Epilepsie: Definition, Ursachen, Diagnose und Behandlung

Epilepsie ist ein neurologischer Zustand, der durch wiederholte Anfälle gekennzeichnet ist, die aus einer plötzlichen, abnormalen elektrischen Aktivität im Gehirn resultieren. Es handelt sich um eine chronische Erkrankung des zentralen Nervensystems, die sich in vielfältiger Weise manifestieren kann.

Was ist Epilepsie?

Epilepsie ist keine einzelne Krankheit, sondern ein Sammelbegriff für eine Gruppe neurologischer Erkrankungen, die durch wiederholte epileptische Anfälle gekennzeichnet sind. Diese Anfälle sind das Ergebnis einer vorübergehenden Störung der Gehirnfunktion, die durch eine übermäßige Aktivität von Nervenzellen verursacht wird.

Etwa 10 % aller Menschen erleiden einmal in ihrem Leben einen epileptischen Anfall, der jedoch nicht unbedingt auf eine Epilepsie hindeutet. Erst wenn Anfälle wiederholt spontan auftreten oder nach einem einmaligen Anfall Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für weitere Anfälle festgestellt werden, spricht man von Epilepsie. In Deutschland sind etwa 0,5-1 % der Bevölkerung von Epilepsie betroffen.

Ursachen von Epilepsie

Die Ursachen von Epilepsie sind vielfältig und oft nicht vollständig geklärt. Man unterscheidet zwischen:

  • Symptomatische Epilepsie: Hier ist eine klare Ursache für die Epilepsie erkennbar, wie beispielsweise ein Schlaganfall, ein Tumor oder eine Verletzung des Gehirns.
  • Idiopathische Epilepsie: Bei dieser Form wird eine genetische Ursache vermutet, obwohl sie nicht immer nachweisbar ist.
  • Kryptogene Epilepsie: In diesen Fällen bleibt die Ursache der Epilepsie ungeklärt.

Ein Ungleichgewicht zwischen Erregung und Hemmung im Gehirn, unabhängig von der Ursache, liegt epileptischen Anfällen zugrunde. Dabei kommt es im Anfall zu nicht normalen synchronen rhythmischen Entladungen von Nervenzellverbänden. Nach der Art des Beginns der elektrischen Aktivität im Oberflächen-EEG werden Anfälle und auch die resultierende Epilepsie als fokal oder generalisiert bezeichnet. Eine örtlich begrenzte (fokale) Aktivität kann sich im Verlauf eines Anfalls auf das gesamte Gehirn ausbreiten und wird dann "sekundär generalisiert" genannt. Die fokale oder generalisierte Aktivität spiegelt sich auch in den klinischen Anfallssymptomen wider.

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Klassifikation der Ursachen (nach ILAE, 2017)

Die Internationale Liga gegen Epilepsie (ILAE) hat 2017 eine Klassifikation herausgegeben, die die Ursachen von Epilepsie in verschiedene Kategorien einteilt:

  • Strukturelle Ursachen: Umschriebene pathologische Hirnveränderungen, wie Tumore, Infarkte, Fehlbildungen oder Narben.
  • Genetische Ursachen: Mutationen in Genen, die die Funktion von Nervenzellen beeinflussen.
  • Infektiöse Ursachen: Entzündungen des Gehirns durch Viren, Bakterien oder Parasiten.
  • Metabolische Ursachen: Stoffwechselstörungen, die die Funktion des Gehirns beeinträchtigen.
  • Immunologische Ursachen: Autoimmunerkrankungen, bei denen das Immunsystem das Gehirn angreift.
  • Unbekannte Ursachen: In vielen Fällen kann die Ursache der Epilepsie nicht festgestellt werden.

Auslöser von Anfällen

Obwohl Epilepsie eine chronische Erkrankung ist, können bestimmte Faktoren Anfälle auslösen oder begünstigen. Diese Auslöser sind von Person zu Person unterschiedlich, können aber folgende sein:

  • Schlafmangel
  • Unregelmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus
  • Stress
  • Fieber
  • Alkohol und Drogen
  • Flackerndes Licht

Symptome von Epilepsie

Die Symptome von Epilepsie sind vielfältig und hängen von der Art des Anfalls und dem betroffenen Hirnareal ab. Die Symptomatik stellt sich beim Einzelnen stabil dar, hat zwischen den Betroffen aber große Unterschiede. Diese erklären sich bei den fokalen Epilepsien durch das vom Anfallsursprung betroffene Hirnareal. Die dort kodierte Funktion bestimmt den klinischen Anfall. Ist zum Beispiel die rechte motorische Hirnrinde betroffen, kommt es z. B. zu einem motorischen Anfall im Bereich der linken Körperhälfte. Im Falle der Sehrinde käme es zu visuellen Phänomenen. Typische Anfallsphänomene bei genetischen generalisierten Epilepsien sind "kleinere" generalisierte Anfälle (petit Mal) wie Absencen und bilaterale zumeist morgendlichen Muskelzuckungen (Myoklonien) und primäre "große" generalisierte tonisch-klonische Anfälle (grand Mal). Letztere können auch bei fokalem Anfallsursprung im Rahmen der Ausbreitung der elektrischen Anfallsaktivität auf das gesamte Gehirn auftreten.

Einige häufige Symptome sind:

  • Bewusstseinsverlust: Der Betroffene ist nicht ansprechbar und erinnert sich möglicherweise nicht an den Anfall.
  • Krämpfe: Unkontrollierte Muskelzuckungen, die den ganzen Körper oder nur Teile davon betreffen können.
  • Absencen: Kurze "Aussetzer", bei denen der Betroffene wie abwesend wirkt.
  • Wahrnehmungsstörungen: Veränderungen im Sehen, Hören, Riechen, Schmecken oder Fühlen.
  • Verhaltensänderungen: Plötzliche und unerklärliche Veränderungen im Verhalten oder der Stimmung.

Klassifikation epileptischer Anfälle (nach ILAE, 2017)

Die Internationale Liga gegen Epilepsie (ILAE) hat ein Klassifikationssystem entwickelt, um die verschiedenen Arten von epileptischen Anfällen zu ordnen. Dieses System basiert auf den Merkmalen des Anfallsbeginns:

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  • Fokaler Beginn: Der Anfall beginnt in einem bestimmten Bereich des Gehirns.
    • Mit Bewusstseinsstörung: Der Betroffene ist während des Anfalls nicht voll bewusst.
    • Ohne Bewusstseinsstörung: Der Betroffene ist während des Anfalls bei Bewusstsein.
  • Generalisierter Beginn: Der Anfall beginnt in beiden Gehirnhälften gleichzeitig.
  • Unbekannter Beginn: Es ist nicht bekannt, wie der Anfall begonnen hat.

Anfälle mit fokalem Beginn

  • Motorischer Beginn: Muskelaktivitäten, wie Zuckungen, Krämpfe oder Muskelerschlaffung.
    • klonisch: symmetrische oder asymmetrische Zuckungen, die rhythmisch sind und identische Muskelgruppen betreffen
    • myoklonisch: plötzliche, sehr kurze, einzelne oder mehrfache unrhythmische Muskelzuckungen, die weniger regelmäßig sind und kürzer andauern als klonische Zuckungen
    • tonisch: eine zunehmende Muskelanspannung (Kontraktion), die einige Sekunden bis Minuten anhält
    • epileptische Spasmen: plötzliche Muskelaktivität, die anfallsweise häufig wiederholt werden kann (Cluster); beispielsweise Beugen oder Strecken der Arme, Beugen der Rumpfmuskulatur, Grimassen, Nicken oder subtile Augenbewegungen
    • Automatismus: Bewegungen, die aussehen wie alltägliche koordinierte Handlungen, die die Betroffenen jedoch nicht willentlich steuern, beispielsweise Laufbewegungen oder Nicken. In manchen Fällen setzen die Betroffenen eine Handlung fort, die sie vor Beginn des Anfalls ausführten.
    • Hyperkinetisch: die Betroffenen bewegen sich sehr stark, sie strampeln beispielsweise.
  • Nicht-motorischer Beginn: Symptome wie Innehalten, kognitive Einschränkungen, emotionales Verhalten oder autonome Reaktionen.
    • Innehalten: Aktivitätspause, Erstarren, Bewegungslosigkeit
    • kognitive Einschränkungen: z. B. Sprach- und Sprechstörungen (Aphasie, Apraxie), Wahrnehmungsstörungen oder Halluzinationen
    • emotionales Verhalten: z. B. Angst, Furcht, Wut sowie Lachanfälle oder Weinen
    • autonome Reaktionen: z. B. Erröten, Blässe, Gänsehaut, Erektion, Veränderungen des Herzschlags oder der Atmung, Übelkeit
    • sensible/sensorische Störungen (Sinnesstörungen): z. B. Störungen des Hör-, Geschmacks- oder Geruchssinns, Gleichgewichtsstörungen oder Sehstörungen

Anfälle mit generalisiertem Beginn

  • Motorische Symptome: Tonische, klonische, myoklonische Muskelaktivitäten, Atonie oder epileptische Spasmen. Kombinationen dieser Symptome können auftreten: tonisch-klonisch, myoklonisch-tonisch-klonisch, myoklonisch-atonisch
  • Nicht-motorische Symptome: Absencen (typische, atypische oder myoklonische). Augenlid-Myoklonie (Lidzuckungen, Drehen der Augäpfel)

Diagnose von Epilepsie

Die Diagnose von Epilepsie basiert auf einer sorgfältigen Anamnese, einer neurologischen Untersuchung und verschiedenen technischen Untersuchungen.

Nach einer anfallsartigen Episode sind drei wichtige Fragen zu klären:

  • Handelt es sich um einen epileptischen Anfall?
  • Gibt es eine akut zu behandelnde Ursache?
  • Besteht ein erhöhtes Risiko auf weitere Anfälle?

Die Anamnese, insbesondere die Schilderung des Anfallshergangs durch Augenzeugen, spielt eine entscheidende Rolle.

Zu den wichtigsten Untersuchungen gehören:

  • Elektroenzephalographie (EEG): Messung der Hirnströme, um typische Veränderungen bei Epilepsie zu erkennen.
  • Magnetresonanztomographie (MRT): Bildgebung des Gehirns, um strukturelle Veränderungen als mögliche Ursache zu identifizieren.
  • Computertomographie (CT): Kann in der Akutphase hilfreich sein, um beispielsweise Hirnblutungen zu erkennen.
  • Blutuntersuchungen: Um Entzündungen, Stoffwechselstörungen oder Drogenkonsum als mögliche Ursachen auszuschließen.
  • Lumbalpunktion: Entnahme von Hirn-Rückenmarksflüssigkeit bei Verdacht auf eine Gehirnentzündung.

Behandlung von Epilepsie

Ziel der Epilepsiebehandlung ist es, Anfälle zu verhindern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Die Behandlungsmöglichkeiten umfassen:

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  • Medikamentöse Therapie: Antiepileptika sind die häufigste Form der Behandlung. Sie wirken, indem sie die Erregbarkeit der Nervenzellen im Gehirn reduzieren.
    • Die Wahl des Medikaments richtet sich nach der Art der Anfälle, der Form der Epilepsie und den individuellen Merkmalen des Patienten.
    • Oft ist eine Monotherapie ausreichend, in manchen Fällen ist jedoch eine Kombinationstherapie mit mehreren Medikamenten erforderlich.
    • Antiepileptika müssen regelmäßig eingenommen werden, um ihre Wirkung zu entfalten.
    • Nach längerer Anfallsfreiheit kann in Absprache mit dem Arzt ein Absetzversuch unternommen werden.
  • Chirurgische Therapie: Bei manchen Patienten, bei denen die Anfälle von einem bestimmten Hirnareal ausgehen, kann eine Operation in Erwägung gezogen werden, um diesen Teil des Gehirns zu entfernen.
    • Eine resektive Operation kommt vor allem dann zum Einsatz, wenn die epileptischen Anfälle im Schläfenlappen (Temporallappen) des Gehirns entstehen.
    • In manchen Fällen wird eine Balkendurchtrennung (Kallosotomie) durchgeführt, um die Ausbreitung von Anfällen zu verhindern.
  • Stimulationsverfahren: Bei diesen Verfahren werden bestimmte Strukturen im Gehirn oder der Vagusnerv mit niedriger Stromstärke stimuliert, um die Anfallshäufigkeit zu reduzieren.
    • Die Vagusnerv-Stimulation (VNS) ist das am weitesten verbreitete Verfahren.
    • Die tiefe Hirnstimulation ist ein weiteres Verfahren, das jedoch noch nicht sehr weit verbreitet ist.
  • Ketogene Diät: Eine spezielle Diät mit hohem Fettanteil und niedrigem Kohlenhydratanteil kann bei manchen Kindern mit Epilepsie die Anfallshäufigkeit reduzieren.
  • Psychotherapie: Eine Psychotherapie kann helfen, mit den psychischen Belastungen der Erkrankung umzugehen und die Lebensqualität zu verbessern.

Behandlung des Status epilepticus

Ein Status epilepticus ist ein lebensbedrohlicher Notfall, bei dem ein Anfall länger als fünf Minuten dauert oder mehrere Anfälle kurz hintereinander auftreten, ohne dass der Betroffene zwischendurch das Bewusstsein wiedererlangt. In diesem Fall muss sofort der Notarzt gerufen werden.

Die Behandlung umfasst die Verabreichung von Beruhigungsmitteln und gegebenenfalls eine künstliche Beatmung.

Leben mit Epilepsie

Epilepsie kann das Leben der Betroffenen und ihrer Familien erheblich beeinflussen. Es ist wichtig, sich umfassend über die Erkrankung zu informieren, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen und professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Einige Tipps für den Umgang mit Epilepsie im Alltag:

  • Regelmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus
  • Vermeidung von Stress
  • Gesunde Ernährung
  • Regelmäßige Einnahme von Medikamenten
  • Vermeidung von Alkohol und Drogen
  • Information von Angehörigen und Freunden über die Erkrankung und das Verhalten im Anfallsfall
  • Tragen eines Notfallausweises

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