Nach einem Schlaganfall werden häufig blutverdünnende Medikamente, sogenannte Antikoagulanzien, verschrieben, um das Risiko eines erneuten Schlaganfalls zu minimieren. Dies ist besonders wichtig für Patienten mit Vorhofflimmern, einer Herzrhythmusstörung, die das Schlaganfallrisiko deutlich erhöht. Allerdings birgt die Einnahme von Blutverdünnern auch Risiken, insbesondere Blutungen. Daher stellt sich die Frage, ob und wann ein Absetzen der Antikoagulation nach einem Schlaganfall in Betracht gezogen werden kann.
Die Pro & Kontra-Debatte: Wann ist ein Absetzen der Antikoagulation denkbar?
Die Frage, ob ein Patient nach einer erfolgreichen Behandlung von Vorhofflimmern eine lebenslange Antikoagulation benötigt, ist Gegenstand intensiver Diskussionen. Auf den Herztagen in Bonn wurde eine Pro & Kontra-Debatte geführt, bei der PD Dr. Julian Chun die Position vertrat, dass ein Absetzen in bestimmten Fällen möglich ist, während PD Dr. Bogossian sich dagegen aussprach, wenn ein hohes Schlaganfallrisiko besteht.
Argumente für ein Absetzen der Antikoagulation
Dr. Chun argumentiert, dass die starre Anwendung der Leitlinien, die bei einem CHA2DS2-VASc-Score von ≥ 2 (Männer) bzw. ≥ 3 (Frauen) eine lebenslange Antikoagulation empfehlen, nicht unproblematisch ist. Er betont, dass Leitlinien keine Gesetze seien und man in bestimmten Situationen davon abweichen könne. Dabei geht es ihm nicht um die unmittelbare Zeit nach der Ablation, da die Ereignisrate hier besonders hoch ist. Während der Blanking-Periode von etwa acht Wochen empfiehlt er eine Fortführung der oralen Antikoagulation (OAK). Auch bei Patienten mit einem eindeutig erhöhten Schlaganfallrisiko, z. B. solchen mit Vorhofflimmern-Rezidiven und einem bereits stattgehabten Schlaganfall in der Anamnese, ist eine OAK eindeutig indiziert.
Chun zweifelt an der Aussagekraft des CHA2DS2-VASc-Scores als idealem Risikoschätzer und schlägt den ABC-Score als präzisere Alternative vor, der Alter, Biomarker und klinische Vorgeschichte berücksichtigt. Er verweist zudem auf das Blutungsrisiko, das mit einer lebenslangen OAK verbunden ist. In Real-Life-Studien beträgt die Rate für schwerwiegende Blutungsereignisse bei Patienten, die mit DOAKs behandelt werden, 4,6 % bis 6,7 % pro Jahr. Da sich solche Ereignisse auf die Prognose auswirken, hält Chun ein Absetzen der Antikoagulation nach erfolgreicher Ablation für möglich, da seiner Ansicht nach ein Zusammenhang zwischen Vorhofflimmern-Last und Schlaganfallrisiko besteht. Sinkt die Vorhofflimmern-Last, sinkt auch das Schlaganfallrisiko.
Wissenschaftlich begründet er dies u. a. mit einer Studie aus dem Jahr 2022, die eine Assoziation zwischen Vorhofflimmern-Last und kardiovaskulärem Outcome feststellte, sowie mit schwedischen Registerdaten, die zeigen, dass die Schlaganfall- und Sterberaten durch eine Katheterablation reduziert werden. Entscheidend ist Chun zufolge, dass die richtigen Patienten für die Ablation ausgewählt werden und dass ein Sinusrhythmus erreicht wird. Er spricht sich für die Implementierung einer „tailored medicine“ aus, bei der die Entscheidung für oder gegen eine Antikoagulation individuell in Abhängigkeit der vorhandenen Vorhofflimmern-Last getroffen wird. Patienten könnten ihre Vorhofflimmern-Last über Handgelenks-Wearables selbst monitoren und bei Detektion einer Vorhofflimmern-Episode vorübergehend mit einem DOAK behandelt werden.
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Argumente gegen ein Absetzen der Antikoagulation
Bogossian hält dagegen nichts von einem Absetzen der Antikoagulation nach erfolgreicher Katheterablation, wenn das Schlaganfallrisiko hoch ist. Er erinnert an die aktuellen Leitlinienempfehlungen, die bei hohem Risiko eine Fortführung der Antikoagulation vorsehen. Er stellt den Terminus „erfolgreiche Ablation“ infrage, da die Vorhofflimmern-Rezidivrate in Studien bei 18 % bis 40 % liegt. Bogossian hält es für utopisch, Vorhofflimmern durch eine Ablation für immer wegzubekommen, da es seiner Ansicht nach eine progressive Erkrankung ist. Selbst nach scheinbar „erfolgreicher“ Ablation ist seiner Ansicht nach das Risiko, einen Schlaganfall zu entwickeln, bei Patienten mit einem CHA2DS2-VASc-Score von ≥ 2 (Männer) bzw. ≥ 3 (Frauen) zu hoch, um auf eine Antikoagulation verzichten zu können. Bei einem CHA2DS2-VASc-Score von 2 und einer Vorhofflimmern-Last von einem Tag hätten nicht antikoagulierte Patienten ein Schlaganfallrisiko von 1,5 %.
Bogossian erinnert an die Gefahren, die von einem ischämischen Schlaganfall ausgehen, dessen 5-Jahres-Mortalität bei 60 % liegt. Er betont, dass ein solch dramatisches Ereignis unbedingt vermieden werden sollte und dies die Hauptsäule des Vorhofflimmern-Managements sei. Auf die von Chun hervorgebrachten Bedenken in Bezug auf Blutungsrisiken entgegnet Bogossian, dass mit neuen Medikamenten zur Gerinnungshemmung zu rechnen sei, wie z. B. den Faktor-XIa-Inhibitoren, die in Phase-II-Studien im Vergleich zu den konventionellen DOAKs deutlich weniger Blutungskomplikationen verursachten.
Einigkeit über personalisiertes Vorhofflimmern-Management
Bogossian stimmt mit Chun darin überein, dass das Vorhofflimmern-Management in Zukunft personalisierter ausfallen sollte. Er führt aus, dass die Genetik Einfluss auf die Entstehung von Vorhofflimmern hat und dass es Patienten gibt, die genetisch anders sind. Derzeit werde dies aber noch ignoriert und eine „stupide Phänotyp-Behandlung“ durchgeführt. In Bogossians Vorstellung sollte sich das Vorgehen in der Zukunft ändern, hin zu einer personalisierten Genotyp-basierten Behandlung, bei der Vorhofflimmern-Patienten nach ihren Genen charakterisiert und entsprechend behandelt werden.
Risikofaktoren und Schlaganfalltypen
Ein Schlaganfall kann verschiedene Ursachen haben. Menschen, die zuvor einen Schlaganfall aufgrund einer Durchblutungsstörung (ischämischer Schlaganfall) erlitten haben, der durch Vorhofflimmern, eine Herzinsuffizienz oder eine Herzklappenerkrankung ausgelöst wurde, erleiden häufiger einen zweiten Hirninfarkt als Menschen mit beispielsweise einer vorangegangenen Hirnblutung (hämorrhagischer Schlaganfall).
Weitere Risikofaktoren für einen zweiten Schlaganfall sind:
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- Arteriosklerose
- Bluthochdruck (Hypertonie)
- Vorhofflimmern
- Übergewicht oder Fettleibigkeit (Adipositas)
- Ein hoher Cholesterinspiegel
- Diabetes mellitus
Auch der Lebensstil spielt eine wichtige Rolle. Rauchen, übermäßiger Alkoholkonsum und eine ungesunde Ernährung erhöhen das Risiko eines erneuten Schlaganfalls.
Vorbeugende Maßnahmen nach einem Schlaganfall
Um einem erneuten Schlaganfall vorzubeugen, sind verschiedene Maßnahmen wichtig:
- Lebensstiländerungen: Verzicht auf Zigaretten und Alkohol, eine salzarme Diät zur Senkung des Blutdrucks und eine Reduzierung des Konsums von zuckerhaltigen Getränken und Snacks sowie von tierischen Fetten zur Kontrolle der Blutzucker- und Cholesterinwerte.
- Medikamentöse Behandlung: Konsequente Einnahme von Medikamenten zur Behandlung von Bluthochdruck, Diabetes mellitus oder einem erhöhten Cholesterinspiegel. Bei Vorhofflimmern werden orale Antikoagulanzien wie Vitamin-K-Antagonisten oder die neuen oralen Antikoagulanzien (DOAKs) eingesetzt.
- Minimalinvasive Eingriffe: In bestimmten Fällen kann ein minimalinvasiver Eingriff, wie der Verschluss eines persistierenden Foramen ovale (PFO) oder des linken Vorhofohrs, das Schlaganfallrisiko senken.
Die Rolle von Statinen nach einem Schlaganfall
Eine Studie aus Taiwan hat gezeigt, dass das Absetzen einer Statintherapie nach einem Schlaganfall das Risiko für einen erneuten Schlaganfall deutlich erhöht. Daher sollten Schlaganfallpatienten ihre Behandlung mit Statinen nach der Entlassung aus dem Krankenhaus unbedingt fortsetzen, sofern keine Kontraindikation vorliegt.
Antikoagulanzien bei Vorhofflimmern: Nutzen und Risiken
Vorhofflimmern erhöht das Schlaganfall-Risiko. Gerinnungshemmende Medikamente (Antikoagulanzien) können dieses Risiko deutlich senken. Sie sind vor allem sinnvoll, wenn weitere Risikofaktoren für einen Schlaganfall bestehen.
Das individuelle Schlaganfall-Risiko lässt sich durch die Berechnung des sogenannten CHA2DS2-VASc-Scores abschätzen. Je nachdem, wie viele Risikofaktoren eine Person hat, ergibt sich eine Summe zwischen 0 und 9 Punkten.
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Die häufigste Nebenwirkung von Antikoagulanzien sind Blutungen. Kleinere Blutungen wie Nasen- oder Zahnfleischbluten stellen normalerweise kein Problem dar. Größere Blutungen, zum Beispiel im Magen oder im Darm, können jedoch eine Krankenhausbehandlung oder Bluttransfusion nötig machen.
Bestimmte Risikofaktoren erhöhen das Risiko für Blutungen. Ein erhöhtes Blutungsrisiko ist nur selten ein Grund, auf gerinnungshemmende Medikamente zu verzichten. Die Risikofaktoren für eine Blutung zu kennen, ist aber sinnvoll, damit man sie behandeln kann. Das Blutungsrisiko kann zum Beispiel mit dem sogenannten HAS-BLED-Score bestimmt werden.
Die schwerwiegendste Nebenwirkung von Antikoagulanzien ist eine Hirnblutung. Das Risiko hierfür ist aber sehr klein. Antikoagulanzien vermeiden viel mehr Schlaganfälle als Hirnblutungen zu verursachen.
Es gibt zwei Gruppen von Blutverdünnern: Vitamin-K-Antagonisten (VKA) und direkt wirksame orale Antikoagulanzien (DOAKs). DOAKs wirken schon nach einigen Stunden. Nach Absetzen der Medikamente normalisiert sich die Blutgerinnung innerhalb von 1 bis 4 Tagen. Der Gerinnungswert wird bei der Anwendung direkter oraler Antikoagulanzien nicht kontrolliert. Verschiedene Studien haben die Wirkung der direkten Antikoagulanzien mit der von Vitamin-K-Antagonisten verglichen. Sie geben Hinweise darauf, dass direkte Antikoagulanzien etwas wirksamer sind und etwas seltener zu Blutungen führen als Vitamin-K-Antagonisten.
Bei der Entscheidung für einen bestimmten Wirkstoff sind verschiedene Aspekte ausschlaggebend: mögliche Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten oder Lebensmitteln, die Nierenfunktion und das Risiko für Blutungen. Für Menschen, die Vitamin-K-Antagonisten nehmen und gut „eingestellt" sind, gibt es keinen medizinischen Grund, auf ein DOAK zu wechseln.
Verschluss des Vorhofohrs als Alternative zur Antikoagulation?
Viele der Blutgerinnsel, die zu Schlaganfällen führen, entstehen im linken Vorhofohr, einer Ausstülpung am linken Herzvorhof. Durch verschiedene Implantate kann das Vorhofohr verschlossen werden. Das soll verhindern, dass dort entstandene Blutgerinnsel in den Blutkreislauf geschwemmt werden und zu Schlaganfällen führen.
Die Implantate ähneln kleinen Drahtschirmchen und werden mithilfe eines Herzkatheters eingebracht. Sie schützen im Gegensatz zu Medikamenten nicht vor Blutgerinnseln, die an anderen Stellen im Herzen oder im Blutkreislauf entstehen. Ganz ohne Gerinnungshemmer kommt man trotz Implantat nicht aus: Nach dem Eingriff sind Medikamente nötig, um zu verhindern, dass sich an der Oberfläche des Implantats Blutgerinnsel bilden.
Es gibt zudem noch keine ausreichend großen Studien, die die Vor- und Nachteile solcher Implantate im Vergleich zu einer rein medikamentösen Behandlung mit Antikoagulanzien untersuchen. Ob sie ähnlich gut vor Schlaganfällen schützen, ist daher noch unklar. Aus all diesen Gründen empfehlen Fachleute, diese Behandlung nur zu erwägen, wenn ein hohes Risiko für Blutungen besteht und deshalb keine Antikoagulanzien infrage kommen.
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