Die Verbindung zwischen Darm und Gehirn ist ein Forschungsgebiet von wachsender Bedeutung. Wissenschaftler entdecken immer mehr, wie eng diese Verbindung ist und welche weitreichenden Auswirkungen sie auf unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden hat. Die Erkenntnis, dass die Bakterien in uns eine Rolle für unsere Gesundheit, ja sogar für unsere Persönlichkeit spielen, wird als eine der wichtigsten Entdeckungen der letzten 50 Jahre angesehen.
Das Darm-Mikrobiom: Eine komplexe Gemeinschaft von Mikroorganismen
Die meisten Mikroorganismen, also Bakterien, Pilze oder Viren, eines Menschen befinden sich im Darm. Schätzungen zufolge sind es zwischen 30 und 100 Billionen. Sie bilden das sogenannte Darm-Mikrobiom. Diese kleinen Lebewesen regeln unsere Verdauung, produzieren lebenswichtige Stoffe und schützen uns vor Krankheiten.
Der Darm steht über die Nahrung, die wir zu uns nehmen, in ständigem Kontakt mit der Umwelt. Und das muss er auch entsprechend rückkoppeln. Erst seit wenigen Jahren beginnen Wissenschaftler zu verstehen, wie unser Darm beziehungsweise sein Mikrobiom mit unserem Gehirn kommuniziert. Beide Organe hängen eng miteinander zusammen und sind direkt über die Nerven verbunden.
Die Kommunikation zwischen Darm und Gehirn
Untersuchungen deuten darauf hin, dass Darm und Gehirn nicht nur kommunizieren, sondern sich auch gegenseitig beeinflussen könnten. Forschungen in den letzten zehn Jahren haben ergeben, dass Darmbakterien unsere Emotionen und kognitiven Fähigkeiten beeinflussen können. Zum Beispiel produzieren einige Bakterien Oxytocin, ein Hormon, das unser eigener Körper produziert und das ein erhöhtes Sozialverhalten fördert.
Tatsächlich zeigte sich vor allem in Tierversuchen ein Zusammenhang zwischen Darm und Psyche. In Tests wurde der Stuhl von ängstlichen Mäusen in keimfreie Mäuse, die kein Mikrobiom haben, übertragen. Woraufhin diese einen ängstlichen Phänotyp entwickelten.
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Die Liste ist lang: Insgesamt weisen Personen mit Stoffwechselstörungen, psychiatrischen Störungen oder neurologischen Erkrankungen im Vergleich zu gesunden Probanden Unterschiede in der Zusammensetzung und Funktion ihres Mikrobioms auf. Konkret stehen unsere Darmbakterien Wissenschaftlern zufolge im Zusammenhang mit Erkrankungen oder Störungen wie Alzheimer, Parkinson, ALS oder Autismus. Davon könnten besonders Menschen mit chronischen Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts betroffen sein. Sie haben durch die Verbindung ein höheres Risiko für psychische Erkrankungen.
Ursache und Wirkung: Eine schwierige Frage
Inwiefern das Mikrobiom psychische Störungen oder Hirnerkrankungen tatsächlich entstehen oder aufrechterhalten lassen kann, kann die Forschung nur schwer sagen. Unklar ist nicht nur, inwiefern sich die Erkenntnisse aus Tierstudien auf den Menschen übertragen lassen. Es ist manchmal gar nicht so leicht, das im echten Leben zu untersuchen. Einen Zusammenhang gebe es zwar deutlich. Aber was ist Ursache und was ist Folge? Das ist schwierig herauszufinden. Nur beim Reizdarmsyndrom, bei der die Darm-Hirn-Achse gestört ist, wisse man das mittlerweile.
Therapieansätze und zukünftige Forschung
Dennoch bieten die Erkenntnisse zur Darm-Hirn-Achse erste Ansätze für Therapien. Zum Beispiel könnten mit Probiotika entsprechende Störungen behandelt werden. Dazu gibt es schon erste Daten, aber wir sind da noch sehr am Anfang. Auch inwiefern eine Transplantation von dem Stuhl gesunder Menschen in den Darm erkrankter Probanden helfen könnte, wird erforscht. Beim Reizdarmsyndrom etwa gebe es noch keine gute Datenlage zum Stuhl-Transfer. Auch sei das nicht ungefährlich.
Zusätzlich sei das Mikrobiom sehr individuell - nicht nur von Mensch zu Mensch. Wenn man sich anders ernähren würde, wäre die mikrobielle Zusammensetzung eine andere - obwohl man sich womöglich gesundheitlich genau gleich fühlen würde. Auch das erschwere die Forschung. Zwar würden die Messmethoden genauer und die Standardisierung besser. Die Forschung fange gerade erst an zu verstehen, wie wir die Mikroben in uns so verändern können, dass unsere Gesundheit verbessert wird. Das könne noch 20 Jahre dauern.
Das Forschungsnetzwerk "SmartAge"
Die Wissenschaft nennt die Wechselwirkung von Verdauungs- und Denkorgan „Darm-Hirn-Achse“ und beginnt gerade erst zu verstehen, wie vielfältig diese ist. Denn die als Darmflora oder Mikrobiom bezeichnete Gesamtheit der Bakterien im Darm spielt eine weitaus größere Rolle als nur die des Hilfsarbeiters für die Nahrungsverarbeitung. Das Mikrobiom moderiert Immunprozesse, Studien belegen zudem einen Zusammenhang von Änderungen der Darmflora mit psychischen und neurodegenerativen Erkrankungen. Auch für die Lernfähigkeit des Gehirns spielt das Darmmikrobiom eine wichtige Rolle.
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In dem von der EU geförderten Netzwerk ITN SmartAge untersuchen 15 Doktorandinnen und Doktoranden in zehn Ländern, ob und wie Maßnahmen, die auf die Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten älterer Menschen abzielen, auch die Darmflora beeinflussen. Zwei Projekte in Jena beschäftigen sich mit Sport und Bewegung - Aktivitäten, die die kognitiven Fähigkeiten im Alter nachweislich fördern. Raphaëlle Petit untersucht, wie sich Bewegung bei Mäusen, wie z.B. Laufen im Laufrad, auf das altersabhängige Wechselspiel von Darm und Gehirn auswirkt. Simon Schrenk geht in seinem Promotionsprojekt einer ähnlichen Fragestellung bei Menschen nach: In Kooperation mit der Sportmedizin der FSU führt er eine Studie mit Personen im Alter von 60 bis 75 Jahren durch und testet Maßnahmen, die die geistige Fitness älterer Menschen unterstützen sollen.
Die Studienteilnehmer absolvieren in zwei Gruppen acht Wochen lang ein Ausdauertraining bzw. Entspannungsübungen. Im Anschluss wiederholt sich das Untersuchungsprogramm mit MRT, Fitnesstest, kognitiven und Labortests. Für diese Auswertung wird auch das am UKJ entwickelte und auf MRT-Daten basierende BrainAGE-Verfahren eingesetzt, das das individuelle Hirnalter bestimmen kann. Ein „älteres“ Gehirn bei Erwachsenen weist dabei auf erhöhte Risiken für kognitive Beeinträchtigungen und neurodegenerative Erkrankungen hin.
Ziel des Forschungsnetzwerkes ist es, neue Ansätze zu finden, wie sich das Darmmikrobiom gezielt beeinflussen lässt, um den Abbau der Hirnleistung im Alter zu verlangsamen.
Das Clinician Scientist-Programm Darm-Gehirn-Achse in Kiel
Krankheiten wie Parkinson, Alzheimer und Multiple Sklerose betreffen zwar Gehirn und zentrales Nervensystem, sie haben aber nicht nur eine neurologische Seite. Mittlerweile gibt es Befunde, die zeigen, dass auch Darmbakterien und das Darmimmunsystem chronische neurologische Erkrankungen mitbedingen oder verschlimmern können. Über welche Wege das geschehen kann, erforscht das Clinician Scientist-Programm Darm-Gehirn-Achse des Else Kröner-Forschungskollegs (EKFK) Kiel. Der Schwerpunkt liegt auf der wechselseitigen Beziehung von Darm und Gehirn vermittelt durch Mikrobiom und Entzündung.
Eine wichtige Frage ist, wie Veränderungen von Darmbakterien oder des Darmmilieus überhaupt Einfluss auf Krankheitsprozesse haben können, die sich über Jahre entwickeln ehe es zu Symptomen kommt, die eine Diagnose der Erkrankung erlauben. Hier scheint das Zusammenspiel zwischen Immunsystem, Entzündungsvorgängen und Neurodegeneration eine wichtige Rolle zu spielen. Doch wie Entzündungs- oder Immunsystem-Botenstoffe das Gehirn beeinflussen, ist nicht geklärt. Denn eigentlich trennt die Blut-Hirn-Schranke das Gehirn streng vom restlichen Körper. Zusätzlich ist das Darmnervensystem wechselseitig mit dem Gehirn über den Vagusnerv verbunden, welcher an der Regulation der inneren Organe maßgeblich beteiligt ist.
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Über welche Wege nun neurologische Erkrankungen wie Parkinson, Alzheimer und Multiple Sklerose durch das Darmmikrobiom und eine gastrointestinale Funktionsstörung beeinflusst werden, untersuchen zwei der sechs Clinician Scientists innerhalb des Forschungskollegs. In anderen Projekten kommen zum Beispiel neue bildgebende Techniken zum Einsatz. Eine veränderte Motilität (Bewegungsfähigkeit) des Darmes kann Ausdruck einer Vorläuferphase der Parkinsonerkrankung sein bevor klinische Beschwerden einsetzen. Bei einer Untergruppe von Parkinsonpatientinnen und -patienten beginnen die neurodegenerativen Veränderungen im Darm und breiten sich von dort in das Gehirn aus, wie Untersuchungen gezeigt haben. Daher ist es so wichtig, dass ein Projekt aus der Neurogastroenterologie mit einer neuartigen Endoskopietechnik untersucht, ob bei Menschen mit Parkinson oder Multipler Sklerose, das Darmnervensystem verändert ist. Dieser interdisziplinäre Ansatz wird noch durch ein weiteres Projekt der Inneren Medizin unterstrichen, welches den Zusammenhang zwischen Entzündung eines spezifischen Gehirnareals (Hypothalamus), der Adipositas und des Darmmikrobioms untersucht.
Das EKFK ermöglicht eine strukturierte Facharztweiterbildung, sichert die klinische und wissenschaftliche Qualifizierung und bietet gleichzeitig Freiraum für die Forschung.
Präbiotika und ihre Auswirkungen auf die Gehirnfunktion
Kann eine pflanzliche Ernährung die Darmbakterien so verändern, dass diese einen Einfluss auf die Gehirnfunktion haben? Dieser Frage sind Wissenschaftler:innen der Universitätsmedizin Leipzig, des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften Leipzig und des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung in einer Studie mit Erwachsenen mit Übergewicht nachgegangen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Ballaststoffe sowohl die Zusammensetzung der Darmbakterien als auch die Belohnungssignale im Gehirn und die damit verbundene Essentscheidung positiv verändern können.
Präbiotika dienen der Ansiedlung nützlicher Bakterien im Darm. Diese unverdaulichen Ballaststoffe kommen in pflanzlichen Lebensmitteln wie Zwiebeln, Lauch, Artischocken, Weizen, Bananen oder auch hochkonzentriert in der Chicoreewurzel vor. Sie unterstützen die Darmgesundheit, indem sie das Wachstum und die Aktivität von nützlichen Darmbakterien fördern. Die aktuelle Interventionsstudie deutet darauf hin, dass diätetische Präbiotika hochdosiert zu einer Reduktion der belohnungsbezogenen Hirnaktivierung als Reaktion auf hochkalorische Nahrungsmittelreize führen können. Die Ergebnisse lassen auf eine potenzielle Verbindung zwischen Darmgesundheit und Gehirnfunktion schließen, in diesem Fall die Essentscheidung.
In der Studie wurden junge Erwachsene mit leichtem Übergewicht und einem omnivoren, westlichen Ernährungsstil ausgewählt. Die Proband:innen nahmen über einen Zeitraum von 14 Tagen jeden Tag 30 Gramm Inulin zu sich, ein Präbiotikum aus der Chicoreewurzel. Im Vergleich zeigte sich eine geringere Aktivierung der belohnungsbezogenen Gehirnbereiche bei der Bewertung hochkalorischer Lebensmittel nach der Ballaststoffeinnahme. Die Ergebnisse legen nahe, dass funktionale mikrobielle Veränderungen der veränderten Hirnantwort zugrunde liegen könnten.
Zukünftige Studien sind erforderlich, um zu untersuchen, ob Behandlungen, die das Mikrobiom verändern, neue Wege für weniger invasive Ansätze zur Vorbeugung und Therapie von Adipositas eröffnen könnten. Ein besseres Verständnis der zugrundeliegenden Mechanismen zwischen Mikrobiom, Darm und Gehirn könnte helfen, neue Strategien zur Förderung gesünderer Essgewohnheiten bei Menschen zu entwickeln.
Das Symposium "Darm trifft Hirn: Mikrobiota bei neurologischen Erkrankungen"
Unser Darm leben Billionen von Bakterien. Dieses Mikrobiom ist dabei nicht nur für die Darmgesundheit wichtig, es beeinflusst auch andere Körperfunktionen. Forschende interessiert insbesondere, wie das Mikrobiom die Signalübertragung entlang der „Darm-Hirn-Achse“ beeinflussen kann, um neurologische Prozesse im Wirt zu verändern. Auf einem wissenschaftlichen Symposium werden neue Erkenntnisse vorgestellt.
Der Darm und das Gehirn stehen über die sogenannte Darm-Hirn-Achse in ständigem Austausch. Dies geschieht über das Nervensystem, das Immunsystem, mikrobiell produzierte Botenstoffe wie zum Beispiel kurzkettige Fettsäuren, Darmhormone und Neurotransmitter. Forschende konnten zum einen nachweisen, dass das Mikrobiom die Gehirnfunktion durch Stoffwechselprodukte wie Serotonin-Vorstufen beeinflusst. Zum anderen, dass Veränderungen im Mikrobiom mit neurodegenerativen und psychiatrischen Erkrankungen zusammenhängen können.
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