Die Huntington-Krankheit, auch bekannt als Chorea Huntington oder Morbus Huntington, ist eine seltene, vererbbare Erkrankung des Gehirns, die durch einen fortschreitenden Untergang von Nervenzellen gekennzeichnet ist. Diese neurodegenerative Erkrankung führt zu einer Kombination von motorischen, kognitiven und psychiatrischen Symptomen, die die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen.
Frühe Beobachtungen und die Beschreibung durch George Huntington
Die Huntington-Krankheit wurde erstmals im Jahr 1872 von dem amerikanischen Arzt George Huntington wissenschaftlich beschrieben und nach ihm benannt. Huntington stützte sich bei seinem Bericht auf die Erfahrungen seines Vaters und Großvaters, die ebenfalls als Ärzte in East Hampton, New York, tätig waren. Die Ärztefamilie konnte zusammen fast 80 Jahre und somit mehrere Generationen ihrer Patienten-Familien überblicken. Seine Beobachtungen basierten auf den Patientenakten seines Vaters und Großvaters, die seit etwa 1800 ohne Unterbrechung auf Long Island praktizierten. Dort traten über Generationen immer wieder Fälle von erblicher Chorea auf, wie der junge Huntington mittels dieser Aufzeichnungen sowie Familienbefragungen diagnostizierte. Die von den Angehörigen oft verschämt als „jene Störung“ bezeichneten Fälle lieferten ihm wertvolles Material für seine Stammbaumforschung.
Huntington erkannte als Erster, dass Nachkommen bei Erreichen des Erwachsenenalters mit hoher Wahrscheinlichkeit erkranken, wenn ein Elternteil betroffen ist, dass jedoch das Leiden, wenn es in einer Generation nicht auftritt, sich in der nächsten nicht erneut manifestiert. Huntingtons geniale Leistung bestand in der Entdeckung der erblichen Chorea als eigenständiger Krankheit und der Abgrenzung von anderen Chorea-Formen.
Sir William Osler, einer der einflussreichsten Mediziner des späten 19. Jahrhunderts, lobte Huntingtons Aufsatz "On Chorea" als eine exakte und zutreffende Beschreibung der Krankheit.
Die Namensgebung und frühe Assoziationen
Unwillkürliche zuckende Bewegungen von Kopf, Armen, Beinen und Händen, aber auch des Rumpfs, bis hin zu einem charakteristischen tänzelnden Gang: Diese Symptome hatten der Krankheit bereits im Mittelalter den - mittlerweile veralteten - Namen Veitstanz eingebracht. Der heilige Veit wurde als Schutzheiliger im christlichen Volksglauben angerufen, die Erkrankung zu heilen, da er der Legende nach zu seinen Lebzeiten ein Kind von der Krankheit befreit hatte. Früher wurde die Erkrankung auch Chorea Huntington genannt. Die oft unwillkürlich auftretenden Bewegungen und Muskelkontraktionen geben der Erkrankung dabei ihren Namen („choreia“ griechisch für „Tanz“).
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Die Entdeckung des Gens
Ein entscheidender Durchbruch gelang im Jahr 1993 mit der Entdeckung des Gens, das die Huntington-Krankheit verursacht. Ursache ist eine Veränderung (Mutation) auf Chromosom 4 im „huntingtin“-Gen, das 1993 entdeckt wurde. Dieses Gen enthält den Bauplan für das Huntingtin-Protein. Bei gesunden Menschen gibt es im sogenannten Huntington Gen einige Wiederholungen der drei Basen Cytosin, Adenin und Guanin (abgekürzt CAG). Wenn sich die CAG-Sequenz im Gen übermäßig oft wiederholt, führt dies zur Produktion einer fehlerhaften Form des Huntingtin-Proteins. Ab zirka 36 Wiederholungen bricht die Krankheit aus. Die Zahl der Wiederholungen nimmt von einer Generation zur nächsten häufig zu. Die Faustregel: Je mehr CAGs, umso früher bricht die Krankheit aus und umso rascher schreitet sie voran.
Dieses mutierte Protein lagert sich in den Nervenzellen des Gehirns ab und schädigt diese, was letztendlich zum Zelltod führt. Die Huntington-Krankheit wird autosomal-dominant vererbt. Das bedeutet, wenn man den verursachenden Gendefekt hat, wird sich die Erkrankung entwickeln, meist zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr. Das Erkrankungsrisiko von Kindern betroffener Patient*innen liegt bei 50 Prozent.
Symptome der Huntington-Krankheit
Die Symptome der Huntington-Krankheit äußern sich schleichend durch eine Kombination von motorischen (Bewegung), Verhaltens- (z.B. Stimmung) und kognitiven (z.B. Verständnis) Störungen. Die Bewegungsstörung kann ungewollte und unregelmäßige, teils überschwängliche, ausladende Bewegungen, sogenannte Überbewegungen (Hyperkinesien) umfassen. Des Weiteren kann es zu Störungen der Aussprache (Dysarthrie) und Schluckbeschwerden (Dysphagie) kommen.
Zu den kognitiven Störungen zählen zunächst leichte Störungen der Konzentration, Aufmerksamkeit und des Gedächtnisses. Das Denken kann umständlich und verlangsamt sein. Es fällt schwer, komplexe Aufgaben zu bewältigen.
Psychiatrische Störungen können Verhaltensauffälligkeiten wie eine vermehrte Reizbarkeit und Aggressivität sein. Bei der Huntington-Krankheit handelt es sich um eine vererbbare Erkrankung. Das bedeutet, dass man die Erkrankung in der Regel von einem Elternteil vererbt bekommt.
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Diagnose und Verlauf
Die Huntington-Krankheit ist eine fortschreitende Erkrankung. Als prämanifestes Stadium bezeichnet man die Phase, bevor Symptome auftreten. Wenn erste leichte Symptome auftreten, spricht man von der prodromalen Phase, ein „Vorläuferstadium“. Die meisten Patienten mit der Huntington-Krankheit erkranken zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr. Wie schnell der Krankheitsverlauf voranschreitet, ist von Person zu Person sehr unterschiedlich.
Ob eine Person ein verändertes Huntington-Gen besitzt, wird mit einer sogenannten molekulargenetischen Diagnostik untersucht. Dafür ist eine Blutentnahme nötig. Von der molekulargenetischen Diagnostik ist die klinische Diagnose zu unterscheiden. Hierfür ist eine neurologische Untersuchung von einem erfahrenen Arzt oder Ärztin nötig, um festzustellen, ob die Person Symptome der Huntington-Krankheit zeigt. Hierzu gehören eine körperliche Untersuchung und eine ausführliche Erhebung der Vorerkrankungen und Familiengeschichte.
Therapie und aktuelle Forschung
Die medikamentöse Therapie erfolgt in Abhängigkeit der jeweils vorliegenden Symptome. So können gegen Bewegungsstörungen (insbesondere die Überbewegungen) Neuroleptika (Antipsychotika) verschrieben werden. Diese Therapien zur Linderung von Huntington-Symptomen umfassen körperliches Training und Krankengymnastik (Physiotherapie). Es ist wichtig, dass diese regelmäßig durchgeführt werden. Man kann damit gar nicht früh genug beginnen.
Ziel des gemeinnützigen Forschungsnetzwerks EHDN - European Huntington´s Disease Network ist es in erster Linie, die Forschung an der Huntington-Krankheit zu fördern und die Durchführung von klinischen Studien zu erleichtern. „Derzeit gibt es noch keine Heilung der Krankheit“, so Prof. Dr. Landwehrmeyer. „Die einzelnen Symptome können aber durch Therapien und Medikamente gelindert und die Lebensqualität der Betroffenen dadurch verbessert werden.“
Wissenschaftler nähern sich einer vielversprechenden neuen Strategie zur Verlangsamung der Huntington-Krankheit, indem sie auf die somatische Expansion abzielen. Eine neue Studie des Yang-Labors an der UCLA zeigt, dass die Blockierung bestimmter DNA-Reparaturgene - insbesondere Msh3 und Pms1 - die schädliche Ausbreitung von CAG-Wiederholungen in Gehirnzellen von Mäusen verringern kann. Diese genetische Veränderung schien viele der molekularen Veränderungen, die bei der Huntington-Krankheit auftreten, rückgängig zu machen, die Gesundheit des Gehirns zu verbessern und sogar die Bewegungsfähigkeit von Mäusen wiederherzustellen.
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Eine neue Studie des University College London zielt auf die somatische Expansion ab, indem sie zeigt, dass die Senkung eines wichtigen DNA-Reparaturproteins namens MSH3 die schädlichen C-A-G-Wiederholungsexpansionen stoppen könnte, von denen einige Wissenschaftler annehmen, dass sie die Ursache der HK sind. Mit Hilfe eines Gentherapieansatzes, der so genannten Antisense-Oligonukleotide (ASOs), schienen die Forscher diese Erweiterungen in laborgezüchteten HK-Gehirnzellen zu stoppen - und in einigen Fällen sogar umzukehren. Noch besser: Die Behandlung schien in einem speziellen Mausmodell gut verträglich zu sein, was die Voraussetzungen für künftige klinische Studien schafft.
Die Rolle des Europäischen Huntington-Netzwerks (EHDN)
Um die Erforschung der Huntington-Erkrankung voranzutreiben, gründeten einige Zentren in Europa 2003 das Europäische Huntington-Netzwerk (EHDN). Dieses Netzwerk bündelt die Anstrengungen von Ärzten, Grundlagenwissenschaftler, Pflegekräften, Therapeuten, aber auch Patienten und Angehörigen, um neue Therapien für die Huntington-Erkrankung zu entwickeln. Inzwischen gibt es über 140 Zentren in 17 Ländern Europas. Seit August 2010 ist die Bewegungsambulanz der Neurologischen Klinik am Universitätsklinikum Erlangen zertifiziertes Zentrum des EHDN. Dies bedeutet zum einen, dass Patienten nach den europäischen Standards behandelt werden und z. B. innerhalb des großen europäische Patientenregisters REGISTRY regelmäßig standardisiert untersucht werden können. Außerdem können Patienten schneller in Medikamentenstudien eingeschlossen werden. Schließlich fördert das EHDN auch die Grundlagenforschung zur Huntington-Erkrankung.
Herausforderungen und Unterstützung
Dies bringt nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für die Angehörigen viele Herausforderungen mit sich, oft einhergehend mit finanziellen Problematiken und Kontrollverlusten. Erschwerend kann zudem sein, dass viele Betroffene ihre eigenen Symptome oft nicht wahrnehmen.
Deutschlandweit gibt es gut organisierte Selbsthilfegruppen für Betroffene und Angehörige.
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