Mit dem demografischen Wandel gewinnt das Thema Autofahren im Alter zunehmend an Bedeutung. Die steigende Anzahl älterer Menschen mit Führerschein führt, angesichts der alterskorrelierten Demenzprävalenz, auch zu einer Zunahme von Menschen mit Demenz, die weiterhin Auto fahren. Auch wenn die Mehrzahl der Autofahrer mit Demenz ihre Fahrtätigkeit innerhalb der ersten drei Jahre nach der Diagnose einstellt, bleibt ein relevanter Anteil zunächst weiterhin aktiv im Straßenverkehr.
Hausärzte sehen sich mit Fragen der Fahrsicherheit und dem Umgang mit dem Autofahren bei Demenz konfrontiert. Dabei gilt es, die Patientenautonomie und soziale Teilhabe mit den Fahrsicherheitsrisiken für die Betroffenen und andere Verkehrsteilnehmer abzuwägen.
Beeinträchtigungen durch Demenz und ihre Auswirkungen auf das Fahrverhalten
Entgegen der Annahme, dass ältere Menschen generell ein höheres Verkehrsrisiko darstellen, zeigen Verkehrsstatistiken ein differenziertes Bild. Auch die Diagnose Demenz bedeutet nicht automatisch den Verlust der Fahreignung. Im Frühstadium der Erkrankung ist das Unfallrisiko möglicherweise nicht wesentlich erhöht. Allerdings beeinträchtigen verschiedene fahreignungsrelevante Funktionen im Krankheitsverlauf, insbesondere im mittleren Demenzstadium, die Fahreignung erheblich. Dazu gehören:
- Gedächtnisprozesse
- Aufmerksamkeit
- Visuell-räumliches Denken
- Urteilsvermögen
Validierte, mehrdimensionale verkehrspsychologische Testbatterien zur Beurteilung der Fahreignung erfordern psychologische Expertise und sind im hausärztlichen Setting kaum umsetzbar. Hausärzte sehen die Beurteilung der Fahreignung zudem als potenziellen Konflikt mit der patientenzentrierten Versorgung und als Risiko für die Arzt-Patienten-Beziehung. Die Beurteilung der Fahrsicherheit und die Thematisierung der eingeschränkten Fahrtauglichkeit aufgrund von Medikamenteneinnahme sind im hausärztlichen Versorgungssetting von größerer Bedeutung.
Die Rolle des Hausarztes als erster Ansprechpartner
Hausärzte sind oft die ersten Ansprechpartner für Menschen mit Demenz und spielen eine Schlüsselrolle in der medizinischen und psychosozialen Begleitung der Betroffenen und ihrer Familien. Dies schließt auch Fragen der Fahrsicherheit ein. Die Besonderheiten der Hausarztpraxis ermöglichen es, das Fahrverhalten der Patienten anzusprechen. Die erlebte Anamnese bietet vielfältige Ansatzpunkte, um sich dem Thema zu nähern.
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Hausärzte können ihr Wissen um die Krankheitsvorgeschichte, Ressourcen und sozialen Netzwerke der Patienten einbeziehen und Symptome oder Warnzeichen vor dem Hintergrund kognitiver Veränderungen neu bewerten. Die patientenzentrierte Ausrichtung der Versorgung und partizipative Entscheidungsfindung stehen im Vordergrund.
Frühzeitige Sensibilisierung und Ermittlung der Patientenperspektive
Eine frühe Sensibilisierung soll den Einstieg in das Thema Autofahren bei Demenz erleichtern. Der "geriatrische Blick" hilft, die eigene Wahrnehmung zu schärfen und Patienten zu identifizieren, bei denen die Themen Fahrtauglichkeit und Fahrsicherheit relevant sein könnten. Ziel ist es, das gesamte klinische Bild zu berücksichtigen und die Fahrsicherheit vor dem Hintergrund kognitiver, psychischer, sozialer und funktionaler Ressourcen zu beurteilen.
Für Patienten kann die Verknüpfung der Fahrsicherheit mit altersbedingten oder somatischen Veränderungen leichter zu akzeptieren sein als der direkte Zusammenhang mit einer Demenzerkrankung. Auswirkungen von Begleiterkrankungen und Medikamenteneinnahme können als Gesprächseinstieg dienen. Eine frühe Ansprache des Themas Fahrsicherheit ermöglicht eine partizipative Auseinandersetzung mit zu erwartenden Einschränkungen und Mobilitätsalternativen.
Es ist entscheidend, die Perspektive der Patienten zum Autofahren zu ermitteln. Menschen mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen verbinden mit einem antizipierten Fahrverzicht deutliche Einschränkungen ihrer Mobilität und Lebensqualität. Dennoch scheinen sie ihr Mobilitätsverhalten von sich aus einzuschränken und ärztlichen Rat zum Fahrverhalten wertzuschätzen. Durch die Ansprache der Fahraktivitäten kann frühzeitig ermittelt werden, welche Relevanz das Autofahren im individuellen Fall hat. Gemeinsam mit dem Patienten können Strategien entwickelt werden, die den Umgang mit Einschränkungen der Fahraktivitäten und dem individuellen Mobilitätserhalt erleichtern.
Besteht im Gespräch der Eindruck, dass keine unmittelbare Selbst- oder Fremdgefährdung vorliegt und die Fahrtauglichkeit nicht durch Medikamente beeinträchtigt ist, kann die Beobachtung im weiteren Verlauf hilfreich sein. Regelmäßige Besuche in der Hausarztpraxis ermöglichen Verlaufsbeobachtungen in Abständen von drei bis sechs Monaten, um den demenziellen Verlauf, die Medikation und die Fahrsicherheit erneut zu besprechen. Erste Warnzeichen auf der Verhaltensebene (Red Flags) können in die Planung des Fahrverzichts und die Ansprache von Sicherheitsrisiken einbezogen werden. Eine Kumulation von Red Flags ist besonders kritisch zu bewerten.
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Bei einer akuten Gefährdung der Fahrsicherheit ist die direkte Ansprache und Aufklärung zum Fahrverzicht erforderlich, um weitere Risiken der Selbst- und Fremdgefährdung zu reduzieren. Die frühe Aufklärung über die Folgen der Erkrankung und die Auswirkungen auf die Fahrsicherheit ist zentral für die Gestaltung der Versorgungssituation und die Organisation von Mobilitätsalternativen.
Ressourcen aktivieren und Angehörige einbeziehen
Ein ressourcenorientiertes Vorgehen betont die Adaptionsmöglichkeiten im Alterungsprozess. Mit dem Patienten sollten mögliche Kompensations-, Optimierungs- und Selektionsstrategien (SOK-Ansatz) hinsichtlich der Automobilität erarbeitet werden. Die Kenntnis des psychosozialen Kontextes der Person mit Demenz ermöglicht es, erprobte Strategien aufzugreifen und an bestehende Ressourcen anzuknüpfen. In Kenntnis des patienteneigenen Krankheitskonzepts und der persönlichen Bedeutung des Autofahrens können Mobilitätsalternativen abgeleitet und geplant werden.
Angehörige und das soziale Umfeld der Person mit Demenz sind die bedeutsamsten Ressourcen im Umgang mit der Fahrsicherheit. Sie sind sich oft der Fahrauffälligkeiten und möglichen Kompensationsstrategien bewusst und haben ihrerseits spezifischen Unterstützungsbedarf. Angehörige sind häufig in großer Sorge um die Sicherheit der dementen Person und anderer Verkehrsteilnehmer. Dennoch wird die Ansprache der Fahrsicherheit aus Sorge vor Konflikten oft vermieden. Gespräche werden zusätzlich erschwert, wenn die Mobilität des Angehörigen von der Person mit Demenz abhängt. Familienkonferenzen in der hausärztlichen Praxis ermöglichen es, unterschiedliche Bedürfnisse und Sorgen gemeinsam zu besprechen.
Netzwerke und Kooperation
Fragen der Fahrsicherheit, -tauglichkeit und -eignung können nicht allein in der Familie und in der Hausarztpraxis bearbeitet werden. Hilfen, Unterstützungsmöglichkeiten und Begutachtungen sind nur in einem Netzwerk von Akteuren sinnvoll zu organisieren. Neurologen und Gerontopsychiatern kommt insbesondere bei der diagnostischen Abklärung einer Demenzerkrankung und der Verordnung von Medikamenten eine große Bedeutung zu. Patienten und ihre Angehörigen sehen Spezialisten (z. B. in Gedächtnisambulanzen) hier in der Verantwortung. Ein Vermerk im Arztbrief und Hinweise zur weiteren Vorgehensweise bieten einen Ansatzpunkt für das Gespräch mit den Patienten in der Hausarztpraxis.
Bestehen noch keine Fahrsicherheitsrisiken, können Fahrschulen und Fahrsicherheitstrainings genutzt werden, um die Fähigkeiten in einer begleiteten praktischen Fahrprobe zu überprüfen und im Sinne des SOK-Ansatzes zu trainieren. Weitere Unterstützung bieten Angehörigengruppen, kommunale Senioren- und Pflegeberatungsstellen sowie das Straßenverkehrsamt. Regionale Ansprechpartner können über die Bundesanstalt für Straßenwesen ermittelt werden. Neben den Begutachtungsstellen bieten auch Verkehrspsychologen oder Ärzte mit verkehrsmedizinischer Zusatzqualifikation entsprechende Beratung an. Deren Kontaktadressen können über die Kassenärztliche Vereinigung oder den Bundesverband Niedergelassener Verkehrspsychologen (BNV) ermittelt werden.
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Strategien in fortgeschrittenen Demenzstadien
Wird das Autofahren erstmals später im Verlauf der Demenz thematisiert, besteht unter Umständen dringender Handlungsbedarf. Juristische und Sicherheitsaspekte treten dann unmittelbar in den Vordergrund der Arzt-Patient-(Angehörigen-)Interaktion. Informationen zu den Auswirkungen der Demenzerkrankung auf das Fahrverhalten und die Konsequenzen für die eigene Sicherheit und die anderer Verkehrsteilnehmer können vermittelt werden. Ein Mobilitätsprofil, das gemeinsam - möglichst unter Einbeziehung der Angehörigen - erstellt wird, bietet auch in diesem Stadium die Möglichkeit, die jeweiligen Risiken und Mobilitätsalternativen anhand konkreter Fahraktivitäten zu besprechen.
In Deutschland sind Hausärzte nicht zur Überprüfung der Fahrtauglichkeit verpflichtet. Primär zu beachten ist die ärztliche Schweigepflicht (§ 203 StGB). Sind Patienten mit Demenz trotz mehrfacher Aufklärung und Ansprache uneinsichtig, was die Aufgabe der Fahraktivitäten betrifft, kann ein Bruch der ärztlichen Schweigepflicht als "Ultima Ratio" in Betracht gezogen werden. Ein solcher Bruch ist nur bei Gefährdung von Patient und anderen Verkehrsteilnehmern (höherwertige Rechtsgüter) im Rahmen eines rechtfertigenden Notstands (§ 34 StGB) in Betracht zu ziehen.
Rechtliche Aspekte und Verantwortlichkeiten
Die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung verbieten Demenzkranken das Autofahren nicht pauschal, sondern fordern eine individuelle Beurteilung. Dabei spielen die Art und Schwere der Demenz eine Rolle. So kann eine leichte hirnorganische Wesensänderung die Fahrerlaubnisgruppe 1 (Fahrzeuge der Klassen A, A1, A2, B, BE, AM, L und T) unberührt lassen. Die Entscheidung, ab wann die Demenz die Fahrtauglichkeit beeinträchtigt, hängt vom individuellen Krankheitsverlauf ab und sollte von Angehörigen und Ärzten aufmerksam beobachtet werden.
Bei einem Unfall reguliert zunächst die Kfz-Haftpflichtversicherung den Schaden. Der Versicherer kann jedoch Regressansprüche gegenüber dem Fahrer oder dessen Angehörigen geltend machen, wenn dieser mit Demenz dem Autofahren nachgeht.
Angehörige haben eine Fürsorgepflicht und sollten auf den Menschen mit Demenz einwirken, wenn dieser bei fortschreitender Erkrankung weiterhin Auto fährt. Rechtlich verpflichtet, das Autofahren zu verhindern, sind sie jedoch nur dann, wenn sie die Aufsichtspflicht über die erkrankte Person haben (§ 832 BGB). Dies ist der Fall, wenn das Betreuungsgericht sie zu rechtlichen Betreuern bestellt hat und zu deren Aufgabenfeld ausdrücklich auch die Beaufsichtigung der Patientin oder des Patienten gehört. Bei nachgewiesener Verletzung der Aufsichtspflicht müssen sie für etwaige Schäden aufkommen, die die betreute Person beim Autofahren verursacht.
Vorsorge und rechtliche Vertretung
Nach der Diagnose einer Demenzerkrankung stellen sich viele Fragen zur Zukunft des Betroffenen. Soweit wie möglich sollten Betroffene selbst Wünsche äußern und Entscheidungen treffen, zum Beispiel über die Verwaltung des Vermögens, die zukünftige Pflege, Erbschaften und gewünschte oder nicht gewünschte ärztliche Maßnahmen. Solche Verfügungen können in einer Vorsorgevollmacht und einer Patientenverfügung festgelegt werden - allerdings nur, solange die Geschäftsfähigkeit der erkrankten Person noch gegeben ist.
Eine Vorsorgevollmacht bevollmächtigt eine Vertrauensperson, Entscheidungen zu treffen und im Namen des Vollmachtgebers zu handeln, wenn dieser krankheitsbedingt selbst nicht mehr dazu in der Lage ist. Eine Betreuung entsprechend dem Betreuungsgesetz wird dann notwendig, wenn es keine Vorsorgevollmacht gibt oder diese nicht ausreichend ist. In diesem Fall bestellt das Betreuungsgericht eine geeignete Person, vorrangig Angehörige, zum rechtlichen Betreuer.
Alle ärztlichen Maßnahmen bedürfen der Einwilligung der an Demenz erkrankten Person. Krankheitsbedingt können diese Einwilligungen eines Tages nicht mehr gegeben werden. Deshalb ist es wichtig, durch eine Patientenverfügung im Vorfeld wichtige Dinge festzulegen. In einem Testament bestimmen Sie, was nach Ihrem Tode mit Ihrem Geldvermögen, Ihren Immobilien usw. geschehen soll.
Weitere Aspekte
- Wahlrecht: Auch Menschen mit Demenz dürfen an Wahlen teilnehmen und ihre Stimme abgeben. Es ist erlaubt, jemanden beim Ausfüllen des Wahlscheins nach seinen Wünschen zu unterstützen.
- Versicherungen: Für an Demenz erkrankte Personen ist es sinnvoll, eine Haftpflichtversicherung abzuschließen. Wenn eine solche Versicherung bereits besteht, sollte die Versicherungsgesellschaft über die Erkrankung informiert werden.
- Schwerbehindertenausweis: Ein Schwerbehindertenausweis kann steuerliche und nicht-steuerliche Vorteile bringen, wie Ermäßigung der Kfz-Steuer, ggf. Anspruch auf einen Behindertenparkplatz, Freifahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Befreiung von der Rundfunkgebühr sowie Zuschüsse zur Wohnraumanpassung.
- Hilfe zur Pflege: Wenn die Leistungen der Pflegekasse nicht ausreichen, um den tatsächlichen Hilfebedarf abzudecken, besteht Anspruch auf "Hilfe zur Pflege" durch das Sozialamt.
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