Die Erforschung des Gehirns von Psychopathen ist ein komplexes und faszinierendes Feld, das Einblicke in die neuronalen Grundlagen von Empathiemangel, antisozialem Verhalten und moralischer Kognition ermöglicht. Dieser Artikel untersucht die Struktur und Funktion des Gehirns von Psychopathen, basierend auf aktuellen neurowissenschaftlichen Erkenntnissen und Forschungsergebnissen.
Einleitung
Psychopathie ist eine Persönlichkeitsstörung, die durch einen Mangel an Empathie, Reue und Schuldgefühlen gekennzeichnet ist. Psychopathen zeigen oft oberflächlichen Charme, rücksichtsloses Verhalten und einen Hang zu egozentrischer Bedürfnisbefriedigung. Die Neurowissenschaft hat begonnen, die Gehirnstruktur und -funktion von Psychopathen zu untersuchen, um die biologischen Grundlagen dieser Störung besser zu verstehen.
Definition und Diagnose der Psychopathie
Der Begriff "Psychopathie" leitet sich von den griechischen Wörtern ψυχή (Seele) und πάθος (Leiden) ab. Julius Koch definierte Psychopathie als ein psychisches "Zwischengebiet", das durch angeborene Bedingungen und Umwelteinflüsse verursacht wird. Kurt Schneider beschrieb psychopathische Zustandsbilder, einschliesslich des "gemütsarmen Psychopathen".
In der heutigen forensischen Psychiatrie wird Psychopathie als eine Störung verstanden, die mit kriminellem und gewalttätigem Verhalten einhergeht. Hervey Cleckley beschrieb Psychopathen als Personen mit oberflächlichem Charme, rücksichtslosem Verhalten, egozentrischer Bedürfnisbefriedigung und geringer Empathie.
Robert D. Hare entwickelte die Psychopathy Checklist (PCL-R), ein etabliertes Instrument zur Psychopathiediagnostik. Die PCL-R besteht aus 20 Merkmalen, die affektive Defizite, interpersonelle Besonderheiten, einen auffälligen Lebensstil und dissoziale Merkmale umfassen. Ein pathognomonisches Symptom der Psychopathie ist der Mangel an emotionaler Resonanz.
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Im Vergleich zur antisozialen Persönlichkeitsstörung (dissozialen Persönlichkeitsstörung) sind die Differenzierungsmerkmale ein Mangel an Angst und Furcht sowie ein kühn-dreister zwischenmenschlicher Stil. Die meisten Psychopathen erfüllen die Kriterien der antisozialen Persönlichkeitsstörung, aber nicht umgekehrt.
Neurobiologische Grundlagen der Psychopathie
Die neurowissenschaftliche Forschung hat sich auf die Identifizierung struktureller und funktioneller Unterschiede im Gehirn von Psychopathen konzentriert.
Strukturelle Hirnveränderungen
Studien haben Volumenminderungen grauer Substanz in bestimmten Hirnregionen von Psychopathen festgestellt. Eine Metaanalyse von Studien mit männlichen Straftätern ergab Volumenminderungen im linken dorsolateralen präfrontalen Kortex und im medialen Orbitofrontalkortex. Je höher die Werte auf der Psychopathy Checklist, desto größer war die Volumenminderung in diesen Regionen. Eine analoge negative Korrelation wurde im mittleren zingulären Kortex, im linken Prämotorkortex, im linken Caudatum und im rechten Temporalkortex gefunden.
Der Faktor 1 der PCL-R (interpersonelle und affektive Merkmale) und der Faktor 2 (impulsiver Lebensstil und antisoziale Charakteristika) sind beide mit Volumenminderungen im linken dorsolateralen präfrontalen Kortex und im medialen Orbitofrontalkortex assoziiert. Unterschiede zwischen den Faktoren bestehen hinsichtlich des Caudatums und des rechten Operculums, deren Volumen negativ nur mit dem Faktor 2 korreliert.
Es ist wichtig zu beachten, dass diese Befunde keinen Schluss auf Ursache und Wirkung zulassen, da das Gehirn über die gesamte Lebensspanne eine Plastizität aufweist. Mentales Training kann zu strukturellen Hirnveränderungen führen.
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Funktionelle Hirnveränderungen
Funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT)-Studien haben gestörte Aktivität in bestimmten Hirnregionen von Psychopathen gezeigt. Eine Metaanalyse von fMRT-Studien ergab eine verminderte Hirnaktivität im lateralen präfrontalen Kortex, im dorsomedialen Kortex und in der Amygdala. Eine gesteigerte Hirnaktivität fand sich auf beiden Hemisphären im frontoinsulären Kortex.
Die Funktionen dieser Regionen wurden mithilfe von Metadaten aus der BrainMap-Datenbank analysiert. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die veränderten Hirnfunktionen mit Verhaltensmustern zusammenhängen, die für Psychopathie kennzeichnend sind.
Neuronale Korrelate moralischer Kognition
Psychopathen zeigen ein großes manipulatives Geschick, Mangel an Empathie und sozialer Rücksicht sowie mangelndes Schuld- und Reuegefühl. Diese Charakteristika deuten auf eine Beeinträchtigung der moralischen Kognition hin.
Eine Metaanalyse von Studien zur moralischen Kognition bei Psychopathen replizierte die generellen Effekte im dorsomedialen präfrontalen Kortex, im lateralen präfrontalen Kortex, im frontoinsulären Kortex und in der Amygdala. Zusätzlich zeigten sich funktionelle Veränderungen im dopaminergen Mittelhirn und der temporoparietalen Übergangsregion (TPJ). Das Mittelhirn spielt eine wichtige Rolle für Empathie, und die TPJ ist eine Schlüsselregion für moralische Entscheidungen und Empathie.
Neurotransmitter und Genexpression
Die gestörte Hirnaktivität bei Psychopathie steht im Zusammenhang mit der Verteilung von Neurotransmittern und der Genexpression. Eine Studie ergab einen signifikanten Zusammenhang zwischen veränderter Hirnaktivität und der Verteilung von 5-HT1A, einem Serotoninrezeptor. Je größer die Aktivitätsänderung einer Region im Zusammenhang mit Psychopathie, desto größer die Rezeptormenge.
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Ein hochsignifikanter Zusammenhang wurde auch mit dem HTR1A-Gen gefunden, das den 5-HT1A-Rezeptor kodiert. Das veränderte Aktivierungsmuster ist assoziiert mit Angst, Erregung, Empathie und Emotion, also Verhaltenskomponenten, die bei Psychopathen auffällig sind.
Diese Ergebnisse deuten auf ein mögliches Potenzial von Serotonin-Wiederaufnahmehemmern bei der Behandlung von Personen mit hochgradig psychopathischen Eigenschaften hin. Eine placebokontrollierte Studie zeigte, dass Serotoninaugmentation zu einer Reduktion von Aggression im Zusammenhang mit primären psychopathischen Persönlichkeitseigenschaften führte.
Die Rolle von Angst und Furcht
Ein zentrales Merkmal der Psychopathie ist das Fehlen emotionaler Angst und Furcht. Dies bedeutet, dass Psychopathen kein Angstgefühl vor den negativen Konsequenzen des eigenen Handelns haben, trotz klarem kognitiv-gedanklichem Verständnis der Folgen. Sie lernen schlecht aus negativen emotionalen Erfahrungen und suchen oft exzessive Reizung und sensationelle Erlebnisse.
Studien haben gezeigt, dass bei Psychopathen Schutzreflexe schwach anspringen und ihr vegetatives System besonders ausgeglichen ist. Die Körpersignale von Angst und Stress treten weniger auf oder gelangen nicht ins Gehirn und werden dort nicht als "emotionale" Zeichen verarbeitet.
Psychopathie und Gewalt
Psychopathen sind überproportional häufig in Gewaltverbrechen verwickelt. In Gefängnissen mit Schwerverbrechern schwankt ihr Prozentsatz zwischen 25 und 50 Prozent der Insassen. Weitere Risikofaktoren für erfolglose Psychopathen sind Geburtstrauma, keine Belohnung für aggressionsloses Verhalten, armes Elternhaus, Fehl- oder Unterernährung, chaotische Erziehung, sexueller und physischer Missbrauch, keine Vorbilder für Selbstkontrolle, geringe Intelligenz, schlechte Schulbildung, Aufmerksamkeits-Hyperaktivitätsstörung, exzessive Benutzung aggressiver Spiele und Videos, Sensationssucht und Langeweile sowie Alkohol- und Drogenmissbrauch.
Erfolgreiche Psychopathen
Nicht alle Psychopathen werden kriminell. Einige Psychopathen sind in der Lage, ihre Eigenschaften in nicht-kriminellen Kontexten zu nutzen und "erfolgreiche Psychopathen" zu werden. Diese Personen können in Führungspositionen in Unternehmen, Politik und anderen Bereichen des Lebens gefunden werden. Sie zeichnen sich durch Charme, Skrupellosigkeit und Mut zum Risiko aus.
Behandlung von Psychopathie
Die Behandlung von Psychopathie ist eine Herausforderung. Bisherige Versuche, psychopathisches Verhalten durch Psychopharmaka, Hirnstimulation oder klassische Psychotherapie zu beeinflussen, waren weitgehend erfolglos.
Präventionsstudien haben jedoch gezeigt, dass die frühzeitige Auswahl von Risikogruppen und intensive soziale Betreuung die Kriminalitätsrate und die Auftrittswahrscheinlichkeit schwerer geistiger Erkrankungen reduzieren können.
Neurofeedback-Training, bei dem Schwerstverbrecher lernen, ihre Hirnaktivität in den für Selbstregulation und Aggressionssteuerung verantwortlichen Regionen zu kontrollieren, hat vielversprechende Ergebnisse gezeigt.
Die Bedeutung des Umfelds
Das Umfeld, in dem eine Person aufwächst, spielt eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung von Psychopathie. Ein gutes Umfeld kann die anderen Risikofaktoren, die Gene und das Gehirn, offenbar aushebeln. Auf der anderen Seite kann ein schlechtes Umfeld, in dem Gewalt toleriert wird, die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass eine Person zu einem Gewalttäter wird.