Komplexes regionales Schmerzsyndrom (CRPS): Ursachen, Diagnose und Therapie

Das komplexe regionale Schmerzsyndrom (CRPS), früher unter verschiedenen Bezeichnungen wie sympathische Reflexdystrophie oder Algoneurodystrophie bekannt, ist eine chronische Schmerzerkrankung, die sich durch regionale Schmerzen und weitere sensible, motorische, autonome und trophische Störungen auszeichnet. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen, Diagnose und Therapie des CRPS unter Berücksichtigung aktueller Leitlinien und Forschungsergebnisse.

Definition und Klassifikation

Das CRPS wurde erstmals 1994 von der „International Association for the Study of Pain“ (IASP) beschrieben. Die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD) übernahm den Begriff CRPS im Jahr 2019 und unterscheidet zwischen Typ I (ohne Nervenläsion) und Typ II (mit Nervenläsion). Mit der Einführung der ICD-11 im Jahr 2022 wurden beide CRPS-Typen sowie das Schulter-Hand-Syndrom gemeinsam einer neuen Symptom-Kategorie zugeordnet, mit einem Querverweis auf chronische postoperative/posttraumatische Schmerzen.

Chronische primäre Schmerzen umfassen neben CRPS weitere regionale sowie weit verbreitete Schmerzsyndrome wie Fibromyalgie und chronische Rücken-, Unterbauch- und Spannungskopfschmerzen. Diese Schmerzen werden als „multifaktoriell“ und teils als „noziplastisch“ bezeichnet, wobei unter „noziplastisch“ eine potenziell reversible hypersensitive zentralnervöse Reizverarbeitung ohne Gewebe-/Nervenschädigung verstanden wird.

Ursachen und Risikofaktoren

Die Inzidenz des CRPS liegt bei 5-26/100.000/Jahr, die Prävalenz bei rund 20/100.000. Frauen sind häufiger betroffen als Männer (Verhältnis 2-4:1), und der Altersgipfel liegt zwischen dem 40. und 70. Lebensjahr. Allerdings kann CRPS in jedem Alter auftreten, auch bei Kindern und Jugendlichen.

CRPS tritt in 0,2-9 % der Fälle nach peripheren Frakturen oder Bandverletzungen, in 2-5 % nach Nervenläsionen und in 1-13 % nach Eingriffen an peripheren Gliedmaßen auf. Umgekehrt gehen 40-50 % aller CRPS-Fälle Frakturen voraus und 30-40 % folgen anderen Verletzungen beziehungsweise Eingriffen. Art und Ausmaß von Gewebeschäden oder Nervenschäden, Ruhigstellung und hohe initiale Schmerzintensität erhöhen das Risiko eines CRPS. Aber auch geringfügige Gewebeschäden, z. B. durch Arthroskopie, Tourniquet-Anlage, Injektion oder Impfung, können ein CRPS verursachen.

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In rund 3-10 % der Fälle ist kein Initialereignis abgrenzbar. Schmerzhafte Vorerkrankungen sowie belastende Lebensereignisse können einem CRPS vorausgehen. Die Daten zu psychischen CRPS-Risikofaktoren sind widersprüchlich, jedoch scheint die Rate an prä- und komorbiden posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) erhöht zu sein. Ängstlichkeit beziehungsweise Katastrophisierung scheinen sowohl das Erkrankungsrisiko zu erhöhen als auch die Prognose zu verschlechtern.

Pathophysiologie

Als Entstehungsmechanismen des CRPS werden heute vor allem periphere, spinale und zerebrale Sensibilisierungsprozesse durch neurogen-entzündliche (Auto-)Immunreaktion, autonome Dysregulation und maladaptives Schon-/Schutzverhalten („erlernter Nicht-Gebrauch“) angenommen. Diese Prozesse können zu einer veränderten Schmerzwahrnehmung und -verarbeitung führen.

Klinische Bilder und Diagnosekriterien

CRPS-Leitsymptome sind regionaler Schmerz sowie weitere sensible, motorische, autonome und trophische Störungen. Fast immer sind distale Extremitäten betroffen, wobei Hände häufiger als Füße betroffen sind. Die Symptome sind „strumpfartig“ beziehungsweise „handschuhartig“ begrenzt, unabhängig von Innervationsgebieten beziehungsweise Dermatomen.

Für die Diagnosestellung müssen die „Budapest-Kriterien“ erfüllt sein:

  1. Anhaltender Schmerz nach einem auslösenden Ereignis.
  2. Mindestens ein sensorisches, vasomotorisches, sudomotorisches/ödematöses und/oder motorisches/trophisches Zeichen.
  3. Mindestens ein berichtetes Symptom in drei der vier folgenden Kategorien:
    • Sensorisch: Überempfindlichkeit (Hyperalgesie, Allodynie)
    • Vasomotorisch: Temperaturunterschiede, Farbveränderungen
    • Sudomotorisch/Ödem: Schwellung, Schwitzen
    • Motorisch/Trophisch: Bewegungseinschränkung, Kraftverlust, Veränderungen der Haut, Haare oder Nägel
  4. Keine andere Diagnose erklärt die Symptome besser.

Die Sensitivität der Budapest-Kriterien liegt bei 98-99 %, ihre Spezifität bei 36-68 %. Es gibt kein Zeitkriterium, aber die DGN-CRPS-Leitlinie nennt 2-3 Monate als sinnvollen Zeitpunkt, zu dem alle Kriterien erfüllt sein müssen.

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Die meisten Patientinnen und Patienten weisen weitere Symptome auf, vor allem „Top-down“-Störungen der Körperwahrnehmung und Beschwerdeverarbeitung. Beispielsweise haben 32-84 % neuropsychologische Symptome bezüglich der betroffenen Gliedmaße, also Störungen von Wachsamkeit/Aufmerksamkeit, Meinhaftigkeits-/Lageempfinden, Urheberschaftserleben/Ansteuerung und Bedeutungszuschreibung/Emotionen.

Technische oder Laborbefunde sind in den Diagnosekriterien nicht enthalten: CRPS bleibt eine klinische Diagnose. Wurde es durch Anamnese und Befund gesichert, gibt es in keiner Leitlinie eine Empfehlung für Zusatzdiagnostik. Die DGN-CRPS-Leitlinie empfiehlt lediglich innerhalb des ersten Erkrankungsjahres in Zweifelsfällen oder bei absehbarer Begutachtung zur Untermauerung der Diagnose eine Dreiphasen-Skelett-Szintigrafie. Zusatzdiagnostik ermöglicht aber, entsprechend des 4. Budapest-Kriteriums, eine fundierte Differenzialdiagnostik.

Subtypen, Verlauf, Prognose

Die Differenzierung von CRPS I beziehungsweise II ist umstritten, klinisch unterscheiden sie sich nicht. Relevanter für die Therapie ist die Abgrenzung „warmer” und „kalter“ CRPS-Subtypen beziehungsweise -Stadien. Der „warme“ Subtyp wird mit „rot“, „schwitzig“ und „früh“ beschrieben, während der „kalte Subtyp“ als „blau“, „dystroph/atroph“, spät“ charakterisiert wird und als prognostisch ungünstiger gilt. Vaso- und sudomotorische Symptome wie Farbveränderungen und Schwitzen können situativ fluktuieren, was auf zentral-neurogene Regulationsprozesse hindeutet.

Meist verbessern sich CRPS innerhalb von 3-13 Monaten, teilweise auch ohne Therapie. Vollremissionen sind selten und schwer zu definieren. Bei mehr als der Hälfte erwachsener Patientinnen und Patienten persistiert zumindest ein Teil der Beschwerden, vor allem Schmerzen und motorische Symptome. Zwar werden die meisten von ihnen wieder arbeitsfähig, aber ein Drittel braucht Arbeitsplatz-Anpassungen und ein Drittel bleibt arbeitsunfähig. In rund 7 % breitet sich das CRPS ohne separates Trauma auf weitere Gliedmaßen aus.

Differenzialdiagnostische Herausforderungen

Das CRPS hat eine breite Differenzialdiagnose, verbunden mit der Gefahr übersehener oder aber „inflationärer“ Fehl-/Verlegenheitsdiagnosen. Abzugrenzen sind rheumatische, vaskuläre/vasomotorische, infektiöse, (funktionelle) neurologische, psychosomatische/psychiatrische Erkrankungen sowie Behandlungskomplikationen. Zentral sind daher eine ausführliche Anamnese, Untersuchung und Differenzialdiagnostik aus interdisziplinärer Perspektive, mit sorgfältiger Einschätzung der Primärverletzung und wiederholter (Foto-)Dokumentation. Im Seitenvergleich werden die Budapest-Kriterien geprüft und es wird auf Risikofaktoren sowie Zusatzsymptome geachtet.

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Je länger ein CRPS besteht, desto schwieriger ist die Unterscheidung von chronischem Nicht-/Mindergebrauch anderer Ursache. Bei Zweifeln, Komplikationen (Symptomausbreitung, fixierte Dystonien, Hautläsionen/Infektionen, malignes Ödem, starke psychische Belastung, Amputationswunsch) beziehungsweise fehlender Besserung nach etwa zwei Monaten erfolgt die Überweisung in ein interdisziplinäres Zentrum.

Therapie

Die Behandlung orientiert sich an einer entzündlichen, besonders empfindlichen Akutphase und einer frühen und späten Rehabilitationsphase. Das zentrale Therapieprinzip ist der schrittweise ergo- und physiotherapeutische Aufbau von Funktion und Belastbarkeit.

Weitere Therapieoptionen umfassen:

  • Schmerzmedikamente: Nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR), Opioide, Antidepressiva, Antikonvulsiva
  • Interventionelle Verfahren: Nervenblockaden, Sympathikusblockaden, Spinal Cord Stimulation
  • Psychotherapie: Kognitive Verhaltenstherapie, Schmerzbewältigungstraining
  • Weitere Therapien: Spiegeltherapie, graded motor imagery, repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS)

Die Therapie des CRPS sollte interdisziplinär erfolgen und auf die individuellen Bedürfnisse des Patienten abgestimmt sein.

Neueste Forschungsergebnisse

Aktuelle Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Astrozyten, eine Art von Gliazellen im Gehirn, eine wichtige Rolle bei der Reparatur von Hirngewebe nach Verletzungen spielen. Eine Studie des Max-Planck-Instituts für Biologie des Alterns und des Exzellenzclusters CECAD in Köln hat gezeigt, dass eine akute Verletzung und eine Störung der Blut-Hirn-Schranke die Bildung eines mit Mitochondrien angereicherten Zellbereichs innerhalb der Astrozyten auslösen. Diese Anreicherung mit Mitochondrien erfolgt im perivaskulären Bereich der Astrozyten, der benachbarte Mikrogefäße unmittelbar umschließt. Auf diese Weise wird den geschädigten Gefäßen eine Wiederherstellung ermöglicht.

Diese Erkenntnisse könnten neue Therapieansätze zur Verbesserung der Erholung des Gehirns nach traumatischen Verletzungen oder Schlaganfällen ermöglichen.

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