Das Gehirn, eines der letzten großen Rätsel des menschlichen Körpers, fasziniert seit Jahrhunderten Forschung, Fiktion und Fantasie. Die interdisziplinäre Ausstellung "Das Gehirn in Wissenschaft und Kunst" in der Bundeskunsthalle in Bonn (28. Januar bis 26. Juni 2022) und später adaptiert im Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité, lüftet den Vorhang und bietet einen facettenreichen Einblick in dieses komplexe Organ. Sie vereint Kunst, Kulturgeschichte und Wissenschaft, um ein umfassendes Panorama des Gehirns zu entwerfen.
Einführung: Das Gehirn als Mysterium
Was ist das Gehirn? Schaltzentrale, Supercomputer oder der Ort der Seele? Fest steht, dass es eines der letzten großen Rätsel des menschlichen Körpers ist. Als zentrales Körperorgan, das unser Sein und Wesen ausmacht, gilt es in seinen Strukturen und Funktionen in vielerlei Hinsicht noch als unverstanden. Aktuell unternimmt die Neurowissenschaft die größten Forschungsanstrengungen, um den Funktionen des Gehirns genauer auf die Spur zu kommen. Die Ausstellung „Das Gehirn in Wissenschaft und Kunst“ bietet allen Interessierten einen Gang hinter die Kulissen der Hirnforschung.
Die Ausstellung weitet aber auch bewusst den Blick. Sie stellt philosophische Fragen, wie die nach dem Ich und dem Selbst und wie wir uns in die Welt stellen und uns mit ihr verbinden. Dabei setzt sie bewusst auch auf das Mittel der Kunst als eine andere, inspirierende Perspektive auf das spannende Thema.
Interdisziplinäre Perspektiven auf das Gehirn
Die Ausstellung befragt neben der Hirnforschung und Neurologie auch Philosophie, Religion, Medizingeschichte und Psychologie. Sie nähert sich dem Gehirn aus unterschiedlichen Perspektiven und vermittelt vielfältige, interdisziplinäre Einblicke.
Viele Disziplinen arbeiten zusammen, um sich dem Gehirn wie einem unbekannten Territorium zu nähern. Die Hirnforschung liefert aktuelle Erkenntnisse, steht aber auch vor vielen ungelösten Fragen. Kunst und geisteswissenschaftliche Disziplinen wie die Philosophie helfen, frei über Denken und Fühlen, Bewusstsein und Wahrnehmung, Erinnerung und Traum nachzudenken.
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Fünf zentrale Fragen
In fünf großen Fragekomplexen begibt sich die Ausstellung auf eine Reise durch die Kulturgeschichte und wissenschaftliche Erforschung des Gehirns:
- "Was habe ich im Kopf?" Dieses erste Ausstellungskapitel untersucht die Anatomie des menschlichen Gehirns. Zu den wichtigsten Objekten der Wissenschaftsgeschichte gehören hier beispielsweise Santiago Ramón y Cajals fantastische Zeichnungen von Gehirnzellen und -strukturen aus dem ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert. Der spanische Anatom und Histologe Santiago Ramón y Cajal (1852-1934) ist für seine kunstvollen und erstaunlich präzisen anatomischen Zeichnungen von Nervenzellen des Gehirns weltberühmt geworden.
- "Wie stelle ich mir die Vorgänge im Gehirn vor?" Dieses Ausstellungskapitel fragt nach den kognitiven Funktionen und aktiven Prozessen im Gehirn. Es werden bedeutende technische Erfindungen vorgestellt, wie zum Beispiel die Magnetresonanztomografie, die das Studium des aktiven Gehirns ermöglicht.
- "Sind ich und mein Körper dasselbe?" Die dualistische Vorstellung von der Seele als einer vom Körper losgelösten Entität ist immer noch verbreitet, vor allem in unseren Vorstellungen vom Tod. Das Zusammenspiel von Körper und Geist zeigt sich in der Funktion unserer Sinne. Die dualistische Idee der eigenen Seele als vom Körper losgelöster Einheit hält sich hartnäckig. Offensichtlich wird das Zusammenspiel zwischen Körper und Geist bei der Funktion unserer Sinne.
- "Wie mache ich mir die Welt?" Wie verlässlich sind unsere Wahrnehmung und unser Gedächtnis?
- "Soll ich mein Gehirn optimieren?" Heute helfen neurologische Implantate, Krankheitssymptome zu lindern, zum Beispiel bei der Parkinson-Krankheit. Doch wie wird der Mensch der Zukunft aussehen? Werden wir eines Tages zu Cyborgs? Künstlerische Visionen als Antwort auf diese Frage sind oft von der neuesten Forschung inspiriert. Doch wie sieht der Mensch der Zukunft aus? Künstlerische Visionen zu dieser Frage speisen sich oft aus der neuesten Forschung. Vieles bleibt reine Fantasie, die aber zu interessanten Gedankenspielen anregt.
Diese fünf Fragen sollten als Einstieg in eine komplexere Auseinandersetzung mit dem Thema dienen.
Die Rolle der Kunst
Die Kunst kann dabei helfen, frei über Denken und Fühlen, Bewusstsein und Wahrnehmung, Erinnerung und Traum nachzudenken. Die Ausstellung setzt bewusst auf das Sensorium der Kunst. Werke aus Kunst und Kulturgeschichte treffen auf Medizingeschichte und aktuelle Hirnforschung, um das menschliche Gehirn zu erkunden und besser verstehen zu lernen.
Die Berliner Künstlerin Birgit Dieker beschäftigt sich mit dem menschlichen Körper und dem Spannungsverhältnis zwischen Innen und Außen. Dafür verwendet sie Materialien, die sie als symbolisch für den Körper empfindet: Leder, Haare und getragene Kleidung. In ihren Hirnschnitten zieht sie oft bewusst mehrere medizinische Schnittbilder unterschiedlicher Hirnregionen in einer Ebene zusammen. Gehirn - souverän und zugleich subversiv nach außen präsentieren lässt.
Inklusion und Zugänglichkeit
Durch die Ausstellung führt ein inklusives, sinnlich erfahrbares Leitsystem. Die Tische sprechen mit einem multisensorischen und interaktiven Angebot verschiedene Zielgruppen an und sind verbunden mit einem Bodenleitsystem aus grafischen und taktilen Linien. Sie bieten anhand ausgewählter Inhalte einen inklusiven Zugang zu den zentralen Fragenstellungen und zusätzliche Orientierungshilfen. Als Inklusionshubs sind sie integraler Bestandteil des Leitsystems und des Inklusionskonzeptes, das in Zusammenarbeit mit einer Fokusgruppe entwickelt wurde.
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Darüber hinaus wurde, ermöglicht durch das Förderprogramm NEUSTART KULTUR der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, parallel zur „analogen“ Ausstellung in der Bundeskunsthalle eine eigenständige 3D-Ausstellung im Internet entwickelt, die mit einigen Augmented-Reality-Experiences in der realen Ausstellung vernetzt ist. Begleitend zur Ausstellung wurde 2022 eine virtuelle Ausstellung entwickelt, die einen spannenden didaktischen und ästhetischen Ansatz verfolgt und im Internet weiterlebt (www.gehirn.art).
Beispiele aus der Ausstellung
Die Ausstellung versammelt rund 300 Werke und Objekte aus Kunst, Kulturgeschichte und Wissenschaft. Darunter befinden sich Preziosen der Wissenschaftsgeschichte wie René Descartes Schädel oder Korbinian Brodmanns Zeichnungen zur Kartierung des Gehirns.
Einige bemerkenswerte Beispiele sind:
- Zeichnungen von Santiago Ramón y Cajal: Seine kunstvollen und präzisen anatomischen Zeichnungen von Nervenzellen des Gehirns sind weltberühmt. Die hier dargestellten großen Nervenzellen mit ihren dreieckig geformten Zellkörpern - daher „Pyramidenzellen“ genannt - sind in der Großhirnrinde deutlich in der Überzahl. Eng an eng durchziehen sie in dichter paralleler Anordnung die graue Substanz. Sie leiten Sinneseindrücke aus der Peripherie „nach oben“ weiter und senden erregende sowie hemmende Impulse zurück in den Körper. Ihre Nervenausläufer sind bis zu 2 Meter lang.
- Trommel von Oskar Matzerath: Die Trommel von Oskar Matzerath (gespielt von David Bennent), aus Volker Schlöndorffs Verfilmung (1979) des Romans "Die Blechtrommel" von Günter Grass (1959), ist ein Symbol für die kindliche Wahrnehmung und die subjektive Realität.
- Installationsansicht der Ausstellung BPA// Exhibition 2024 - Half Light: Diese Installation in den KW Institute for Contemporary Art, Berlin 2024, regt zum Nachdenken über Wahrnehmung und Realität an.
- Darstellung von Hirnschnitten: Birgit Diekers Hirnschnitte ziehen oft bewusst mehrere medizinische Schnittbilder unterschiedlicher Hirnregionen in einer Ebene zusammen.
- Behandlung von Bewegungsstörungen: Bei Bewegungsstörungen sind vor allem 2 Basalganglienkerne - der Nucleus subthalamicus (rot) und der Globus pallidus internus (orange) - die wichtigsten Zielstrukturen. wirksame Therapie ermöglicht. Schwer Gelähmte können damit auch komplexere Greifbewegungen wieder durchführen.
Die Entwicklung der Ausstellung
Die Entwicklung der Ausstellung hatte eine längere Vorgeschichte. Sie wurde unter dem noch etwas kunstbetonteren Titel „Das Gehirn. In Kunst & Wissenschaft“ zunächst in der Bundeskunsthalle in Bonn konzipiert und gezeigt (28. Januar bis 26. Juni 2022), bevor Prof. Dr. Thomas Schnalke, Leiter des Berliner Medizinhistorischen Museums der Charité, sich zu unserer großen Freude entschloss, die Ausstellung für das Jahr 2023 in Berlin zu adaptieren.
So hatte sich ab 2020 ein interdisziplinäres Kuratorenteam gebildet, das sich aufgrund der Pandemie in unzähligen Online-Meetings zwischen Bonn und Berlin traf, um eine gemeinsame kuratorische Sprache auszuhandeln, die in ein prägnantes Ausstellungskonzept münden sollte.
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