäule befindet sich der Wirbelkanal (Canalis vertebralis), der das Rückenmark beherbergt und schützt.
Segmentale Gliederung des Rückenmarks
Das Rückenmark ist in 31 bis 33 Segmente unterteilt, die jeweils einem Spinalnervenpaar zugeordnet sind. Diese Spinalnerven treten seitlich aus dem Wirbelkanal aus und versorgen bestimmte Körperregionen. Die Segmente gliedern sich wie folgt:
Lesen Sie auch: Risikofaktoren für Schlaganfall in jungen Jahren
- 8 Halssegmente (C1-C8)
- 12 Brustsegmente (Th1-Th12)
- 5 Lendensegmente (L1-L5)
- 5 Kreuzbeinsegmente (S1-S5)
- 1-3 Steißbeinsegmente (Co1-Co3)
Graue und weiße Substanz
Im Querschnitt lässt sich das Rückenmark in graue und weiße Substanz unterteilen. Die graue Substanz liegt schmetterlingsförmig im Zentrum des Rückenmarks und besteht hauptsächlich aus Nervenzellkörpern (Neuronen). Sie ist für die Aufnahme und Verarbeitung von Reizen aus Hirn und Peripherie zuständig. Die graue Substanz wird in Hinterhorn, Zwischenhorn und Vorderhorn unterteilt, die jeweils spezifische Funktionen bei der Reizaufnahme und -verarbeitung haben. Die weiße Substanz umgibt die graue Substanz und besteht hauptsächlich aus Axonen, den langen Nervenzellfortsätzen. Sie leitet die Nervenimpulse aus dem Gehirn oder der Peripherie weiter.
Rückenmarkshäute (Meningen)
Das Rückenmark ist von drei bindegewebigen Schichten umhüllt, den Rückenmarkshäuten (Meningen):
- Dura mater spinalis (harte Außenhaut)
- Arachnoidea spinalis (weichere Zwischenhaut)
- Pia mater spinalis (zarte Innenhaut)
Zwischen der mittleren und der inneren Rückenmarkshaut befindet sich der Subarachnoidalraum, der mit Nervenwasser (Liquor) gefüllt ist.
Blutversorgung des Rückenmarks
Das Rückenmark wird von zwei Quellen aus mit Blut versorgt: von den Wirbelarterien und von den Segmentarterien. Die Spinalarterien entspringen aus den Aa. vertebrales und versorgen den vorderen Teil des Rückenmarks. Die Segmentarterien treten entlang der Wirbelsäule ein und speisen die A. radicularis magna, die einen Großteil des unteren Rückenmarks versorgt.
Das Ende des Rückenmarks: Conus medullaris und Cauda equina
Das Rückenmark ist kürzer als die Wirbelsäule. Es endet beim Erwachsenen typischerweise in Höhe des ersten oder zweiten Lendenwirbels (L1/L2). Am unteren Ende verjüngt sich das Rückenmark zum Conus medullaris und endet als dünner Strang, dem Filum terminale. Die Nervenwurzeln der untersten Rückenmarkssegmente (etwa L2 bis S5) ziehen als Cauda equina (Pferdeschwanz) durch den Wirbelkanal bis zu ihrer jeweiligen Austrittsöffnung.
Lesen Sie auch: Wo unser Gedächtnis im Gehirn wohnt
Bei Kindern liegt das Ende des Rückenmarks etwas tiefer, ungefähr in Höhe des vierten Lendenwirbels.
Funktion des Rückenmarks
Das Rückenmark erfüllt mehrere wichtige Funktionen:
- Weiterleitung von Signalen: Das Rückenmark leitet Signale zwischen Gehirn und Körperperipherie weiter. Sensible Bahnen leiten Informationen aus der Peripherie zum Gehirn, während motorische Bahnen Signale vom Gehirn zu den Muskeln übermitteln.
- Reflexe: Das Rückenmark ist an der Auslösung von Reflexen beteiligt. Reflexe sind schnelle, unwillkürliche Reaktionen auf einen Reiz, die ohne Beteiligung des Gehirns ablaufen. Ein Beispiel hierfür ist der Rückziehreflex, wenn man versehentlich eine heiße Herdplatte berührt.
- Autonomes Nervensystem: Das Rückenmark enthält Nervenzellen des autonomen Nervensystems (vegetative Nervenzellen), die unter anderem die Funktion der inneren Organe steuern.
Reflexbögen
Manche Erregungen (Reize) werden von den aufsteigenden Bahnen im Rückenmark gar nicht erst zum Gehirn weitergeleitet, sondern unmittelbar auf derselben oder einer höher gelegenen Rückenmarksebene umgeschaltet. Die aufsteigenden Fasern verlaufen in diesem Fall statt zum Gehirn direkt zu Zellen des Vorderhorns und übertragen dort die Erregung. Diesen Weg der Erregungsübertragung nennt man Reflexbogen, und eine so ausgelöste Muskelreaktion nennt man Reflex. Reflexe werden bei jeder körperlichen Untersuchung geprüft.
Eigenreflexe und Fremdreflexe
Bei einem Eigenreflex wird ein Muskel durch einen sachten Schlag auf eine Sehne kurz gedehnt. Durch diese Reizung wird der oben beschriebene Reflexbogen ausgelöst, der die betroffene Rückenmarksebene nicht verlässt. Bei der Prüfung der Eigenreflexe wird unter anderem die Stärke dieser Muskelanspannung bewertet.
Bei einem Fremdreflex gehören Reizempfänger und Reizbeantworter verschiedenen Organsystemen an. Es werden Sinneszellen in der Haut gereizt und dadurch ein Reflexbogen ausgelöst, der sich über verschiedene Höhen des Rückenmarks (des Hirnstamms) ausbreitet. Beispielsweise kommt es beim Babinski-Reflex durch Bestreichen des Fußsohlenrandes zu einer Streckung von Fuß und Großzehe sowie Spreizung der übrigen Zehen im Sinne einer Fluchtreaktion, die den schädigenden Reiz entfernen soll. Dieses Babinski-Phänomen ist normal für Neugeborene und Kinder im ersten Lebensjahr.
Lesen Sie auch: Welcher Arzt bei Nervenschmerzen? Ursachen und Behandlung
Im Allgemeinen deuten abgeschwächte Reflexe auf eine Schädigung im Bereich des peripheren Nervensystems hin, gesteigerte Reflexe auf Störungen des Zentralnervensystems.
Mögliche Erkrankungen des Rückenmarks (Myelopathien)
Das Rückenmark kann durch verschiedene Erkrankungen und Verletzungen geschädigt werden. Der medizinische Fachbegriff für eine Schädigung des Rückenmarks jeglicher Ursache lautet Myelopathie. Die Symptome einer Myelopathie hängen davon ab, in welcher Höhe und in welchem Ausmaß das Rückenmark geschädigt ist.
Ursachen von Myelopathien
Mögliche Ursachen für Myelopathien sind:
- Entzündliche Myelopathie (Myelitis): Eine Entzündung des Rückenmarks kann durch Viren, Bakterien oder Autoimmunreaktionen verursacht werden. Ein Beispiel hierfür ist die Multiple Sklerose, eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung, die zur Demyelinisierung des zentralen Nervensystems (ZNS) führt.
- Vaskuläre Myelopathie: Diese entsteht durch Erkrankungen oder Verschlüsse der versorgenden Gefäße, z.B. durch eine Blutung im Wirbelkanal oder einen Rückenmarksinfarkt.
- Kompressionsmyelopathie: Eine Quetschung des Rückenmarks kann durch einen Bandscheibenvorfall, eine Spinalkanalstenose oder einen Tumor verursacht werden. Die Spinalkanalstenose ist eine Einengung des Nervenkanals der Wirbelsäule, die zu Schmerzen, Taubheit und Lähmungen führen kann.
- Traumatische Myelopathie: Diese entsteht durch Verletzungen wie einen Genickbruch oder eine Rückenmarksprellung (Contusio spinalis).
- Stoffwechselbedingte (metabolische) Myelopathie: Ein Beispiel hierfür ist die funikuläre Myelose, die durch einen Mangel an Vitamin B12 verursacht wird.
- Toxische Myelopathie: Diese kann durch bestimmte Substanzen verursacht werden, z.B. bei Lathyrismus (chronische neurologische Erkrankung infolge regelmäßiger Zufuhr bestimmter Hülsenfrüchte mit nervenschädigenden Eiweißbausteinen).
- Tumore: Tumore im Rückenmark können auf bestimmte Regionen im äußeren (peripheren) Bereich des Rückenmarks drücken oder sich sogar im Mark, also innerhalb (zentral) dieser Bahnen befinden.
Symptome von Myelopathien
Mögliche Symptome einer Myelopathie sind:
- Missempfindungen wie Kribbelgefühle (etwa in den Händen und Armen)
- Lähmungen (bis hin zur Querschnittslähmung)
- Probleme beim Wasserlassen und Stuhlgang
- Rückenschmerzen
Spezifische Syndrome und Erkrankungen
- Zentromedulläres Syndrom: Dieses neurologische Syndrom wird durch eine Verletzung des Zentrums des Rückenmarks verursacht und betrifft die spinothalamischen Bahnen (Sensorik) und die medialen Anteile der Tractus corticospinales (Motorik).
- Vorderes Quadrantensyndrom: Dieses inkomplette Rückenmarkssyndrom entsteht durch eine Verletzung des ventralen Rückenmarks unter Schonung der dorsalen Anteile. Klinische Manifestationen sind der Verlust der motorischen und sensorischen Funktion unterhalb des Verletzungsniveaus.
- Hinteres Quadrantensyndrom: Dieses inkomplette Rückenmarkssyndrom betrifft die dorsalen Säulen, die Tractus corticospinales und die absteigenden autonomen Bahnen zur Blase.
- Brown-Séquard-Syndrom: Dieses seltene neurologische Syndrom wird durch eine halbseitige Rückenmarkschädigung verursacht.
- Amyotrophe Lateralsklerose (ALS): Auch bekannt als Lou-Gehrig-Syndrom, ist eine sporadisch auftretende oder vererbte neurodegenerative Erkrankung sowohl der oberen als auch der unteren Motoneurone.
- Cauda-equina-Syndrom: Dieses seltene neurologische Notfallsituation entsteht durch eine Schädigung der Nervenwurzeln des unteren Rückenmarks (Cauda equina). Ursachen sind meist mechanische Probleme im Wirbelkanal, z. B. ein Bandscheibenvorfall oder eine Spinalkanalstenose. Symptome sind starke Schmerzen, Gefühlsstörungen, Lähmungen und der Verlust der Blasenkontrolle.
Diagnostik von Myelopathien
Zur Diagnose von Myelopathien werden verschiedene Verfahren eingesetzt:
- Neurologische Untersuchung: Hierbei werden unter anderem Reflexe, Sensibilität und Motorik geprüft.
- Bildgebende Verfahren: Magnetresonanztomographie (MRT) des Rückenmarks ist das wichtigste bildgebende Verfahren zur Beurteilung von Rückenmarkserkrankungen. Auch Computertomographie (CT) kann in bestimmten Fällen hilfreich sein.
- Liquoruntersuchung: Die Entnahme von Nervenwasser (Liquor) aus dem Subarachnoidalraum (lumbale Spinalpunktion) kann bei der Diagnose von entzündlichen oder infektiösen Erkrankungen des Rückenmarks hilfreich sein.
- Elektrophysiologische Untersuchungen: Diese Untersuchungen (z.B. Elektroneurographie, Elektromyographie) können helfen, die Funktion der Nerven und Muskeln zu beurteilen.
Therapie von Myelopathien
Die Therapie von Myelopathien richtet sich nach der Ursache der Erkrankung. Mögliche Behandlungsansätze sind:
- Medikamentöse Therapie: Bei entzündlichen Erkrankungen können Kortikosteroide oder andere Immunsuppressiva eingesetzt werden. Schmerzmittel können zur Linderung von Schmerzen eingesetzt werden.
- Chirurgische Therapie: Bei Kompressionsmyelopathien kann eine Operation erforderlich sein, um den Druck auf das Rückenmark zu entlasten (z.B. bei Bandscheibenvorfall oder Spinalkanalstenose).
- Physiotherapie: Physiotherapie kann helfen, dieMotorik und Koordination zu verbessern und Muskelschwund vorzubeugen.
- Ergotherapie: Ergotherapie kann helfen, dieAlltagsfähigkeiten zu erhalten oder wiederzuerlangen.
- Neuromodulation: Bei chronischen Schmerzen kann eine Rückenmarkstimulation (Neuromodulation) eingesetzt werden, um die Schmerzleitung im Rückenmark einzudämmen.
Rückenschmerzen und ihre Ursachen
Rückenschmerzen können verschiedene Ursachen haben und alle Bereiche der Wirbelsäule betreffen. In den meisten Fällen handelt es sich um sogenannte unspezifische Rückenschmerzen, die auf einer lang andauernden, ungünstigen Belastung des Rückens beruhen. Spezifische Ursachen können beispielsweise ein Bandscheibenvorfall oder eine Spinalkanalstenose sein.
Konservative und operative Behandlung von Rückenschmerzen
Die Behandlung von Rückenschmerzen richtet sich nach der Ursache und dem Schweregrad der Beschwerden. In vielen Fällen können konservative Maßnahmen wie Schmerzmittel, Physiotherapie und eine rückenfreundliche Lebensweise helfen. In manchen Fällen ist jedoch eine Operation erforderlich, um die Ursache der Schmerzen zu beseitigen (z.B. bei Bandscheibenvorfall oder Spinalkanalstenose).