Vom Moment unserer Geburt an wird unser Gehirn von einer gewaltigen Menge an Informationen über uns selbst und unsere Umwelt bombardiert. Wie schaffen wir es da, all das, was wir gelernt und erlebt haben, zu behalten? Erinnerungen sind wichtig - sowohl für das Individuum als auch für unsere Gesellschaft. Vor allem in Deutschland wird der Erinnerungskultur ein hoher Stellenwert zugeschrieben. Menschen können verschiedene Arten von Erinnerungen unterschiedlich lang behalten. Zudem nutzen Männer und Frauen unterschiedliche Hirnareale, um sich zu erinnern. Es gibt jedoch keinen einzelnen Ort im Gehirn, an dem alle Erinnerungen gespeichert werden. Verschiedene Bereiche bilden und speichern verschiedene Arten von Erinnerungen, und bei jeder davon können unterschiedliche Prozesse am Werk sein.
Arten von Gedächtnis
Es gibt verschiedene Arten von Gedächtnis. Das Kurzzeitgedächtnis speichert Informationen nur für wenige Sekunden ab, während Erinnerungen im Langzeitgedächtnis viele Jahre lang erhalten bleiben können. Darüber hinaus verfügen wir über ein Arbeitsgedächtnis, das es uns ermöglicht, Informationen für eine bestimmte Zeitspanne im Kopf zu behalten. Erinnerungen können aber auch thematisch oder nach dem Grad ihres bewussten Erlebens kategorisiert werden. Das deklarative Gedächtnis besteht aus Erinnerungen an jene Ereignisse, die wir bewusst wahrgenommen haben. Das prozedurale Gedächtnis baut sich hingegen unbewusst aus. Hier werden automatisierte Handlungsabläufe gespeichert. Wer beispielsweise ein Instrument spielt oder mit dem Auto oder Fahrrad fährt, bei dem sorgt das prozedurale Gedächtnis dafür, dass gewisse Abläufe zu regelrechten Automatismen werden. Insgesamt lässt sich das deklarative Gedächtnis leichter formen als das prozedurale. Die Hauptstadt eines Landes kann man sich schnell einprägen, aber um ein Instrument zu erlernen, ist deutlich mehr Zeit nötig. Allerdings bleiben die Erinnerungen des prozeduralen Gedächtnisses leichter erhalten.
Magdalena Sauvage, Neurowissenschaftlerin am Leibniz Institut für Neurobiologie in Magdeburg, erklärt: „Wir haben das episodische Gedächtnis, in dem wir Erinnerungen an einmalige Ereignisse, etwa an den letzten Geburtstag speichern. Daneben gibt es das semantische Gedächtnis. Dazu gehört etwa, dass wir wissen, dass Paris die Hauptstadt von Frankreich ist. Wir erinnern uns nicht mehr, wann und wie wir das gelernt haben, aber wir wissen, dass es so ist. Wir sprechen von einer „Kenntnis“. Grundsätzlich verlieren wir Kenntnisse nicht so leicht wie episodische Erinnerungen."
Wie wir vergessen
Um zu verstehen, wie wir uns an Dinge erinnern, ist es enorm hilfreich sich anzusehen, wie wir Dinge vergessen. Aus diesem Grund erforschen Neurowissenschaftler Amnesie - den Verlust von Erinnerungen oder der Fähigkeit, Neues zu lernen. Es gibt zwei Hauptformen der Amnesie: Die erste ist die retrograde Amnesie, bei der sich Betroffene nicht mehr an Ereignisse erinnern können, die vor dem Trauma stattfanden. Die berühmteste Fallstudie zur anterograden Amnesie betraf Henry Molaison, der sich 1953 aufgrund schwerer epileptischer Anfälle einen Teil seines Gehirns entfernen ließ. Obwohl sich Molaison danach an vorherige Ereignisse erinnern konnte, konnte er keine neuen Erinnerungen mehr in seinem deklarativen Langzeitgedächtnis speichern.
Letztlich ist nicht genau bekannt, wie wir vergessen. Es gibt aber verschiedene Theorien darüber. Eine besagt, dass wir vergessen, damit wir uns neue Dinge merken können. Es könnte also eine Frage der Speicherkapazität unseres Gehirns sein. Es ist aber nicht belegt, dass unser Gehirn ein oberes Limit hat. Eine andere Theorie besagt, dass wir im Laufe der Zeit vor allem die Details der vergangenen Geschehnisse vergessen. Die Erinnerungen verblassen. Diese Details könnten aber wichtig sein, damit sich unsere Erinnerung zusammensetzt und somit abgerufen werden kann. „Zum Beispiel habe ich ein Foto mit einem weißen Kleid an der Wand. Das Kleid erinnert mich daran, dass es mir meine Mutter letztes Jahr geschenkt hat. Wenn aber das weiße Kleid aus dem Gedächtnis gelöscht ist, weiß ich auch nicht mehr, was mir meine Mutter letztes Jahr geschenkt hat", so Sauvage.
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Hirnregionen und Gedächtnis
Indem Forscher Menschen wie Molaison und Tiere mit unterschiedlichen Arten von Hirnschäden untersuchen, können sie nachvollziehen, wie verschiedene Arten von Erinnerungen im Gehirn entstehen. Außerdem gibt es im Gehirn keinen einzelnen Ort, an dem alle Erinnerungen gespeichert werden. Emotionale Reaktionen wie Angst hängen beispielsweise eng mit jener Hirnregion zusammen, die als Amygdala bezeichnet wird. Erinnerungen an erlernte Fähigkeiten werden wiederum mit dem Striatum assoziiert. Der Hippocampus spielt eine entscheidende Rolle beim Entstehen, Speichern und Abrufen deklarativer Erinnerungen.
Langzeiterinnerungen sind vor allem in der Großhirnrinde (Cortex) gespeichert. Frische Erinnerungen werden zunächst im Hippocampus abgelegt und dann in konsolidierter Form in den Cortex überschrieben. Aber der Hippocampus ist wahrscheinlich weiterhin auch wichtig, um sich an zurückliegende Ereignisse zu erinnern. Es gibt im Hippocampus vier verschiedene Areale mit unterschiedlichen Funktionen: CA1, CA2 und CA3. CA3 ist besonders wichtig, um basierend auf Details wie dem weißen Kleid die Erinnerung zu komplettieren. Wir sprechen von Mustervervollständigung, „pattern completion“. Kognitive Leistungen des CA3 sind jedoch sehr zeitempfindlich. Die Details in dem Areal verblassen im Laufe der Zeit, sodass CA3 die Erinnerungen nicht mehr richtig zusammenfügen kann.
Wie gut wir uns erinnern, hängt aber auch davon ab, wie stark die Gedächtnisspur ist. Wenn ein Ereignis sehr emotional war, erinnern wir es lebhaft, weil es für uns wichtig ist. Die Verbindungen zwischen den Neuronen sind dann stärker ausgebildet. Deshalb entsinnen wir uns des Tags, an dem unsere Katze starb, aber nicht daran, was wir vor drei Monaten in der Tageszeitung gelesen haben. Die Amygdala, der Sitz unsere Gefühle, drückt den Erinnerungen einen positiven oder negativen Stempel auf, wenn sie für uns mit bestimmten Emotionen verbunden waren. Die Geburtstagsfeier ist eine positive Erinnerung, der Tod der Katze traurig und negativ. Unter chronischem Stress allerdings schrumpft der Hippocampus, wie wir von Kriegsheimkehrern wissen. Sie haben einen kleineren Hippocampus. Und das beeinflusst auch das Erinnerungsvermögen. Im chronischen Stress behalten wir Geschehnisse viel schlechter als im ausgeruhten Zustand. Das liegt daran, dass die Stresshormone, die Corticosteroide, dafür sorgen, dass die Dendriten zwischen den Nervenzellen verkümmern und letztlich viel kürzer sind. Mitunter kommt es auch zum Zelltod. Gestresste Menschen behalten erst gar nicht so viel und vergessen schneller.
Zellverbände und Konsolidierung
Seit den 1940ern vermuten Wissenschaftler, dass Erinnerungen in Neuronengruppen gespeichert werden, die man auch als Zellverbände bezeichnet. Diese vernetzten Zellen feuern gemeinsam in Reaktion auf einen Stimulus, beispielsweise das Gesicht eines Freundes oder der Geruch von frisch gebackenem Brot. Je öfter die Neuronen gemeinsam feuern, desto stärker wird ihre Verbindung zueinander. Wenn die Zellen dann in Zukunft von einem Stimulus getriggert werden, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass der gesamte Zellverband reagiert. Die kollektive Aktivität der Nerven transkribiert dann das, was wir als Erinnerung erleben.
Damit aus einer Kurzzeiterinnerung eine Langzeiterinnerung wird, muss sie gestärkt werden, um langfristig gespeichert zu werden. Diese Konsolidierung wird vermutlich durch mehrere Prozesse erreicht. Bei der Langzeit-Potenzierung werden einzelne synaptische Verbindungen abgewandelt. Durch diese langfristige Veränderung der Verschaltungen zwischen den Synapsen können Erinnerungen stabilisiert werden. Wissenschaftler konnten sich die Details der Langzeit-Potenzierung durch Studien an Kalifornischen Seehasen erschließen.
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Abrufen von Erinnerungen
Wenn wir eine Erinnerung abrufen, kommunizieren unterschiedliche Teile unseres Gehirns miteinander, darunter auch Regionen in der Großhirnrinde, die für die Informationsverarbeitung zuständig sind; Regionen, die unsere Sinneseindrücke verarbeiten; und der mediale Teil des Temporallappens, der bei der Koordination des Prozesses behilflich zu sein scheint. Dennoch bleiben viele Geheimnisse des Gedächtnisses noch ungelüftet. Wie genau werden Erinnerungen innerhalb von neuronalen Gruppen kodiert? Wie weit sind jene Nervenzellen über das Gehirn verteilt, die eine bestimmte Erinnerung kodieren? Inwiefern entspricht unsere Hirnaktivität unserem Erleben von Erinnerungen? Aktuelle Forschungen haben beispielsweise gezeigt, dass manche Erinnerungen bei jedem Abrufen erneut konsolidiert werden müssen. Das würde bedeuten, dass der Akt des Erinnerns eine bestimmte Erinnerung zeitweise formbar machen würde - sie könnte dann je nach Bedarf gestärkt, geschwächt oder sonst wie verändert werden.
Beeinflussung der Erinnerung
Man könnte meinen, wenn man Erinnerungen oft erzählt oder in ein Tagebuch schreibt, dass man sie sich besser merkt. Aber das ist keineswegs so. Je mehr wir uns versuchen zu erinnern, desto weniger akkurat wird die Erinnerung. Denn das Gedächtnis wird im Moment unseres Versuches, uns zu entsinnen, überschrieben. Das ist auch eine Art von Vergessen. Deshalb sollte man Zeugen auch nur einmal und zwar möglichst unmittelbar nach einer Tat befragen.
Emotionale Momente werden über das limbische System gefiltert, das aus Hippocampus und Amygdala besteht. Deshalb können wir uns so gut an die erste große Liebe erinnern. Unser Gehirn wählt gezielt aus, was es wirklich behalten möchte. Wenn wir uns erinnern, dann aktivieren wir gespeicherte Informationen aus unserem Gedächtnis . Erinnerungen werden in den verschiedenen Regionen des Gedächtnisses abgelegt. Im prozedualen Gedächtnis ist der Platz für Fähigkeiten, wie Fahrrad- oder Autofahren - motorisches Verhalten, das wir einmal gelernt haben und dann automatisch ausführen können. Andere Erinnerungen, wie Faktenwissen und persönliche Erlebnisse, nehmen wir viel bewusster war. Sie werden im episodischen Gedächtnis gespeichert.
Besonders traumatische Erlebnisse tauchen plötzlich auf, ohne einen bestimmten Zusammenhang mit dem Erlebten. Prof. Dr. Nikolai Axmacher von der Ruhr-Universität Bochum forscht zu posttraumatischen Belastungsstörungen und erklärt, dass besonders belastende Ereignisse in unserem Gehirn anders gespeichert werden. Die Schaltzentrale des Gedächtnisses, der Hippocampus, wird durch den Stress außer Gefecht gesetzt. Die Amygdala übernimmt die Verarbeitung, denn sie reagiert auf Angst und Furcht, sagt Nikolai Axmacher. Negative Erinnerungen können wir analysieren, das Erlebte hinterfragen und von verschiedenen Perspektiven betrachten. Das hilft, um damit leichter umzugehen. Traumatische Erlebnisse verschwinden nicht, sie treten durch sogenannte Flashbacks unwillkürlich immer wieder auf. Nur eine Therapie kann hier helfen, das Erlebte in den richtigen biografischen Kontext einzuordnen. Mit dem Ziel, sich dann mit weniger Angst daran zu erinnern.
Gedächtnisstörungen und Forschung
Wenn wir verstehen, wie Erinnern und Vergessen funktionieren, dann können zum Beispiel auch Therapien gegen das Vergessen bei Demenzerkrankungen viel erfolgreicher eingesetzt werden. Menschen mit Gedächtnisstörungen fällt der Blick in die Vergangenheit schwer, denn bestimmte Erinnerungen werden nicht mehr in ihrem Gedächtnis gespeichert. Sie können zum Beispiel eine Person, die sie gerade kennengelernt haben, kurz darauf nicht mehr wiedererkennen. Andererseits gelingt es ihnen, ein Instrument zu lernen, weil die Hirnregion für motorische Fähigkeiten noch funktioniert, aber an das Üben vom Vortag erinnern sie sich nicht mehr. Je nachdem, welche Hirnregion nicht mehr arbeitet, gehen Erinnerungen verloren.
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Es gibt Menschen, die können sich an jeden Tag ihres Lebens erinnern: Wo sie waren, was sich ereignet hat - sie vergessen nichts. Das muss enorm anstrengend und belastend sein. Sie erinnern sich nicht an Fakten, aber detailgenau an autobiografische Erlebnisse. Vermutlich gibt es weltweit rund 60 Personen mit diesem sogenannten hyperthymestischen Syndrom (HSAM). Andreas Papassotiropoulos und sein Team von der Uni Basel vermuten schon lange, dass die Ursache dieses Nicht-Vergessens auf molekularer Ebene zu finden ist. Die Sequenzierung der DNA von Menschen mit hyperthymestischen Syndrom lieferte den Beweis: Ein Gen ist dafür verantwortlich, dass Vergessen an den Schnittstellen der Nervenzellen blockiert wird. Mit ihrer Grundlagenforschung liefern die Molekularwissenschaftler wichtige Erkenntnisse, die auch für die Entwicklung von Medikamenten gegen Demenzerkrankungen hilfreich sind.
Forschende der Ruhr-Universität Bochum konnten mit dem sogenannten Trier-Social-Stress-Test herausfinden, wie unser Gehirn emotionale Ereignisse speichert und wann wir uns besonders gut daran erinnern. Sie beobachteten die Signalverarbeitung im Gehirn, während den Studienteilnehmern im Magnetresonanztomographen (MRT) einzelne Bilder aus der Situation gezeigt wurden. Tatsächlich konnten die Wissenschaftler in den Hirnregionen der Kontrollgruppe erkennen, dass ihre Erinnerung an einzelne Objekte geringer war. Hingegen zeigten sich bei Probanden aus dem belastenden Setting bereits beim Betrachten einer Kaffeetasse erste Reaktionen. An emotionale Erlebnisse erinnern wir uns wesentlich besser, betont Oliver T. Wolf, Leiter des Instituts für Neurowissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum. Durch diesen Stresszustand wird die Wahrnehmung schärfer und wir erinnern uns viel besser. Wird der Stress jedoch zu groß, dann blockieren die Botenstoffe, Informationen werden nicht mehr weitergeleitet und nicht miteinander verknüpft - wir erinnern uns noch weniger. Fakt ist: Ein wenig Stress lässt uns besser lernen, doch lernen unter Druck führt eher zum Gegenteil.
Gehirn-Computer-Schnittstellen und Gedächtnis
Mit einer Gehirn-Computer-Schnittstelle, einem sogenannten Brain Computer Interface (BCI) schaffen es gelähmte Menschen, nur mit Gedankenkraft einen Roboterarm zu steuern, einen Cursor auf einem Computerbildschirm zu bewegen, oder ein Auto durch eine virtuelle Umgebung zu lenken. Nur mit einer Kopplung von Gehirn und Computer ist das möglich. Die Hirnsignale für BCIs müssen jedoch mit Referenzmustern verglichen werden. Dafür sind Daten notwendig. Aber unser Gehirn mit all seinen Schaltkreisen und Verknüpfungen ist sehr komplex. Das Gedächtnis herunterzuladen, Erinnerungen aufzuzeichnen, womöglich noch zu verändern, klingt nach Science-Fiction. Für weitere Entwicklungen sind die Wissenschaftler und Ingenieure aber auf Daten angewiesen.
Gedächtnisleistung ohne Hirnchips verbessern
Gleichwohl gibt es bereits nicht-medizinische BCIs zur Fitnesssteigerung, zum Abbau von Stress, oder als Hilfe gegen Konzentrationsprobleme. Diese BCIs steuern kein Computersystem, aber sie arbeiten mit Gehirnströmen oder senden elektrische Impulse. Wir können die elektrische Aktivität unserer Nervenzellen messen und therapeutisch nutzen. Zum Beispiel mit der Neurofeedback-Methode. Mithilfe von Tönen oder Bildern kann diese Methode bei ADHS, einer Aufmerksamkeits-Defizit-Störung, eine bessere Konzentration fördern. Wir können unser Gehirn täglich trainieren und fit halten. Viel Bewegung, ausreichend Schlaf und eine gesunde Ernährung schützen vor Demenzerkrankungen und vor Vergessen. Diese einfachen Mitteln sorgen für eine bessere Durchblutung des Gehirns und für ein besseres Gedächtnis. Wissenschafter der TU Dresden konnten in Tierexperimenten mit Mäusen nachweisen, dass eine Umgebung mit viel Anregung das Gedächtnis jung hält. Prof. Gerd Kempermann und sein Team erklären diesen Zusammenhang mit aktiven Genen, die Nervenzellen im Gedächtnis erneuern und Verbindungen knüpfen. Ihre Beobachtungen auf Menschen zu übertragen gelingt nicht ganz, aber die Neurowissenschaftler vermuten, dass es ähnlich wirkt, wenn wir immer wieder Neues lernen. Damit können wir unser Gedächtnis fit halten.
Neue Erkenntnisse über das Gedächtnis
Neurowissenschaftlerinnen und -wissenschaftler des Universitätsklinikums Erlangen, der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) und der Universität Birmingham haben erforscht, wie verschiedene Teile des Gehirns zusammenarbeiten, um Erinnerungen aufzubauen und wieder abzurufen. Während der Bildung einer Erinnerung werden Informationen von der Großhirnrinde (Kortex), dem nervenzellreichen Teil des Großhirns, zum Hippocampus, der zentralen Schaltstelle für Erinnerungen im Gehirn, geleitet. Beim Abrufen einer Erinnerung läuft dieser Informationsfluss umgekehrt ab. Das Forschungsteam hat am Menschen zum ersten Mal gezeigt, dass dieser Informationsfluss in den Hippocampus und aus dem Hippocampus durch elektrische Oszillationen verfolgt werden kann - phasenhafte Schwingungen, die Neuronen während der Verarbeitung von Prozessen generieren.
Es zeigte sich: Neben Neuronen in schon bekannten Gedächtnisarealen wie dem Hippocampus, der für Angst zuständigen Amygdala und dem Cortex leuchteten auch viele weitere Hirnbereiche auf. Interessant auch: Als Roy und sein Team gezielt einzelne Neuronen in den Erinnerungs-Netzwerken ihrer Mäuse aktivierte, leuchteten daraufhin auch weite Teile des restlichen Engramms auf. Je mehr Teile des Gedächtnis-Netzwerks beim Abrufen aktiviert werden, desto stärker und deutlicher ist ihren Tests zufolge die Erinnerung. Nach Ansicht des Forschungsteams bestätigen ihre Erkenntnisse die Theorien von Richard Semon, könnten aber auch für die moderne Neurologie hilfreich sein - beispielsweise bei der Suche nach Ursachen für Gedächtnisausfälle und vielleicht sogar bei Therapien. Dazu beitragen könnte eine von den Forschenden erstellte Rangliste von 117 Hirnarealen, die bei ihren Mäusen am Gedächtnis-Engramm beteiligt waren.
Mazahir T. Hasan vom Max-Planck-Institut für medizinische Forschung in Heidelberg und José Maria Delgado-Garcìa von der Universität Pablo de Olavide in Sevilla haben herausgefunden, dass Erinnerungen an miteinander verknüpfte Sinneswahrnehmungen in der Großhirnrinde liegen und nicht im Hippocampus, wie in den meisten Lehrbüchern beschrieben. Die Wissenschaftler haben das Lernverhalten genetisch veränderter Mäuse untersucht, bei denen sogenannte NMDA-Rezeptoren ausschließlich in der motorischen Hirnrinde ausgeschaltet sind. „Ohne NMDA-Rezeptoren in der primären motorischen Großhirnrinde können sich die genetisch veränderten Mäuse dagegen den Zusammenhang zwischen Ton und elektrischem Reiz nicht merken. „Wir gehen deshalb davon aus, dass der Hippocampus als Entscheidungsinstanz dient und Informationen über die Umwelt an die Großhirnrinde weiterleitet, wo Sinneswahrnehmungen miteinander verknüpft werden. Dass die Großhirnrinde der Ort ist, wo das Gehirn Assoziationen dauerhaft speichert, widerlegt die gängige Lehrmeinung über die Speicherung von Erinnerungen. Mit ihren Ergebnissen präsentieren Hasan und Delgado-Garcìa ein völlig neues Modell für die Organisation des Gedächtnisses.
Molekulare Mechanismen des Gedächtnisses
Die Forschergruppe von Prof. Martin Korte am Institut für Zoologie der Technischen Universität Braunschweig ist der Antwort auf diese Frage zwei Schritte näher gekommen: Wie kann unser Gehirn wichtige Informationen und Erfahrungen zuverlässig speichern, ohne dass die Zahl seiner Zellen und Verknüpfungen im Laufe eines Lebens immer weiter wachsen muss? Martin Korte und Shreedharan Salikumar haben am Institut für Zoologie der TU Braunschweig beobachtet, wie die betroffenen Bereiche der Synapsen zu diesem Zweck auf raffinierte Weise auf sich aufmerksam machen. Sie produzieren einen Marker (engl. „tag“), der dafür sorgt, dass die notwendigen Proteine nur an eben diesen markierten Synapsen wirksam sind. Durch das „synaptic tagging“ müssen Proteine aus dem Zellkern nicht mehr gezielt an die richtige Stelle transportiert werden, sondern sie können in eine größere Funktionseinheit „geschickt“ werden. Ihre Wirkung entfalten sie nur an der richtigen Stelle. Wenn wir die Informationen, die nicht im Zellkern, sondern im Netzwerk selbst gespeichert sind, später abrufen, kann es zu Überschneidungen oder Kopplungen in der Erinnerung kommen. Denn dann kann gleichzeitig ein ganzes System von weiteren Signalen aktiviert werden, die in beteiligten Zellen gespeichert sind. Daher erinnert man sich oftmals nicht nur an prägende Ereignisse, sondern beispielsweise auch genau an den Ort, wo diese stattfanden.
Eine zweite PNAS-Publikation beschäftigt sich mit der Frage, warum wir wichtige Informationen über lange Zeit zuverlässig abrufen und Gelerntes von Neuem unterscheiden können. Um Muster erkennen und Erfahrungen behalten zu können, benötigen wir nicht nur ein sehr flexibles Nervensystem. Die Forscher konnten nachweisen, dass das NogoA sowohl die Funktion als auch die Struktur von Nervennetzen stabilisiert, und auf diese Weise hilft, Erinnerungen zu speichern. Es schreibt also in bestimmten Stellen des Gehirns die Funktionalität von neuronalen Netzten fest und schützt sie vor weiteren Änderungen. Die Erkenntnisse können in einigen Jahren zur Entwicklung neuer Medikamente führen. Bei Schäden im zentralen Nervensystem, wie sie etwa bei einem Schlaganfall auftreten, kann die gezielte Blockade von NogoA die Plastizität fördern und die Rehabilitation unterstützen (also die Veränderlichkeit der neuronalen Netze erleichtern).
Präzise Bestimmung des Entstehungsortes von Erinnerungen
Einem internationalen Team unter der Federführung von Forschern der Universität Magdeburg und des DZNE ist es gelungen, den Entstehungsort von Erinnerungen mit bislang unerreichter Genauigkeit zu bestimmen. Sie konnten diesen Ort auf einzelne Schaltkreise des menschlichen Gehirns eingrenzen. Dafür nutzten die Wissenschaftler eine besonders präzise Form der Magnetresonanz-Tomographie (MRT). Die Forscher hoffen, dass ihre Studienergebnisse und Untersuchungsmethode dazu beitragen könnten, besser zu verstehen, wie sich Alzheimer auf das Gedächtnis auswirkt. Ort des Geschehens ist der sogenannte Hippocampus und der unmittelbar angrenzende Entorhinale Cortex. „Innerhalb des Hippocampus und des Entorhinalen Cortex konnten wir die Gedächtnisbildung bestimmten neuronalen Schichten zuordnen. Wir konnten genau feststellen, welche neuronale Schicht aktiv war. Das hat uns verraten, ob Information in den Hippocampus hineinfloss oder aus dem Hippocampus heraus in die Hirnrinde gelangte. Bisherige MRT-Verfahren waren nicht genau genug, um diese Richtungsinformation zu erfassen.