Die Verbindung zwischen Mode und Psychologie ist ein faszinierendes Feld, das weit über oberflächliche Betrachtungen hinausgeht. Mode ist nicht nur ein Mittel zur Selbstdarstellung, sondern auch ein Spiegelbild unserer innersten Gefühle, Ängste und Wünsche. Sie kann als eine Art nonverbale Kommunikation dienen, mit der wir uns der Welt präsentieren und unsere Identität konstruieren.
Bella Freuds "Fashion Neurosis": Psychoanalyse trifft auf Mode
Bella Freud, die Enkelin des berühmten Psychoanalytikers Sigmund Freud, hat mit ihrem Video-Podcast "Fashion Neurosis" ein innovatives Format geschaffen, das die Schnittstelle von Mode und Psyche auf unterhaltsame und tiefgründige Weise erkundet. In jeder Episode lädt sie prominente Gäste auf ihre Couch ein, um gemeinsam über ihre persönlichen "Fashion Neurosen" zu assoziieren. Die erste Frage lautet stets: "Was trägst du heute, und warum hast du dich dafür entschieden?".
Durch diese einfache Frage eröffnet Freud einen Raum für Gespräche, die weit über oberflächliche Modeplaudereien hinausgehen. Ihre Gäste, darunter Künstler, Designer, Schriftsteller und Musiker, sprechen offen über ihre Erfahrungen, Bedürfnisse und Unsicherheiten im Zusammenhang mit Mode. Dabei werden Kindheitserinnerungen, soziale Hintergründe und persönliche Vorlieben beleuchtet, die den individuellen Stil geprägt haben.
Freuds Ansatz ist dabei alles andere als distanziert. Als Moderatorin pflegt sie zu ihren Gästen meist freundschaftliche oder berufliche Beziehungen, die oft durch ihr eigenes Modelabel entstanden sind. Sie begegnet ihnen auf Augenhöhe, zeigt sich selbst verletzlich und teilt eigene Erfahrungen mit Scham, Stolz und dem Älterwerden.
Die Psychologie der Mode: Mehr als nur Äußerlichkeiten
"Fashion Neurosis" zeigt, dass Mode eine psychologische Funktion erfüllt, die direkt mit der eigenen Identität verbunden ist. Kleidung kann als eine Art Schutzschild dienen, um sich selbstsicherer zu fühlen und Scham zu überwinden. Sie kann aber auch als Ausdruck von Stolz und Zugehörigkeit dienen oder als Mittel, um bestimmte Botschaften zu kommunizieren.
Lesen Sie auch: Default Mode Network: Erklärung
Die Wahl unserer Kleidung ist oft von unbewussten Motiven geleitet. Wir kaufen Kleidungsstücke, um uns für einen Erfolg zu belohnen, um uns von anderen abzugrenzen oder um uns einer bestimmten Gruppe anzupassen. Manchmal kleiden wir uns auch anders, als wir uns tatsächlich fühlen, um eine bestimmte Rolle zu spielen oder ein bestimmtes Image zu projizieren.
Diese kleinen "Neurosen des Alltags" sind Ausdruck unserer komplexen Beziehung zur Mode. Sie zeigen, dass Mode nicht nur ein oberflächliches Phänomen ist, sondern ein wichtiger Bestandteil unserer psychischen und sozialen Identität.
Mode als Spiegel der Gesellschaft
"Fashion Neurosis" reiht sich ein in aktuelle Diskurse um "therapy culture" und die "mental health"-Bewegung in den sozialen Medien. Der Podcast popularisiert die Psychoanalyse und macht sie in gewisser Weise "fashionable". Er zeigt, dass Popkultur und Psychoanalyse kein Widerspruch sein müssen.
In einer Gesellschaft, die von schnellen Diagnosen und psychologischem Wachstum geprägt ist, erinnert Freud an die Ursprünge der Psychoanalyse als eine sich langsam vortastende Therapieform und Kulturanalyse. Sie interessiert sich für die Ursprünge von Fashion-Neurosen: Woher kommt die je eigene Vorstellung von Mode? Was ist die Beziehung, das eigene Selbstbild, in Verbindung zu der Kleidung, die man wählt?
Gleichzeitig bringt Freud mit ihrem Podcast ein Stück weit Realität in die phantasmatische und ästhetisierte Sphäre der Mode-Ikonen. Denn die Gespräche sind beim Zuhören vor allem eines: relatable. Scham und Unsicherheit werden offenbart, Risse in der mystifizierten Luxus-Industrie und der Welt von prominenten Persönlichkeiten auf eine ganz neue Art sichtbar.
Lesen Sie auch: Demenzformen im Überblick
Mode als feministische Strategie
Mode kann auch als feministische Strategie eingesetzt werden, um sich selbstbewusst zu präsentieren und die eigenen Ziele zu erreichen. Die Schriftstellerin Zadie Smith betont, dass Kleidung für sie oft ein Mittel ist, um das zu bekommen, was sie will.
Katja Eichinger setzt sich in ihrem Essayband "Mode und andere Neurosen" kritisch mit der Modewelt auseinander. Sie analysiert die Macht von Mode und Marketing und zeigt, wie Kleidung als politische Geste eingesetzt werden kann.
Eichinger beschreibt eine Begegnung mit dem Philosophen Jürgen Habermas, der trotz seines Rufes als kritischer Geist und großer Denker nicht umhin konnte, durch seine Kleidung eine Botschaft zu senden. Habermas trug im Biergarten schwarze Kleidung und "Nike Outdoor Free"-Turnschuhe, die Eichinger als Ausdruck eines Bedürfnisses nach Freiheit interpretierte.
Streetwear und die Freiheit der Bewegung
Eichinger geht auch auf den Aufstieg der Streetwear ein, die sie als Ausdruck eines Bedürfnisses nach Freiheit und Unabhängigkeit interpretiert. Streetwear entstand in den 1980er Jahren in der kalifornischen Surf- und Skateboard-Szene und wurde schnell von der Hip-Hop- und Skateboarding-Szene in New York aufgegriffen.
Plakative Schriftzüge und Grafiken wurden zu Erkennungsmerkmalen der Streetwear. Gleichzeitig wurde Streetwear zu einem Ausdruck von Rebellion und Subversion. Heute ist Streetwear eine Milliardenindustrie, die generations- und klassenübergreifend funktioniert.
Lesen Sie auch: Die Psychologie von Nervensägen
Der Aufstieg der Streetwear zeigt, dass Freiheit mehr denn je zu einem vermarktbaren Gut geworden ist. Trotzdem bleibt Streetwear ein wichtiger Ausdruck von Individualität und Selbstbestimmung.
tags: #Mode #und #Neurosen #Zusammenhang