Die Chassaignac-Lähmung, auch bekannt als Pronatio dolorosa, Radiusköpfchen-Subluxation oder Kindermädchenellbogen, ist eine häufige Verletzung bei Kleinkindern. Sie äußert sich als vermeintliche Lähmung des Armes nach einer Teilausrenkung (Subluxation) des Ellenbogengelenks, bei der das Speichenköpfchen (Radiusköpfchen) aus dem fixierenden Ringband heraustritt. In diesem Artikel werden die Ursachen, Symptome, Diagnose und Behandlung der Chassaignac-Lähmung detailliert erläutert.
Was ist eine Chassaignac-Lähmung?
Die Chassaignac-Lähmung ist eine spezielle Form der Subluxation, die fast ausschließlich bei Kindern vorkommt, insbesondere bei Kleinkindern unter 2 Jahren. Sie entsteht durch einen heftigen Zug oder Ruck am gestreckten Arm, wodurch das Speichenköpfchen aus seiner Position unter dem Ringband rutscht. Beim Nachlassen des Zugs kann sich das Band schmerzhaft zwischen Oberarmknochen und Speichenköpfchen einklemmen.
Da diese Verletzung oft auftritt, wenn das Kind an der Hand geführt und dann plötzlich am Arm (zurück)gezerrt wird oder stolpert, wird sie auch als "Nurse Elbow" (Kindermädchen-Ellenbogen) bezeichnet.
Subluxation einfach erklärt
Eine Subluxation ist eine Verrenkung, bei der die Knochen eines Gelenks gegeneinander verschoben sind, aber die Gelenkflächen noch teilweise aneinanderliegen. Im Gegensatz dazu berühren sich bei einer vollständigen Verrenkung (Luxation) die Gelenkflächen nicht mehr.
Ursachen der Chassaignac-Lähmung
Die häufigste Ursache für eine Chassaignac-Lähmung ist ein starker Zug oder Ruck am gestreckten Arm des Kindes. Dies kann in verschiedenen Situationen passieren:
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- Zurückziehen am Arm: Wenn ein Kind an der Hand geführt wird und plötzlich am Arm zurückgezogen wird, beispielsweise um es vor einer Gefahr zu bewahren (z.B. vor einem Auto).
- Hochheben am Arm: Das plötzliche Hochheben des Kindes am Arm, z. B. über Bordsteinkanten oder andere Hindernisse.
- Spielen: Beim Spielen, z. B. beim "Engelchen flieg", bei dem das Kind an den Armen geschwungen wird.
- Stürze: Auch Stürze können eine Chassaignac-Lähmung verursachen.
Bei kleineren Kindern ist der Bandapparat, der den Speichenkopf in seinen zwei Gelenken hält, noch nicht sehr stabil, was das Herausrutschen des Speichenköpfchens begünstigt.
Symptome der Chassaignac-Lähmung
Der Verlauf einer Chassaignac-Lähmung ist typisch:
- Plötzliches Weinen: Das Kind beginnt plötzlich zu weinen.
- Schonhaltung: Das Kind hält einen Arm gestreckt und benutzt ihn nicht mehr. Der Arm wird leicht gebeugt und nach innen gedreht gehalten.
- Bewegungseinschränkung: Eine Streckung des Armes ist nicht möglich.
- Geringe Schmerzen: In der Schonhaltung hat das Kind kaum Schmerzen.
Diagnose der Chassaignac-Lähmung
Meist ist die Chassaignac-Lähmung als typische Blickdiagnose für den Arzt sofort erkennbar. Hilfreich ist auch die Schilderung des Unfallhergangs.
Typischerweise halten die Kinder den Ellenbogen in schwacher Beugestellung mit nach innen gedrehtem Arm, eine Streckung ist nicht möglich.
Differenzialdiagnosen
Es ist wichtig, andere mögliche Ursachen für die Armschmerzen und Bewegungseinschränkung auszuschließen. Dazu gehören:
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- Knochenbrüche (Frakturen) im Bereich des Ellenbogens
- Ellenbogen-Luxation (Verrenkung)
- Schleimbeutelentzündung (Bursitis olecrani)
- Tennisellenbogen (Epicondylitis radialis)
- Golferellenbogen (Epicondylitis medialis)
Röntgenuntersuchung
Eine Röntgenuntersuchung ist in der Regel nicht notwendig, wenn die Diagnose eindeutig ist und der Arzt erfahren in der Behandlung von Chassaignac-Lähmungen ist. Sie wird jedoch durchgeführt, wenn:
- Das Einrichten (Reposition) erfolglos war.
- Der Verdacht auf Begleitverletzungen oder Knochenbrüche besteht.
- Die Schilderung des Unfallhergangs unklar ist.
Ultraschalluntersuchung
In Zweifelsfällen kann eine Ultraschalluntersuchung (Sonografie) hilfreich sein, um die Diagnose zu bestätigen. Dabei kann das teilweise ins radiohumerale Gelenk hinaufgerutschte Ringband sichtbar gemacht werden.
Behandlung der Chassaignac-Lähmung
Es gibt verschiedene Methoden, um das aus dem Ellbogengelenk herausgerutschte Speichenköpfchen wieder zurück zu befördern (Reposition).
Manuelle Reposition
Die manuelle Reposition ist dieStandardbehandlung der Chassaignac-Lähmung. Dabei sitzt das Kind meist auf dem Schoß der Begleitperson, während der Arzt den Ellenbogen des Kindes unterstützt und an seinem Unterarm zieht. Durch den Längszug löst sich das eingequetschte Ringband aus der Einklemmung, und das Speichenköpfchen gleitet anschließend unter sanftem Druck wieder in seine normale Position hinein.
Es gibt zwei gängige Techniken für die Reposition:
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- Supinationsmanöver: Hierbei wird der betroffene Arm supiniert (Handfläche zeigt nach oben) und unter Beibehaltung der Supination im Ellbogengelenk maximal flektiert (gebeugt).
- Pronationsmanöver: Hierbei wird der betroffene Arm proniert (Handfläche zeigt nach unten) und unter Beibehaltung der Pronation im Ellbogengelenk flektiert.
Neuere Studien deuten darauf hin, dass das Pronationsmanöver für die Kinder weniger schmerzhaft ist und eine höhere Erfolgsrate aufweist.
Meistens verspürt der behandelnde Arzt beim Repositionsmanöver ein leises "Knacken", das als ein sicheres Zeichen der erfolgreichen Reposition dient.
Verhalten nach der Reposition
Nach der Reposition kann das Kind den betroffenen Arm schnell wieder normal bewegen, auch wenn es sich meist nicht gleich wieder traut. Mit ein wenig Ablenkung wird es in der Regel dann doch nach einem begehrten Objekt (Schnuller, Lieblingskuscheltier) greifen, was den Erfolg des Einrichtens beweist.
Ruhigstellung
Wenn die Reposition erfolgreich war, ist eine Ruhigstellung des Armes in der Regel nicht notwendig. In seltenen Fällen, wenn das Einrichten erfolglos war oder der Verdacht auf Begleitverletzungen besteht, kann der Arzt den Arm in einer Oberarmgipsschiene für etwa 3 Tage ruhigstellen. Häufig renkt sich das Speichenköpfchen in dieser Zeit von selbst wieder ein.
Prognose der Chassaignac-Lähmung
Wird die Chassaignac-Lähmung frühzeitig erkannt und behandelt, ist die Prognose sehr gut. Nach erfolgreicher Reposition ist der Arm in der Regel sofort wieder schmerzfrei beweglich.
Rezidiv
Bei etwa jedem vierten Kind kommt es zu einem erneuten Herausrutschen des Speichenköpfchens (Rezidiv). Dies führt jedoch zu keiner bleibenden Schädigung und keinen auf diese Verletzung zurückzuführenden Langzeitproblemen im Ellbogengelenk.
Komplikationen
Komplikationen sind bei der Chassaignac-Lähmung selten. Wenn das Ellenbogengelenk allerdings nicht zügig eingerenkt wird, dauert es nach dem Einrenken meist einige Tage, bis sich der Arm wieder schmerzfrei bewegen lässt.
Wie bei jeder Subluxation und Luxation besteht nach einer Verletzung dieser Art ein erhöhtes Risiko für eine erneute Luxation. Wenn der Speichenkopf bereits kurz nach der Reposition wieder aus dem Ringband rutscht, hilft ein Oberarmgips. Dieser wird für etwa zwei Wochen angelegt und hält den Arm in nach außen gedrehter Position fest. Auf diese Weise verhindert man eine erneute Subluxation.
Vorbeugung der Chassaignac-Lähmung
Um einer Chassaignac-Lähmung vorzubeugen, sollten Eltern und Betreuer folgende Tipps beachten:
- Vermeiden Sie ruckartige Züge am Arm des Kindes.
- Heben Sie Kinder nicht an den Armen hoch.
- Seien Sie vorsichtig beim Spielen mit Kindern, insbesondere bei Spielen, bei denen an den Armen gezogen wird.
- Erklären Sie älteren Kindern, dass sie nicht an den Armen von jüngeren Geschwistern ziehen sollen.
Chassaignac-Lähmung und Kindesmisshandlung
Es ist wichtig zu betonen, dass die Chassaignac-Lähmung in den meisten Fällen ein Unfall ist, der unbeabsichtigt passiert. Allerdings kann sie in seltenen Fällen auch durch Kindesmisshandlung verursacht werden. Wenn der Verdacht auf Kindesmisshandlung besteht, sollte der Arzt dies unbedingt berücksichtigen und entsprechende Maßnahmen ergreifen.
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