Die Chorea Huntington, auch Huntington-Krankheit (HK) oder Morbus Huntington genannt, ist eine seltene, vererbbare neurodegenerative Erkrankung des Gehirns. Sie ist gekennzeichnet durch eine Trias von motorischen Symptomen, kognitiven Beeinträchtigungen und psychiatrischen Symptomen. Die Erkrankung führt zu einem fortschreitenden Verlust von Nervenzellen im Gehirn, was zu unwillkürlichen Bewegungen, kognitivem Abbau und psychischen Störungen führt. Die Entdeckung des die Huntington-Krankheit (HK) verursachenden Gens im Jahr 1993 und die damit verbundene Möglichkeit, gezielt nach innovativen Therapien zu suchen, haben in den letzten Jahren zu einer Reihe klinischer Studien geführt, die jedoch bisher keinen krankheitsmodifizierenden Therapieansatz hervorgebracht haben.
Ursachen und Risikofaktoren
Genetische Ursache
Die Ursache der Chorea Huntington ist ein Gendefekt auf Chromosom 4. Betroffen ist eine Region, in der sich die DNA-Bausteine CAG (Cytosin, Adenin und Guanin) mehrfach wiederholen. Bei gesunden Menschen wiederholen sich diese Bausteine zwischen 10 und 30 Mal. Bei Menschen mit Chorea Huntington ist die Anzahl der Wiederholungen jedoch deutlich erhöht. Ab etwa 36 Wiederholungen bricht die Krankheit aus. Je höher die Anzahl der CAG-Wiederholungen, desto früher bricht die Krankheit aus und desto schneller schreitet sie voran. Die Länge der CAG-Wiederholungen bestimmt, ob eine Person an HK erkrankt. Die Anzahl der CAGs in der Allgemeinbevölkerung liegt im Bereich von 6 bis 35 CAG-Wiederholungen, bei ≥ 40 CAG-Wiederholungen zeigt die Mutation volle Penetranz und löst einen Krankheitsprozess aus, der unvermeidlich zu den Symptomen der HK führt. Im Bereich zwischen 36 und 39 CAGs ist eine inkomplette Penetranz bekannt, d. h. die Betroffenen erkranken zu Lebzeiten nicht oder zeigen erst spät erste Symptome. CAG-Wiederholungen zwischen 27 und 35 CAGs (auch als intermediäre Allele bezeichnet) sind in der Regel nicht mit Krankheitssymptomen assoziiert, aber die Möglichkeit der Expansion der CAG-Repeats stellt ein erhöhtes Erkrankungsrisiko für die Nachkommen dar. Das Vorhandensein dieser intermediären Allele ist einer der möglichen Gründe, warum Krankheitsfälle beobachtet werden, obwohl bisher niemand in der Familie erkrankt war. Es besteht eine inverse Beziehung zwischen der Zahl der CAG-Wiederholungen und dem Erkrankungsalter, d. h. eine höhere Wiederholungszahl bedingt ein früheres Auftreten von Symptomen und ein rascheres Fortschreiten der HK.
Vererbung
Die Huntington Krankheit ist genetisch bedingt und wird autosomal dominant vererbt. Das heißt: Gibt ein betroffenes Elternteil das veränderte Gen an seine Kinder weiter, erkranken diese zwangsläufig ebenfalls. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder eines erkrankten Elternteils ebenfalls die Krankheit bekommen, liegt also bei 50 Prozent. Bei etwa einem bis drei Prozent aller Betroffenen sind keine Fälle von Chorea Huntington in der Familie bekannt. Dann kann es sich um eine neu aufgetretene Veränderung im Erbgut handeln.
Wirkung des mutierten Gens
Der verlängerte DNA-Abschnitt führt dazu, dass ein Eiweißstoff namens Huntingtin nicht korrekt hergestellt wird. In der gesunden Form ist Huntingtin für den Körper lebensnotwendig. Die veränderte Form ist jedoch giftig und führt dazu, dass Nervenzellen absterben. Forschende haben herausgefunden, dass die fehlerhafte Form des Eiweißmoleküls entsteht, nachdem das Huntingtin-Gen mit verlängertem CAG-Abschnitt in Boten-RNA (mRNA) übersetzt wurde. Dann heftet sich ein bestimmter Eiweiß-Komplex an den verlängerten Bereich.
Epidemiologie
Die HK ist in allen ethnischen Gruppen endemisch, tritt aber bei Menschen europäischer Abstammung mit 17,2 Fällen pro 100.000 häufiger auf. In Deutschland sind derzeit etwa 10.000 Menschen symptomatisch betroffen, Frauen wie Männer gleichermaßen. Pro Jahr treten einige hundert neue Fälle auf. Schätzungen zufolge könnten etwa 30.000 Menschen in Deutschland das Huntington-Gen in sich tragen.
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Symptome
Die Symptome der Chorea Huntington sind vielfältig und können sich von Person zu Person unterschiedlich äußern. Sie betreffen die Bewegung, das Verhalten und die Persönlichkeit sowie die geistigen Fähigkeiten. Erste Symptome zeigen sich meist im Alter von 35 bis 50 Jahren - seltener auch schon vor dem 20. (juvenile Form) oder nach dem 60. Lebensjahr.
Motorische Symptome
- Chorea: Unwillkürliche, zuckende Bewegungen von Kopf, Armen, Beinen und Händen, aber auch des Rumpfs. Diese Bewegungen werden bei Stress und körperlicher Aktivität stärker und verschwinden im Schlaf fast vollständig. Mit fortschreitendem Krankheitsverlauf wird es für die Betroffenen immer schwerer, Bewegungsabläufe des Alltags zu koordinieren und zu bewältigen. Bei einem kleinen Teil der Patienten kommt es statt der chaotischen Bewegungen zu Muskelsteifheit und Bewegungshemmung.
- Gangstörungen: Der Gang wirkt oft tänzelnd, da es immer wieder zu kurzen, abrupten, nicht kontrollierbaren Bewegungen der Gliedmaßen kommt. Später leidet auch die Balance, die Erkrankten haben dann einen schwankenden Gang. Weil es zunehmend schwieriger wird, die Beine richtig anzuheben, steigt die Stolpergefahr.
- Schluckbeschwerden: Im weiteren Verlauf geht die Kontrolle über die Zungen- und Schlundmuskulatur verloren, so dass Schluckbeschwerden die Nahrungsaufnahme erschweren. Typisch für die Erkrankung ist außerdem das hastige Essen. Betroffene schlingen Speisen hinunter, sobald sie vor ihnen stehen, und kauen dabei oft kaum oder gar nicht.
- Sprachstörungen: Mit fortschreitendem Verlust von Nervenzellen im Gehirn treten auch Sprachstörungen auf.
Psychiatrische Symptome
Neben den motorischen und kognitiven Symptomen der HK führen vor allem psychische Symptome und Verhaltensänderungen zu Leistungseinbußen im Alltag und schränken die Lebensqualität der Betroffenen erheblich ein.
- Verhaltensauffälligkeiten: Viele Patienten werden zunehmend reizbar, aggressiv, depressiv oder enthemmt, andere werden ängstlich. Typisch ist, dass Betroffene zu Wutausbrüchen neigen oder andere ohne ersichtlichen Grund verletzen. Außerdem kann es zu massivem Misstrauen und Kontrollzwang kommen.
- Depressionen: Depressive Symptome zählen mit einer Prävalenz von 30-70 % zu den häufigsten Symptomen bei der HK. Sie treten in allen Stadien der HK auf und sind eng mit Suizidalität und anderen psychiatrischen Komorbiditäten verbunden.
- Angststörungen: Angststörungen treten bei bis zu 50 % der Betroffenen in allen Stadien der Krankheit auf und beginnen oft schon vor dem Auftreten motorischer Symptome. Bei der HK können sich Ängste als Panikattacken, generalisierte Angststörung, isolierte Phobien und soziale Phobien manifestieren.
- Apathie: Antriebstörung sowie Apathie äußern sich in einem Mangel an Interesse und/oder Motivation für Aktivitäten, die früher Spaß gemacht haben, sowie für das tägliche Leben und soziale Interaktionen.
- Zwangsstörungen: Mit dem Fortschreiten der HK können zwangsähnliche Verhaltensmuster auftreten, die Ausdruck einer zunehmenden orbitofrontalen und striatalen Dysfunktion sind.
- Reizbarkeit, Impulsivität und Aggressivität: Impulsivität als Handeln ohne Voraussicht oder Rücksicht auf mögliche Konsequenzen und Reizbarkeit als Zustand der Ungeduld und Intoleranz treten bei der HK häufig gemeinsam auf.
- Psychotische Symptome: Psychotische Symptome (Wahnvorstellungen, Halluzinationen) werden in der Literatur zur HK meist mit einer Prävalenz von ca. 10 % angegeben, wobei Wahnvorstellungen häufiger als Halluzinationen zu beobachten sind.
Kognitive Symptome
Mit fortschreitendem Verlust von Nervenzellen im Gehirn gehen auch geistige Fähigkeiten verloren, wobei sich dies individuell verschieden äußern kann, etwa durch Interessensverlust, Konzentrationsstörungen und Vergesslichkeit. Die Urteilsfähigkeit schwindet, das Lernen und Planen fällt zunehmend schwer.
- Kognitive Beeinträchtigung: Die kognitive Beeinträchtigung beginnt sehr früh und schreitet wie die motorischen Symptome allmählich voran. HK-Patienten können Probleme mit der Aufmerksamkeit, der kognitiven Flexibilität, der Planung, dem Erkennen von Emotionen und eine psychomotorische Verlangsamung haben.
- Demenz: Im späteren Verlauf der Erkrankung kommt es bei fast allen Patienten zu einer Demenz.
Stadien der Erkrankung
Darüber hinaus wurde zu Forschungszwecken eine neue Klassifikation - das Huntington’s Disease Integrated Staging System (HD-ISS) - eingeführt, die Personen von Geburt an charakterisiert, beginnend mit Stadium 0 (d. h. Personen mit der genetischen Mutation für die Huntington-Krankheit ohne nachweisbare Pathologie), dem Fortschreiten der Huntington-Krankheit anhand messbarer Indikatoren (z. B. Magnetresonanztomographie, MRT) der zugrunde liegenden Pathologie (Stadium 1), einem nachweisbaren klinischen Phänotyp (Stadium 2) und schließlich dem funktionellen Abbau (Stadium 3).
Diagnose
Die Diagnose der Chorea Huntington basiert auf der Erhebung der Krankengeschichte, der neurologischen Untersuchung und der Familienanamnese.
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- Klinische Untersuchung: Die klinische Diagnose einer manifesten HK basiert aktuell auf dem Vorhandensein motorischer Symptome wie Chorea und Bradykinesie. Psychische Symptome und Verhaltensauffälligkeiten können jedoch schon viele Jahre zuvor auftreten. Die klinische Beurteilung sollte die Erhebung des psychopathologischen Befundes, die neurologische und internistische Untersuchung sowie die Erfassung von Komorbiditäten umfassen. Standardisierte klinische Bewertungsskalen (wie die Unified Huntington’s Disease Rating Scale [UHDRS]) sollten angewendet werden, da sie alle von der HK betroffenen Bereiche (motorisch, psychiatrisch und kognitiv) erfassen und zur Beurteilung des Funktionsniveaus und der Aktivitäten des t dienen.
- Genetische Untersuchung: Durch eine genetische Untersuchung kann die krankhafte Veränderung des Huntington-Gens nachgewiesen werden. Diese Untersuchung darf jedoch erst nach vorhergehender ausführlicher Beratung und frühestens nach Erreichen der Volljährigkeit durchgeführt werden. Molekulargenetische Untersuchungen können zum einen bei Menschen mit Huntington-Symptomen gemacht werden, um die Diagnose zu sichern - das ist eine diagnostische Untersuchung. Jedoch möchten auch einige Menschen mit einem erkrankten Elternteil oder Verwandten wissen, ob die Hirnerkrankung auch bei ihnen zukünftig auftreten wird. Das nennt man eine prädiktive Untersuchung.
Differentialdiagnose
Differenzialdiagnostisch sind andere seltene neurologische Erkrankungen in Erwägung zu ziehen, die der HK ähneln und auch als „HK-Phänokopien“ bezeichnet werden.
Behandlung
Bislang ist Chorea Huntington noch nicht heilbar. Die Therapie zielt darauf ab, die Symptome zu lindern und das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen. Sinnvoll ist hierbei ein multimodales Therapiekonzept, das an den individuellen Krankheitsverlauf angepasst ist.
Medikamentöse Therapie
Verschiedene Medikamente können zur Linderung der Symptome eingesetzt werden. Die medikamentöse Therapie zielt vor allem darauf ab, die überschießenden Bewegungen und die psychischen Symptome zu reduzieren. Viele Patienten benötigen beispielsweise eine Behandlung depressiver oder psychotischer Zustände. Hier ist es besonders wichtig, die Therapie regelmäßig hinsichtlich ihrer Wirksamkeit zu beurteilen und gegebenenfalls anzupassen.
- Chorea: Zur Behandlung der Chorea bei Huntington-Erkrankung werden überwiegend Dopaminrezeptorantagonisten (z. B. Tiaprid, Haloperidol und atypische Neuroleptika) sowie Tetrabenazin eingesetzt. In Deutschland sind zur Behandlung der choreatischen Bewegungsstörung bei Huntington-Erkrankung lediglich Tetrabenazin und Tiaprid zugelassen.
- Psychiatrische Symptome: Bei Bewegungsstörungen, Verhaltensauffälligkeiten oder Depressionen kann der behandelnde Arzt oder die behandelnde Ärztin geeignete Medikamente verschreiben.
Nicht-medikamentöse Therapie
Weiterhin profitieren viele Betroffene von einer begleitenden Ergotherapie sowie krankengymnastischen und logopädischen Übungsbehandlungen. Da der unwillkürliche Bewegungszwang zu einem sehr hohen Energieverbrauch führt und die Erkrankung zu Schluckstörungen führen kann, sollten die meisten Patienten zudem eine spezielle hochkalorische Diät erhalten, um Untergewicht zu vermeiden.
- Ergotherapie:
- Physiotherapie: Diese Therapien zur Linderung von Huntington-Symptomen umfassen körperliches Training und Krankengymnastik (Physiotherapie). Es ist wichtig, dass diese regelmäßig durchgeführt werden. Man kann damit gar nicht früh genug beginnen.
- Logopädie:
- Ernährungstherapie:
Weitere Unterstützungsmaßnahmen
Studien konnten zeigen, dass ein erhöhtes Stresslevel mit einem vermehrten Fortschreiten der Erkrankung einhergeht. Daher ist es besonders wichtig, den Betroffenen eine umfangreiche Unterstützung im Alltag anzubieten und so zu einer möglichst hohen Lebensqualität beizutragen. Dabei können Selbsthilfegruppen oder Vereine eine wichtige Stütze für Betroffene und Angehörige darstellen. Viele Patienten mit Chorea Huntington profitieren zudem von Rehabilitationsmaßnahmen, im Rahmen derer die körperliche und psychische Gesundheit sowie der Umgang mit der Erkrankung im Vordergrund stehen.
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Lebenserwartung und Prognose
Die Chorea Huntington schreitet chronisch fort und kann nicht geheilt werden. Die durchschnittliche Erkrankungsdauer liegt bei etwa 12-15 Jahren, sodass die Lebenserwartung auch maßgeblich davon abhängt, in welchem Alter die Erkrankung auftritt. Das 60. Lebensjahr wird nur von den wenigsten Patienten erreicht. Dennoch können ein individuell angepasstes Behandlungsschema und pflegerische Unterstützung im Alltag dazu beitragen, das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen.
Spezialisten und Anlaufstellen
Huntington Chorea ist eine stetig fortschreitende Erkrankung, die zu einer deutlichen Einschränkung der Lebensqualität und Lebenserwartung führt. Umso wichtiger ist es, dass Patienten eine adäquate Behandlung erhalten. Spezialisiert auf die Diagnostik und Therapie sind Fachärzte für Neurologie. Deutschlandweit gibt es gut organisierte Selbsthilfegruppen für Betroffene und Angehörige. Über Hilfsangebote, die Behandlung, Pflege, richtige Ernährung oder den Umgang mit Verhaltensänderungen informieren Huntington-Zentren und Kliniken sowie die Deutsche Huntington-Hilfe. Das European Huntington’s Disease Network (EHDN) mit Sitz in Ulm ist ein unabhängiges und gemeinnütziges Netzwerk. Es wurde 2003 gegründet und setzt sich dafür ein, die Forschung zur Huntington-Krankheit zu fördern, klinische Studien durchzuführen und die Versorgung und Betreuung von Erkrankten zu verbessern.
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