Okuläre Myasthenie: Ursachen, Symptome und Therapie

Die okuläre Myasthenie ist eine Form der Myasthenia gravis, einer Autoimmunerkrankung, die durch Muskelschwäche gekennzeichnet ist. Bei der okulären Myasthenie sind vor allem die Muskeln betroffen, die für die Bewegung der Augenlider und der Augen verantwortlich sind. Dies führt zu Symptomen wie Ptosis (hängende Augenlider) und Diplopie (Doppelbilder).

Ursachen der okulären Myasthenie

Die Ursachen der okulären Myasthenie sind vielfältig und noch nicht vollständig geklärt. Bekannt ist, dass es sich um eine Autoimmunerkrankung handelt, bei der das Immunsystem fälschlicherweise Antikörper gegen körpereigene Strukturen bildet. Bei der Myasthenia gravis richten sich diese Auto-Antikörper gegen die Andockstellen (Rezeptoren) für den Botenstoff Acetylcholin. Dieser Botenstoff ist wichtig für die Signalübertragung vom Gehirn zum Muskel. Um ein Signal aus dem Gehirn an die Muskeln weiterzuleiten, wird nämlich das elektrische Signal am Ende eines Nervs in ein chemisches Signal umgewandelt, das die Muskeln erregt. Dazu werden Botenstoffe (Transmitter) ausgeschüttet. Diese binden an den Muskelzellen an spezifische Rezeptoren. So werden die Muskelzellen erregt und der Muskel zieht sich zusammen (kontrahiert). Für eine einzelne Bewegung werden viele solcher Signale miteinander kombiniert und zu einer gerichteten Bewegung zusammengeführt.

Bei Myasthenia gravis werden die Rezeptoren an den Muskelzellen teilweise oder ganz blockiert oder sogar zerstört. Dadurch erhält der Muskel weniger oder gar keine Signale mehr aus dem Gehirn. Bei weniger Signalen sind lediglich die Präzision und die Kraft der Bewegungen vermindert. Kommen gar keine Signale mehr an, ist der Muskel gelähmt. Diese schwere Form der Myasthenia gravis ist sehr selten.

Einige Risikofaktoren und Begleiterkrankungen können das Auftreten einer Myasthenie begünstigen:

  • Thymus-Veränderungen: Wissenschaftler vermuten einen Zusammenhang zwischen Myasthenia gravis und krankhaften Veränderungen des Thymus. Der Thymus ist ein Organ hinter dem Brustbein, in dem im Kindesalter verschiedene Zellen des Immunsystems (auch Antikörper) gebildet werden. Bei etwa 10 Prozent aller Myasthenia-gravis-Patienten liegt ein Tumor im Thymus vor (Thymom), bei etwa 70 Prozent aller Patienten lässt sich im Thymus eine gesteigerte Aktivität nachweisen (Thymitis).
  • Genetische Veranlagung: Die Fehlfunktion des Immunsystems basiert auf einer genetischen Veranlagung für Autoimmunerkrankungen.
  • Weitere Autoimmunerkrankungen: Myasthenia gravis tritt häufig bei Patientinnen und Patienten auf, die bereits an einer anderen Autoimmunerkrankung leiden, zum Beispiel an rheumatoider Arthritis, systemischem Lupus erythematodes und Erkrankungen mit Überaktivität der Schilddrüse (autoimmune Hyperthyreose), wie etwa Hashimoto-Thyreoiditis.
  • Medikamente: Viele Medikamente beeinträchtigen die Signalübertragung von Nerv zu Muskel und maskieren oder verschlechtern so potenziell eine Myasthenia gravis. Myasthenia-gravis-Patienten haben eine stark erhöhte Empfindlichkeit gegenüber bestimmten muskelentspannenden Substanzen (Muskelrelaxans), bei denen die Dosis angepasst werden muss. Auch bei weiteren Wirkstoffgruppen besteht das Risiko, dass diese die Symptome verschlechtern. Dazu zählen einige Medikamente aus den folgenden Wirkstoffklassen: Beruhigungsmittel wie Benzodiazepin, Antibiotika, Antirheumatika, Betablocker, Antimalariamittel, Botulinum-Toxin und Entwässerungsmedikamente (Diuretika). Die beiden Wirkstoffe D-Penicillamin und Chloroquin, die beispielsweise zur Behandlung rheumatischer Erkrankungen eingesetzt werden, sollten bei Myasthenia gravis vermieden werden.
  • Äußere Faktoren: Es gibt Hinweise darauf, dass Schwankungen in der Ausprägung der Symptome durch äußere Faktoren wie Infektionen, Entzündungen, seelische und psychische Belastungen wie Stress sowie weitere bestehende Erkrankungen hervorgerufen werden. Dieser Zusammenhang ist jedoch nicht abschließend geklärt.

Symptome der okulären Myasthenie

Die okuläre Myasthenie äußert sich vor allem durch Symptome, die die Augen betreffen:

Lesen Sie auch: Was Sie über okuläre Myasthenie wissen sollten

  • Ptosis: Ein oder beide Augenlider hängen herab. Die Oberlidschwäche kann ein- oder beidseitig auftreten.
  • Diplopie: Es kommt zu Doppelbildern, da die Augenmuskeln nicht mehr richtig zusammenarbeiten.
  • Verschwommensehen: Betroffene können verschwommen sehen.
  • Müde Augen: Die Augen fühlen sich müde und schwer an.
  • Anstrengung beim Sehen: Lesen, Fernsehen, Bildschirmarbeit oder grelle Beleuchtung strengen die Augen besonders an.

Die Symptome können im Tagesverlauf variieren und sich bei Anstrengung verschlimmern. Typisch für die Myasthenie sind die Erholung in Ruhe und eine Verschlechterung der Lähmungen durch fieberhafte Infekte, Stress, hormonelle Schwankungen und bestimmte Medikamente.

Bei etwa 15 Prozent der Erkrankten bleibt die Myasthenia gravis okulär, das heißt rein auf die Augen beschränkt. Oftmals dehnt sich die Symptomatik von der erstbetroffenen Muskelgruppe auf weitere Muskelgruppen aus - im Verlauf können Kau-, Schluck- und Sprechmuskulatur, Schultergürtel-, Oberarm-, Becken- und Oberschenkelmuskulatur betroffen sein - letztlich die gesamte Willkürmuskulatur unter Einbeziehung der Atmung.

Diagnose der okulären Myasthenie

Die Diagnose der okulären Myasthenie umfasst verschiedene Untersuchungsmethoden:

  • Anamnese: Der Arzt erfragt die Krankengeschichte und die genauen Beschwerden des Patienten.
  • Klinische Untersuchung: Es werden verschiedene Tests durchgeführt, um die Muskelfunktion zu beurteilen. Dazu gehören der Simpson-Test (der Patient soll über eine Minute lang aufwärts schauen) und Halteversuche (es sollen nacheinander die Arme, die Beine und der Kopf angehoben und für ca. 90 Sekunden gehalten werden). Auch der Einsatz von Eis im Rahmen des sog. Eisbeutel-Tests kann zur Diagnose herangezogen werden.
  • Neurologische Untersuchung: Der Arzt untersucht die Nervenfunktion und die Reflexe.
  • Elektrophysiologische Untersuchung: Bei der elektrophysiologischen Untersuchung wird der motorische Nerv, der zu dem betroffenen Muskel führt, mit einem niederfrequenten Impuls mehrfach stimuliert (Serienstimulation).
  • Blutuntersuchung: Im Blut werden spezifische Auto-Antikörper nachgewiesen (Acetylcholinrezeptor-Antikörper oder Anti-MuSK-Antikörper). Allerdings sind bei 50 % der Betroffenen mit ausschließlich Augensymptomen und bei 15 % der Betroffenen mit einer generalisierten Myasthenie-Symptomatik keine AChR-Antikörper nachweisbar. Zusätzlich sucht der Arzt nach Hinweisen auf eine begleitende Autoimmun-Erkrankung oder andere Krankheiten mit ähnlichen Symptomen.
  • Bildgebende Verfahren: Um die Ursache von Myasthenia gravis zu ermitteln beziehungsweise genauer zu erforschen, wird in vielen Fällen eine bildgebende Diagnostik (Magnetresonanztomografie (MRT), Computertomografie (CT) oder Röntgen) durchgeführt, bei der der Thymus genauer untersucht wird, um einen überproduktiven Thymus oder einen Tumor im Thymus zu erkennen.

Differenzialdiagnostisch müssen andere Erkrankungen ausgeschlossen werden, die ähnliche Symptome verursachen können, wie z. B. endokrine Orbitopathie, chronische orbitale (Pan)Myositis, okuläre Manifestation einer Myasthenia gravis, okulopharyngeale Muskeldystrophie, myotone Dystrophie Typ 1, Abetalipoproteinämie sowie die Refsum-Krankheit. In seltenen Fällen können HIV-Erkrankte, die eine antiretrovirale Therapie erhalten, ein CPEO-ähnliches Syndrom entwickeln.

Therapie der okulären Myasthenie

Die Therapie der okulären Myasthenie zielt darauf ab, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Es gibt verschiedene Behandlungsmöglichkeiten:

Lesen Sie auch: Behandlung okulärer Myasthenie mit Medikamenten

  • Medikamentöse Therapie:
    • Acetylcholinesterase-Hemmer: Diese Medikamente verbessern die Signalübertragung zwischen Nerven und Muskeln, indem sie den Abbau des Botenstoffs Acetylcholin hemmen. Dadurch wird die Schwäche der Muskeln in der Regel aufgehoben. Oft wird berichtet, dass die Muskulatur der Extremitäten besser auf diese Therapie anspricht als die Muskulatur im Gesicht. Meist wird der Wirkstoff Pyridostigmin-Bromid verwendet. Dieser ist als Tablette oder zur Injektion entweder in den Muskel (intramuskulär, i.m.) oder die Vene (intravenös, i.v.) erhältlich. In schweren Fällen oder bei einer nachgewiesenen Unverträglichkeit werden Neostigmin oder Pyridostigmin verwendet.
    • Immunsuppressiva: Glukokortikoide oder Azathioprin schwächen die für Myasthenia gravis spezifischen Antikörper ab und verringern so die Symptome. Bei der generalisierten Form der Myasthenia gravis mit Nachweis von Antikörpern gegen Acetylcholin-Rezeptoren mit milder / moderater Krankheitsaktivität bzw. ‑schwere sind ebenfalls Glukokortikoide und / oder Azathioprin die Therapie der ersten Wahl. Als zweite Wahl werden Glukokortikoide und / oder Mycophenolat-Mofetila, Ciclosporin Aa, Methotrexata bzw. Azathioprin in Betracht gezogen. Liegt eine generalisierte Myasthenia gravis mit hoher Krankheitsaktivität bzw. ‑schwere mit Nachweis von Antikörpern gegen Acetylcholin-Rezeptoren vor, können Glukokortikoide und/oder ein weiterer immunsuppressiver Wirkstoff angezeigt sein. Zusätzlich können unterschiedliche zielgerichtete Therapien, sogenannte Biologika, als Mittel der ersten Wahl eingesetzt werden. Bei nachgewiesenen Acetylcholin-Rezeptor-Antikörpern werden - zum Teil zusätzlich zur Standardtherapie - sogenannte Komplement-Inhibitoren (Eculizumab, Ravulizumab, Zilucoplan), FcRn-Hemmer (Efgartigimod, Rozanolixizumab) oder Anti-CD-20 Antikörper (Rituximab)a empfohlen. Zweite Wahl sind intravenöse Immunglobuline (IVIG) bzw. die Blutwäscheverfahren Plasmapherese und Immunadsorption. Werden im Blut Antikörper gegen MuSK festgestellt, erfolgt die Behandlung bei milder / moderater Krankheitsaktivität bzw. ‑schwere identisch wie bei Acetylcholin-Rezeptoren-Antikörper-positiven Patientinnen / Patienten. Bei hoher Krankheitsaktivität bzw. ‑schwere stehen unterschiedliche weitere Therapieoptionen zur Verfügung.
  • Thymektomie: Bei Patienten zwischen 15 und 50 Jahren wird eine Entfernung des Thymus möglichst früh nach der Diagnose empfohlen. Bei Kindern bis zu 15 Jahren sollte der Thymus erst entfernt werden, wenn mit einer medikamentösen Therapie keine Besserung erzielt wird, da der Thymus im Kindesalter noch wichtige Funktionen erfüllt. Ist ein Thymom nachgewiesen worden, so ist eine Thymektomie indiziert, unabhängig von der Ausprägung der Myasthenie. Eine Studie hat ergeben, dass die frühe operative Entfernung des Thymus die Symptome verbessert.
  • Weitere Therapiemaßnahmen:
    • Physiotherapie: Viele Patienten mit Myasthenia gravis profitieren von einer Physiotherapie.
    • Logopädie: Bei chronischen Schluckbeschwerden bietet sich die Schlucktherapie durch einen ausgebildeten Logopäden an.
    • Hilfsmittel: Bei hängenden Lidern können Hilfsmittel wie etwa ein Lidretraktor an der Brille, ein durchsichtiges Klebeband oder auch eine Raffung des betroffenen Augenlids zu einer verbesserten Sicht führen. Doppelbilder können vorübergehend durch wechselseitiges Abdecken eines Auges bzw. langfristig beispielsweise durch Prismenfolien für Brillengläser behandelt werden. In manchen Fällen kann auch eine Schielkorrekturoperation angezeigt sein.

Umgang mit der okulären Myasthenie

Neben der medizinischen Behandlung können Betroffene selbst einiges tun, um mit der okulären Myasthenie besser umzugehen:

  • Belastung vermeiden: Eine übermäßige Belastung kann die Beschwerden verstärken. Die Muskelschwäche lässt sich nicht „wegtrainieren“. Regelmäßige Bewegung ist jedoch auch bei Myasthenia gravis sinnvoll. Vor allem, wenn auch weitere Muskeln deines Körpers betroffen sind, solltest du Sportarten wählen, bei denen die Belastungsintensität und -ausdauer einfach dosiert werden können, z. B. einen täglichen Spaziergang. Sprich dazu am besten vorher mit deinem Arzt.
  • Gewicht normalisieren: Wenn du übergewichtig bist, ist es auch hilfreich, dein Körpergewicht zu normalisieren, um deine Muskeln zu entlasten.
  • Ausgewogene Ernährung: Eine ausgewogene Ernährung ist sinnvoll, einem maßvollen Alkoholkonsum spricht dabei meist nichts entgegen. Allerdings solltest du aufgrund des Chiningehalts auf Bitterlimonaden verzichten.
  • Stress reduzieren: Seelische und psychische Belastungen können die Symptome verschlimmern.
  • Unterstützung suchen: Wenn die Krankheitsbewältigung für dich eine Herausforderung ist und z. B. Ängste oder depressive Verstimmungen auftreten, kann eine psychotherapeutische Behandlung hilfreich sein.

Lesen Sie auch: Einblicke in die okuläre Myasthenie Gravis

tags: #okulare #Myasthenie #Ursachen #Symptome #Therapie