Die Parkinson-Krankheit, im Volksmund auch als Schüttellähmung bekannt, ist eine neurologische Erkrankung, die sich meist schleichend zwischen dem 50. und 80. Lebensjahr entwickelt. Hauptsymptome sind eingeschränkte Bewegungsfähigkeit, Muskelsteifigkeit und Zittern. Obwohl die Ursache bis heute nicht eindeutig erforscht ist und die Erkrankung als nicht heilbar gilt, gibt es verschiedene Therapieansätze, die Symptome lindern und die Lebensqualität verbessern können. Einer dieser Ansätze ist die Implantat-Akupunktur, eine spezielle Form der Ohrakupunktur.
Was ist Implantat-Akupunktur?
Die Implantat-Akupunktur ist eine ganzheitliche und komplementäre Behandlungsmethode, bei der winzige, biokompatible Titan-Implantate oder resorbierbare Implantate (Templantate) an definierten Punkten der Ohrmuschel dauerhaft eingesetzt werden. Im Unterschied zur herkömmlichen Akupunktur, bei der Nadeln nur für eine begrenzte Zeit gesetzt werden, verbleiben die Implantate langfristig im Ohr und stimulieren kontinuierlich die Akupunkturpunkte.
Wirkungsweise der Implantat-Akupunktur
Durch den ständigen Kontakt der Implantatnadeln mit den Ästen des zentralen Nervensystems über das Ohr entstehen elektrische Impulse. Diese Impulse können die Ausschüttung bestimmter Botenstoffe anregen und damit verschiedene Körperfunktionen positiv beeinflussen. Es konnte nachgewiesen werden, dass durch Titan-Dauernadeln an der Ohrmuschel das zentrale Nervensystem kontinuierlich stimuliert wird und verschiedene Botenstoffe, wie Dopamin und Endorphine, freisetzt. Jede Form der Akupunktur hat einen indirekten Einfluss auf das vegetative Nervensystem sowie auf die Regulation verschiedener hormoneller Systeme. Eine Freisetzung von Endorphinen nach Akupunktur konnte in verschiedenen Tiermodellen und beim Menschen bestätigt werden. Besonders interessant ist die Beobachtung, dass verschiedene Arten der Akupunktur zu einer unterschiedlichen Ausschüttung von Endorphinen führen können. Beschrieben sind Freisetzungen von B-Endorphin, Met-Enkephalin, Dynorphin und Endomorphin sowie auch von Serotonin, Noradrenalin, Substanz P, Calcitonin Generelated Peptide und GABA.
Der Unterschied zur traditionellen Akupunktur
Die Implantat-Akupunktur unterscheidet sich von der traditionellen Akupunktur in der Art und Weise, wie die Akupunkturpunkte stimuliert werden. Bei der traditionellen Akupunktur werden feine Nadeln in bestimmte Körperpunkte, die Akupunkturpunkte, gestochen und verbleiben dort für eine begrenzte Zeit. Bei der Implantat-Akupunktur hingegen werden die Nadeln dauerhaft implantiert, was zu einer kontinuierlichen Stimulation führt. Zudem wird die Implantat-Akupunktur ausschließlich zur Behandlung chronischer Erkrankungen eingesetzt.
Die Ohrakupunktur als Grundlage
Die Ohrakupunktur, auch Aurikulomedizin genannt, bildet die Grundlage für die Implantat-Akupunktur. Der französische Arzt Dr. Paul Nogier entdeckte in den 1950er Jahren, dass die Ohroberfläche einer Reflexzone entspricht, auf der sich alle Organe und Strukturen des Körpers projizieren. Demnach kann über Nadelsetzen am Ohr der gesamte Körper beeinflusst werden. Vor einer Implantation werden die entsprechenden Ohrareale systematisch untersucht, um die aktiven Punkte zu identifizieren. Diese Untersuchung ist sehr zeitaufwendig und muss äußerst präzise durchgeführt werden, da die Punkte sehr klein sind (0,2 - 0,3 mm). Nur funktionsgestörte Punkte reagieren tatsächlich auf Schmerzreize. Durch subtile Untersuchungstechniken findet der geübte Akupunkteur die entsprechenden Punkte. Über diese Ohrpunkte kann der gesamte menschliche Körper mit all seinen gestörten Funktionen behandelt werden.
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Anwendungsgebiete der Implantat-Akupunktur bei Parkinson
Die Implantat-Ohr-Akupunktur wird seit einigen Jahren bei neurologischen Erkrankungen in Deutschland eingesetzt, wobei immer wieder über eine Verbesserung der Symptome und Lebensqualität bei Patienten mit Morbus Parkinson berichtet wird.
Ergebnisse von Studien und Beobachtungen
Die Ergebnisse dreier Langzeitbeobachtungen der Mediziner Dr. Rolf Wlasak und Dr. Stefan Lobner zeigen, dass Implantat-Akupunktur (Neurostimulation) vielen Menschen mit Morbus Parkinson helfen kann. Symptome werden oftmals gelindert, die Lebensqualität erhöht und das Fortschreiten der Erkrankung häufig hinausgezögert. Außerdem haben sich bei vielen Probanden Antrieb und Stimmung verbessert.
Eine prospektive und konsekutive Verlaufsbeobachtung untersuchte 79 Patienten über einen Zeitraum von 6 Monaten nach der Implantation per Interview. Die Ergebnisse dieser Auswertung geben Anlass, diese Methode noch intensiver zu untersuchen. Alle vier Endpunkte (Tremor, Rigor, Bewegungsverlangsamung und Schmerzen) wurden von den Patienten nach über 6 Monaten als Verbesserung zum Ausgangsbefund bewertet. In allen Subanalysen zeigte sich eine Verbesserung der jeweiligen Befunde von über 60%.
Vom Stichtag der Implantation wurden alle Patienten im Abstand von 4, 8, 16 und 24 Wochen nach der Implantation telefonisch interviewt, ggf. auch persönlich nachuntersucht. Hierzu wurde ein differenzierter Befundbogen prospektiv angelegt. Vier Wochen nach der Implantation berichteten 51% der Patienten von einer signifikanten Verbesserung zum Ausgangsbefund. Acht Wochen nach der Implantation war diese Zahl auf 62 % der Patienten angestiegen. Bei der Untersuchung der Nebenendpunkte konnte eine Reduzierung der Medikamente in 21% aller Patienten erreicht werden. Bei 7 von 11 Patienten war eine Obstipation (Verstopfung) rückläufig. Alle anderen Nebenendpunkte waren nicht signifikant bzw. die Fallzahl zu gering.
Mögliche Wirkmechanismen
Insbesondere der motorische Teil des Tests (UPDRS) könnte indirekt darüber Aufschluss geben, ob durch die eingesetzten Implantate dem zentralen Nervensystem (ZNS) wieder vermehrt Dopamin und dopaminähnliche Botenstoffe zur Verfügung gestellt werden können. Somit könnte der Einsatz der Implantate gerade in der Frühphase der Erkrankung die Gabe von Dopamin weiter herauszögern.
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Weitere Anwendungsgebiete
In den letzten Jahren zeigte sich, dass auch zunehmend Patienten mit Restless-Legs-Syndrom von der I-O-A profitierten. Aufgrund der Wirksamkeit dopaminerger Substanzen in dieser Indikation ist von einer Ursache im dopaminergen System auszugehen.
Die Behandlung mit Implantat-Akupunktur
Die Methode der Ohrimplantatakupunktur unterliegt strengen Auflagen: Sie darf erst nach erfolgreicher Prüfung von bisher nur sehr wenigen Akupunkturärzten angeboten und durchgeführt werden. Für die betroffenen Patienten ist daher die Qualifikation des Arztes sowie die individuelle Beratung über die mögliche Prognose von immenser Bedeutung.
Ablauf der Behandlung
Bei der ersten Behandlung wird eine gründliche schulmedizinische und komplementärmedizinische Anamnese durchgeführt und der Medikamentenplan angeschaut. Dann werden die Ohrregionen systematisch auf aktive Punkte hin untersucht. Vor der Implantation müssen alle Ohrregionen systematisch auf aktive Punkte hin untersucht werden. Diese Punkte sind sehr klein (0,2 - 0,3 mm), so dass die Punktsuche sowie die Implantation so exakt wie möglich durchgeführt werden müssen. Die Nadeln werden platziert und der Patient ruht bequem für 25 Minuten in ruhiger entspannter Atmosphäre.
Auswahl der Implantate
Momentan werden im Wesentlichen zwei Nadeltypen verwendet: Die lebenslang implantierte Titannadel und die resorbierbare Templantatnadel. Die Dauernadeln sollten mehrmals täglich mit einem kleinen Magneten stimuliert werden.
Wichtige Hinweise für Patienten
Für die korrekte Durchführung und Vergleichbarkeit müssen bestimmte Richtlinien bei der Anwendung der Implantat-Ohr-Akupunktur (I-O-A) beachtet werden. Im Sinne einer ganzheitlichen Beratung und Aufklärung der Patienten sollten auch zusätzliche Maßnahmen wie Entgiftung des Körpers von Schadstoffen und Verbesserung der Gehirndurchblutung erwähnt werden. Sicherlich dürfen diese Maßnahmen nicht überbewertet werden, weil sie nicht kausal für die Entstehungsgeschichte des Morbus Parkinson verantwortlich zu machen sind. Evtl. können sie aber die Folgeerscheinungen durch die Grunderkrankung lindern.
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Die Rolle der Implantat-Akupunktur im medizinischen Spektrum
Akupunktur spaltet Ärzte als auch Patienten. Noch bis in die 90er Jahre wurde die chinesische Akupunktur als Außenseitermethode betrachtet. Heute ist sie in der Schmerztherapie bereits als fester Bestandteil innerhalb der Schulmedizin integriert worden. Die Implantat-Ohr-Akupunktur (I-O-A) ist demgegenüber noch weitgehend unbekannt. In Deutschland wird die Methode bisher nur vereinzelt von spezialisierten Ärzten und anderen Therapeuten angeboten.
Ergänzende Behandlungsmethode
Um den Stellenwert der Implantat-Ohr-Akupunktur (I-O-A) bei Morbus Parkinson in dem bewährten westlichen Behandlungskonzept zu untersuchen, setzten wir eine prospektive Verlaufsbeobachtung ein. Die Implantat-Ohr-Akupunktur kann das Behandlungsspektrum bei Morbus Parkinson erweitern.
Kombination mit anderen Therapien
In der westlichen Welt hat sich bei Morbus Parkinson eine differenzierte medikamentöse Therapie (Dopaminersatz) sowie Physiotherapie etabliert. Die Implantat-Akupunktur kann diese Therapien sinnvoll ergänzen und möglicherweise die Gabe von Dopamin in der Frühphase der Erkrankung hinauszögern.
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