Die COVID-19-Pandemie, verursacht durch das SARS-CoV-2-Virus, hat sich nicht nur als Atemwegserkrankung manifestiert, sondern auch eine Vielzahl neurologischer Auswirkungen offenbart. Diese reichen von milden Symptomen wie Geruchs- und Geschmacksverlust bis hin zu schweren Komplikationen wie Schlaganfällen und Enzephalitis. Die Forschung hat gezeigt, dass die Auswirkungen auf das Nervensystem sowohl in der akuten Phase der Infektion als auch langfristig auftreten können, was zu erheblichen Herausforderungen für das Gesundheitssystem führt.
Häufige neurologische Manifestationen bei COVID-19
Anosmie und Ageusie
Anosmie (Geruchsverlust) und Ageusie (Geschmacksverlust) sind charakteristische Symptome von COVID-19, die oft als erste Anzeichen der Infektion auftreten. Die Anosmie kann durch die direkte Invasion des Virus in den Bulbus olfactorius oder indirekt durch lokale Entzündungen, mikrovaskuläre Schäden und Hypoperfusion entstehen. In den meisten Fällen normalisiert sich der Geruchssinn schnell wieder, und das Auftreten von Anosmie, ähnlich wie Kopfschmerzen, ist oft mit einer günstigeren Prognose verbunden. Studien haben gezeigt, dass Patienten mit Riechstörungen seltener ins Krankenhaus eingeliefert werden müssen oder eine Intensivtherapie benötigen. Allerdings kann die Anosmie in einigen Fällen länger als fünf Monate andauern, wobei MRT-Untersuchungen Veränderungen des Bulbus olfactorius nachweisen können. Die Therapie mit Kortikoid-Nasensprays zeigt widersprüchliche Ergebnisse.
Schwere neurologische Komplikationen
Schwere neurologische Komplikationen sind bei jüngeren, ambulanten Patienten selten (ca. 1 %). Bei stationär behandelten Patienten treten sie jedoch häufiger auf und sind mit einer schlechteren Prognose verbunden. Zu den häufigsten Komplikationen gehören Enzephalopathien, Enzephalomyelitiden und zerebrovaskuläre Ereignisse. Eine Studie aus New York zeigte, dass 13,5 % der stationären COVID-19-Patienten schwere neurologische Komplikationen entwickelten, was die Mortalität um 38 % erhöhte. Eine weitere Studie aus Essen ergab, dass 23,5 % der Patienten schwere neurologische Symptome aufwiesen, wobei über 80 % dieser Patienten bereits neurologische Vorerkrankungen hatten.
Auch bei Kindern und Jugendlichen können schwere neurologische Manifestationen auftreten. Eine Studie aus den USA mit 1.695 Patienten unter 21 Jahren zeigte, dass 22 % eine neurologische Beteiligung hatten, wobei schwere Enzephalopathien und Schlaganfälle am häufigsten vorkamen. Auch hier traten neurologische Manifestationen häufiger bei Patienten mit neurologischen Vorerkrankungen auf.
Enzephalitis, Enzephalopathie und Myelitiden
Enzephalopathien, Enzephalitiden und Myelitiden sind schwerwiegende neurologische Komplikationen, die bei COVID-19 auftreten können. Die Pathomechanismen umfassen Hypoxie und eine Virus-getriggerte systemische Hyperinflammation, die zu einem Zytokinsturm führt. Dabei sind Biomarker wie IL-2, IL-6, IL-7, GCSF und TNF-alpha erhöht. Der Anstieg pro-inflammatorischer Zytokine und die Permeabilitätserhöhung der Blut-Hirn-Schranke führen zur Aktivierung von Mikroglia, Exzitotoxizität, Endothelschäden und zerebraler Perfusionsstörung.
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Obwohl Viruspartikel in Nervenzellen nachgewiesen wurden, gilt die direkte neuronale Schädigung durch die Invasion von SARS-CoV-2 als sehr selten. Der Nachweis von Virus-RNA im Liquor ist selten. Enzephalopathien, die sich klinisch meist als Delir mit Unruhe und Verwirrtheit äußern, treten bei etwa 20 % der hospitalisierten COVID-19-Patienten auf.
Forschungen haben gezeigt, dass die Mikroglia von COVID-19-Patienten stark aktiviert sind und aktivierte T-Zellen vom Blut ins Gehirn wandern. Im zerebralen MRT zeigen sich oft eine diffuse Leukenzephalopathie mit konfluierenden T2-Hyperintensitäten und Mikroblutungen. Autoimmunvermittelt können Autoimmunenzephalitiden und Enzephalomyelitiden auftreten, die mit Kortikoiden, intravenösen Immunglobulinen (IVIG) oder Plasmapherese behandelt werden.
Der Liquor zeigt oft eine leichte Schrankenfunktionsstörung und Entzündungszeichen, aber fast immer eine negative Virus-PCR, was eine indirekt inflammationsvermittelte Affektion des ZNS nahelegt. Etwa 20 % der hocheffektiv Virus-neutralisierenden SARS-CoV-2-Antikörper binden an zerebrale Strukturen - als kreuzreaktive Antikörper im Sinne einer molekularen Mimikry.
Schlaganfall und COVID-induzierte Gerinnungsstörung
Schlaganfälle sind bei COVID-19 zwar häufiger als beispielsweise bei Influenza, jedoch insgesamt selten (0,5 %-2 %). Ischämien treten dabei ungefähr 7-mal häufiger auf als Blutungen. Auch jüngere, zuvor gesunde Patienten können betroffen sein, wobei Schlaganfälle die Erstmanifestation der Infektion sein können. Diese Schlaganfälle sind meist schwerer und haben eine schlechtere Prognose als Non-COVID-Schlaganfälle.
Pathogenetisch geht man von einer inflammatorischen Hyperkoagulopathie aus, die auch ohne relevante Gefäßrisikofaktoren oder Lungensymptomatik möglich ist und oft zum Verschluss großer, hirnversorgender Arterien führt. Die COVID-19-Koagulopathie ähnelt der disseminierten intravasalen Gerinnungsstörung (DIC) und führt zu Thrombozytopenie und erhöhten D-Dimeren. Es gibt Hinweise auf eine gesteigerte Thrombozyten-Gefäßwand-Interaktion durch Multimere des von Willebrand-Faktors bei ADAMTS13-Mangel im Sinne einer thrombotischen Mikroangiopathie.
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Spontane intrazerebrale Blutungen bei SARS-CoV-2-Infektion treten unabhängig von einer vorbestehenden Hypertonie auf und treffen eher jüngere Patienten als sonst. Seltener treten Dissektionen, Vaskulitiden und das posteriore reversible Encephalopathie-Syndrom (PRES) auf. Hirnvenen- und Sinusthrombosen bei SARS-CoV-2-Infektion treten bis zu 3 Wochen nach Beginn der Infektion auf und haben eine erhöhte Mortalität.
Vakzine-induzierte immunogene thrombotische Thrombozytopenie (VITT)
Eine autoimmun vermittelte Hyperkoagulabilität scheint ein entscheidender Mechanismus auch bei den impfassoziierten Sinusthrombosen zu sein. Die Vakzine-induzierte immunogene thrombotische Thrombozytopenie (VITT) wurde inzwischen als neues Krankheitsbild nach Impfung mit rekombinanten adenoviralen Vektorimpfstoffen beschrieben. Dabei wurden plättchenaktivierende Antikörper gegen Plättchenfaktor 4 (PF4) nachgewiesen.
Wenn später als 3 Tage nach der Impfung Schwindel, Kopfschmerzen oder Sehstörungen auftreten, sollte eine weitere Diagnostik erfolgen. Bei Nachweis einer Thrombozytopenie muss mittels eines Elisa-Tests nach Antikörpern gegen den PF4-Heparin-Komplex gezielt gesucht werden. Der Nachweis der Sinusthrombose erfolgt mittels MRT oder CT, jeweils mit Venendarstellung. Zur Behandlung werden hoch dosiert intravenöse Immunglobuline (IVIG) empfohlen. Insgesamt überwiegt der Nutzen der Impfung das VITT-Risiko deutlich.
Neuromuskuläre Manifestationen und peripheres Nervensystem
Bei 40-70 % der COVID-19-Patienten kommt es zu Myalgien und Fatigue, oft mit einer HyperCKämie. Bei intensivpflichtigen Patienten muss eine „ICU-acquired weakness“ (ICUAW) mit Kombination von Critical-illness-Myopathie und -Polyneuropathie abgegrenzt werden von einem Guillain-Barré-Syndrom (GBS), welches bereits wenige Tage nach den ersten respiratorischen Symptomen auftreten kann.
Der Kausalzusammenhang zwischen SARS-CoV-2 und GBS gilt bislang als nicht gesichert. Die Therapie des GBS erfolgt standardmäßig mit IVIG oder Plasmapherese. Auch die Miller-Fisher-Variante des GBS, Hirnnerven-Neuritiden und Plexopathien wurden bei SARS-CoV-2 beschrieben. Periphere Fazialisparesen können auftreten und womöglich das einzige Symptom der Infektion sein. Fazialisparesen und GBS wurden auch in zeitlichem Zusammenhang mit der Impfung gegen SARS-CoV-2 - vor allem mit mRNA-Impfstoffen - beobachtet.
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COVID-19-Therapie
Bei stationärer Aufnahme wird heute für COVID-19-Patienten standardmäßig eine prophylaktische Antikoagulation empfohlen. Patienten, die präklinisch bereits antikoaguliert waren, hatten ein niedrigeres Risiko für den Endpunkt „Intensivpflichtigkeit und/oder Tod“. Diskutiert wird, wie lange die prophylaktische Antikoagulation durchgeführt werden sollte, denn mehrere Studien zeigen auch noch in den Monaten nach einer durchgemachten SARS-CoV-2-Infektion ein erhöhtes Thromboembolierisiko.
Die Therapie mit Dexamethason führt zu einer Senkung der Mortalität um 30 %, wobei der Zeitpunkt des Behandlungsbeginns entscheidend ist. Die Therapie sollte bei Sauerstoffbedarf und Luftnot begonnen werden. Die Wirksamkeit von antiviralen Substanzen wie Remdesivir und Hydroxychloroquin konnte in größeren Studien nicht belegt werden.
Long-COVID-Syndrom und Post-COVID-Syndrom
Bleiben Beschwerden nach überstandener COVID-19-Erkrankung länger als 4 Wochen bestehen, spricht man von Long-COVID-Syndrom, bei SARS-CoV-2-assoziierten Manifestationen mehr als 3 Monate nach dem akuten Infekt vom Post-COVID-Syndrom. Nicht neurologische Langzeitsymptome sind oft belastungsabhängig wie Husten, Dyspnoe sowie Störungen von Herzfrequenz und -rhythmus.
Neurologische Langzeitbeschwerden umfassen Dysosmie und Dysgeusie, Kopf- und Muskelschmerzen, Gedächtnisprobleme, Angst oder Schlafstörungen. Das Neuauftreten von Schlaganfällen, Neuromyopathien oder einer Enzephalomyelitis nach SARS-CoV-2-Infektion ist möglich. Die häufige beklagte Fatigue-Symptomatik ist vermutlich pulmonal und psychosomatisch mitbedingt; es gibt jedoch auch Hinweise auf eine neuroimmunologische Komponente.
Neurokognitive Einschränkungen stellen eine Indikation zur neuropsychologischen Testung, MRT-Diagnostik und ggf. Bestimmung antineuronaler Antikörper im Liquor dar. Eine PET-Studie zeigte eine signifikante Korrelation schlechter Leistungen in Neurokognitionstests und einem frontoparietalen Glukose-Hypometabolismus. Mit Normalisierung des Hirnstoffwechsels besserte sich auch die Neurokognition.
Neuere Forschungsergebnisse
Neuere Studien haben ergeben, dass neurologische Symptome bei COVID-19-Patienten möglicherweise eher mit der Immunantwort des Körpers zusammenhängen als mit einer direkten Aktivität des Coronavirus SARS-CoV-2 im Gehirn. Entzündliche Reaktionen wurden in den Gehirnen von Personen mit akuter COVID-19-Infektion nachgewiesen, die sich im weiteren Verlauf der Krankheit abzuschwächen schienen. Diese Reaktionen könnten die normale Gehirnfunktion stören und so zu den beobachteten neurologischen Komplikationen beitragen.
Eine weitere Studie zeigte, dass das Spike-Protein des Corona-Virus SARS-CoV-2 nach einer Infektion im Gehirn verbleiben kann und zu chronischen Entzündungen des zentralen Nervensystems und anhaltenden Symptomen im Rahmen von Long COVID führen kann. Die Forschenden konnten im Knochenmark des Schädels und in den Hirnhäuten statistisch eindeutig erhöhte Konzentrationen des Spike-Proteins nachweisen - sogar noch Jahre nach der Infektion.
Herausforderungen und Perspektiven
Die neuropsychiatrischen Folgen der SARS-CoV-2-Pandemie stellen eine erhebliche Herausforderung für das Gesundheitssystem dar. Systematische COVID-19-Registerstudien müssen die für die Langzeitfolgen verantwortlichen Mechanismen weiter erforschen. Zur Therapie von Long- und Post-COVID sind kontrollierte Studien erforderlich. Interventionen gilt es zu überprüfen und im Gesundheitssystem so zu implementieren, dass ein möglichst großer Anteil der Betroffenen geeignete Hilfe erfährt. Da Rehabilitationseinrichtungen, die spezialisierte fachärztliche Versorgung und der konventionelle Psychotherapiemarkt bereits jetzt überlastet sind, ist es entscheidend, gemeinsam mit Hausärztinnen und Hausärzten neue Versorgungskonzepte zu erarbeiten. Es ist noch unklar, ob neurodegenerative Spätfolgen wie Parkinson oder Demenz nach SARS-CoV-2 zu möglichen langfristigen Problemen werden könnten.
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