Chorea Huntington, auch Huntington-Krankheit oder Veitstanz genannt, ist eine seltene, fortschreitende, autosomal-dominant vererbte neurodegenerative Erkrankung des Gehirns. Sie ist durch eine Kombination von unwillkürlichen Bewegungsstörungen (Hyperkinesien), psychischen Auffälligkeiten und kognitiven Einschränkungen gekennzeichnet. Die Erkrankung führt zu einem fortschreitenden Verlust von Nervenzellen, insbesondere im Striatum, einem Teil der Basalganglien, der für die Bewegungssteuerung wichtig ist.
Symptome und Krankheitsverlauf
Die ersten Symptome der Chorea Huntington treten meist im Alter zwischen 30 und 50 Jahren auf, können aber auch früher (juvenile Form) oder später im Leben beginnen. Die Symptome verschlimmern sich im Laufe der Zeit.
Frühe Symptome:
- Psychische Veränderungen: Diese treten oft vor den motorischen Symptomen auf und können sich in Form von Reizbarkeit, Depressionen, Angstzuständen, Zwangsstörungen, aggressivem oder enthemmtem Verhalten äußern. Betroffene ziehen sich möglicherweise von ihrem sozialen Umfeld zurück.
- Kognitive Beeinträchtigungen: Konzentrationsstörungen, Gedächtnisstörungen, Leistungseinschränkungen und verminderte Belastbarkeit können auftreten.
- Motorische Auffälligkeiten: Anfangs können die unwillkürlichen Bewegungen (Chorea) subtil sein und als Unruhe fehlinterpretiert werden. Betroffene bemerken die Bewegungsstörungen in diesem Stadium oft nicht. Es kann zu Überbewegungen (Hyperkinesien, Chorea) oder Bewegungsverarmung (Hypokinese) der Arme, der Beine, im Gesicht kommen. Auch Gleichgewichtsstörungen, Beeinträchtigung der Feinmotorik oder ein Zittern können auftreten.
Fortgeschrittene Symptome:
- Chorea: Die unwillkürlichen, abrupt einschießenden Bewegungen von Gesicht, Gliedmaßen und Rumpf werden deutlicher und beeinträchtigen zunehmend die Alltagstätigkeiten.
- Dysarthrie: Störungen der Aussprache können auftreten.
- Dysphagie: Schluckbeschwerden können die Nahrungsaufnahme erschweren.
- Kognitiver Abbau: Es entwickelt sich häufig eine Demenz.
- Hypokinese, Rigor und Dystonie: An die Stelle von überschießenden Bewegungen treten nun eher ein Erstarren und eine Verlangsamung.
Spätstadium:
- Die Patienten sind meist bettlägerig.
- Die Zungen- und Schlundmuskulatur funktioniert nicht mehr richtig, was zu Sprach- und Schluckstörungen führt.
- Oft sind die Patienten zu dünn, weil die vorausgegangenen überschießenden Bewegungen viel Energie verbraucht haben.
- Auch kognitiv bauen die Betroffenen meist stark ab.
Juvenile Form:
Bei Kindern und Jugendlichen stehen ebenfalls zunächst Verhaltensauffälligkeiten im Vordergrund. Sie fallen dann zum Beispiel in der Schule negativ auf, können sich schlecht konzentrieren, wirken ungeschickt und machen schlechte Lernfortschritte. Das Bewegungsmuster ist anders als bei Erwachsenen: Kinder und Jugendliche verlangsamen und erstarren eher.
Vererbung:
Jedes Kind eines Elternteils, der das Huntington-Gen in sich trägt, hat eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit, das mutierte Gen zu erben. Hat ein Kind das mutierte Gen ererbt, wird es die Krankheit irgendwann entwickeln.
Ursachen und Diagnose
Ursache von Chorea Huntington ist eine Mutation im Huntingtin-Gen (HTT) auf Chromosom 4. Diese Mutation führt zu einer vermehrten Wiederholung des Basentripletts CAG (Cytosin-Adenin-Guanin) im Gen. Bei gesunden Menschen wiederholt sich das Basentriplett CAG etwa 10-26-mal. Eine manifeste Erkrankung tritt ab 40 CAG-Repeats auf. Je mehr CAG-Repeats Patienten aufweisen, desto früher kommt es zur Erkrankung.
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Diagnosestellung:
- Klinische Untersuchung: Eine neurologische Untersuchung durch einen erfahrenen Arzt ist notwendig, um festzustellen, ob die Person Symptome der Huntington-Krankheit zeigt. Hierzu gehören eine körperliche Untersuchung und eine ausführliche Erhebung der Vorerkrankungen und Familiengeschichte.
- Familienanamnese: Da es sich um eine Erbkrankheit handelt, ist die Erhebung der Familienanamnese von besonderer Bedeutung.
- Molekulargenetische Untersuchung: Ein Gentest, der aus 5 ml Blut des Patienten durchgeführt wird, kann die Diagnose sichern. Die molekulargenetische Untersuchung mit Bestimmung der CAG-Repeats im Huntingtin-Gen erfolgt nach Aufklärung des Patienten und dessen Einwilligung.
- Bildgebung: In der zerebralen Bildgebung (cMRT oder bei Kontraindikation cCT) kann eine Atrophie des Nucleus caudatus nachgewiesen werden. Die zerebrale Bildgebung dient auch dem Ausschluss symptomatischer Ursachen und dem Nachweis von Veränderungen, die pathognomonisch für einige als Differentialdiagnosen in Betracht kommende Erkrankungen sind.
Therapieansätze
Chorea Huntington ist derzeit nicht heilbar. Die Behandlung konzentriert sich auf die Linderung der Symptome und die Verbesserung der Lebensqualität der Patienten.
Medikamentöse Therapie:
- Hyperkinesien (Überbewegungen):
- Tetrabenazin: Ein selektiver Hemmer des vesikulären Monoamintransporters 2 (VMAT2), der die Dopamin- und Monoamin-Speicher im Gehirn leert. Es gilt als Mittel der Wahl, kann aber Depressionen verstärken.
- Tiaprid: Ein Dopaminrezeptorantagonist mit dem Nebenwirkungsprofil typischer Neuroleptika.
- Atypische Neuroleptika: Können ebenfalls zur Behandlung von Hyperkinesien eingesetzt werden, insbesondere wenn gleichzeitig psychische Störungen vorliegen.
- Haloperidol: Wurde in mehreren Studien als wirksam beschrieben.
- Depressionen:
- SSRI (Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer): Besonders Venlafaxin scheint effektiv zu sein.
- Sulpirid: Kann bei leichter Depression eingesetzt werden und wirkt gleichzeitig gegen Hyperkinesien.
- Psychosen:
- Antipsychotika: Haloperidol, Olanzapin, Aripiprazol, Risperidon, Quetiapine, Clozapin und Amisulprid können eingesetzt werden.
- Dystonien:
- Tetrabenazin in niedriger Dosierung, Amantadin, Baclofen, Tizanidin und Clonazepam können probiert werden.
- Bradykinesen, Rigidität:
- In einzelnen Fallberichten wird über eine Besserung unter L-Dopa, Amantadin oder Pramipexol berichtet. Dopaminagonisten können bei bradykinetischen Patienten und der juvenilen Westphal-Variante angewendet werden.
- Schlafstörungen:
- Mirtazapin und ggf. Melatonin oder Melatoninagonisten können eingesetzt werden.
Nicht-medikamentöse Therapie:
- Physiotherapie: Regelmäßige Anwendungen mittels Physiotherapie können die Gangsicherheit verbessern.
- Logopädie: Bei Sprach- und Schluckstörungen ist eine logopädische Behandlung wichtig.
- Ergotherapie: Ergotherapeutische Maßnahmen können helfen, den Alltag besser zu bewältigen.
- Ernährung: Eine hochkalorische Ernährung mit sechs bis acht Mahlzeiten pro Tag ist wichtig, um Gewichtsverlust entgegenzuwirken. Bei Schluckstörungen kann das Andicken von Flüssigkeiten hilfreich sein. Je nach Verlauf kann eine frühe PEG-Anlage sinnvoll sein.
- Psychosoziale Maßnahmen: Psychologische und psychosoziale Unterstützung ist für Patienten und Angehörige wichtig. Selbsthilfegruppen können eine wertvolle Hilfe sein.
Aktuelle Forschung und vielversprechende Therapieansätze:
- Gentherapie: Eine experimentelle Gentherapie (AMT-130) hat in frühen Studien den Verlauf der Erkrankung verlangsamt. Diese Therapie zielt darauf ab, die Produktion des fehlerhaften Huntingtin-Proteins zu reduzieren. Allerdings gab es eine Kehrtwende, da die FDA die Daten aus den bisherigen Studien zu AMT-130 nicht länger als ausreichend für das Einreichen eines Zulassungsantrags erachtet.
- Small molecules: Forschende des Uniklinikums Erlangen haben entdeckt, dass ein "small molecule" (Branaplam) den Abbau eines spezifischen Botenmoleküls beschleunigt, wodurch der Huntingtin-Spiegel sinkt.
- Antisense-Oligonukleotide: Ein kausaler Therapieansatz durch den Einsatz von Antisense-Oligonukleotiden wird erforscht.
- Stromal Processing Peptidase (SPP): Ein aus Pflanzen gewonnenes synthetisches Enzym könnte Proteinverklumpungen verhindern, die bei krankhaften Veränderungen in Modellen der Huntington-Krankheit auftreten.
- Stammzelltransplantation: Man versucht, den Zellverlust über Transplantation von Stammzellen in das Gehirn hinein auszugleichen.
- Tiefe Hirnstimulation: Ein weiterer Ansatz ist die Tiefe Hirnstimulation mit experimenteller Implantation eines Hirnschrittmachers.
Leben mit Chorea Huntington
Die Diagnose Chorea Huntington stellt Betroffene und ihre Familien vor große Herausforderungen. Es ist wichtig, sich frühzeitig mit den verschiedenen Aspekten der Erkrankung auseinanderzusetzen, um den Alltag bestmöglich zu gestalten. Dazu gehören:
- Finanzielle Absicherung: Wie kann ich mich finanziell absichern für spätere Phasen der Erkrankung?
- Familienplanung: Weil Huntington mit einer 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit vererbt wird, ist beispielsweise die Auseinandersetzung mit dem Thema Familienplanung wichtig.
- Fahrtauglichkeit: Ist es noch sicher, wenn ich Auto fahre?
Prognose
Die Chorea Huntington ist eine fortschreitende Erkrankung, die nicht geheilt werden kann. Die Lebenserwartung nach dem Auftreten der ersten Symptome beträgt in der Regel 10 bis 30 Jahre. Die meisten Betroffenen sterben an einer Aspirationspneumonie oder einem Infekt.
Spezialisten und Anlaufstellen
Für die Behandlung der Chorea Huntington sind Fachärzte für Neurologie die Spezialisten. Deutschlandweit gibt es gut organisierte Selbsthilfegruppen für Betroffene und Angehörige. Das Europäische Huntington-Netzwerk (EHDN) bietet ebenfalls Unterstützung und Informationen.
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