Die Corona-Impfung hat weltweit eine entscheidende Rolle bei der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie gespielt. Wie bei jeder medizinischen Intervention sind jedoch auch mit den Corona-Impfstoffen Nebenwirkungen verbunden, die in einigen Fällen das Nervensystem betreffen können. Dieser Artikel beleuchtet die möglichen Auswirkungen der Corona-Impfung auf das Rückenmark, insbesondere im Hinblick auf seltene Entzündungen wie die transverse Myelitis, und gibt einen Überblick über den aktuellen Stand der Forschung zu diesem Thema.
Transverse Myelitis als seltene Komplikation
Nach der Verabreichung der beiden vektorbasierten Impfstoffe von AstraZeneca (Vaxzevria) und Johnson & Johnson wurde in vereinzelten Fällen eine transverse Myelitis beobachtet. Nach Angaben der EMA (Europäische Arzneimittel-Agentur) kam es weltweit zu 25 Fällen nach der Impfung mit Vaxzevria und 12 Fällen nach der Impfung mit dem Vakzin von Johnson & Johnson.
Was ist Transverse Myelitis?
Die transverse Myelitis ist eine akute Entzündung des Rückenmarks, die je nach Lokalisierung und Ausdehnung zu verschiedenen Beeinträchtigungen führen kann.
Symptome einer Rückenmarksentzündung
Sowohl motorische als auch sensorische Ausfälle sind möglich. Es kann zu Schmerzen und Schwäche in Beinen und Armen sowie zu Blasen- und Darmstörungen kommen. Häufig sind die Entzündungen zeitlich begrenzt, sodass sich die Patient:innen zumindest teilweise wieder erholen. Es können jedoch weitere Schübe drohen.
Ursachen und Risikofaktoren
Die EMA geht bislang davon aus, dass die Entzündung immunvermittelt entsteht. Sie kann in jedem Lebensalter auftreten und beispielsweise Teil einer Autoimmunerkrankung sein. Auch Infektionen und Impfungen können mögliche Auslöser für eine Rückenmarksentzündung sein. Da sie bislang nur bei Vektor-Impfstoffen beobachtet wurde, wird davon ausgegangen, dass die verwendeten Adenoviren eine Rolle bei der Immunreaktion spielen könnten.
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Nutzen-Risiko-Abwägung
Trotz dieser seltenen Komplikation betont die EMA, dass das Nutzen-Risiko-Profil der Impfstoffe weiterhin positiv sei. Die Hersteller sollen jedoch künftig in der Fachinformation auf die seltene Komplikation hinweisen. Angesichts von 1,391 Milliarden verimpften Dosen von Vaxzevria und von 33,58 Millionen Dosen der COVID-19 Vaccine Janssen, ist die Anzahl der Fälle sehr gering.
Weitere neurologische Symptome im Zusammenhang mit COVID-19 und Impfung
Neben der transversen Myelitis gibt es weitere neurologische Symptome, die im Zusammenhang mit COVID-19 und der Impfung diskutiert werden.
Neurologische Symptome bei COVID-19-Erkrankung
SARS-CoV-2 gehört nach jetzigem Wissensstand nicht zu den Viren, die bevorzugt Nervenzellen befallen, im Gegensatz etwa zum Herpesvirus. Dennoch können im Rahmen einer COVID-19-Erkrankung verschiedene neurologische Symptome auftreten:
- Riechstörungen
- Kopfschmerzen
- Muskelschmerzen
- Schwere Muskelentzündungen
- Bewusstseinsstörungen und Delir
- Schlaganfälle (mit typischen halbseitigen Lähmungen sowie Sensibilitäts- und Sehstörungen)
- Entzündungen von Gehirn und Rückenmark
„Seltener scheinen die Entzündungen direkt durch das Virus, sondern durch eine die Infektion begleitende oder auf sie folgende Reaktion des Immunsystems, bedingt zu sein", sagt Prof. Steinbrecher. Ähnlich immunvermittelte Erkrankungen treten auch an den peripheren Nerven in Form des sogenannten Guillain-Barré-Syndroms (GBS) auf.
Neurologische Symptome nach Corona-Impfung
Harald Prüß, Neurologe an der Berliner Charité, äußert sich vorsichtig zu Impfnebenwirkungen, die das Nervensystem betreffen: "Man kann inzwischen festhalten, dass nach der Corona-Impfung durchaus vereinzelte Patienten Beschwerden entwickeln, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf die Impfung zurückzuführen sind." Er schränkt jedoch ein: "Die allermeisten Beschwerden, die im zeitlichen Zusammenhang mit einer Impfung auftreten, haben wahrscheinlich mit der Impfung überhaupt nichts zu tun."
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Antikörper und Autoimmunreaktionen
Prüß und sein Team fanden bei einem Patienten mit Gehirnentzündung nach Corona-Impfung eine große Menge an Entzündungszellen und Antikörpern im Nervenwasser. Die Antikörper koppelten tatsächlich an Strukturen des Mausgehirns. Dies deutet darauf hin, dass die Antikörper nicht nur gegen das Virus, sondern auch gegen körpereigene Strukturen reagieren und dadurch Schäden verursachen können. Fachleute sprechen hier von einer Kreuzreaktion oder molekularer Mimikry.
Biomarker für Impfnebenwirkungen
Forschergruppen arbeiten weltweit mit Hochdruck daran, Biomarker zu finden, die den Zusammenhang zwischen einer Impfung und einer anschließenden Erkrankung belegen können - unabhängig von statistischen Anomalien und Hintergrundinzidenzen auf Bevölkerungsebene.
VITT als bekannte Komplikation von Vektorimpfstoffen
Bereits bekannt ist, dass vektorbasierte Impfstoffe auch zu einer Vakzin-induzierten immunthrombotische Thrombozytopenie (VITT) führen können. Diese wird häufig auch als Thrombose mit Thrombozytopenie (TTS) bezeichnet. Der Körper bildet nach der Impfung Antikörper gegen den Plättchenfaktor 4, was zu einer Aktivierung der Thrombozyten führt. Die VITT ist den Angaben der EMA zufolge deutlich häufiger als die transverse Myelitis: Weltweit sind 1809 Fälle nach der Impfung mit Vaxzevria bekannt. Die meisten Fälle traten nach der ersten Dosis auf.
Das Spike-Protein und seine Auswirkungen
Eine neue Studie zeigt, dass das Spike-Protein des Erregers der Coronapandemie SARS-CoV-2 offenbar sehr lange nach einer Infektion noch in den Hirnhäuten und im Knochenmark des Schädels zu finden ist.
Die Rolle des Spike-Proteins
Das Spike-Protein des Coronavirus (rot) ermöglicht das Eindringen des Virus in menschliche Zellen und lagert sich bis zu vier Jahre nach Infektion im Gehirn ab. Die Forscher hoffen, damit einen neuen Ansatz für die Therapie von Long-COVID gefunden zu haben.
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Forschungsergebnisse von Herrn Elsner
Herr Elsner und seine Kollegen haben erstmals zeigen können, dass das Spike-Protein von SARS-CoV-2 lange nach einer Infektion in den Hirnhäuten und im Knochenmark des Schädels verbleibt. Sie haben eine Methode entwickelt, wie man biologisches Gewebe transparent machen kann. Wenn man dann bestimmte Proteine mit Floureszensfarbstoffen wieder sichtbar macht, kann man mit modernen Mikroskopietechniken sehen, wo sie vorkommen. Das haben mit dem Spike-Protein getan.
Auswirkungen des Spike-Proteins
Als die Forscher Mäusen nur das Spike-Protein - also nicht das gesamte Virus - injizierten, haben sie negative Auswirkungen beobachtet. Die Regeneration des Gehirns nach einem Schädel-Hirn-Trauma etwa brauchte deutlich länger. Und nach einem Schlaganfall haben die Tiere länger neurologische Defizite. Sie reagierten deutlich weniger, wenn man ihre Barthaare kitzelte, als Mäuse, die vor ihrem Schlaganfall kein Spike-Protein bekommen hatten. Und beim Menschen konnten die Forscher sehen, dass sich die Regulation gewisser Eiweiße ändert.
Impfung als Schutz vor Ablagerungen des Spike-Proteins
Eine Impfung schützt signifikant vor den Ablagerungen des Spike-Proteins in Hirnhäuten und Hirnmark, zumindest in Mäusen, aber sehr wahrscheinlich auch beim Menschen. Das erklärt sich so, dass eine Infektion bei einer geimpften Person in der Regel harmloser und kürzer verläuft als bei einer oder einer ungeimpften Person.
Therapeutische Ansätze
Im Moment gibt es noch keine etablierte Möglichkeit, um etwas gegen die abgelagerten Spike-Proteine zu tun. Aber es gibt immerhin mögliche Ansatzpunkte: Es ist zum Beispiel bekannt, dass das Spike-Protein unter anderem über einen speziellen Rezeptor in den menschlichen Zellen wirkt, den ACE2-Rezeptor. Mit dieser Bindung könnten vielleicht spezielle Wirkstoffe konkurrieren, etwa ein Antikörper, der an den Rezeptor bindet und ihn so blockiert.
Post-Vac-Syndrom und Long-COVID
Es gibt eine Gruppe von Menschen, die nach der Corona-Impfung unter anhaltenden Beschwerden leiden, die als Post-Vac-Syndrom bezeichnet werden. Harald Prüß schätzt, dass ein niedriger einstelliger Prozentsatz der Long-COVID-Patienten eigentlich unter einem Post-Vac-Syndrom mit neuronalen Symptomen wie kognitiven Störungen oder schwerer Erschöpfung leidet.
Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Post-Vac und Long-COVID
Sowohl beim Post-Vac-Syndrom als auch bei Long-COVID können ähnliche Symptome auftreten, wie Müdigkeit, Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen und Muskelschmerzen. Die Ursachen und Mechanismen sind jedoch noch nicht vollständig geklärt.
Forschung zu Biomarkern
Forscher arbeiten intensiv daran, Biomarker zu identifizieren, die helfen können, Post-Vac von Long-COVID zu unterscheiden und die zugrunde liegenden Mechanismen zu verstehen.
Die Bedeutung gründlicher Untersuchungen
Ärzte fordern, Patient:innen mit Beschwerden nach der Impfung früher und gründlicher zu untersuchen. Harald Prüß berichtet, dass Neurologen Patient:innen mit solchen Beschwerden selten so früh sehen wie den älteren Patienten mit den Bewusstseinsstörungen.
Wann sollte man an eine Impfnebenwirkung denken?
Nicht immer kommen Ärzt:innen oder Patient:innen schnell auf die Impfung als mögliche Ursache. Weil diese Nebenwirkungen so selten sind, halten sie möglicherweise andere Ursachen für wahrscheinlicher. Man sollte aber früh daran denken und dies abklären. Denn wenn die Impfung und das erste Auftreten der Beschwerden schon mehrere Wochen zurückliegen, sind wichtige Biomarker möglicherweise schon wieder aus dem Körper verschwunden.
Empfehlungen für die Diagnostik
Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), plädiert für gründliche Untersuchungen: "Wann immer es möglich ist und der Patient zustimmt, sollte man auch das Nervenwasser untersuchen. Das wird häufig versäumt." Zudem empfiehlt der Neurologe, Blut und Nervenwasser tiefgefroren aufzubewahren. Wenn Forscher neue Antikörper finden, könnten sie diese Proben im Nachhinein darauf testen.
Der Fall der Multiplen Sklerose
Bei manchen Patienten zeige die gründliche Untersuchung zudem, dass die Impfung zwar nicht die Ursache für eine Krankheit gewesen ist, sie aber dennoch zum Ausbruch gebracht habe. In Einzelfällen sei das bei der Multiplen Sklerose (MS) der Fall. Diese Autoimmunerkrankung könne klinisch stumm bestehen, ohne dass die Betroffenen etwas davon merkten. Untersuchungen hätten gezeigt, dass es beim ersten Symptom im Gehirn nicht nur frische entzündliche Gewebeschädigungen gibt, sondern auch ältere, narbig verheilte Verletzungen. So könnte die Impfung erste Symptome einer MS triggern, die schon länger schwelt.
Vergleich mit anderen Impfungen und Infektionen
Es ist wichtig, die potenziellen Risiken der Corona-Impfung im Kontext anderer Impfungen und Infektionen zu betrachten.
Myokarditis-Risiko
Ulrike Protzer, Direktorin des Instituts für Virologie an der Technischen Universität München, betont: "Wenn Sie das Myokarditis-Risiko nehmen: Das ist nach einer Infektion fünf- bis zehnmal so hoch wie nach einer Impfung."
Gürtelrose
Während der Corona-Impfkampagne meldeten mehr Ärzte und Patienten den Verdacht, die Impfung habe eine Gürtelrose ausgelöst. Eine Forschergruppe von der University of California in San Fransisco hat in einer großen Studie gezeigt, dass die Zahl von Gürtelrosefällen nach einer Coronaimpfung im selben Rahmen lag wie zu anderen Zeiten oder nach Influenza-Impfungen. Der Verdacht der Impfung als Auslöser war also falsch.
Vergleich mit Influenza A-Viren
Zum Vergleich infizierten Forschende einige der Tiere auch mit Influenza A-Viren. Hier zeigte sich ein anderes Muster: Die Überempfindlichkeit nahm in der Phase der akuten Infektion rasch zu, verschwand dann aber nach dem Abklingen wieder.
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