Das Gehirn ist das Kontrollzentrum des Körpers, ein komplexes Organ, das für Denken, Fühlen, Bewegung und die Verarbeitung von Sinneswahrnehmungen verantwortlich ist. Um seine vielfältigen Aufgaben erfüllen zu können, benötigt das Gehirn eine konstante und ausreichende Versorgung mit Sauerstoff, Glukose und anderen Nährstoffen. Diese Versorgung wird durch ein ausgeklügeltes Netzwerk von Blutgefäßen sichergestellt, dessen Anatomie und Funktion im Folgenden detailliert beschrieben werden.
Aufbau und Funktion des Gehirns
Das menschliche Gehirn ähnelt in seiner äußeren Form einer überdimensionalen Walnuss, geprägt von Windungen und engen Spalten. Mit einem Gewicht von etwa 1,5 Kilogramm und einer Größe, die etwa zwei geballten Fäusten entspricht, ist es ein relativ kleines, aber äußerst leistungsfähiges Organ. Es besteht aus zwei Hälften, der rechten und linken Gehirnhälfte, die durch ein dickes Bündel von Nervenfasern, den Balken, miteinander verbunden sind. Jede Gehirnhälfte ist in sechs Bereiche (Lappen) unterteilt, die jeweils spezifische Funktionen haben.
Das Großhirn steuert Bewegungen, verarbeitet Sinneseindrücke und ist für bewusste und unbewusste Handlungen und Gefühle verantwortlich. Es spielt eine entscheidende Rolle bei Sprache, Hören, Intelligenz und Gedächtnis. Die beiden Gehirnhälften haben unterschiedliche Spezialisierungen: Die linke Hälfte ist bei den meisten Menschen für Sprache und abstraktes Denken zuständig, während die rechte Hälfte räumliches Denken und bildhafte Zusammenhänge verarbeitet. Dabei steuert die rechte Gehirnhälfte die linke Körperseite und umgekehrt.
Weitere wichtige Strukturen des Gehirns sind der Thalamus, der Sinneseindrücke an das Großhirn weiterleitet, und der Hypothalamus, der Hunger, Durst, Schlaf und den Hormonhaushalt reguliert. Der Hirnstamm leitet Informationen zwischen Gehirn, Kleinhirn und Rückenmark weiter und kontrolliert Augenbewegungen und Mimik.
Das arterielle System des Gehirns
Die Blutversorgung des Gehirns erfolgt über zwei Hauptquellen:
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- Die inneren Halsschlagadern (Arteriae carotides internae): Sie entspringen der gemeinsamen Halsschlagader und versorgen den vorderen Teil des Gehirns.
- Das vertebrobasiläre System: Es besteht aus den Wirbelarterien (Arteriae vertebrales), die sich an der Hirnbasis zur Basilararterie (Arteria basilaris) vereinigen und den hinteren Teil des Gehirns versorgen.
Diese Arterien sind über Verbindungsarterien zu einem Gefäßkranz verbunden, dem Circulus arteriosus Willisii.
Die Arteria carotis interna (ACI)
Die ACI versorgt den gesamten Frontal- und Parietallappen, den anterolateralen Temporallappen, die Hypophyse und das Auge. Anatomische Variationen der ACI treten in etwa 30 % der Fälle auf und werden meist zufällig diagnostiziert. Die Karotisbifurkation, die Aufteilung der ACI in ihre Äste, liegt in den meisten Fällen (ca. 60 %) am oberen Schilddrüsenpol auf Höhe des Halswirbelkörpers (HWK) 4. Im Verlauf des Gefäßes kann es zu ausgedehnten Windungen und/oder Schleifenbildungen kommen.
Die ACI wird in sieben Segmente (C1-C7) unterteilt:
- C1: Zervikales Segment
- C2: Petröses Segment
- C3: Foramen-lacerum-Segment
- C4: Kavernöses Segment
- C5: Klinoid-Segment
- C6: Ophthalmisches Segment
- C7: Terminales Segment
Die ACI gibt verschiedene Äste ab, darunter Äste zur Hypophyse (A. hypophysialis inferior), zum Ganglion trigeminale (Rr. ganglionares trigeminales) und zur Dura mater (R. meningeus). Das ophthalmisches Segment zeichnet sich durch den Durchbruch durch die Dura mater mediodorsal des Proc. clinoideus anterior und den Abgang der A. ophthalmica (gemeinsamer Eintritt mit dem N. opticus) aus. Das terminale Segment gibt die A. communicans posterior, die A. choroidea anterior und die A. cerebri anterior ab. Es endet mit einer T-förmigen Verzweigung lateral des Chiasma opticum in die A. cerebri anterior und A. cerebri media.
Die Arteria cerebri anterior (ACA)
Die ACA versorgt den medialen Frontal- und medialen Parietallappen sowie die basalen Vorderhirnstrukturen. Sie verläuft als dünnerer Ast der ACI medial über dem N. opticus nach rostral und tritt in die Fissura longitudinalis ein, wo beide ACA über die A. communicans anterior (ACoA) miteinander verbunden sind. Die ACoA ist eine häufige Prädilektionsstelle für Aneurysmen und die Grenze zur klinischen Einteilung in das A1- und A2-Segment.
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Die ACA gibt unter anderem Aa. centrales breves für die Versorgung des Chiasma opticum, des N. opticus und der Lamina terminalis ab. Sie setzt sich als A. pericallosa fort. Bei einem Verschluss der ACA sind die Gyri prae- und postcentralis mit ihren medialen Anteilen betroffen, was überwiegend eine beinbetonte Parese und Hypästhesie bedingt. Das Caput nuclei caudati wird meist von der A. recurrens Heubner versorgt.
Die Arteria cerebri media (MCA)
Die MCA versorgt die Basalganglien (ohne Caput nuclei caudati), das Knie der Capsula interna, die Inselrinde, große laterale Anteile des Frontal-, Parietal- und Temporallappens. Sie setzt als stärkstes Gefäß die Verlaufsrichtung der ACI fort, indem sie nach lateral in den Sulcus lateralis (Sylvische Fissur) zieht. Es werden anatomisch und klinisch 4, teilweise 5 Gefäßabschnitte (M1-M4) unterschieden, wobei das M5-Segment eine unklar abgegrenzte Unterteilung der Pars terminalis darstellt.
Infarkte und ischämische Attacken betreffen wesentlich häufiger die MCA als die ACA und PCA. Ein M1-Verschluss hat durch die Beteiligung der Capsula interna eine kontralaterale Hemiparese zur Folge. Die M4-Äste versorgen den Gyrus praecentralis und den Gyrus postcentralis fast bis zur Mantelkante, was bei einer Schädigung eine kontralaterale brachiofazial betonte Parese bzw. Hypästhesie verursacht.
Das vertebrobasiläre System
Das vertebrobasiläre System setzt sich aus den beiden Vertebralarterien (VAs) und der daraus resultierenden A. basilaris zusammen.
Die Arteria vertebralis (VA)
Die VAs besitzen häufig anlagebedingt einseitige Hypoplasien ohne krankhaften Wert. Sie entspringen aus der A. subclavia und verlaufen nach dorsal in Richtung auf den Proc. transversus des 7. Halswirbelkörpers. Nach einem subarachnoidalen Verlauf gibt die VA die A. cerebelli inferior posterior und die A. spinalis anterior ab. Die Sonografie wird die A. vertebralis abgangsnah häufig mit der A. thyroidea inferior verwechselt.
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Die Arteria basilaris (AB)
Die VAs vereinigen sich zur A. basilaris überwiegend am Ponsunterrand, selten schon auf Höhe der Medulla oblongata. Klinisch und anatomisch werden keine Segmente unterschieden. In ihrem Verlauf gibt sie die paarige A. cerebelli inferior anterior (AICA), die Aa. pontis und die paarige A. cerebelli superior (SUCA) ab. Die A. labyrinthi zur Versorgung des Innenohrs kann direkt aus der A. basilaris oder aus der AICA hervorgehen. Am pontomesenzephalen Übergang erfolgt die Aufteilung der A. basilaris in die paarige A. cerebri posterior.
Ein Verschluss der A. basilaris kann zu einem Ponsinfarkt mit dem klinischen Bild eines „Locked-in-Syndroms“ führen.
Die Arteria cerebri posterior (PCA)
Die PCA versorgt den Okzipitallappen und den basalen Teil des Temporallappens sowie kaudale Abschnitte von Striatum und Thalamus. Sie verzweigt sich an der medialen Fläche des Okzipitallappens und an der mediobasalen Fläche des Temporallappens. Der Thalamus wird vollständig aus dem vertebrobasilären Stromgebiet durch Äste der PCoA (vordere Anteile) und der PCA (P1-P2, mittlere und hintere Anteile) versorgt. Durchblutungsstörungen des Thalamus und der Capsula interna können zu kontralateralen Hemihypästhesien und Hemiparesen führen.
In ca. 90 % der Fälle ist die PCA nur über eine dünne PCoA mit der ACI verbunden. Eine häufige Gefäßvariation ist der entwicklungsgeschichtlich bedingte Abgang der PCA aus der ACI (ca. 20 %).
Es werden drei Abschnitte (P1-P3) der PCA unterschieden:
- P1: Pars praecommunicalis
- P2: Pars postcommunicalis
- P3: Pars quadrigemina
Ein ischämischer Schlaganfall im Posteriorstromgebiet kann zu einer kontralateralen homonymen Hemianopsie führen, da die A. calcarina die Area striata in 25 % allein versorgt.
Die Kleinhirnarterien
Das Kleinhirn (Cerebellum) wird von den Ästen der Aa. vertebralis und der A. basilaris versorgt. Es gibt drei paarige Kleinhirnarterien:
- A. cerebelli inferior posterior (PICA): Sie entspringt der A. vertebralis und teilt sich in einen medialen und einen lateralen Ast, um den inferioren Vermis cerebelli, die laterale Medulla oblongata und die posteroinferioren Kleinhirnhemisphären zu versorgen.
- A. cerebelli inferior anterior (AICA): Sie entspringt der A. basilaris und vaskularisiert den Pedunculus cerebellaris medius und inferior, den unteren lateralen Pons und Teile des ventralen Cerebellums mit dem paarigen Flocculus.
- A. cerebelli superior (SUCA): Sie entspringt der A. basilaris und besitzt einen medialen und einen lateralen Ast. Ihre Versorgungsgebiete sind der obere laterale Pons, der obere Vermis cerebelli, der Pedunculus cerebellaris superior und die obere Kleinhirnhemisphäre.
Der Circulus arteriosus Willisii
Der Circulus arteriosus Willisii stellt einen arteriellen Gefäßring an der Gehirnbasis dar. Er wird über Anastomosen zwischen dem vorderen (ACI) und hinteren (vertebrobasilären) Arteriensystem gebildet, die das Gehirn mit arteriellem Blut versorgen. Diese Dualität bietet ein Sicherheitsnetz, wenn eines der Systeme durch Okklusion, Trauma oder einen neoplastischen Prozess versagt.
Der Willis-Kreis besteht aus fünf Komponenten:
- A. communicans anterior (ACoA)
- A. cerebri anterior (ACA)
- A. carotis interna (ACI)
- A. communicans posterior (ACoP)
- A. cerebri posterior (ACP)
Der Circulus arteriosus Willisii liegt in der Cisterna basilaris (Teil des äußeren Liquorsystems) und ist von diversen Strukturen umrahmt. Der Circulus ateriosus cerebri weist eine sehr variantenreiche Anatomie auf. Der “Normalfall” mit einer ACoA findet sich beispielsweise nur in 60 Prozent aller Fälle. Auch die ACoP ist nur zu 50 bis 60 Prozent beidseits voll ausgeprägt.
Das venöse System des Gehirns
Das Blut verlässt passiv ohne spezielle Regulation das Gehirn vorwiegend über Venen, welche in venöse Sinus münden und letztlich das Blut in die paarige V. jugularis interna überleiten. Hirnvenen und die venösen Sinus besitzen keine Klappen. Kleinere Venen aus dem Parenchym speisen zwei Systeme:
- Das oberflächliche System (Vv. cerebri superficiales): Es liegt im Subarachnoidalraum auf der Hirnoberfläche und nimmt das Blut hauptsächlich aus den Rindengebieten des Cerebrums und Cerebellums auf. Von diesen Venen gehen kleine „Brückenvenen“ ab, die in Sinusnähe die Arachnoidea mater durchbrechen, kurzzeitig im Subduralraum verlaufen und in die Sinus durae matris einmünden.
- Das tiefe System: Es sammelt das Blut aus den tiefen medullären und nukleären Hirnanteilen in die paarige V. cerebri interna und die paarige V. basalis (Rosenthal). Diese 4 Venen fließen in der V. magna cerebri (Galeni) zusammen, welche nach kurzem Verlauf in den Sinus rectus mündet.
Hirnvenen verlaufen räumlich unabhängig von den Hirnarterien.
Die Vv. emissariae verbinden durch Öffnungen im Schädel die Sinus durae matris mit Diploevenen und äußeren Kopfvenen. Durch fehlende Klappen ist ein Blutfluss in beide Richtungen möglich, sodass sie intrakranielle Druckschwankungen ausgleichen können.
Blut-Hirn-Schranke
Die feinsten Aufzweigungen (Kapillaren) der Hirnarterien geben zwar Sauerstoff und Nährstoffe aus dem Blut an die Gehirnzellen ab - für andere Stoffe sind sie jedoch weniger durchlässig als vergleichbare Blutgefäße im übrigen Körper. Fachleute nennen diese Eigenschaft „Blut-Hirn-Schranke“. Sie kann das empfindliche Gehirn zum Beispiel vor im Blut gelösten Schadstoffen schützen.
Klinische Relevanz
Störungen der Blutversorgung des Gehirns können schwerwiegende Folgen haben. Zu den wichtigsten Erkrankungen gehören:
- Schlaganfall (Apoplex): Er wird durch eine plötzliche Unterbrechung der Blutzufuhr zum Gehirn verursacht, entweder durch einen Verschluss eines Blutgefäßes (ischämischer Schlaganfall) oder durch eine Blutung (hämorrhagischer Schlaganfall). Risikofaktoren sind Bluthochdruck, zerebrale Amyloid-Angiopathie, neoplastische Erkrankungen und zerebrale Aneurysmen.
- Intrakranielle Aneurysmen: Dies sind abnormale Erweiterungen der Arterienwand im Gehirn, die platzen und zu einer Subarachnoidalblutung führen können.
- Arterielle Dissektionen: Hierbei kommt es zu einer plötzlichen Verletzung der Arterienwandstruktur, was zu einer intramuralen Hämatombildung und einem falschen Lumen zwischen der Tunica media und der Tunica Adventitia führt. Dies kann zu einem Aneurysma, einer Stenose oder einem Verschluss führen.
- Subclavian-Steal-Syndrom: Tritt auf, wenn eine Verengung/Verschluss der A. subclavia proximal des Ursprungs der A. vertebralis eine Umkehr des Blutflusses in der A. vertebralis ipsilateral bewirkt, um den ipsilateralen Arm weiter zu durchbluten. Die häufigste Ursache ist die Arteriosklerose.
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