Einführung
Das menschliche Gehirn ist ein faszinierendes und komplexes Organ. Lange Zeit ging die Wissenschaft davon aus, dass sich das Gehirn eines Erwachsenen nicht mehr verändert. Doch die Hirnforschung der letzten Jahre hat bahnbrechende Erkenntnisse gebracht: Unser Gehirn bildet zeitlebens neue Nervenzellen. Diese Neubildung von Nervenzellen wird als Neurogenese bezeichnet. Die Geschwindigkeit, mit der diese Zellen wachsen, ist der Schlüssel zu einer besseren Lebensqualität. Und das Beste daran: Unsere Neurogenese-Rate kann in allen Phasen des Erwachsenenalters dramatisch verbessert werden.
Neurogenese: Der Schlüssel zu einem vitalen Gehirn
Die Neurogenese ist der Prozess der Neubildung von Neuronen (Nervenzellen) im Gehirn. Diese Neuronen wachsen jedoch nur heran, wenn man ihnen etwas bietet. Die Neurogenese-Rate entscheidet darüber, ob man sich gut oder schlecht, lebendig und jung oder festgefahren und depressiv fühlt.
Die vier Schlüssel der Neurogenese
Es gibt vier wesentliche Faktoren, die die Neurogenese positiv beeinflussen:
- Lernreize und geistige Herausforderungen: Das Gehirn will gefordert werden. Neue Informationen, komplexe Aufgaben und geistige Aktivitäten stimulieren die Bildung neuer Nervenzellen und stärken die Verbindungen zwischen ihnen.
- Körperliche Betätigung: Sport und Bewegung sind nicht nur gut für den Körper, sondern auch für das Gehirn. Sie fördern die Durchblutung, versorgen das Gehirn mit Sauerstoff und Nährstoffen und regen die Neurogenese an.
- Spiritualität oder Bewusstheit: Achtsamkeit, Meditation und spirituelle Praktiken können Stress reduzieren, die Konzentration verbessern und die Neurogenese fördern.
- Spezielle Ernährung und soziale Kontakte: Eine ausgewogene Ernährung mit viel Gemüse, Obst, gesunden Fetten und Omega-3-Fettsäuren ist wichtig für die Gehirngesundheit. Soziale Kontakte und Beziehungen sorgen für emotionale Unterstützung und stimulieren das Gehirn.
Diese vier Schlüssel wirken wie Dünger fürs Gehirn und tragen dazu bei, die Neurogenese anzukurbeln.
Die Plastizität des Gehirns: Ein Leben lang lernen
Eine der wichtigsten Eigenschaften des Gehirns ist seine Lernfähigkeit. Das Gehirn ist in der Lage, sich an neue Situationen anzupassen, neue Fähigkeiten zu erlernen und sich von Schäden zu erholen. Diese Fähigkeit wird als neuronale Plastizität bezeichnet.
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Synaptische Plastizität
Lernen findet an den Synapsen statt - den Verbindungsstellen zwischen den Nervenzellen. Die Synapsen können die Effektivität der Signalübertragung variieren. Dieses Phänomen wird als synaptische Plastizität bezeichnet. Durch einen Vorgang namens Langzeitpotenzierung (LTP) kann eine Synapse verstärkt werden, indem sie mehr Botenstoff ausschüttet oder mehr Botenstoffrezeptoren bildet. Die Übertragung von Signalen kann aber nicht nur verstärkt oder abgeschwächt werden, sie kann auch überhaupt erst ermöglicht oder völlig gekappt werden. So wissen Neurowissenschaftler heute, dass Synapsen selbst im erwachsenen Gehirn noch komplett neu gebildet oder abgebaut werden können. An wenigen Stellen wie zum Beispiel im Riechsystem können sogar zeitlebens neue Nervenzellen gebildet werden. Es ist also nicht übertrieben, wenn man sagt: Unser Gehirn gleicht zeitlebens einer Baustelle. Stärkung und Schwächung, Auf- und Abbau - die Stärke, mit der Signale zwischen Nervenzellen übertragen werden, wird laufend angepasst. Etwas vereinfacht könnte man sich also vorstellen, dass die Signalübertragung verstärkt wird, wenn das Gehirn etwas speichert - und abgeschwächt wird, wenn es vergisst. Ohne die Plastizität würde dem Gehirn folglich etwas Fundamentales fehlen: seine Lernfähigkeit.
Das Gehirn als Muskel
Manche Neurobiologen vergleichen das Gehirn mit einem Muskel, der trainiert werden kann. Je mehr eine bestimmte Fähigkeit gefordert wird, desto effektiver wird sie erledigt. Wer beispielsweise Taxi fährt, muss sich gut orientieren und Routen merken können. Durch die tägliche Arbeit wird so das Ortsgedächtnis immer besser. Das hinterlässt auch Spuren im Gehirn, zum Beispiel im Gehirn Londoner Taxifahrer: Forscher haben herausgefunden, dass in ihrem Gehirn der Hippocampus - ein für das Ortsgedächtnis zentrale Region im Gehirn - über die Jahre größer wird. Offenbar braucht ein derart trainiertes Orientierungsvermögen auch mehr Raum!
Reparaturmechanismen des Gehirns
Seine Plastizität hilft dem Gehirn zudem, Schäden zumindest teilweise zu reparieren. Sterben beispielsweise bei einem Schlaganfall Nervenzellen ab, können benachbarte Hirnregionen die Aufgaben des betroffenen Gebiets zum Teil übernehmen. Am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften haben Forscher herausgefunden, dass das Gehirn so die Schäden nach einem Schlaganfall zum Teil kompensieren kann.
Forschungsmethoden zur Erforschung des Gehirns
Um die Funktionsweise des Gehirns besser zu verstehen, setzen Wissenschaftler verschiedene Forschungsmethoden ein.
Magnetresonanztomografie (MRT)
Mit der Magnetresonanztomografie (MRT) können Wissenschaftler die zu Fasersträngen gebündelten Fortsätze von Nervenzellen sichtbar machen, die die Areale der Großhirnrinde miteinander verbinden. Auf diese Weise haben Sprachforscher beispielsweise eine für das Sprachvermögen zentrale Gehirnregion entdeckt: den sogenannten Fasciculus Articuatus. Ohne dieses Nervenfaserbündel können Kleinkinder keine komplexen Sätze bilden und verstehen. Dies gelingt erst, wenn diese Verbindung genug entwickelt ist. Bei Menschenaffen hingegen sind diese Nervenfasern zeitlebens schwach ausgebildet. Folglich schaffen die Tiere es trotz jahrelangen Trainings nicht, selbst einfachste Sätze zu bilden - und das, obwohl andere erforderliche Hirnareale sowie anatomische Voraussetzungen zum Sprechen durchaus vorhanden sind.
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Funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT)
Mit einer Variante dieser Technik, der sogenannten funktionellen Magnetresonanztomografie, können Wissenschaftler zwischen aktiven und nicht aktiven Gehirnregionen unterscheiden. Damit haben sie viel über den Aufbau und die Funktionsweise des Gehirns gelernt. So haben Max-Planck-Forscher aus Leipzig herausgefunden, warum bei Menschen, die stottern, ein Ungleichgewicht zwischen der Hirnaktivität von linker und rechter Großhirnhälfte auftritt: Innerhalb des überaktiven rechten Netzwerkes haben sie eine Faserbahn entdeckt, die bei den Betroffenen deutlich stärker ausgebildet ist, als bei Menschen ohne Sprechprobleme.
Konnektomforschung
Einen exakten Schaltplan des Gehirns lässt sich jedoch mit der MRT-Technik nicht erstellen, dafür ist die Genauigkeit der Methode nicht hoch genug. Schließlich sitzen bis zu 10.000 Synapsen auf einer Nervenzelle, 100 Billionen sind es insgesamt. Dies zeigt, wie dicht das Kommunikationsnetz im Gehirn ist. In diesem Netz können einerseits benachbarte Nervenzellen miteinander verknüpft sein, andererseits auch Zellen, die weit voneinander entfernt sind. Die Wissenschaftler entwickeln deshalb neue Methoden, mit denen sie das Konnektom entschlüsseln können. Als Modellfälle dienen ihnen dafür Mäuse: Zuletzt haben sie die Verschaltung von Bereichen der Netzhaut des Auges sowie der Großhirnrinde aufgeklärt und herausgefunden, dass Nervenzellen im sogenannten entorhinalen Kortex der Großhirnrinde wie ein Transistor organisiert sind: Bevor eine Nervenzelle eine andere Zelle aktivieren kann, kontaktiert sie eine hemmende Zelle und wird so in ihrer eigenen Aktivität behindert. Anhand solcher Schaltpläne wollen Wissenschaftler lernen, wie das Gehirn funktioniert.
Modellorganismen
An Max-Planck-Instituten arbeiten sie bereits heute daran, die Prinzipien der Informationsverarbeitung aufzuklären. Derzeit konzentrieren sie sich auf einfacher aufgebaute Gehirne, die weniger Nervenzellen und -fasern besitzen als das Gehirn des Menschen. Mäuse sind ein solcher Modellfall für Neurowissenschaftler. Sie besitzen als Säugetiere ein ähnlich aufgebautes und funktionierendes Gehirn wie der Mensch. Noch einfacher aufgebaut und leichter zu untersuchen ist das Gehirn von Zebrafischen und ihrer Larven. So besitzt das Gehirn einer Fischlarve nicht nur lediglich 100.000 Nervenzellen und damit eine Million Mal weniger als das des Menschen, es ist auch noch nahezu völlig transparent. Auch Wirbellose können ein Modell für Neurowissenschaftler sein. Ihre Nervenzellen sind zwar sehr klein, dadurch kann ihre Aktivität nicht so leicht gemessen werden. Dafür lassen sich wegen der vergleichsweise einfacheren Architektur die Prinzipien von Verschaltungen zur Wahrnehmung und Verarbeitung von Umweltreizen analysieren. So können Forscher anhand des Gehirns von Fruchtfliegen lernen, wie der Geruch von Nahrung die Fortpflanzung beeinflusst. Durch die Analyse des Sehsystems von Schmeißfliegen wollen sie herausfinden, wie die Insekten Bewegungen so unglaublich schnell wahrnehmen können. Selbst ein so einfach aufgebauter Organismus wie der Fadenwurm C.
Praktische Tipps zur Verbesserung der Neurogenese
Wie können wir nun die Erkenntnisse der Hirnforschung nutzen, um unsere Neurogenese-Rate zu verbessern und unser Gehirn fit zu halten? Hier sind einige praktische Tipps:
- Fordern Sie Ihr Gehirn heraus: Lernen Sie neue Fähigkeiten, lesen Sie Bücher, spielen Sie anspruchsvolle Spiele, lösen Sie Rätsel oder lernen Sie eine neue Sprache.
- Bewegen Sie sich regelmäßig: Treiben Sie Sport, gehen Sie spazieren, tanzen Sie oder machen Sie Yoga.
- Achten Sie auf eine gesunde Ernährung: Essen Sie viel Gemüse, Obst, Vollkornprodukte, gesunde Fette und Omega-3-Fettsäuren. Vermeiden Sie stark verarbeitete Lebensmittel, Zucker und gesättigte Fette.
- Pflegen Sie soziale Kontakte: Verbringen Sie Zeit mit Freunden und Familie, engagieren Sie sich in einem Verein oder einer Organisation oder nehmen Sie an sozialen Aktivitäten teil.
- Reduzieren Sie Stress: Finden Sie Wege, um Stress abzubauen, wie z.B. Meditation, Yoga, Atemübungen oder Spaziergänge in der Natur.
- Schlafen Sie ausreichend: Schlafmangel kann die Neurogenese beeinträchtigen. Achten Sie auf einen regelmäßigen Schlafrhythmus und ausreichend Schlaf.
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