Alexander von der Thannen Lähmung: Ursachen und Hintergrund

Im Rahmen von Kopfverletzungen spielen Gehirnerschütterungen eine bedeutende Rolle. In Deutschland gehören Kopfverletzungen zu den häufigsten Gründen für Krankenhausbehandlungen. Bei Mädchen und Jungen unter 15 Jahren ist die Gehirnerschütterung die häufigste Diagnose. Besonders gefährdet ist die Altersgruppe der 12- bis 19-Jährigen, wobei das kindliche Gehirn aufgrund seiner fortlaufenden Entwicklung und Anpassung besonders anfällig ist. Obwohl es keine eindeutige Definition auf zellulärer Ebene gibt, beschreibt der Begriff "Gehirnerschütterung" eher einen Verletzungsmechanismus als ein eigenständiges Krankheitsbild. In Europa wird die Gehirnerschütterung oft als Commotio cerebri bezeichnet, während in der angloamerikanischen Literatur der Begriff "concussion" im Sport verwendet wird, im Gegensatz zum Begriff "mild traumatic brain injury".

Definition und Abgrenzung der Gehirnerschütterung

Die Konsensuskonferenzen zur Gehirnerschütterung der letzten Jahre haben eine Definition etabliert, die die Gehirnerschütterung als Untergruppe des leichten Schädel-Hirn-Traumas (SHT) ansieht. Ein leichtes SHT ist definiert als eine neurologische Funktionsstörung des Gehirns, mit oder ohne Hirnverletzung, infolge einer direkt oder indirekt auf das Gehirn eingewirkten Kraft. Die klinischen Zeichen und Symptome dürfen nicht durch Drogen-, Alkohol- oder Medikamentenkonsum, andere Verletzungen oder andere Komorbiditäten bedingt sein. Im Alltag wird das leichte SHT anhand der Glasgow Coma Scale (GCS) klassifiziert, wobei ein Wert von 13-15 Punkten einem leichten SHT entspricht.

Relevanz der Gehirnerschütterung im Sport

Die Relevanz der Gehirnerschütterung wird gerade im Sport zunehmend wahrgenommen. Die gesellschaftspolitische Bedeutung von Gehirnerschütterungen konzentriert sich besonders auf den Sport. In den letzten 1,5 Jahrzehnten wurde eine Zunahme von Gehirnerschütterungen um das 4,2-fache berichtet, was einer jährlichen Steigerung von 11,5 % entspricht. Ein hoher Anteil von Gehirnerschütterungen wird generell im Sport beobachtet, wobei bis zu 15-20 % aller Verletzungen in Hochrisikosportarten wie Eishockey, American Football, aber auch Frauenfußball und Basketball Gehirnerschütterungen sind. Obwohl zuletzt weniger Verletzungen beobachtet wurden, stieg die Inzidenz diagnostizierter Gehirnerschütterungen kontinuierlich auf Häufigkeiten von über 20 % an. Dies liegt einerseits an der zunehmenden Beachtung dieser Verletzung selbst, aber auch an einer erhöhten Sensibilität aller Beteiligten für diese Verletzung. Jeder 10. Sportler erlitt sogar mindestens 2 Gehirnerschütterungen.

Unterschätzung des Risikos und der Folgen

Sportler, aber auch Ärzte, unterschätzen oft das Risiko, den Schweregrad sowie mögliche (Langzeit-)Folgen von Gehirnerschütterungen. Sportler nehmen oft zu früh ihre sportlichen Aktivitäten wieder auf, trotz ausreichender Kenntnis der Verletzungsproblematik, teilweise aufgrund äußeren „Drucks“ durch Trainer und Mannschaftsärzte. Die Rate der übersehenen oder nicht gemeldeten Gehirnerschütterungen wird mit durchschnittlich 40 % angegeben.

Definition nach Konsensusempfehlungen

Die gegenwärtig akzeptierte Definition der Gehirnerschütterung basiert auf den Konsensusempfehlungen der „Concussion in Sports Group“. Es sollte darauf hingewiesen werden, dass Gehirnerschütterungen primär ein Trauma des Gehirns im Vergleich zum Trauma des Kopfes ohne Gehirntrauma sind, da beim Trauma des Gehirns kurzfristig die Blut-Hirn-Schranke aufgeht, was bei der Kopfprellung nie der Fall ist. Eine Gehirnerschütterung führt typischerweise zum raschen Einsetzen einer kurzfristigen neurologischen Funktionsstörung des Gehirns, die sich spontan wieder zurückbildet. Voraussetzung ist auch hier, dass sich die klinischen Zeichen und Symptome nicht durch Drogen-, Alkohol- oder Medikamentenkonsum, andere Verletzungen oder andere Komorbiditäten erklären lassen.

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Diagnose der Gehirnerschütterung

Die Diagnose der Gehirnerschütterung ist schwierig und basiert auf der klinischen Einschätzung. Validierte, objektive diagnostische Tests fehlen. Man ist auf das subjektive und korrekte Angeben von Symptomen durch die verletzten Sportler angewiesen, wobei diese Symptome auch durch begleitende Erkrankungen/Bedingungen bedingt sein können. Unspezifische Symptome wie Kopfschmerzen, Stimmungsschwankungen, subjektives Nebelgefühl, Schwindel, Sehstörungen, Müdigkeit und Nackenschmerzen sind nach einer Gehirnerschütterung möglich, können aber auch andere Ursachen haben und sind somit nicht spezifisch hinweisend auf eine Gehirnerschütterung. Die Diagnose einer Gehirnerschütterung bleibt somit eine klinische Diagnose, die nur durch sorgfältige Analyse von Unfallmechanismus (Anamnese) und Befund der körperlichen Untersuchung im weiteren Verlauf sicher gestellt werden kann.

Verletzungsmechanismen

Ein genauer Verletzungsmechanismus, der zu einer Gehirnerschütterung führt, ist nicht bekannt, da interindividuell völlig unterschiedliche Kräfte auf das Gehirn einwirken können. Der Verletzungsvektor kann linear sein und zu Rotationsbewegungen des Kopfes und des Gehirns führen. Im Allgemeinen können zwei Verletzungsmechanismen unterschieden werden:

  1. Direkte Krafteinwirkung auf den Kopf mit Gefahr einer direkten Hirnschädigung am Anprallort; die einwirkende Kraft lässt das Gehirn schwingen („Erschütterungstrauma“).
  2. Indirekte Krafteinwirkung, die zu einer Beschleunigung und Verzögerung des Kopfes führt, was wiederum Gehirnbewegungen innerhalb des Schädels verursacht.

Infolge dieser Krafteinwirkungen sind verschiedene Gehirnbewegungen innerhalb des Knochenschädels möglich. Bei jeder Gehirnerschütterung kommt es definitiv zu Verletzungen der grauen und weißen Substanz. Diese sind aber normalerweise so minimal, dass sie im Rahmen radiologischer Standardbildgebungsverfahren nicht erkannt werden können. Lediglich spezielle MRT-Protokolle lassen derartige Schäden erkennen. Trotzdem muss immer davon ausgegangen werden, dass Verletzungen der Nervenzellen des Gehirns und der kleinsten Blutgefäße vorliegen. Diese Zellverletzungen führen zu komplexen intrazellulären Veränderungen, wie beispielsweise inflammatorischen Gewebereaktionen, chemischen Veränderungen und Beeinträchtigungen des Zellstoffwechsels. Aufgrund der unregelmäßigen Schädelbasis muss immer eine Verletzung der dort lokalisierten Hirnstrukturen in Betracht gezogen werden. Beispielsweise werden Hormonstörungen aufgrund einer Hypophysenscherverletzung nach SHT in 28-69 % der Fälle beobachtet.

Pathophysiologie der Gehirnerschütterung

Die Pathophysiologie der Gehirnerschütterung ist nicht vollständig geklärt. Es findet regelhaft eine Krafteinwirkung auf das Gehirn statt, die zu einer Dehnung der neuronalen Zellmembranen und Axone führt und eine komplexe Kaskade von ionischen, metabolischen und pathophysiologische Ereignissen nach sich zieht. Letztlich resultiert eine Energiekrise/-einschränkung lokaler bzw. beteiligter Hirnregionen mit dem potenziellen Risiko unter anderem von axonalen Degenerationen in der subakuten und chronischen Erholungsphase der Gehirnerschütterung.

Experimentelle Untersuchungen stützen das Konzept einer erhöhten Anfälligkeit des Gehirns nach einer anfänglichen Verletzung eine zweite Hirnverletzung zu erleiden. Eine weitere Verschlechterung der zellulären Stoffwechselveränderungen und das Auftreten relevanter hirnfunktioneller Defizite können die Folge sein. Die mechanische Verformung des Gehirngewebes während des Traumas kann zu Scherverletzungen der Nervenzellen führen mit möglicher zellulärer Überstimulation und Funktionsstörung. Zusätzlich können Axone verletzt werden oder sogar zerreißen, was zumindest teilweise mit speziellen MRT-Techniken detektiert werden kann. Im schlimmsten Fall resultiert eine zelluläre Apoptose.

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Zelluläre und systemische Auswirkungen

Die fokale Hirngewebeverletzung kann zu einer überschießenden zellulären Depolarisation mit einer für 5-10 Tage nachweisbaren zellulären Energiekrise führen, die durch eine axonale und/oder vaskuläre Dehnung ausgelöst wird, mit möglichem Zerreißen neuronaler Membranen. Die resultierende erhöhte Membranpermeabilität kann zu einer Zellschwellung und einer Zellfunktionsstörung führen; das Ausmaß der dabei auftretenden mitochondrialen Schädigung korreliert mit den Langzeitfolgen. Eine lokal Hypoperfusion verstärkt die zelluläre Energiekrise. Diffuse Verletzungen sind normalerweise mit einer zusätzlichen axonalen Schädigung verbunden. Eine axonale Dehnung um 10 % innerhalb von 100 ms kann zu einer dauerhaften Schädigung der Axone führen. Die axonale Myelinisierung ist möglicherweise ein Schutzfaktor; entsprechend besteht bei Kindern und Jugendlichen, bei noch nicht abgeschlossener Myelinisierung, ein erhöhtes Risiko für schwerere Verläufe. Systemisch kann durch Entkopplung des autonomen und kardiovaskulären Systems eine länger anhaltende Variabilität der Herzfrequenz, vor allem unter körperlicher und mentaler Belastung, beobachtet werden.

Klinische Zeichen und Symptome

Typische klinische Zeichen können Verwirrtheit, Bewusstlosigkeit, Verlangsamung, Beeinträchtigung der Gangsicherheit, Pupillendifferenz und der „leere Blick“ sein. Klassische, historische Symptome wie Bewusstlosigkeit und Amnesie finden sich nur in 20 % der Fälle bei Profisportlern und bei <10 % im Freizeitsport. Typische klinische Symptome sind Kopfschmerzen (70-80 %), Schwindel (34-70 %), Übelkeit/Erbrechen (20-40 %), Nackenschmerzen (20 %), Schwäche/Müdigkeit (20-50 %), Sehstörungen (ca. 20 %) und Empfindlichkeit gegenüber Licht und Lärm (10-60 %). Diese Symptome und Zeichen bessern sich normalerweise mit der Zeit und sind keine Indikatoren für eine permanente Hirnschädigung. Aufgrund der klinischen Heterogenität der Gehirnerschütterungssymptomatik wurde versucht, „klinische Profile“ oder „klinische Bereiche“ zu etablieren, um die Behandlung und Prognose spezifischer zu beeinflussen. Die vielfältigen Symptome und Funktionsstörungen nach Gehirnerschütterung werden unterschiedlich kategorisiert und zeigen oft überlappende klinische Symptomprofile, wie Müdigkeit, Migräne/Kopfschmerzen, kognitive, affektive (Angst/Stimmung), vestibuläre und okkuläre Symptomenkomplexe.

Beurteilung am Spielfeldrand

Im Profisport ist geschultes medizinisches Personal meist schnell verfügbar. Häufig werden Sportler jedoch durch nicht medizinisches Personal überwacht. Entsprechend ist eine schnelle Beurteilung nach standardisierten Kriterien am Spielfeldrand erforderlich und empfehlenswert, wenn der Verdacht einer Gehirnerschütterung im Raum steht. Das Concussion Recognition Tool ist ein gutes Instrument zur Akutbeurteilung und fahndet nach sichtbaren Zeichen und Symptome einer vermuteten Gehirnerschütterung und erfasst eine orientierende primäre Gedächtnisfunktion. Bei Auftreten von folgenden „Red flag“-Symptomen ist eine sofortige ärztliche Abklärung zwingend und die sportliche Aktivität sofort zu beenden:

  • Bewusstlosigkeit (insbesondere wenn sie länger andauert)
  • Starke oder sich verschlimmernde Kopfschmerzen
  • Wiederholtes Erbrechen
  • Abnehmender mentaler Status
  • Fokales neurologisches Defizit (Lähmung, Gefühlsstörung der Arme/Beine)
  • Verdacht auf eine HWS-Verletzung

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