Das vernetzte Gehirn einfach erklärt

Das menschliche Gehirn ist ein faszinierendes und komplexes Organ. Es steuert unsere Gedanken, Gefühle, Bewegungen und Sinneswahrnehmungen. Um seine Funktionsweise zu verstehen, ist es wichtig, die Vernetzung der Nervenzellen zu betrachten. Dieser Artikel beleuchtet die Grundlagen der neuronalen Vernetzung, ihre Bedeutung für verschiedene Hirnfunktionen und die Forschung, die sich mit der Entschlüsselung dieses komplexen Systems befasst.

Die Bausteine des Gehirns: Nervenzellen und Synapsen

Die Hauptakteure bei den Höchstleistungen des Gehirns sind die Nervenzellen, auch Neuronen genannt. Ein Neuron besteht aus einem Zellkörper (Soma), der für die Energieversorgung zuständig ist, zahlreichen Dendriten, die Informationen von anderen Neuronen empfangen, und einem Axon, das die Information des eigenen Neurons an andere Neuronen weiterleitet.

Die Kommunikation zwischen den Nervenzellen erfolgt über Synapsen. Eine Synapse ist die Verbindungsstelle zwischen dem Axon eines Neurons und den Dendriten eines anderen Neurons. Sie besteht aus einem synaptischen Spalt, der Präsynapse (dem Axon des sendenden Neurons) und der Postsynapse (einem Dendriten der empfangenden Nervenzelle).

Die Kommunikation zwischen den Nervenzellen

Die Kommunikation zwischen Nervenzellen ist ein komplexer Prozess, der sowohl chemische als auch elektrische Signale umfasst.

Chemische Synapsen

An chemischen Synapsen schüttet Nervenzelle 1 Botenstoffe (Neurotransmitter) in den synaptischen Spalt aus. Diese Botenstoffe, wie Dopamin, Serotonin oder Acetylcholin, binden an die postsynaptische Membran des Dendriten von Nervenzelle 2. Die Bindung des Botenstoffs führt dazu, dass sich kleine Kanäle in der postsynaptischen Membran öffnen, wodurch geladene Teilchen (Ionen) in die Dendriten gelangen können. Diese Ionen verändern die Spannung der postsynaptischen Membran, wodurch ein elektrisches Signal entsteht.

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Wenn genügend Dendriten gleichzeitig oder kurz hintereinander die gleiche Botschaft überbringen, wird am Axonhügel ein Aktionspotential ausgelöst. Das Aktionspotential breitet sich entlang des Axons bis zur Präsynapse aus, wo es die Ausschüttung von Neurotransmittern in den synaptischen Spalt veranlasst.

Elektrische Synapsen

Neben den chemischen Synapsen gibt es auch elektrische Synapsen. Diese funktionieren schneller, da keine Umwandlung von elektrischen in chemische Signale erforderlich ist. Allerdings ist der synaptische Spalt bei elektrischen Synapsen viel kleiner, damit die elektrische Erregung von einer Nervenzelle zur nächsten "springen" kann.

Neuronale Netzwerke und Plastizität

Das neuronale Netz ist eine Gruppe von Neuronen, die miteinander kommunizieren und auf diese Weise eine bestimmte Funktion ausüben. Jedes Neuron gibt dabei Informationen an beliebig viele andere Neuronen weiter und erhält gleichzeitig Signale von beliebig vielen anderen Neuronen. Schnittstellen sind immer die Synapsen.

Das neuronale Netz ist im Laufe des Lebens in ständiger Veränderung. Man spricht von neuronaler Plastizität: Neue Verbindungen zwischen Synapsen werden geschaffen (z.B. wenn wir etwas Neues lernen) und bestehende Verbindungen gekappt. Wird eine Synapse sehr häufig benutzt, verändert sich zudem ihre Struktur. Zum Beispiel werden mehr Rezeptoren an der postsynaptischen Membran eingebaut oder die Menge an ausgeschütteten Botenstoffen erhöht sich. Dadurch verbessert sich die synaptische Übertragung. Diesen Mechanismus bezeichnet man als Langzeitpotenzierung. Sie ist vermutlich die Grundlage dafür, dass wir Dinge erlernen oder langfristig im Gedächtnis abspeichern können, wenn wir sie in regelmäßigen Abständen wiederholen. Andersherum werden nicht genutzte Verbindungen mit der Zeit immer schwächer.

Die Bedeutung der Vernetzung für Hirnfunktionen

Die Vernetzung der Nervenzellen ist entscheidend für die vielfältigen Funktionen des Gehirns. Sie ermöglicht die Entstehung komplexer Aktivitätsmuster durch eine koordinierte Erregung der Nervenzellen.

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Funktionelle Segregation und Vernetzung

Verschiedene Hirnfunktionen sind in unterschiedlichen Bereichen und Strukturen des Organs verankert. Experten sprechen in diesem Zusammenhang vom Prinzip der „funktionellen Segregation“. So beeinflusst der Frontallappen maßgeblich Persönlichkeit, Sozialverhalten und Impulsverhalten.

Gleichzeitig ist das Gehirn aber auch funktionell vernetzt. Die kleinsten Einheiten des Gehirns, die Nervenzellen oder Neurone, sind mit Tausenden weiteren verbunden. Fachleute vermuten sogar, dass jedes einzelne Neuron über nur sechs Zwischenschritte mit jedem anderen der etwa 86 Milliarden Exemplare im Gehirn verknüpft ist.

Netzwerkstrukturen und ihre Entwicklung

Die Netzwerkstrukturen im Gehirn bilden sich bereits während der Embryonalentwicklung. Ab der dritten Schwangerschaftswoche beginnen sich Nervensystem und Gehirn zu bilden. Bei diesem Prozess der Neurogenese entstehen aus Vorläufer- oder Stammzellen neue Nervenzellen. Diese bauen dann die Hirnrinde schichtweise auf; anschließend entstehen die verschiedenen Gehirnareale.

Erst während der frühkindlichen Phase vervielfacht sich die Anzahl der Verbindungen zwischen den Nervenzellen; zusätzlich werden die Nervenfasern deutlich dicker. Aus diesen Gründen verdreifacht sich das Gewicht des Gehirns von der Geburt bis zum Erwachsenenalter.

Neuronale Plastizität im Erwachsenenalter

Die Fähigkeit des Gehirns, sich anzupassen und zu verändern, bleibt ein Leben lang erhalten. Diese neuronale Plastizität ermöglicht es uns, neue Dinge zu lernen, uns an veränderte Umweltbedingungen anzupassen und uns von Verletzungen zu erholen.

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Seit fast zwanzig Jahren ist bewiesen, was lange undenkbar schien: Auch im erwachsenen Gehirn entstehen noch neue Nervenzellen, die so genannte adulte Neurogenese. Vor allem im Hippocampus, dem zentralen Ort für die Entstehung neuer Erinnerungen, kommt es wohl zur regelmäßigen Neubildung von Nervenzellen.

Forschung zur Entschlüsselung der Gehirnkonnektivität

Die Erforschung der Gehirnkonnektivität ist ein wichtiges Ziel der Neurowissenschaften. Um die komplexen Netzwerkstrukturen im Gehirn zu verstehen, werden verschiedene Methoden eingesetzt.

Funktionelles Neuroimaging

Ein wichtiges Werkzeug, um das Geflecht aus etwa 86 Milliarden verschiedenen Typen von Nervenzellen und ihrer Verbindungen zu entwirren und darzustellen, ist das so-genannte funktionelle Neuroimaging, das per Magnetresonanztomographie (MRT) oder Computertomographie (CT) durchgeführt wird. Mit diesen Methoden können regionale Unterschiede zum Beispiel bezüglich Stoffwechsel, Blutfluss, Sauerstoffversorgung, Wasserdiffusion und Aktivität im Gehirn erfasst werden.

Konnektom-Forschung

Die Konnektom-Forschung zielt darauf ab, die Verbindungen zwischen allen Nervenzellen im Gehirn zu kartieren. Dies ist eine enorme Herausforderung, da das menschliche Gehirn Billionen von Synapsen enthält.

Mathematische Modellierung

Die gewonnenen Daten zur Gehirnkonnektivität werden zur mathematischen Modellierung von Vernetzungsprozessen genutzt. Diese Modelle können helfen, die Funktionsweise des Gehirns besser zu verstehen und Vorhersagen über die Auswirkungen von Verletzungen oder Krankheiten zu treffen.

Klinische Bedeutung der Gehirnkonnektivität

Ein besseres Verständnis der Gehirnkonnektivität ist auch für die Diagnose und Behandlung neurologischer und neuropsychiatrischer Erkrankungen von Bedeutung.

Läsions-Symptom-Korrelation

Um die Gehirnkonnektivität besser zu verstehen, werden Hirnläsionen mit Funktionsausfällen korreliert. Die genaue und prädiktive Kartierung von Läsionssymptomen ist ein wichtiges Ziel der klinischen Neurowissenschaften.

Neuronale Netzwerke und neurologische Erkrankungen

Die Neurophysiologie erforscht, wie sich die Störung von neuronalen Netzwerken in neurologischen Erkrankungen manifestiert. So können beispielsweise Läsionen in bestimmten Hirnregionen zu Apathie, Aggression, Schmerzen oder Lähmungserscheinungen führen.

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