Epilepsie ist eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen im Kindesalter. Im Durchschnitt ist knapp 1 Prozent der Menschen in Deutschland an einer Epilepsie erkrankt. Sie kann in jedem Alter auftreten, wobei es zwei Häufigkeitsgipfel gibt: den ersten bei Kindern und den zweiten bei Senioren. Insgesamt erleiden rund 5 Prozent der Bevölkerung im Laufe ihres Lebens einen epileptischen Anfall, was aber nicht zwangsläufig zur Diagnose Epilepsie führt. Diese bezeichnet eine erhöhte Anfallsneigung, bei der es unter bestimmten Bedingungen oder meist ohne bekannten Auslöser zu Anfällen kommen kann. Im Kindesalter beträgt die Prävalenz etwa 0,5 Prozent, wobei im Mittel jährlich etwa 50 von 100.000 Kindern (Altersgruppe Null bis 14 Jahre) erkranken. Kinder machen etwa ein Viertel der Epilepsie-Neuerkrankungen aus.
Was ist BNS-Epilepsie?
Das West-Syndrom, auch bekannt als Blitz-Nick-Salaam (BNS)-Epilepsie, ist eine seltene, aber ernst zu nehmende Epilepsieform bei Säuglingen. Sie manifestiert sich typischerweise im Alter von zwei bis acht Monaten, wobei Jungen häufiger betroffen sind. Kennzeichnend sind charakteristische Anfälle mit einschießenden Streck- und Beugebewegungen, bestimmte Ausschläge im Elektroenzephalogramm (EEG) sowie eine verzögerte Entwicklung des Säuglings.
Ursachen der BNS-Epilepsie
Die Ursachen für das West-Syndrom sind vielfältig. Häufige Ursachen sind Sauerstoffmangel während der Geburt, ZNS-Fehlbildungen oder eine tuberöse Sklerose, eine Erbkrankheit, die mit Fehlbildungen und Tumoren des Gehirns einhergeht und häufig durch epileptische Anfälle und kognitive Behinderungen gekennzeichnet ist. In über der Hälfte der Fälle kennt man die Ursache für die Krankheit (symptomatische BNS-Epilepsie). In den anderen Fällen ist die Ursache unbekannt (idiopathische Epilepsie) oder es gibt einen Verdacht auf eine bestimmte Ursache, die aber nicht nachgewiesen werden kann (kryptogene Epilepsie).
Weitere mögliche Ursachen sind:
- Stoffwechselerkrankungen
- Infektionen während der Schwangerschaft
- Frühkindliche Gehirnschädigung durch Sauerstoffmangel (frühkindlicher hypoxischer Hirnschaden)
- Fehlbildungen des Gehirns
- Neurokutane Syndrome (z. B. tuberöse Sklerose)
- Genetische Erkrankungen wie z. B. eine Chromosomen-Störung wie Trisomie 21 (Down-Syndrom)
Es werden zunehmend mehr genetische Ursachen gefunden.
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Symptome der BNS-Epilepsie
Die epileptischen Anfälle beim West-Syndrom werden Blitz-Nick-Salaam-Anfälle genannt, da sie typischerweise in dieser Abfolge ablaufen:
- Blitz: Der Anfall beginnt mit einem blitzartigen Zucken des Körpers des Kindes. Die Muskelzuckungen fahren wie ein Blitz durch den Körper.
- Nick: Darauf folgt eine Kopfbeugung, die wie ein Nicken aussieht. Dabei verkrampft sich die Nacken- und Halsmuskulatur.
- Salaam: Schließlich verschränkt das Kind die Arme vor der Brust. Dieser letzte Teil wird nach dem arabischen Gruß „Salaam“ genannt. Oft öffnet das Kind gleichzeitig die Arme und rudert mit den Händen beziehungsweise führt sie vor der Brust zusammen.
Die Anfälle können in ihrer typischen Form stark ausgeprägt sein und gehäuft auftreten (Cluster). Es kann auch zu kurzen Anfällen kommen, bei denen das Kind z. B. den Rumpf anhebt oder plötzlich die Arme hochreißt (kurze tonische Spasmen). Die BNS-Anfälle werden vor allem morgens nach dem Aufwachen beobachtet. Zwischen den Anfällen weinen die Kinder häufig.
Erkrankte Kinder zeigen häufig eine komplexe Entwicklungsstörung, die die Bewegung (Motorik), die Sprache, die geistigen Fähigkeiten oder auch die gesamte Entwicklung betreffen kann. Es kann sein, dass Kinder die Fähigkeiten verlieren, die sie schon erlernt haben, bevor die Anfälle auftraten. Manche Kinder haben auch Sehstörungen.
Diagnose der BNS-Epilepsie
Die Diagnose der BNS-Epilepsie basiert auf dem typischen Ablauf des Anfalls und den Ergebnissen verschiedener Untersuchungen. Bei Verdacht auf Epilepsie werden Kinder bei Spezialistinnen für Kinderneurologie untersucht und behandelt. Die Ärztinnen fragen, wie genau die bisher beobachteten Anfälle verlaufen sind. Es ist hilfreich, einen Anfall zu filmen und die Aufnahme den Ärzt*innen zu zeigen. Zusätzlich wird nach weiteren Begleitsymptomen gefragt. Auch Informationen zum Verlauf der Schwangerschaft, der Geburt, der ersten Lebenswochen sowie in der Familie bekannten Krankheiten sind wichtig. Medikamente, vorangegangene Unfälle oder Operationen müssen ebenfalls erwähnt werden.
Nach dem Arztgespräch wird das Kind sorgfältig körperlich untersucht. Dabei wird besonders auf den körperlichen Entwicklungszustand geachtet. Bei der Untersuchung achten Ärzt*innen auch auf bestimmte Merkmale oder Hautveränderungen, die typisch für genetische Erkrankungen sind. Insbesondere die Funktionen des Nervensystems werden überprüft (neurologische Untersuchung). Unter anderem werden die Muskulatur, die Bewegungsabläufe, die Kraft, Reflexe, die Muskelspannung und das Gleichgewicht untersucht.
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Weitere diagnostische Maßnahmen sind:
- Blutuntersuchung: um bestimmte Blutwerte zu überprüfen, die Rückschlüsse auf Ursachen für die Epilepsie geben können.
- Liquordiagnostik: Bei Hinweisen auf eine Infektion als Ursache der Epilepsie sollte das Nervenwasser des Kindes untersucht werden.
- MRT: In einem MRT können u. a. Gehirnfehlbildungen festgestellt werden.
- EEG (Hirnstrommessung): Eine Hirnstrommessung zeigt manchmal ein Muster an, das für die BNS-Epilepsie typisch ist (Hypsarrhythmie). Die Hirnstrommessung wird sowohl im wachen Zustand als auch im Schlaf durchgeführt.
- Gendiagnostik: Anhand einer Gendiagnostik lässt sich klären, ob Genveränderungen als Ursache für die Krankheit vorliegen.
Behandlung der BNS-Epilepsie
Ziel der Behandlung ist es, dass das Kind keine Anfälle mehr hat und sich bestmöglich entwickeln kann. Auch die typischen Veränderungen in der Hirnstrommessung sollen sich durch die Behandlung zurückbilden. Es ist wesentlich für eine erfolgreiche Behandlung, dass die Krankheit frühzeitig festgestellt und schnell behandelt wird.
Verschiedene Medikamente werden eingesetzt, wie z. B. Hormone (ACTH), Prednisolon oder Vigabatrin. Nach 14-tägiger Behandlung wird durch eine Untersuchung und eine Hirnstrommessung beurteilt, ob die Medikamente anschlagen. Bessern sich die Anfälle unter dieser Behandlung nicht, so steht eine Reihe von weiteren Medikamenten zur Verfügung. Bei weiterhin ausbleibendem Erfolg ist auch ein chirurgischer Eingriff am Gehirn eine Option. Diese Möglichkeit kann vor allem bei nachgewiesenen Hirnschäden oder Fehlbildungen eine Option sein.
Wichtig sind eine ausführliche ärztliche Aufklärung über die Erkrankung und unterstützende Angebote zur Förderung der Entwicklung des Kindes.
Prognose der BNS-Epilepsie
Die Prognose ist abhängig von der Ursache der Krankheit. Durch bestimmte schwere Begleiterkrankungen kann die Sterblichkeit erhöht sein. Eine frühzeitige Behandlung verbessert vermutlich die Prognose. Wenn sich das Kind bis zum Anfallsbeginn altersentsprechend entwickelt hat und keine Ursache für die Krankheit bekannt ist, ist die Prognose gut.
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Bei etwa 1/3 der Kinder hören die Anfälle durch die Behandlung auf. Bis zu 90 % der erkrankten Kinder weisen jedoch eine Entwicklungsverzögerung auf. Die Entwicklungsverzögerungen können verschiedene Bereiche betreffen und unterschiedlich stark ausgeprägt sein.
Oft spricht die BNS-Epilepsie nicht ausreichend auf Medikamente an (pharmakoresistente Epilepsie). Bei etwa 60 % der betroffenen Kinder geht die BNS-Epilepsie mit der Zeit in ein Lennox-Gastaut-Syndrom über, eine andere seltene, schwere kindliche Epilepsie-Form.
Komplikationen der BNS-Epilepsie
Es kann zu einem langen epileptischen Anfall kommen, einem sog. Status epilepticus. Das ist ein akuter Notfall! Bei einem Status epilepticus muss das Kind sofort behandelt und in ein Krankenhaus eingewiesen werden. Andere Komplikationen können durch die Nebenwirkungen der Medikamente entstehen.
Was Eltern tun können
Wenn Ihr Kind solche Anfälle zeigt, sollten Sie es zeitnah in Ihrer Kinderarztpraxis vorstellen. Es kann für die genaue Diagnose sehr hilfreich sein, wenn Sie die Anfälle filmen und zum Arztgespräch mitbringen.
Eltern sollten bei einem Verdacht auf BNS-Epilepsie das Arzneimittel nie eigenmächtig absetzen. Apotheker können die Compliance unterstützen, indem sie den Patienten und Eltern als Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Sie sollten sich bei der Abgabe des Arzneimittels vergewissern, ob die Therapie verstanden ist, ob ein Therapieplan vorliegt und ob geklärt wurde, an wen Eltern sich bei unvorhergesehenen Ereignissen wenden können. Die Diagnose Epilepsie verändert das Leben der ganzen Familie meist über viele Jahre. Betroffene und Angehörige haben nicht nur mit der Erkrankung und deren Symptomen zu kämpfen, sondern oft auch mit Ängsten und nicht zuletzt mit Vorurteilen ihrer Umgebung. Auch hierbei können Apotheker sie begleiten und unterstützen.
Antikonvulsive Therapie im Überblick
Die medikamentöse Behandlung der Epilepsie zielt darauf ab, die Anfallsfreiheit zu erreichen und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Die Auswahl des geeigneten Medikaments erfolgt unter Berücksichtigung verschiedener Faktoren, wie Anfallsform, Alter, Gewicht, Begleiterkrankungen und individuellen Verträglichkeiten.
Wirkmechanismen von Antikonvulsiva
Antikonvulsiva wirken auf verschiedene Weise, um die Erregbarkeit der Nervenzellen herabzusetzen und die Anfallsbereitschaft zu vermindern. Zu den wichtigsten Wirkmechanismen gehören:
- Beeinflussung von Ionenkanälen: Viele Antikonvulsiva wirken auf spannungsabhängige Ionenkanäle (Natrium-, Calcium- und Kalium-Kanäle) und ligandengesteuerte Ionenkanäle (GABA-, NMDA- und AMPA-Rezeptoren).
- Modulation von Neurotransmittern: Einige Antikonvulsiva beeinflussen die Freisetzung, den Abbau oder die Wiederaufnahme von Neurotransmittern wie GABA (hemmend) und Glutamat (erregend).
- Enzymhemmung: Einige Antikonvulsiva hemmen Enzyme, die am Neurotransmitter-Metabolismus beteiligt sind.
Auswahl des geeigneten Antikonvulsivums
Die Auswahl des geeigneten Antikonvulsivums ist ein komplexer Prozess, der eine sorgfältige Anamnese, neurologische Untersuchung und EEG-Diagnostik erfordert. Zu den wichtigsten Faktoren, die bei der Auswahl berücksichtigt werden müssen, gehören:
- Anfallsform: Bestimmte Antikonvulsiva sind wirksamer bei fokalen Anfällen, während andere besser bei generalisierten Anfällen wirken.
- Epilepsie-Syndrom: Einige Antikonvulsiva sind speziell für bestimmte Epilepsie-Syndrome geeignet.
- Alter und Geschlecht: Bei Kindern und Jugendlichen müssen altersgerechte Dosierungen und mögliche Nebenwirkungen berücksichtigt werden. Bei Frauen im gebärfähigen Alter sind bestimmte Antikonvulsiva aufgrund möglicher teratogener Effekte kontraindiziert.
- Begleiterkrankungen: Vorbestehende Erkrankungen können die Auswahl des Antikonvulsivums beeinflussen.
- Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten: Antikonvulsiva können mit anderen Medikamenten interagieren und deren Wirkung verstärken oder abschwächen.
- Individuelle Verträglichkeit: Jeder Patient reagiert unterschiedlich auf Antikonvulsiva. Es ist wichtig, die Therapie individuell anzupassen und auf mögliche Nebenwirkungen zu achten.
Monotherapie vs. Kombinationstherapie
In der Regel wird die Behandlung mit einer Monotherapie begonnen, d. h. mit einem einzigen Antikonvulsivum. Wenn die Monotherapie nicht ausreichend wirksam ist, kann eine Kombinationstherapie mit zwei oder mehr Antikonvulsiva in Erwägung gezogen werden.
Wichtige Hinweise für die antikonvulsive Therapie
- Die Anfallssuppressiva müssen regelmäßig und zu festen Zeiten eingenommen werden.
- Bei Kindern sollte auf eine gute Wirksamkeit und Langzeitverträglichkeit geachtet werden.
- Mögliche Nebenwirkungen müssen den Eltern von Anfang an kommuniziert werden.
- Bei außergewöhnlichen Veränderungen sollte der behandelnde Arzt informiert werden.
- Eltern sollten das Arzneimittel nie eigenmächtig absetzen.
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