Mit zunehmendem Alter verändert sich unser Körper und Geist. Die Weltbevölkerung altert rasant, was zu einem deutlichen Anstieg altersbedingter Erkrankungen des zentralen Nervensystems führt. Dieser Artikel beleuchtet die Veränderungen, die im alternden Gehirn stattfinden, aktuelle Forschungsergebnisse und mögliche Wege, den Alterungsprozess zu verlangsamen und die geistige Fitness zu erhalten.
Veränderungen im alternden Gehirn
Das Altern ist ein komplexer biologischer Prozess, der auch im Gehirn stattfindet. Jede einzelne Zelle unterliegt diesem Prozess, der unter anderem mit Veränderungen in der Gen-Aktivität einhergeht. Unser Gehirn besteht aus verschiedenen Zelltypen mit jeweils spezifischen Eigenschaften, Funktionen und Verknüpfungen, die zusammen die komplexen Berechnungen des Gehirns durchführen.
Neurobiologisch gesehen beginnt das Gehirn bereits mit etwa 20 Jahren unmerklich zu altern. Im Laufe der Zeit verliert das Gehirn an Volumen, vor allem durch den Verlust von Gliazellen, die die Nervenbahnen umgeben, und durch die Ausdünnung der Netzwerke und Verbindungen zwischen den Nervenzellen. Diese Veränderungen können die Lernfähigkeit älterer Menschen beeinträchtigen.
Forschende fanden heraus, dass sich dabei die Gen-Aktivität in verschiedenen Zelltypen des Gehirns verändert. Ein bestimmter Typ von Neuronen ist besonders betroffen. Das Single Nucleus RNA Sequencing ermöglichte es den WissenschaftlerInnen, erstmals die Veränderung der Gen-Aktivität einzelner Zelltypen im Laufe des Alterns zu untersuchen. „Wir konnten nachweisen, dass sich die Genexpression in allen Zelltypen im Laufe des Alterns verändert, aber nicht unbedingt in den gleichen Genen“, fasst Studienleiterin Anna Fröhlich das Ergebnis zusammen. Sie fand, dass sich in allen Zelltypen die Aktivität von Genen, die wichtig für die synaptische Übertragung, also die Kommunikation zwischen den Neuronen sind, mit dem Altern verändert.
Da das Alter der größte Risikofaktor für neurodegenerative Erkrankungen wie eine Alzheimer-Demenz ist, verglichen die ForscherInnen die altersbedingten Veränderungen in der Genexpression mit Veränderungen bei der Alzheimer-Erkrankung. Sie fanden weitreichende Überlappungen in bestimmten Zelltypen. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass kontinuierliche, nicht-krankhafte Veränderungen ab einem gewissen Zeitpunkt eine Schwelle überschreiten und sozusagen ins Pathologische umschlagen.
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Die untersuchten Gewebeproben stammten von Menschen mit und ohne psychiatrische Erkrankung. Ein Vergleich dieser zwei Gruppen zeigte Unterschiede in der biologischen Alterung: Das Genexpressions-Alter von Menschen mit psychiatrischer Erkrankung war beschleunigt, das heißt, dass sie „biologisch gesehen“ älter waren. Dies könnte daran liegen, dass sich die Aktivität mancher Gene nicht nur im Alter verändert, sondern auch durch psychiatrische Erkrankungen beeinflusst wird, wie die WissenschaftlerInnen zeigen konnten.
Die Blut-Hirn-Schranke im Alter
Damit die Nervenzellen im Gehirn reibungslos funktionieren und Informationen verarbeiten können, ist das zentrale Nervensystem auf eine streng kontrollierte Umgebung angewiesen. Diese wird durch die Blut-Hirn-Schranke aufrechterhalten: Spezialisierte Hirnendothelzellen sitzen an den Innenwänden der Blutgefäße und kontrollieren den Austausch von Molekülen zwischen Blut- und Nervensystem. Frühere Studien haben gezeigt, dass verschiedene von diesen Zellen abhängige Funktionen, wie die Integrität der Blut-Hirn-Schranke oder die Steuerung der Blutversorgung im Gehirn, im Laufe des Lebens abnehmen. Diese Fehlregulation führt zu Dysfunktionen in den Blutgefäßen und trägt damit entscheidend zu Erkrankungen wie Schlaganfall und Demenz bei.
Eine kürzlich im Fachmagazin Nature Aging publizierte Studie unter maßgeblicher Beteiligung von Forschenden der LMU und SyNergy schließt nun diese Wissenslücke. „Unsere Ergebnisse zeigen Fehlregulationen von Schlüsselmolekülen bei der Stoffaufnahme in die Zellen, dem Rezeptorrecycling und dem Abbau von Stoffen im Lysosom“, so Dichgans. Zu den auffälligsten Veränderungen gehörte ein Rückgang von Proteinen, die am Vesikel-vermittelten Transport beteiligt sind. Außerdem liefert die Studie Belege dafür, dass ein Mangel des im Fettstoffwechsel relevanten Apolipoproteins E die Alterung beschleunigen kann. „Die Ergebnisse ergänzen und erweitern Erkenntnisse aus Studien zur RNA-Sequenzierung von Hirnendothelzellen im Verlauf des Alterns“, meint Dichgans. „Unser Proteomik-Ansatz erfasst z.B. Prozesse, die auf der RNA-Ebene nicht erkannt werden.“ Insgesamt biete die Studie einen Rahmen für das Verständnis wichtiger endothelialer Signalwege während der Alterung und diene als Datengrundlage für zukünftige Analysen der Gehirnendothel-Funktion.
Proteostase in Nervenzellen
Das Team um Alessandro Ori vom FLI, der inzwischen in San Francisco lebt und arbeitet, untersuchte die sogenannte Proteostaste in Nervenzellen - das empfindliche Gleichgewicht von Produktion, Faltung und Abbau sämtlicher Proteine in einer Zelle. "Der Verlust dieser Proteostase - also der Abbau dieses Gleichgewichts - wird als ein Kennzeichen des Alterns angesehen und tritt auch bei altersbedingten neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson auf." Dieser Verlust sei ein interessanter Prozess, denn an ihm laufen Alterung und Krankheit zusammen.
In der jetzt im renommierten Journal "Science" veröffentlichten Studie untersuchten die Wissenschaftler keine menschlichen Gehirne, sondern die eines besonderen Wirbeltiers - des Killifischs (Türkise Prachtgrundkärpfling oder Nothobranchius furzeri). "Die Veränderungen, die wir im Killifisch-Gehirn sehen, entsprechen in vielen Punkten denen im Alzheimer-Gehirn", so Ori. Das Team analysierte umfassend, wie während des Alterns die Genexpression in den Killifischen reguliert wurde - vom Ablesen der Erbinformation (Transkriptom), über die Proteinherstellung durch Ribosomen (Translatom), bis hin zur tatsächlichen Zusammensetzung der gebildeten Proteine (Proteom).
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"Interessant wurde es, als wir Proteomdaten mit Transkriptomdaten verglichen - also den mRNA-Molekülen, die als Bauplan für die Proteinsynthese dienen. Theoretisch gilt: eine mRNA liefert ein Protein", sagt Alessandro Ori. Frühere Forschungen hatten ähnliches bereits in anderen Spezies beobachtet. Das Team aus Jena, das von der Scuola Normale Superiore Pisa unterstützt wurde, wollte genauer wissen, wo dieser verblüffende Widerspruch entsteht. Doch es mangelte häufig an Proteinen mit vielen basischen Aminosäuren wie Arginin und Lysin - wichtig etwa für DNA-Reparatur oder RNA-Verarbeitung. Daher richteten die Wissenschaftler ihren Blick auf die "Proteinfabriken" der Zellen: die Ribosomen. "Und als wir uns das angesehen haben, ergab plötzlich alles einen Sinn", so Ori. "Warum? Die Fehlfunktion hat weitreichende Konsequenzen: Bestimmte Proteine werden kaum noch hergestellt, andere dagegen vermehrt, weil weniger Konkurrenz im Translationsprozess besteht.
Die Grundidee für eine spätere Intervention, um Alzheimer oder andere neurodegenerative Krankheiten aufzuhalten, wäre, die gestörte Funktion der Ribosomen zu reparieren. Die Proteostase etwa durch die Zugabe von fehlenden Eiweißen wiederherzustellen, sei dagegen ein fast unmögliches Unterfangen, so Ori. "Das Problem ist: Es sind Hunderte Proteine betroffen - man wüsste nicht, welche Kombination nötig wäre. Daher wollen wir lieber den 'Motor' - die Proteinsynthese in den Ribosomen - reparieren, statt nur Symptome zu flicken.
Forschung und neue Erkenntnisse
Seit Generationen versuchen Wissenschaftler, dem menschlichen Gehirn auf die Spur zu kommen. Stück für Stück entschlüsseln sie seine Funktionsweisen. Im Rahmen der 1.000-Gehirne-Studie werden ältere Menschen über mehr als anderthalb Jahrzehnte begleitet und eine Fülle von Daten zu ihrer Lebenssituation, Umwelteinflüssen, Genetik und Verhalten gesammelt.
Die 1.000-Gehirne-Studie
Die Stelle, an der die Medizinerin und ihre Kollegen der Universitäten Düsseldorf, Basel und Duisburg-Essen mit der 1.000-Gehirne-Studie ansetzen, ist das alternde Gehirn. Wenn im Alter die signifikantesten Veränderungen auftreten, so ihre Hypothese, müssten sich doch daraus Rückschlüsse ziehen lassen auf die generellen Funktionsweisen - und darauf, welche Faktoren außerhalb des Kopfes Einfluss haben auf das Gehirn. Dazu wurde eine noch nie da gewesene Fülle von Daten zusammengetragen: Es sind gezielt ältere Menschen untersucht worden, die zu Beginn im Jahr 2001 zwischen 45 und 75 Jahre alt waren und über mehr als anderthalb Jahrzehnte hinweg begleitet wurden. Zudem wurde nicht nur das Gehirn betrachtet, sondern auch die gesamte Lebenssituation der Probanden.
Die 1.000-Gehirne-Studie ist eine Fortsetzung der Essener Heinz-Nixdorf-Recall-Studie, in der Patienten mit einem besonderen Blick auf das Herz-Kreislauf-System untersucht wurden. Daten zu Umwelteinflüssen, zur Genetik und etlichen weiteren Faktoren wurden erhoben, alle paar Jahre erhielten die Probanden zusätzlich Fragebögen zu ihrer persönlichen Situation, zu ihrem Beruf, zu ihrer Freizeitgestaltung, zu ihrem Verhalten.
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Die Forscher fanden heraus, dass Sport, soziale Kontakte und Alkohol sich direkt auf die Gehirnstruktur auswirken, während Rauchen eher die Kommunikation der Gehirnregionen untereinander beeinflusst. Diese Erkenntnisse eröffnen die Tür zu weiteren Untersuchungen, wie viel Schaden welche Faktoren im Gehirn konkret anrichten und ob dieser durch gesundes Verhalten in einem anderen Bereich kompensiert werden kann.
Das alternde Gehirn und Kompensationsmechanismen
„Generell versucht ein alterndes Gehirn, seine verloren gegangene Leistung zu kompensieren, indem es andere Bereiche des Gehirns mit hinzuzieht, die für die konkrete Aufgabe eigentlich nicht zuständig sind“, erläutert Svenja Caspers. Das Gehirn sucht sich also Hilfe: Während ein junger Mensch drei oder vier Gehirnregionen für eine Rechenaufgabe benötigt, kann ein älterer Mensch die gleiche Aufgabe auch problemlos lösen - bei ihm aber muss sich das Gehirn noch Ressourcen aus anderen Hirnbereichen hinzuziehen. „Wenn die Aufgaben jetzt immer schwieriger werden“, sagt Svenja Caspers, „hat der ältere Mensch also eher Probleme als der jüngere, weil er nicht mehr so viele Reserven hat.“
Das Human Brain Project
Neben der 1.000-Gehirne-Studie arbeiten Forscher des Forschungszentrums Jülich auch an einem der derzeit größten neurowissenschaftlichen Projekte weltweit: dem Human Brain Project. Ziel des Projekts ist es, das komplette menschliche Gehirn detailgetreu von der einzelnen Zelle bis hin zur Interaktion großer Zellverbände und Hirnareale auf einem Supercomputer der Zukunft zu simulieren. Die Forscher wollen so das Gehirn besser verstehen, um Krankheiten künftig früher diagnostizieren und gezielter therapieren zu können.
Vergleich der Alterung von Mensch und Schimpanse
In einer aktuellen Studie haben Felix Hoffstaedter und sein Team die Alterung des Gehirns von Menschen und Schimpansen verglichen. "Die letzten entscheidenden Entwicklungen zum Menschen haben wohl ihren Preis. Die Erkenntnisse stützen das Prinzip "Last in, first out". Die Hirnareale, die sich als letztes entwickeln, bauen sich auch als erstes wieder ab. Dazu gehört vor allem die Region des präfrontalen Kortex. "Wir können zwar relativ gut zeigen, wie das Gehirn altert. Zellen werden weniger, eine Ausdünnung findet statt, aber die findet in manchen Bereichen mehr statt als in anderen", sagt Hoffstaedter.
Die "Gehirn-Uhr"
Ein Forschungsteam aus Chile versuchte mittels einer "Gehirn-Uhr" vorherzusagen, ob das menschliche Gehirn schneller altert, als sein chronologisches Alter vermuten lässt. Dafür untersuchten sie, wie gut die einzelnen Hirnregionen miteinander agieren. Konkret bedeutet eine Hirnalterslücke von zehn Jahren bei einer 50-jährigen Person, dass ihre eigentliche Gehirnleistung der einer 60-jährigen Person entspricht. Somit ist ihr Gehirn älter, als es für ihr eigentliches chronologisches Alter vorgesehen wäre. Bedingt wird das Altern des Gehirns auch durch unsere Lebensweise. Umweltverschmutzung, Kultur, sozioökonomische Bedingungen und Ernährung können unser Altern beschleunigen oder hinauszögern.
Identifizierung potenziell verjüngender Interventionen
Forschende um Dr. Antonio Del Sol analysierten 43.840 Transkriptionsprofile von 5771 chemischen und genetischen Störfaktoren in neuralen Vorläuferzellen (NPC) und Neuronen auf potenziell verjüngende Eigenschaften. Letztlich wurden in der Studie 453 einzigartige verjüngende Interventionen identifiziert. Zu deren Top 5 mit Blick auf eine Verjüngung von NPC gehören Moleküle wie BGT-226 (ein Pan-PI3K- und mTOR-Inhibitor), Alvocidib (ein Cyclin-abhängiger Kinase-Inhibitor), WYE-354 (ein mTOR-Inhibitor), Iloprost (ein Prostacyclin-Analogon) und der Transkriptionsrepressionsinhibitor BRD-K48950795, der Chromatin-Remodellierungsmechanismen hemmt. Die meisten dieser Entwicklungssubstanzen zeigen Wirksamkeit gegen verschiedene Krebsarten. Interessanterweise wurden 20 der in NPC vorhergesagten und drei der in Neuronen vorhergesagten Verbindungen (Dopamin, Nemonaprid und TAK-175) in der DrugAge-Datenbank als lebensverlängernd in Tiermodellen identifiziert.
Als Proof of Concept für ihren Ansatz testeten die Forschenden drei Verbindungen, konkret 5-Azacytidin, Tranylcypromin und JNK-IN-8, die von ihrer Plattform als Kandidaten identifiziert worden waren, an alten Mäusen. Die Behandlung führte zu einer deutlichen Reduzierung von Angstzuständen und verbesserte das Gedächtnis der Tiere.
Risikofaktoren und Präventionsansätze
Trotz der Normalität des Alterungsprozesses gibt es Faktoren, die das Risiko eines geistigen Abbaus im Alter verstärken. Dazu gehören Bluthochdruck, Diabetes, hohe Cholesterinwerte, Übergewicht, Rauchen und starker Alkoholkonsum. Studien haben jedoch ergeben, dass "Bildung" vor frühzeitigem Verfall der geistigen Leistungsfähigkeit schützt.
Lebensstil und geistige Fitness
Lebenslanges Üben und Lernen hält die Menschen geistig fit. Intellektuelle, soziale und besonders auch körperliche Aktivitäten können den Leistungsabbau des Gehirns zumindest verzögern. Körperliche Aktivität, soziale Kontakte und geistige Stimulation wirken sich positiv auf die Gehirnstruktur und -funktion aus.
Das "fragile Altern"
Die Medien zeigen oft ein idealisiertes Bild des Alterns, das mit Jugendlichkeit und Fitness einhergeht. Es ist jedoch wichtig, auch das "fragile Altern" anzuerkennen, das mit Gebrechlichkeit und Verfall einhergeht. Dies ist ein normaler Teil des Alterungsprozesses, der nicht unterschlagen werden sollte.
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