Das Feld des Coachings hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt, wobei der Ruf nach wissenschaftlicher Fundierung und Wirksamkeitsnachweisen immer lauter wird. Das Buch "Coaching, Beratung und Gehirn" von Gerhard Roth und Alica Ryba beleuchtet das Thema Coaching aus einer einzigartigen neurobiologischen und psychologischen Perspektive. Es bietet eine fundierte Grundlage für eine wirksame Beratungspraxis, indem es Faktoren erläutert, die die Entwicklung und Veränderbarkeit von Persönlichkeit sowie Erlebens- und Verhaltensweisen bedingen.
Einführung in das Neuro-Coaching
Die Autoren schildern, mit welchen neurowissenschaftlich fundierten Methoden dies in der beratenden Praxis gelingen kann. Das Buch wirft einen differenzierten Blick auf verschiedene Veränderungsebenen und -strategien sowie auf die Wirksamkeit von Coaching-Interventionen. Langfristig entfalten nur Therapie und Coaching positive Wirkungen. Die Autoren sehen in der Beantwortung dieser zentralen Frage eine vielversprechende Entwicklung, da sie dem Bezug zur Wissenschaft eine bedeutende Rolle für mehr Professionalität im Coaching zuschreiben.
Die Autoren: Gerhard Roth und Alica Ryba
Gerhard Roth war ein renommierter Professor für Verhaltensphysiologie und Entwicklungsneurobiologie am Institut für Hirnforschung der Universität Bremen. Seine Expertise in den Neurowissenschaften und der Philosophie trug maßgeblich zur wissenschaftlichen Fundierung des Buches bei. Alica Ryba ist eine erfahrene Coaching-Praktikerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin von Prof. Roth. Ihre Kenntnisse in Wirtschaftspsychologie und ihre praktische Erfahrung im Coaching ergänzen Roths theoretisches Wissen ideal.
Neurowissenschaftliche Grundlagen für Coaches und Berater
Das Buch vermittelt ein tiefgreifendes Verständnis verschiedener Interventionsansätze und ihrer Wirkungsweise. Es erläutert Faktoren, welche die Entwicklung und Veränderbarkeit von Persönlichkeit sowie Erlebens- und Verhaltensweisen bedingen. Die Autoren definieren zunächst den Begriff "Coaching" anhand der Ansätze erfahrener Coaches und stecken dabei gleichermaßen dessen Zuständigkeitsbereich ab. Auf diese Weise schaffen sie eine Grundlage für den daran anschließenden Vergleich zwischen Coaching und Psychotherapie. Hier werden Unterschiede und Gemeinsamkeiten herausgearbeitet und Parallelen zwischen Coaching und Psychotherapie gezogen, die legitimieren, dass die Wirksamkeitsforschung der Psychotherapie im Folgenden auf das Coaching übertragen wird.
Das Gehirn als Schlüssel zum Verständnis von Veränderung
Im Zentrum des Buches steht die These, dass neurowissenschaftliche Erkenntnisse über den Zusammenhang von Psyche, Persönlichkeit und Gehirn die Wirksamkeit von Coaching und Beratung erhöhen können. Um die Wirksamkeit des Coachings zu erhöhen, sollte die Körper- und Verhaltensebene stärker berücksichtigt werden. Es wird die Auffassung vertreten, dass neurowissenschaftliche Erkenntnisse über den Zusammenhang von Psyche, Persönlichkeit und Gehirn die Wirksamkeit von Coaching und Beratung erhöhen können. Auf Basis einer neurowissenschaftlich fundierten Theorie werden bestimmte Veränderungskonzepte zu einem integrativen Ansatz verbunden. Das Werk hinterlässt vor allem eine Fülle an theoretischen Fakten. Wer den aktuellen Forschungsstand der neurologischen Erkenntnisse erfahren möchte, findet hier detaillierte Auskünfte.
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Das Transformationsmodell: Eine psycho-neurowissenschaftliche Theorie der Persönlichkeit
Das Buch stellt ein integratives Neuro-Coaching vor, das individuenbezogen ist, weil es keine Intervention gibt, die bei allen Klienten und allen Störungen gleichermaßen wirksam ist. Der Ansatz baut auf Methoden auf, die Psyche und Gehirn nachweislich verändern. Die Grundlage hierfür bilden das wissenschaftlich fundierte Transformationsmodell sowie der schulenübergreifende dreifache Interventionsansatz.
Es kann aufgrund neuester Forschungsresultate davon ausgegangen werden, dass fünf Hauptfaktoren diese Entwicklung entscheidend beeinflussen:
- Das individuelle Erbgut
- Die epigenetischen Regulationsmechanismen der Gen-Expression
- Die vorgeburtlichen Einflüsse auf den Fötus, vermittelt über das Gehirn und den Körper der Mutter
- Die Qualität der früh-nachgeburtlichen Bindungserfahrung, vor allem der ersten drei Jahre
- Der weitere Sozialisationsprozess und die individuellen Erlebnisse eines Menschen
Diese fünf Faktoren werden entsprechend dem Roth-Cierpka-Modell im Gehirn auf drei limbischen Ebenen und einer kognitiven Ebene wirksam. Es wird dabei ersichtlich, dass die Kernpersönlichkeit eines Menschen relativ früh gebildet wird und den Rahmen für das spätere Verhalten vorgibt.
Eine existenzfördernde Interaktion mit der natürlichen und sozialen Umwelt wird vermittelt durch sechs psychoneurale Grundsysteme, die in ihrem positiven und negativen Zusammenwirken die drei wesentlichen Ausdrucksformen des Psychischen bestimmen: subjektives Erleben, körperliche Reaktionen und Verhalten. Aus neurobiologischer Sicht handelt es sich hierbei um drei Gedächtnisse: Erlebnisgedächtnis, Verhaltensgedächtnis und Körpergedächtnis.
Störungstheorie: Vulnerabilität und Resilienz
Die Qualität der psychoneuralen Systeme beeinflusst entscheidend die Persönlichkeit. Am wichtigsten sind dabei Stressverarbeitung, Selbstberuhigung und Bindung. Entwickeln sich vorgeburtlich das Stress- und das Selbstberuhigungssystem normal, so bilden sie eine Resilienz oder Widerstandskraft gegen negative nachgeburtliche Einflüsse. Umgekehrt kann eine Minder- oder Fehlentwicklung des Stressverarbeitungs- und Selbstberuhigungssystems zu einem vorgeburtlichen Belastungsfaktor werden, Vulnerabilität genannt.
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Auf den drei Ausdrucksebenen der Psyche zeigen sich Störungen in der folgenden Art: Auf der Ebene des subjektiven Erlebens kann es zu belastenden Empfindungen, Erinnerungen oder Vorstellungen kommen. Auf der körperlichen Ebene zeigen sich Symptome in der Mimik, Gestik, Stimmführung, in den Blickbewegungen, der Körperhaltung und in vegetativen Reaktionen. Auf der Ebene des Verhaltens äußern sich Störungen etwa in Verhaltensdefiziten oder in problematischen Verhaltensweisen. Belastungen auf einer Ebene können verschwinden, während sie auf anderen Ebenen fortwirken.
Veränderungstheorie: Strategien und Methoden
Das Verändern von Gewohnheiten ist als neuronaler Reorganisationsprozess für das Gehirn ein komplizierter, stoffwechselphysiologisch teurer und riskanter Prozess. Daher muss es aus Sicht des Gehirns einen triftigen Grund geben, weshalb es sich ändern soll. Dieser Grund liegt in der Belohnung oder anders ausgedrückt: Veränderung findet nur statt, wenn die Grundbedürfnisse des Organismus besser befriedigt werden können. Daher sollte im ersten Schritt das Augenmerk auf der Veränderungsmotivation des Klienten liegen.
Als Coach ist es darüber hinaus wichtig, Problemarten, -ursachen und -tiefen differenziert voneinander zu unterscheiden, um für den Klienten passgenaue Interventionen auswählen zu können. Unterschiedliche Methoden bewirken, wenn sie erfolgreich sind, Veränderungen in unterschiedlichen Bereichen des Gehirns: Veränderungen in der bewussten kognitiv-sprachlichen Großhirnrinde mithilfe des aufklärenden und instruktiven Gesprächs sind am wenigsten langfristig wirksam. Veränderungen der bewussten limbischen Ebene durch Verfahren, die nichtverbal und intuitiv wirken, sind bereits nachhaltiger. Veränderungen der unbewussten limbischen Ebene durch das geduldige, prozedurale Einüben neuer Erlebens- und Verhaltensweisen sind langfristig am wirksamsten.
Der dreifache Interventionsansatz
Der dreifache Interventionsansatz erlaubt es, unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Ebenen der Persönlichkeit und ihrer Veränderbarkeit die passende Intervention aus der Fülle der vorhandenen Veränderungskonzepte auszuwählen. Die drei Interventionsebenen sind gleichzeitig die oben beschriebenen Ausdrucksebenen des Psychischen: Erleben, Körper und Verhalten.
- Psychische Befindlichkeit: Auf der Ebene der psychischen Befindlichkeit können grob Veränderungskonzepte unterschieden werden, die ihren Fokus auf das Verstehen, das Erleben oder auf eine Kontrastierung von Problem- und Lösungserleben legen. Das reine Verstehen und Erklären der Störungen wirkt aus neurowissenschaftlicher Sicht lediglich auf der kognitiven Ebene und erreicht daher keine tiefgreifenden Veränderungen, wenngleich es für den Klienten entlastend und hilfreich sein kann, seine Problemmuster besser zu durchschauen. Das Erleben von Emotionen und dahinterliegenden Bedürfnissen wirkt schon eine Ebene tiefer, nämlich auf die obere und teilweise auf die mittlere limbische Ebene, da Emotionen immer auch vorbewusste und unbewusste, subcorticale Aktivitäten beinhalten. Mit verschiedenen Kontrastierungstechniken kann sogar das emotionale Erfahrungsgedächtnis umstrukturiert werden.
- Körper: Das Unbewusste bestimmt das Bewusstsein stärker als umgekehrt. Tiefgreifende Veränderungen sind deshalb nur durch eine Berücksichtigung der mittleren und unteren limbischen Ebene möglich, die beide unbewusst arbeiten. Das Unbewusste drückt sich weniger durch den Inhalt des Gesagten, sondern vielmehr durch die damit verbundenen vegetativ-somatischen Prozesse und das tatsächliche Verhalten aus. Der Körper spielt daher eine entscheidende Rolle in Veränderungsprozessen. Coaches können hier auf ein umfangreiches Methodenrepertoire der Körperpsychotherapie zurückgreifen.
- Verhalten: Auf der Ebene des Verhaltens geht es um das implizite, prozedurale Gedächtnis. Hier sind auch unsere Wahrnehmungs-, Denk- und Fühlgewohnheiten gespeichert. Für eine nachhaltige Persönlichkeitsentwicklung ist ein geduldiges Einüben neuer Gewohnheiten unablässig. Dies geschieht in leichteren Fällen in corticalen limbischen, bei schwereren Defiziten in subcorticalen limbischen Strukturen. Methodisch kann hier insbesondere auf die klassische Verhaltenstherapie (vor allem die operante Konditionierung) zurückgegriffen werden.
Neurowissenschaftliche Erkenntnisse in der Coaching-Praxis
Die Kenntnis der Arbeitsweise des Gehirns auf seinen unterschiedlichen Ebenen ist für den Coach von entscheidender Bedeutung. Sie liefert wichtige Informationen über die Möglichkeiten und Grenzen seiner Arbeit. Für den Erfolg und die Nachhaltigkeit einer Intervention gilt die Regel, dass Beschwerden und Belastungen umso eher behebbar sind, je später sie in der Entwicklung auftreten. Umgekehrt sind sie umso schwerer zu behandeln, je früher sie in Erscheinung treten.
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Besonders wichtig ist die Erkenntnis, dass sich psychische Störungen auf drei Ebenen manifestieren: auf der Ebene der subjektiven Befindlichkeit, auf der Ebene des Körpers und seiner Ausdrucksweisen und auf der Ebene des Verhaltens. Der Coach muss ein Auge darauf haben, wie sich Belastungen und Störungen auf diesen drei Ebenen manifestieren, entsprechende Interventionen vornehmen und ihre Wirkung beobachten.
Neurowissenschaftliche Erkenntnisse sind ebenfalls von großer Bedeutung für das Erfassen der Rolle des Unbewussten für psychische Vorgänge. Mithilfe verschiedener neurobiologischer Methoden lassen sich unbewusste Vorgänge im Gehirn ziemlich genau verfolgen und in ihrem Zusammenhang mit bewussten Vorgängen untersuchen.
Schließlich sind neurobiologische Verfahren unverzichtbar für die Bestimmung der Wirksamkeit von Interventionen. Die Erkenntnisse der Neurowissenschaften versetzen uns inzwischen in die Lage, zu sagen, in welcher Weise welche Interventionen auf der Ebene der Befindlichkeit, des Verhaltens und der Körperlichkeit wirksam sind und in welch bedeutendem Maße die Wirkung der Interventionen von der individuellen Persönlichkeit und den individuellen Lebensumständen eines Klienten abhängt.
Kritik und Kontroversen
Obwohl das Buch "Coaching, Beratung und Gehirn" einen wichtigen Beitrag zur Professionalisierung des Coachings leistet, ist es nicht ohne Kritik geblieben. Einige Kritiker bemängeln, dass der Bezug zur Neurowissenschaft in einigen Kapiteln zu kurz kommt und die Erwartungen, einen verständlichen Überblick über neueste Erkenntnisse der Hirnforschung zu erlangen, nicht vollständig erfüllt werden.
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