Okuläre Myasthenie Medikamente: Ein umfassender Überblick

Die Myasthenia gravis (MG), eine seltene neurologische Erkrankung, manifestiert sich durch Muskelschwäche, die sich bei Belastung verstärkt und nach Ruhephasen bessert. Ursächlich ist eine Autoimmunreaktion, bei der Antikörper gegen den nikotinergen Acetylcholin-Rezeptor an der neuromuskulären Endplatte gebildet werden. Diese Antikörper blockieren und zerstören die Rezeptoren, was die Reizübertragung zum Muskel beeinträchtigt.

Epidemiologie und Krankheitsbild

Die Myasthenie betrifft etwa 1 von 5000 Personen, mit einer Inzidenz von 10 Neuerkrankungen pro Million Einwohner. In den letzten Jahren scheint die Erkrankung häufiger aufzutreten, möglicherweise aufgrund verbesserter Diagnostik und höherer Lebenserwartung. Die Symptome und der Schweregrad der Muskelschwäche variieren stark, von minimalen Beeinträchtigungen bis hin zu lebensbedrohlichen Notfällen. Unbehandelt kann sich die Muskelschwäche ausweiten und neben den Augen- und Gesichtsmuskeln auch die Kopfhalte-, Extremitäten- und Atemmuskulatur betreffen.

Grundsätzlich kann die Myasthenia gravis in jedem Alter auftreten, wobei zwei Erkrankungsgipfel um das 30. und 70. Lebensjahr erkennbar sind. Im jüngeren Alter sind häufiger Frauen betroffen, während im höheren Alter eher Männer erkranken.

Ursachen und Pathophysiologie

Die Myasthenia gravis ist eine Autoimmunerkrankung, bei der Autoantikörper gegen Proteine der neuromuskulären Endplatte, insbesondere den Acetylcholin-Rezeptor, nachgewiesen werden können. Die genaue Ursache für die Entstehung dieser Autoantikörper ist bis heute unbekannt. Es wird vermutet, dass genetische Faktoren, Virus- oder Bakterieninfektionen (molekulare Mimikry) oder Myoidzellen des Thymus eine Rolle spielen könnten. Bei vielen Patienten mit Myasthenia gravis liegt eine morphologische Veränderung des Thymus vor, wie z. B. Hyperplasie oder ein Thymom.

Merkmale der neuromuskulären Transmission

Acetylcholin (ACh) und seine nicotinergen Acetylcholin-Rezeptoren (AChR) spielen eine zentrale Rolle bei der neuromuskulären Übertragung. Ein Aktionspotential im Motoneuron führt zur Freisetzung von ACh, das an die AChR auf der Muskelzelle bindet und dort Natriumkanäle öffnet, was zur Muskelkontraktion führt. Das freigesetzte ACh wird rasch durch eine Esterase gespalten, und das Cholin wird in die Nervenzelle aufgenommen und recycelt.

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Bei Myasthenia gravis werden Autoantikörper gegen die AChR gebildet, die deren Zerstörung bewirken. Wenn mehr als 50 % der AChR inaktiviert sind, treten Muskelermüdungserscheinungen und Lähmungen auf. Neben AChR-Antikörpern können auch Antikörper gegen abbauende Folgeprozesse (z. B. Anti-MuSK) vorkommen, sowie eine Komplement-Aktivierung erfolgen. Dies führt zur Zerstörung der postsynaptischen Muskelzellmorphologie und zum Funktionsverlust der Endplatte.

Exkurs: Lambert-Eaton-Myasthenie-Syndrom (LEMS)

Beim Lambert-Eaton-Myasthenie-Syndrom (LEMS) richten sich Autoantikörper gegen präsynaptische Calciumkanäle, die für die Freisetzung von ACh aus den Vesikeln essentiell sind. Dies führt zu einer raschen Ermüdbarkeit der rumpfnahen Extremitäten.

Klinische Merkmale, Symptomatik und Verlauf

Die Myasthenia gravis beginnt häufig mit okulären Problemen wie Sehstörungen (Doppelbilder) und Ptosis (hängendes Augenlid). Im weiteren Verlauf können bulbäre Symptome (Kau-, Schluck-, Sprechstörungen) hinzukommen. In vielen Fällen breitet sich die Muskelschwäche auf weitere Bereiche der Willkürmotorik aus, wie z. B. Nacken, Schulter, Oberarm, Oberschenkel und Atemmuskulatur. In diesem Fall spricht man von einer generalisierten Myasthenia gravis.

Ein wichtiges diagnostisches Merkmal ist die rasche Ermüdbarkeit beanspruchter Muskeln, die sich nach einer Ruhephase wieder erholen können. Die Symptome können im Tagesverlauf variieren, wobei die Muskeltätigkeit am Morgen oft weniger beeinträchtigt ist als im Laufe des Tages.

Klassifikation

Die Myasthenia gravis wird anhand eines Klassifizierungssystems in verschiedene Schweregrade eingeteilt:

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  • Okuläre Myasthenie: Betrifft ausschließlich die Augenmuskeln.
  • Leichte bis mittelschwere generalisierte Myasthenie: Symptome breiten sich auf den gesamten Körper aus.
  • Mittelschwere generalisierte Myasthenie: Weitere Muskelgruppen sind betroffen, und die Symptome sind mittelschwer.
  • Schwere generalisierte Myasthenie: Schwere Symptome, möglicherweise mit Beteiligung der Atemmuskulatur.
  • Intubation: Patient benötigt Intubation und Beatmung.

Weitere Klassifikationsmöglichkeiten berücksichtigen den Krankheitsbeginn, die Antikörper-Spezifitäten und die Thymus-Histologie.

Diagnostik

Die Diagnose der Myasthenia gravis basiert auf einer gründlichen Anamnese, klinischen Befunden und verschiedenen diagnostischen Tests:

  • Körperliche Untersuchung: Wiederholte Muskelbewegungen zur Feststellung rascher Ermüdbarkeit, Simpson-Test (längeres Nachobenblicken mit Ptosis-Provokation), Einsatz von Kälte-Packs zur Verbesserung der Muskelleistung.
  • Pharmakologische Testung: Pyridostigmin (p. o.) oder Neostigmin (s. c.) zur kurzzeitigen Besserung der Muskellähmung.
  • Elektrophysiologische Untersuchung: Repetitive Nervenstimulation zur Feststellung einer Amplitudenabnahme (Dekrement) des Nervs, der den Muskel versorgt.
  • Labor: Nachweis von Antikörpern im Serum, insbesondere gegen AChR, MuSK und Lrp4.
  • Bildgebung: CT oder MRT des Brustkorbs zur Feststellung von Veränderungen am Thymus.

Differenzialdiagnosen

Es ist wichtig, die Myasthenia gravis von anderen Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen abzugrenzen, wie z. B.:

  • Lambert-Eaton-Syndrom
  • Multiple Sklerose
  • Muskelschwund und Muskelschmerzen
  • Schlaganfall
  • Hirntumor
  • Endokrine Orbitopathie
  • Episodische dyskaliämische Lähmungen
  • Kongenitale myasthene Syndrome

Therapeutische Möglichkeiten

Die Therapie der Myasthenia gravis zielt darauf ab, die Muskellähmungen zu reduzieren, die weitere Progredienz zu verhindern und lebensbedrohlichen Krisen vorzubeugen. Die Therapie wird individuell an den Verlauf, den aktuellen Krankheitszustand, die Verträglichkeit und das Ansprechen auf die Maßnahmen angepasst.

Therapieprinzipien

  • Symptomatische Basis-/Dauermedikation mit Cholinesterase-Inhibitoren: Diese Medikamente erhöhen die Verfügbarkeit von Acetylcholin an der neuromuskulären Endplatte und verbessern die Muskelkraft.
  • Immunsuppressive Dauertherapie: Immunsuppressiva wie Glukokortikoide, Azathioprin, Mycophenolat-Mofetil, Cyclosporin A oder Methotrexat werden eingesetzt, um die Autoimmunreaktion zu unterdrücken und die Bildung von Autoantikörpern zu reduzieren.
  • Thymektomie: Die operative Entfernung des Thymus kann bei Patienten mit Thymom oder Thymushyperplasie sinnvoll sein, insbesondere bei jüngeren Erwachsenen.
  • Plasmapherese und Immunglobuline: Diese Behandlungen werden bei akuten Verschlechterungen (myasthenen Krisen) eingesetzt, um die Autoantikörper aus dem Blut zu entfernen oder zu neutralisieren.
  • Reserve-Optionen: In bestimmten Fällen können auch Antikörper bzw. Komplement-Inhibitoren eingesetzt werden.

Medikamentöse Therapie im Detail

  • Cholinesterasehemmer: Pyridostigminbromid ist das Mittel der Wahl für die Langzeitbehandlung. Mögliche Nebenwirkungen sind Übelkeit, Diarrhö, Akkommodationsstörungen und Bradykardien.
  • Glukokortikoide: Werden häufig in Kombination mit Azathioprin eingesetzt, um eine rasche Symptomverbesserung zu erzielen. Aufgrund der vielfältigen Nebenwirkungen sollte die Dosis möglichst niedrig gehalten werden.
  • Immunsuppressiva: Azathioprin, Mycophenolat-Mofetil, Cyclosporin A oder Methotrexat werden eingesetzt, um die Autoimmunreaktion langfristig zu unterdrücken.
  • Biologika: Eculizumab, Ravulizumab, Zilucoplan (C5-Komplement-Inhibitoren) sowie Efgartigimod und Rozanolixizumab (FcRn-Inhibitoren) sind neuere Therapieoptionen, die gezielt in den Autoimmunprozess eingreifen.

Myasthene Krise

Eine myasthene Krise ist eine lebensbedrohliche Exazerbation der Erkrankung, bei der vor allem die Atemmuskulatur betroffen ist. Häufige Auslöser sind Infektionen, Medikamente oder Medikamenteneinnahmefehler. Die Behandlung erfolgt intensivmedizinisch mit Beatmung, intravenösen Immunglobulinen oder Plasmapherese.

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Leben mit Myasthenia gravis

Die Myasthenia gravis ist eine chronische Erkrankung, die jedoch in vielen Fällen gut behandelbar ist. Mit einer adäquaten Therapie ist eine minimale Krankheitsmanifestation oder sogar eine komplette Remission möglich. Es ist wichtig, den Alltag an die Erkrankung anzupassen, Ruhephasen einzuplanen und körperliche und psychische Belastungen zu vermeiden.

Wichtige Hinweise für Betroffene

  • Reisen: Bei Reisen sollten Therapieintervalle, medizinische Versorgung vor Ort und Klimabedingungen berücksichtigt werden.
  • Impfungen: Immunsupprimierte Patienten dürfen nicht alle Schutzimpfungen erhalten.
  • Schwangerschaft: Bei Kinderwunsch sollte eine Remission der Grunderkrankung angestrebt werden.

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