Die Demenz stellt eine der größten Herausforderungen im Gesundheitswesen dar. Weltweit sind rund 47 Millionen Menschen betroffen, und es wird erwartet, dass diese Zahl bis 2050 auf bis zu 135 Millionen ansteigen wird. Angesichts dieser alarmierenden Prognosen ist es von entscheidender Bedeutung, Präventionsmethoden zu erforschen und zu implementieren, um den allmählichen Verlust der Denkleistung im Alter zu verhindern oder zumindest zu verlangsamen.
Die Rolle geistiger Aktivität
Wer geistig aktiv ist, kann die Leistungsfähigkeit seines Gehirns verbessern. Durch Anregung der Nervenzellen können sich diese besser vernetzen und sich die Verbindungen besser festigen. Die kognitive Reserve ist einer von mehreren Aspekten, die den Verlauf einer Alzheimer-Erkrankung beeinflussen kann. So zeigen sich typische Alzheimer-Symptome nachweislich später bei Menschen, die ihr Leben lang geistig aktiv waren, zum Beispiel im Beruf oder im sozialen Leben. Auch wer schon älter ist, kann seine geistigen Reserven positiv beeinflussen. Wichtig ist, das Gehirn zu fordern und so die Neuronen zur Vernetzung anzuregen. Dabei gilt: Je komplexer die Tätigkeit, desto anregender fürs Gehirn.
Es hilft zum Beispiel nicht, jeden Tag ein Kreuzworträtsel zu lösen, denn dabei wird nur bereits bekanntes Wissen abgefragt. Eine eindeutige Empfehlung, welche Aktivität am besten geeignet ist, um einer Demenzerkrankung wie Alzheimer vorzubeugen, gibt es nicht.
Vielfältige Aktivitäten zur Förderung der Hirnleistung
Es gibt eine breite Palette von geistigen Aktivitäten, die das Gehirn besonders gut fordern:
- Musik: Hören oder Musizieren regt neue Verbindungen zwischen den Nervenzellen an. Das Erlernen und Üben feinmotorischer Bewegungen, das Lesen von Noten und die Schulung des Gehörs stärken das Gehirn und tragen zur geistigen Fitness bis ins hohe Alter bei.
- Lesen: Bücher, Zeitschriften und Zeitungen fordern das Gehirn auf unterschiedliche Weise heraus.
- Spiele: Kartenspiele, Gesellschaftsspiele, Puzzles sowie Computer- und Videospiele können die kognitiven Fähigkeiten verbessern. Regelmäßiges Puzzeln kann gegen Demenz langfristig verschiedene geistige Fähigkeiten positiv beeinflussen - darunter Wahrnehmung, Geschwindigkeit, Flexibilität, Arbeitsgedächtnis, logisches Denken und episodisches Gedächtnis.
- Neues lernen: Eine Fremdsprache, eine Sportart oder ein neues Hobby können das Gehirn herausfordern und neue Verbindungen schaffen.
- Tanzen: Trainiert gleichzeitig Gedächtnis, Motorik und Koordination und profitiert zudem vom sozialen Miteinander als Paar oder in der Gruppe.
Soziale Kontakte und ihre Bedeutung
Die fehlende Stimulation durch Gespräche am Arbeitsplatz kann nicht dauerhaft durch ein “einsames Puzzlespiel” ersetzt werden. Wie soziale Kontakte Alzheimer vorbeugen? Es gibt wenige Dinge, die das Gehirn so anregen wie Musik.
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Die mögliche Risiko-Reduktion durch soziale Kontakte liegt nach einer chinesischen Studie von 2022 bei 7 Prozent.
Mikroabenteuer im Alltag
Neben gezielten Aktivitäten, die die Hirngesundheit verbessern, sind auch kleine Abwechslungen im Alltag eine gute Maßnahme, um das Gehirn nebenbei zu trainieren. Ein Trend, der durch Corona so richtig an Fahrt aufgenommen hat, sind kleine "Mikroabenteuer", die direkt vor der eigenen Haustür starten, und die ohne große Vorbereitung funktionieren.
Körperliche Aktivität als wichtiger Faktor
Neben geistigem Training ist körperliche Bewegung eine aktive Demenz-Vorsorge. Insgesamt können körperliche Aktivitäten das Risiko für Demenzen jeglicher Ursache um 17 Prozent senken. Die Mischung macht’s. Dazu kann man geistige und körperliche Aktivitäten abwechselnd im Tagesplan unterbringen.
Frühere Studien zeigten, dass beispielsweise unflexible Blutgefäße in der Denkleistung Spuren hinterlassen. Körperliche Aktivität wie Sport kann dem entgegenwirken. Auch mentales Training, wie in Meditationstechniken angewandt, kann die Gehirnzellen in Schwung bringen. Beides wären günstige, einfach erhältliche und leicht zu nutzende Werkzeuge zur Verlangsamung des altersbedingten Gedächtnisverlusts.
Geeignete Sportarten
Bewegung hält das Gehirn gesund. Es gibt keine „beste“ Sportart - wichtig ist, dass sie Spaß macht und regelmäßig ausgeübt wird. Gut geeignet sind:
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- Ausdauersportarten wie Gehen, Radfahren oder Schwimmen für Herz und Kreislauf.
- Ganzkörpertrainings wie Yoga oder Pilates zur Förderung von Beweglichkeit und Balance.
- Tanzen oder Tai-Chi zur Stärkung der Koordination und des Gedächtnisses.
- Krafttraining zur Vorbeugung von Muskelabbau und Stürzen.
Bewegung im Alltag integrieren
Neben gezieltem Sport hält auch Bewegung im Alltag Körper und Geist fit. Ein Spaziergang, Treppensteigen oder Gartenarbeit - jede Bewegung bringt den Kreislauf in Schwung, versorgt das Gehirn mit Sauerstoff und stärkt die geistige Fitness.
So bringen Sie mehr Aktivität in Ihren Alltag:
- Öfter zu Fuß gehen oder das Rad nehmen - kurze Strecken aktiv zurücklegen hält in Schwung.
- Die Treppe nehmen statt den Aufzug - das kräftigt Muskeln und verbessert das Gleichgewicht.
- Freizeit aktiv gestalten - mit Freunden spazieren, im Garten werkeln oder draußen Zeit verbringen.
Bewegung hält das Gehirn aktiv und kann helfen, den Krankheitsverlauf von Menschen mit Demenz zu verlangsamen. Auch depressive Symptome, die oft als Begleiterscheinung einer Demenz auftreten, können durch Bewegung positiv beeinflusst werden. Wer sich bewegt, fühlt sich sicherer, spürt seinen Körper und bleibt besser in Kontakt mit seiner Umgebung. Besonders in Gruppen kann Aktivität Lebensfreude schenken und das Gefühl stärken, dazuzugehören.
Menschen mit Demenz müssen keine neuen Sportarten erlernen - wer schon immer gerne spazieren gegangen ist, sollte dies auch weiterhin tun. Knüpfen Sie an alte Gewohnheiten und Leidenschaften an: Jemand hat früher gern getanzt oder Gymnastik gemacht? Dann kann er oder sie auch mit Demenz davon profitieren.
Tai Chi und Baduanjin: Körper-Geist-Training für ältere Erwachsene
Tai Chi zum Beispiel, mit langsamen Bewegungen, tiefem Atmen und Entspannungselementen, setzt beispielsweise kompliziertere Körperbewegungen ein als die Baduanjin-Methode. Mit beiden wurden Verbesserungen von Gedächtnisleistungen gefunden. Aber wirken sie überhaupt messbar, und auf welche Weise?
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Im Ergebnis zeigte sich, dass Teilnehmer der Tai Chi- und der Baduanjin-Gruppe sich deutlich gegenüber der Kontrollgruppe in ihrer Gedächtnisleistung verbessert hatten. Dabei fanden sich in der Tai Chi-Gruppe erhöhte Aktivierungen in einem Bereich des präfrontalen Cortex (dorsolateraler präfrontaler Cortex, DLPFC). In der Baduanjin-Gruppe dagegen erhöhten sich die Aktivierungen im mittiger gelegenen präfrontalen Cortex (medialer PFC). Bei beiden Gruppen gingen die Erhöhungen der Hirnaktivität mit Verbesserungen der Gedächtnisleistung einher. Diese Studie legt damit nahe, dass sich Körper-Gehirn-Training wie Tai Chi oder Baduanjin zur Förderung des gesunden geistigen Alterns einsetzen lassen. Die beiden Methoden aktivieren dabei interessanterweise unterschiedliche Mechanismen, deren genauere Bedeutung noch unklar ist.
Computergestütztes kognitives Training
Auf Basis dieser Nachfrage hat sich auch ein Markt für kommerzielle Produkte zum Gehirntraining entwickelt. Eine Wirksamkeit klingt plausibel, weil geistig rege Menschen ein geringeres Demenzrisiko haben. Zu den für die Fachwelt interessanten Kandidaten zählt das computergestützte kognitive Training (computerised cognitive training). Die Trainingseinheiten können verschiedene Übungen, Spiele oder auch Ausflüge in virtuelle Welten sein und werden am Computer oder einem Mobilgerät absolviert. Der Vorteil: niederschwelliger Zugang, geringe Kosten, standardisierte Interventionen.
Allerdings konnten die Review-Autoren nach Auswertung der Studiendaten keine Aussagen dazu treffen, ob das computergestützte Training die kognitiven Fähigkeiten von bereits leicht beeinträchtigen Menschen verbessern oder zumindest stabilisieren kann.
Demnach könnte es sein, dass Menschen mit Demenz zumindest für einige Monate von einem kognitiven Training leicht profitieren. Ihre Gehirnfitness war vergleichsweise besser als etwa bei bloßem Abwarten, üblicher Behandlung oder auch Aktivitäten wie Gruppentreffen oder Diskussionsrunden, die nicht auf die Verbesserung der Kognition abzielten.
Alles in allem ist es laut aktuellem Wissensstand unklar, ob kognitives Training, ob mit oder ohne Computer, in punkto Gehirnfitness einen nennenswerten und nachhaltigen Vorteil bringt. Dies liegt hauptsächlich an der geringen Vertrauenswürdigkeit der Studienergebnisse, die von den Cochrane-Autoren in allen drei Reviews größtenteils als „niedrig“ oder „sehr niedrig“ bewertet wurde (nach GRADE). Es bedarf daher weiterer Studien mit höherer Aussagekraft.
Mit computerbasierten Übungen können Menschen mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen ihr Risiko senken, an Demenz zu erkranken. Das Training verbessert auch das Gedächtnis und die Lernfähigkeit der Teilnehmer. Sie sind aufmerksamer und können den Alltag leichter meistern. Diese positiven Effekte sorgen auch für eine insgesamt positive Stimmung. Allerdings wies diese Auswertung auch nach, dass das Computertraining bei bereits an Demenz erkrankten Patienten keine signifikante Wirkung erzielte. Als Konsequenz fordert Lampit die Einführung des Gehirntrainings in der Altenpflege.
Multidimensionale Interventionen: Das FINGER-Modell
Eine Lebensstil-Intervention aus gesunder Ernährung, sportlichen Übungen und einem kognitiven Gehirntraining hat in einer randomisierten Studie im Lancet (2015) an Senioren mit einem erhöhten Demenzrisiko die kognitiven Leistungen verbessert.
In der „Cardiovascular Risk Factors, Aging and Dementia“ oder CAIDE-Studie hatten die finnischen Präventionsmediziner jedoch zeigen können, dass Body Mass-Index, Blutdruck, Cholesterin, Bewegungsmangel und niedriges Bildungsniveau das Erkrankungsrisiko beeinflussen.
Die Intervention, auf die die Hälfte der Teilnehmer randomisiert wurde, hatte drei Komponenten. Eine Ernährungsberaterin erläuterte den Teilnehmern in Gruppensitzungen und Einzelgesprächen die Vorzüge einer fettarmen und ballaststoffreichen Kost mit reichlich Obst und Gemüse. Bei einem erhöhten Body Mass Index wurde eine leichte Gewichtsreduktion angestrebt. Ein Physiotherapeut entwarf mit den einzelnen Teilnehmern ein auf ihre Vorlieben zugeschnittenes Bewegungsprogramm, das sowohl ein Krafttraining als auch Aerobic-Übungen umfasste. Ein Psychologe erläuterte das kognitive Training, das die Teilnehmer zuhause webbasiert am Computer durchführten.
Wie das Team um Miia Kivipelto vom Karolinska Institut jetzt berichtet, erzielten die Teilnehmer der Interventionsgruppe insgesamt um 25 Prozent bessere Ergebnisse. Sie waren der Kontrollgruppe in zwei der drei Komponenten der Testbatterie überlegen: Ihre exekutiven Funktionen (planerisches Denken, Selbstbeherrschung, Verstand) waren um 83 Prozent besser als in der Vergleichsgruppe. In den Tests zum Arbeitsgedächtnis („processing speed“) waren die Teilnehmer um 150 Prozent schneller. Nur in den Gedächtnistests - wo später im Fall einer Demenz die Defizite zuerst spürbar werden - waren die Teilnehmer des Interventionsarms der Kontrollgruppe dagegen nicht überlegen. Erst in einer Post-hoc-Analyse waren sie besser als die Teilnehmer der Kontrollgruppe.
Gedächtnistraining: Strategien und Techniken
Wenn wir etwas Neues lernen, bilden sich neue Verbindungen zwischen unseren Nervenzellen. In unserem Gehirn gibt es eine bestimmte Region, die dabei als Schaltzentrale agiert. Sie registriert, wenn neuer "Input" ankommt und koordiniert diesen anschließend. Um tatsächlich im Langzeitgedächtnis zu landen, müssen die Informationen von unserem Gehirn als wichtig erkannt werden. Und genau diesen Prozess kann man mit gezielten Techniken unterstützen. Besonders gut hilft das Denken in mentalen Bildern, denn diese kann sich unser Gehirn viel besser einprägen als bloße Worte.
Aus evolutionsbiologischer Sicht ist das Gehirn nicht dafür geschaffen, sich Passwörter, Namen oder Vokabeln zu merken. Deshalb fällt es uns schwer, uns diese in der modernen Zeit wichtigen Dinge zu merken. Anders verhält es sich mit Ohrwürmern oder alten Kinderliedern. Diese können wir oft noch nach Jahrzehnten mitsingen, obwohl wir sie schon lange nicht mehr gehört haben. Grund dafür ist die emotionale Verknüpfung mit der Musik, die dafür sorgt, dass die Songtexte ganz besonders gut abgespeichert wurden. Denn Gefühle und Gedächtnis sind stark miteinander verbunden, weshalb wir uns an Dinge, die starke Emotionen in uns auslösen, besser erinnern können als an triviale Alltagssituationen.
Gedächtnistechniken im Überblick
- Loci-Methode (Gedächtnispalast/Routenmethode): Informationen werden mit einem bekannten Raum oder Weg verbunden, beispielsweise mit einem Gang durch die eigene Wohnung.
- Major-System: Zahlen werden mithilfe eines speziellen Codes in Buchstaben und Bilder umgewandelt und so besser abgespeichert.
- Schlüsselwortmethode: Neue Begriffe und Vokabeln werden mit vorhandenem Wissen, also einem bekannten deutschen Wort und einer bildhaften Assoziation verknüpft.
Mind Sports in den Alltag integrieren
Das Wichtigste ist, offen für Neues zu sein und sich selbst immer neue Herausforderungen zu suchen. Das funktioniert auch im Kleinen beispielsweise wie eben erwähnt, indem man sich die Einkaufsliste merkt. Wer sich das nicht zutraut, kann sich zur Sicherheit einen Zettel zum Spicken einpacken. Außerdem empfehle ich, im Alltag hin und wieder auf ein paar technische Hilfsmittel zu verzichten: Einfach mal wieder eine Telefonnummer auswendig lernen, statt sie bloß im Smartphone aufzurufen oder sich selbst mit einer Landkarte orientieren, statt sich von einem Navi führen zu lassen.
Achtsamkeit und Gedächtnisleistung
Dass ein achtsamer Umgang mit sich selbst einen positiven Effekt hat, ist wissenschaftlich belegt. Bei Mind Sports passiert im Grunde etwas Ähnliches wie bei Achtsamkeitstechniken, wie etwa bei einer Meditation: Man lernt dabei, die Aufmerksamkeit ein bisschen besser zu lenken und Kontrolle über die eigenen Denkprozesse zu gewinnen. Das ist für viele Lebensbereiche sehr wertvoll.
Nichtmedikamentöse Maßnahmen bei Demenz
Nichtmedikamentöse Maßnahmen können bei Demenz helfen, die geistige Leistungsfähigkeit länger zu erhalten und das Wohlbefinden der Erkrankten steigern. Auch aggressivem Verhalten lässt sich dadurch teilweise vorbeugen.
In einer finnischen Studie erwies sich ein Maßnahmenprogramm als äußerst effektiv dabei, die geistigen Fähigkeiten im Alter zu erhalten oder sogar zu verbessern. Zumindest kurzzeitig schien die Kombination von Bewegung, gesunder Ernährung und kognitivem Training dem Ausbruch einer dementiellen Erkrankung vorzubeugen.
Demnach deutet vieles darauf hin, dass kognitive Trainings die geistige Leistungsfähigkeit und das Sprachvermögen von Menschen mit leichter und mittelschwerer Alzheimer-Demenz zumindest vorübergehend verbessern können. Es sei allerdings nicht auszuschließen, dass sich solche Trainings manchmal auch ungünstig auswirken könnten: So könne es für Trainierende deprimierend sein, beim Lösen von Aufgaben immer wieder zu scheitern.
So lassen sich körperliche Aggressionen bei Menschen mit Demenz durch körperliche Aktivitäten im Freien besser verhindern, als durch die Gabe von Medikamenten.
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