Chorea Huntington, auch bekannt als Huntington-Krankheit (HK) oder Morbus Huntington, ist eine seltene, fortschreitende neurodegenerative Erkrankung des Gehirns, die durch eine Kombination aus motorischen, kognitiven und psychiatrischen Symptomen gekennzeichnet ist. Sie ist erblich und führt zu einem fortschreitenden Verlust von Nervenzellen in bestimmten Hirnregionen. Früher wurde die Krankheit aufgrund der unwillkürlichen, zuckenden Bewegungen auch als Veitstanz oder Tanzwut bezeichnet.
Was ist Chorea Huntington?
Chorea Huntington ist eine genetisch bedingte Erkrankung, bei der es zu einem fortschreitenden Verlust von Nervenzellen, insbesondere im Striatum (einem Teil der Basalganglien) und der Großhirnrinde kommt. Die Basalganglien sind an der Steuerung von Bewegungen, Kognition und Emotionen beteiligt. Die Erkrankung wird autosomal-dominant vererbt, was bedeutet, dass bereits eine Kopie des mutierten Gens ausreicht, um die Krankheit auszulösen.
Häufigkeit
Die Huntington-Krankheit zählt mit einer Prävalenz von zwei bis zehn Betroffenen pro 100.000 Einwohnern zu den eher seltenen neurodegenerativen Erkrankungen. In Deutschland sind schätzungsweise 10.000 Menschen von Chorea Huntington betroffen. Da die Dunkelziffer jedoch hoch sein dürfte, wird von einer höheren Anzahl Betroffener ausgegangen.
Ursachen und Vererbung
Die Ursache von Chorea Huntington ist eine Mutation im Huntingtin-Gen (HTT) auf dem kurzen Arm des 4. Chromosoms (4p16.3). Dieses Gen enthält die Information zur Herstellung des Huntingtin-Proteins. Die Mutation besteht in einer verlängerten Wiederholung des Basentripletts Cytosin, Adenin und Guanin (CAG) innerhalb des Gens.
Genetische Grundlagen
Im Normalfall enthält das HTT-Gen eine bestimmte Anzahl von CAG-Wiederholungen. Bei gesunden Menschen variiert diese Anzahl zwischen 10 und 35 Wiederholungen. Bei Patienten mit Chorea Huntington liegt eine pathologische Verlängerung der CAG-Wiederholungen vor, in der Regel mehr als 36 Wiederholungen. Je höher die Anzahl der Wiederholungen, desto früher beginnt die Erkrankung und desto schneller schreitet sie voran.
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- Weniger als 27 CAG-Repeats: Kein Erkrankungsrisiko, keine Vererbung möglich.
- 27 bis 35 CAG-Repeats: Kein Erkrankungsrisiko, aber erhöhtes Risiko der Expansion der CAG-Repeats in nachfolgenden Generationen.
- 36 bis 39 CAG-Repeats: Möglicherweise Erkrankung im späteren Lebensverlauf, Risiko der Vererbung an Kinder.
- 40 oder mehr CAG-Repeats: Erkrankung im Laufe des Lebens, Risiko der Vererbung an Kinder.
Autosomal-dominanter Erbgang
Da es sich bei Chorea Huntington um eine autosomal-dominant vererbte Erkrankung handelt, haben Kinder eines betroffenen Elternteils ein 50-prozentiges Risiko, die Krankheit zu erben. Das bedeutet, dass jedes Kind eines Elternteils mit HD eine Wahrscheinlichkeit von 50 % hat, die Krankheit zu erben. Nur 5-10 % der Fälle beruhen auf einer Spontanmutation, während die Mehrheit der Patienten die Erkrankung von einem betroffenen Elternteil erbt.
Mutiertes Huntingtin-Protein
Die übermäßige Wiederholung des CAG-Tripletts führt zu einer Verlängerung des Glutaminanteils im Huntingtin-Protein, was die Struktur und Funktion des Proteins verändert. Das mutierte Huntingtin-Protein (mHTT) lagert sich in den Nervenzellen ab und stört deren Funktion. Dies führt insbesondere im Striatum und in der Großhirnrinde zu einem Absterben von Nervenzellen.
Auswirkungen auf das Gehirn
Der fortschreitende Verlust von Neuronen im Striatum führt zu den charakteristischen motorischen Symptomen von Chorea Huntington, wie unwillkürlichen Bewegungen (Chorea), sowie zu kognitiven und psychischen Beeinträchtigungen. Veränderungen des Gehirns sind bereits 10 bis 15 Jahre vor dem Auftreten der ersten motorischen Symptome nachweisbar und schreiten allmählich voran. Neben dem Striatum sind auch andere Hirnregionen betroffen, darunter der Kortex, der Hypothalamus und das Kleinhirn.
Symptome
Die Symptome von Chorea Huntington sind vielfältig und können von Patient zu Patient unterschiedlich sein. Sie lassen sich in drei Hauptkategorien einteilen: motorische, kognitive und psychiatrische Symptome. Erste Symptome treten meist im Alter von 30-50 Jahren auf, können aber auch früher (juvenile Form) oder später auftreten.
Motorische Symptome
- Chorea: Unwillkürliche, unregelmäßige und zuckende Bewegungen von Gesicht, Armen, Beinen und Rumpf. Diese Bewegungen können im frühen Stadium unauffällig sein und als Nervosität oder Ruhelosigkeit fehlinterpretiert werden. Im weiteren Verlauf werden sie jedoch deutlicher und beeinträchtigen die Koordination und Bewegungsfähigkeit.
- Dystonie: Anhaltende Muskelkontraktionen, die zu verdrehten und wiederholten Bewegungen oder abnormalen Körperhaltungen führen können.
- Bradykinese: Verlangsamung der Bewegungen.
- Rigor: Muskelsteifheit.
- Gleichgewichtsstörungen: Erhöhtes Sturzrisiko.
- Schluckstörungen (Dysphagie): Schwierigkeiten beim Schlucken, die zu Aspiration (Eindringen von Nahrung in die Atemwege) und Lungenentzündung führen können.
- Sprachstörungen (Dysarthrie): Schwierigkeiten beim Sprechen, die zu undeutlicher oder verwaschener Sprache führen können.
Kognitive Symptome
- Exekutive Dysfunktion: Schwierigkeiten bei der Planung, Organisation, Problemlösung und Entscheidungsfindung.
- Gedächtnisprobleme: Schwierigkeiten beim Erlernen neuer Informationen und beim Abrufen bereits gespeicherter Informationen.
- Aufmerksamkeitsdefizite: Schwierigkeiten, die Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten und sich zu konzentrieren.
- Verlangsamte Informationsverarbeitung: Längere Reaktionszeiten und Schwierigkeiten, Informationen schnell zu verarbeiten.
- Eingeschränkte Urteilsfähigkeit: Schwierigkeiten, Situationen richtig einzuschätzen und angemessen zu reagieren.
Psychiatrische Symptome
- Depressionen: Anhaltende Traurigkeit, Interessenverlust, Müdigkeit und Schlafstörungen.
- Angstzustände: Übermäßige Sorgen, Nervosität und Panikattacken.
- Reizbarkeit: Leichte Erregbarkeit, Ungeduld und Wutausbrüche.
- Apathie: Mangel an Interesse und Motivation.
- Zwangsstörungen: Wiederholte Gedanken und Handlungen, die als zwanghaft erlebt werden.
- Impulskontrollstörungen: Schwierigkeiten, impulsive Handlungen zu unterdrücken.
- Psychosen: Wahnvorstellungen und Halluzinationen (selten).
- Verhaltensauffälligkeiten: Aggressives Verhalten, Enthemmung und sozial unangemessenes Verhalten.
Weitere Symptome
- Gewichtsverlust: Oft aufgrund von Schluckstörungen und erhöhtem Kalorienverbrauch durch die unwillkürlichen Bewegungen.
- Schlafstörungen: Schwierigkeiten beim Ein- und Durchschlafen.
- Erhöhter Grundumsatz: Unabhängig vom Auftreten der hyperkinetischen Bewegungsstörung.
Es ist wichtig zu beachten, dass nicht alle Patienten alle Symptome entwickeln und dass die Schwere der Symptome im Laufe der Zeit variieren kann.
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Diagnose
Die Diagnose von Chorea Huntington basiert auf einer Kombination aus klinischer Untersuchung, Familienanamnese und genetischer Testung.
Klinische Untersuchung
Der Arzt wird eine umfassende neurologische Untersuchung durchführen, um die motorischen, kognitiven und psychiatrischen Symptome zu beurteilen. Dabei werden standardisierte Bewertungsskalen wie die Unified Huntington's Disease Rating Scale (UHDRS) eingesetzt, die alle von der HK betroffenen Bereiche erfassen.
Familienanamnese
Eine detaillierte Familienanamnese ist wichtig, um den autosomal-dominanten Erbgang der Krankheit zu erkennen. Der Arzt wird nachfragen, ob andere Familienmitglieder an Chorea Huntington erkrankt sind oder ähnliche Symptome aufweisen.
Genetische Testung
Die Diagnose wird durch einen Gentest gesichert, bei dem eine Blutprobe auf die Anzahl der CAG-Wiederholungen im HTT-Gen untersucht wird. Dieser Test kann auch bei Personen ohne Symptome durchgeführt werden, die ein Risiko haben, die Krankheit zu entwickeln (prädiktive Testung). Eine genetische Testung muss immer eine ausführliche Beratung des Patienten vorausgehen. Voraussetzung ist eine sehr sorgfältige humangenetische Betreuung.
Differentialdiagnose
Es ist wichtig, andere Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen auszuschließen. Dazu gehören andere genetische Erkrankungen wie die Kupferspeicherkrankheit Morbus Wilson, spinocerebelläre Ataxien, Friedrich-Ataxie und Huntington’s disease-like Erkrankungen. Auch erworbene Ursachen wie Schlaganfälle, Schilddrüsenstörungen oder Medikamentennebenwirkungen können choreatische Bewegungsstörungen verursachen.
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Behandlung
Bislang gibt es keine Heilung für Chorea Huntington. Die Behandlung konzentriert sich auf die Linderung der Symptome und die Verbesserung der Lebensqualität der Patienten.
Medikamentöse Therapie
- Chorea: Dopaminrezeptorantagonisten (z. B. Tiaprid, Haloperidol, atypische Neuroleptika) und Tetrabenazin werden eingesetzt, um die unwillkürlichen Bewegungen zu reduzieren. Tetrabenazin ist ein selektiver Hemmer des vesikulären Monoamintransporters 2 (VMAT2), der die Dopamin- und Monoamin-Konzentration in den präsynaptischen Vesikeln reduziert. Tiaprid ist ein Dopaminrezeptorantagonist mit ähnlicher Wirkung.
- Hypokinese, Rigor: Parkinson-Medikamente können eingesetzt werden, um die Bewegungsverlangsamung und Muskelsteifheit zu verbessern.
- Depressionen: Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) oder andere Antidepressiva können helfen, depressive Symptome zu lindern.
- Psychosen, Aggressivität: Atypische Neuroleptika können eingesetzt werden, um psychotische Symptome und aggressives Verhalten zu kontrollieren.
- Angstzustände: Anxiolytika können eingesetzt werden, um Angstzustände zu reduzieren.
Die Wahl des geeigneten Medikaments hängt von den individuellen Symptomen und Begleiterkrankungen des Patienten ab. Es ist wichtig zu beachten, dass alle Medikamente Nebenwirkungen haben können und eine sorgfältige Überwachung durch den Arzt erforderlich ist.
Nicht-medikamentöse Therapie
- Physiotherapie: Regelmäßige Physiotherapie kann helfen, die Muskelkraft, Koordination und das Gleichgewicht zu verbessern.
- Ergotherapie: Ergotherapie kann Patienten helfen, alltägliche Aufgaben zu bewältigen und ihre Selbstständigkeit zu erhalten.
- Logopädie: Logopädie kann bei Sprach- und Schluckstörungen helfen.
- Psychotherapie: Psychotherapie kann Patienten und ihren Familien helfen, mit den emotionalen und psychischen Belastungen der Krankheit umzugehen.
- Ernährungsberatung: Eine hochkalorische Ernährung mit bis zu 6 bis 8 Mahlzeiten pro Tag kann helfen, Gewichtsverlust entgegenzuwirken. Bei Schluckstörungen kann das Andicken der Nahrung den Schluckakt erleichtern. In späten Krankheitsstadien ist gelegentlich die Anlage einer Magenfistel (perkutanen endoskopischen Gastrostomie (PEG)) unumgänglich.
Weitere Maßnahmen
- Selbsthilfegruppen: Der Austausch mit anderen Betroffenen und ihren Familien kann eine wertvolle Unterstützung bieten.
- Psychosoziale Unterstützung: Beratung und Unterstützung für Patienten und ihre Familien, um mit den Herausforderungen der Krankheit umzugehen.
- Europäisches Huntington-Netzwerk: Patienten und Angehörige können sich in das Europäische Huntington-Netzwerk einschließen lassen.
Zukünftige Therapieansätze
Die Forschung im Bereich Chorea Huntington ist sehr aktiv und es gibt mehrere vielversprechende Therapieansätze in der Entwicklung. Dazu gehören:
- Huntingtin-Senkung: Strategien zur Reduzierung der Produktion des mutierten Huntingtin-Proteins, wie z. B. Antisense-Oligonukleotide (ASOs) und kleine interferierende RNAs (siRNAs).
- Stammzelltransplantation: Transplantation von Stammzellen in das Gehirn, um den Verlust von Nervenzellen auszugleichen.
- Tiefe Hirnstimulation: Experimentelle Implantation eines Hirnschrittmachers.
- Neuroprotektive Medikamente: Medikamente, die Nervenzellen vor Schäden schützen sollen.
Verlauf und Prognose
Chorea Huntington ist eine fortschreitende Erkrankung, die in der Regel zu einer zunehmenden Verschlechterung der Symptome führt. Die Lebenserwartung nach Erstdiagnose der Huntington Krankheit liegt bei durchschnittlich 15-20 Jahren. Die Krankheit schreitet unerbittlich mit zunehmender Behinderung fort. Im Verlauf der Erkrankung bedarf der Patient mehr und mehr Betreuung und Pflege. Die häufigsten Todesursachen sind Lungenentzündung (oft infolge von Schluckstörungen) und körperliche Schwäche.
George Huntington
Die Krankheit wurde nach dem US-amerikanischen Arzt George Huntington benannt, der sie 1872 als erster wissenschaftlich beschrieb. Huntington erkannte Chorea Huntington als eigenständige, erblich bedingte Erkrankung und grenzte sie von anderen Chorea-Formen ab.
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