Bahnbrechende Studien zur Demenz: Neue Erkenntnisse und Therapieansätze

Die Alzheimer-Krankheit, die häufigste Form der Demenz, betrifft Millionen von Menschen weltweit. Trotz intensiver Forschung gibt es bis heute keine Heilung, sondern lediglich Medikamente, die den Krankheitsverlauf verlangsamen können. In den letzten Jahren haben jedoch bahnbrechende Studien neue Erkenntnisse über die Ursachen und mögliche Therapieansätze der Demenz geliefert. Dieser Artikel beleuchtet einige dieser vielversprechenden Entwicklungen und gibt einen Ausblick auf die Zukunft der Demenzforschung.

Leqembi (Lecanemab): Ein neuer Antikörper zur Behandlung der frühen Alzheimer-Krankheit

Ein bedeutender Fortschritt in der Alzheimer-Therapie ist die Zulassung von Leqembi (Wirkstoff: Lecanemab). Dieser Antikörper-Wirkstoff wurde speziell für die Behandlung der frühen Alzheimer-Krankheit entwickelt und richtet sich an Menschen mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen (MCI) bei Alzheimer oder im Frühstadium der Alzheimer-Krankheit. Lecanemab erkennt und bindet gezielt eine Vorstufe der für Alzheimer typischen Amyloid-beta-Protein-Plaques im Gehirn. Dadurch wird das körpereigene Immunsystem aktiviert und baut die Plaques ab bzw. verhindert die Bildung neuer Plaques.

Zulassung und Verfügbarkeit

In den USA wurde Lecanemab bereits am 6. Januar 2023 unter dem Handelsnamen Leqembi vorläufig zugelassen, die vollständige Zulassung durch die US-Arzneimittelbehörde (FDA) erfolgte am 6. Juli 2023. In der EU erfolgte die Zulassung durch die Europäische Kommission im April 2025. Seit dem 25. August 2025 ist Leqembi in Österreich erhältlich, in Deutschland ab dem 1. September 2025.

Für wen ist Leqembi geeignet?

Leqembi ist nicht für alle Menschen mit Alzheimer geeignet. Der Wirkstoff kommt nur für Menschen infrage, die sich im frühen Stadium der Erkrankung befinden und bislang nur geringe Einbußen ihrer geistigen Leistungsfähigkeit haben. Dazu zählen vor allem Personen mit einer Alzheimer-Diagnose im Stadium eines Mild Cognitive Impairment (MCI, zu Deutsch „leichte kognitive Störung“) oder im frühen Stadium einer Alzheimer-Demenz.

Voraussetzungen für die Behandlung

Um mit Leqembi behandelt werden zu können, müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt sein:

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  • Nachweis von Amyloid-beta-Ablagerungen im Gehirn: Die krankhaften Amyloid-beta-Ablagerungen müssen im Gehirn nachgewiesen werden - entweder durch eine Lumbalpunktion oder mittels Amyloid-PET.
  • Genetische Voraussetzungen: Erkrankte dürfen höchstens eine Kopie des sogenannten ApoE4-Gens tragen. Personen mit zwei Kopien sind wegen der erhöhten Gefahr für Hirnblutungen von der Behandlung ausgeschlossen.
  • Keine Einnahme von Gerinnungshemmern: Leqembi eignet sich nicht für Menschen, die Gerinnungshemmer einnehmen, da in Kombination mit dem Medikament das Risiko für eine Hirnblutung deutlich steigt.

Wie viele Menschen kommen für die Behandlung infrage?

Wieviele Menschen für die Behandlung infrage kommen, ist noch unklar. Nach einer Einschätzung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) von Mai 2025 erfüllt etwa 1 von 100 Menschen mit einer Alzheimer-Demenz alle Voraussetzungen für eine Behandlung mit Leqembi, also in etwa 12.000 Erkrankte. Neuere Berechnungen von August 2025 - etwa des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (ZI) - sprechen von bis zu 73.000 Patientinnen und Patienten in Deutschland, was bei 1,2 Millionen Erkrankten etwa 6 Prozent entspricht. Diese Zahl gilt jedoch als optimistische Obergrenze. In der Praxis wird die Zahl deutlich niedriger sein, da die aufwendige Diagnostik, mögliche Ausschlusskriterien und begrenzte ärztliche Kapazitäten berücksichtigt werden müssen.

Ablauf der Behandlung

Leqembi wird als Infusion (Tropf) alle zwei Wochen direkt in die Vene verabreicht. Die Behandlung dauert jeweils etwa eine Stunde. Vor Beginn und während der Behandlung sind MRT-Untersuchungen notwendig, um mögliche Nebenwirkungen wie Hirnschwellungen oder kleine Blutungen im Gehirn frühzeitig zu erkennen. Diese Untersuchungen müssen vor der 5., 7. und 14. Dosis erfolgen. Werden die vorgeschriebenen MRTs nicht durchgeführt, muss die Behandlung beendet werden.

Mögliche Nebenwirkungen

In Studien traten bei einem Teil der Teilnehmenden Nebenwirkungen auf - darunter Hirnschwellungen (ARIA-E) und Hirnblutungen (ARIA-H). Diese waren in den meisten Fällen symptomlos, wurden aber engmaschig kontrolliert. Das Risiko für solche Nebenwirkungen hängt stark vom ApoE4-Gen ab: Menschen mit zwei Kopien dieses Gens sind besonders gefährdet und daher von der Behandlung ausgeschlossen. Bei den für die EU-Zulassung relevanten Patientengruppen - also Menschen mit höchstens einer Kopie des ApoE4-Gens - kam es in rund 13 % der Fälle zu Hirnblutungen und in 9 % zu Hirnschwellungen. Weitere mögliche Nebenwirkungen sind Kopfschmerzen (11 %) und Infusionsreaktionen (26 %). In der Studie wurden drei Todesfälle gemeldet, von denen zwei mit der gleichzeitigen Einnahme von Gerinnungshemmern in Verbindung gebracht wurden.

Studienergebnisse zur Wirksamkeit

Ausschlaggebend für die Zulassung von Leqembi waren die Ergebnisse der Phase-3-Studie CLARITY AD, die im November 2022 auf der Alzheimer-Konferenz Clinical Trial on Alzheimer´s Disease (CTAD) vorgestellt wurden. An der CLARITY AD-Studie hatten insgesamt 1.795 Personen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung oder leichter Alzheimer-Demenz teilgenommen. Während des 18-monatigen Untersuchungszeitraums wurde in regelmäßigen Abständen kognitive Fähigkeiten, wie das Gedächtnis, die Orientierung oder die Fähigkeit, Probleme zu lösen, von Fachleuten überprüft. Ergebnis der Studie war, dass die Krankheit bei denjenigen, die Lecanemab erhielten, um 27 Prozent langsamer voranschritt als bei der Kontrollgruppe.

Einschätzung der Wirksamkeit

Trotz der messbaren Wirksamkeit wird die Wirkung von Leqembi von vielen Expertinnen und Experten eher als moderat eingeschätzt. Es ist fraglich, inwieweit die Wirkung für an Alzheimer erkrankte Menschen spürbar ist und im Alltag einen Unterschied macht. Die Studie hat jedoch gezeigt, dass sich der verzögernde Effekt mit der Dauer der Einnahme zunimmt. Das könnte bedeuten, dass eine Einnahme über den Zeitraum der bisher untersuchten 18 Monate hinaus die Wirksamkeit von Lecanemab noch erhöht.

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Dopamin: Ein neuer Ansatz zur Reduktion von Alzheimer-Ablagerungen

Neben der Entwicklung von Medikamenten wie Leqembi gibt es auch vielversprechende Forschungsergebnisse zu anderen Therapieansätzen. Eine bahnbrechende Entdeckung von Forschern aus Japan hat gezeigt, dass der Botenstoff Dopamin eine wichtige Rolle im Kampf gegen Alzheimer spielen könnte. Dopamin fördert die Produktion des Enzyms Neprilysin, das wiederum die schädlichen Plaques im Gehirn abbaut und die Gedächtnisleistung verbessert.

Die Rolle von Neprilysin

Dass Neprilysin diese Wirkung hat, ist schon länger bekannt. Allerdings weiß man auch, das Neprilysin-Tabletten oder eine Injektion nicht wirken, da beides nicht im Gehirn ankommt. Deshalb suchten die japanischen Forscher nach anderen Möglichkeiten, Neprilysin im Gehirn hochzuregeln. Dabei stießen sie auf Dopamin, dass bei der Anwendung in einer Petrischale auf kultivierte Gehirnzellen genau dies bewerkstelligte - und gleichzeitig die Beta-Amyloid-Spiegel reduzierte.

Experimente mit Mäusen

Im Mausmodell konnten die Forscher dann bestätigen, was sich bereits in der Petrischale zeigte: Die Gabe von Dopamin führte bei Mäusen mit Alzheimer zur Reduktion der Beta-Amyloid-Plaques im Gehirn - und das schon nach acht Wochen. Im zweiten Schritt verarbreichten die Forscher den kranken Mäusen das bereits existierende Parkinson-Medikament „L-Dopa“. Dabei handelt es sich um eine Vorläufersubstanz von Dopamin, die übers Blut ins Gehirn transportiert wird und dort in Dopamin umgewandelt wird. L-Dopa wird daher zur Behandlung von Bewegungsstörungen durch Parkinson eingesetzt. Tatsächlich führte die Behandlung der Mäuse mit L-Dopa zu einem Anstieg des Neprilysins und einer Verringerung der Beta-Amyloid-Plaques sowohl im vorderen als auch im hinteren Teil des Gehirns. Modellmäuse, die drei Monate lang mit dem Medikament behandelt wurden, schnitten zudem bei Gedächtnistests auch besser ab als unbehandelte Modellmäuse.

Einschränkungen und weitere Forschung

Doch L-Dopa nun einfach Alzheimer-Patienten zu verabreichen, scheint dennoch nicht der richtige Weg zu sein: „Es ist bekannt, dass eine Behandlung mit L-Dopa bei Patienten mit Parkinson-Krankheit schwerwiegende Nebenwirkungen hat“, schränkt der Autor ein. Aus diesem Grund wollen die japanischen Wissenschaftler weiterforschen: „Unser nächster Schritt ist zu untersuchen, wie genau Dopamin Neprilysin im Gehirn reguliert“, betont Naoto. Denn wie der Botenstoff den Anstieg des Enzyms hervorruft, wissen sie noch nicht. Wenn dies entschlüsselt ist, sehen die Forscher aber große Möglichkeiten: „Dies sollte zu einem neuen präventiven Ansatz führen, der bereits im präklinischen Stadium der Alzheimer-Krankheit eingeleitet werden kann.“ Das bedeutet, dass so verhindert werden könnte, dass überhaupt Symptome auftreten.

Transkranielle Pulsstimulation (TPS): Eine umstrittene Therapiemethode

Die Transkranielle Pulsstimulation (TPS) ist eine gepulste ultraschallbasierte Methode zur nichtinvasiven Stimulation des Gehirns. Eine spezielle Ultraschallsonde emittiert sehr kurze (30 µs) Ultraschall-Pulse mit einer typischen Frequenz von 5 Hz. Die neue Therapie, die umfangreich öffentlich beworben wird, soll die Regeneration des Gehirns stimulieren. Laut Aussage der Studienautoren ist es damit „weltweit erstmalig möglich, mit einem Ultraschall-Puls direkt am Schädelknochen, nichtinvasiv, schmerzfrei und bei vollem Bewusstsein in alle Bereiche des Gehirns vorzudringen und dort ganz gezielt Hirnareale anzusteuern und diese zu aktivieren“.

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Studienergebnisse und Kritik

2025 wurde die erste durch eine Scheinstimulation kontrollierte randomisierte doppelt verblindete Crossover-Studie bei n = 60 Patientinnen und Patienten mit klinisch diagnostizierter Alzheimer-Erkrankung im Alter zwischen 51 und 82 Jahren publiziert. Die Studie wurde unter anderem von der Firma Storz Medical AG finanziert. Die Behandlung umfasste entweder 6 Sitzungen mit transkranieller Stimulation frontoparietaler Hirnregionen innerhalb von 2 Wochen oder eine Scheinstimulation. Nach einer 4-monatigen Washout-Periode wurde die jeweils andere Behandlung appliziert. Der über drei Monate nach der Stimulation nachbeobachtete primäre Endpunkt zeigte einen signifikanten Anstieg (Besserung des CERAD) über die Zeit. Es konnte bezogen auf die Gesamtpopulation aber keine signifikante Interaktion zwischen Sitzung (die verschiedenen Messzeitpunkte vor und nach Intervention) und Intervention (TPS vs. Scheinstimulation) gefunden werden. Die beiden Therapiegruppen (zuerst TPS, dann Scheinstimulation vs. zuerst Scheinstimulation, dann TPS) unterschieden sich signifikant im Alter. Die Gruppe, die zuerst TPS erhielt, war jünger. Das veranlasste die Autorinnen und Autoren zu nicht geplanten Sekundäranalysen. Es zeigte sich eine signifikante Interaktion, wenn zusätzlich zu Sitzung und Intervention noch das Alter (£ 70 Jahre vs. > 70 Jahre) als Variable eingeführt wurde. Spezifisch für die Gruppe der Patientinnen und Patienten, die jünger als 70 Jahre waren, wurde eine signifikante Interaktion zwischen Zeit und Intervention gefunden, mit einer Verbesserung der kognitiven Leistung ausschließlich nach echter TPS, nicht nach Scheinstimulation. Dieser Effekt war in der Gruppe der Patientinnen und Patienten, die älter als 70 Jahre waren, nicht nachweisbar.

Trotz interessanter Ergebnisse zweifeln zahlreiche Kritiker, darunter die Selbsthilfeorganisation Deutsche Alzheimer Gesellschaft e. V. und Forschende unterschiedlicher Universitäten, an der Aussagekraft der Studien und an der (Langzeit-)Wirkung der neuen Therapie. Für einen Wirksamkeitsnachweis der neuen Therapie sind mittels Scheinstimulation kontrollierte, randomisierte verblindete Studien mit höherer Patientenzahl, Parallelgruppendesign und längerer Nachbeobachtungszeit erforderlich.

Weitere Faktoren, die das Demenzrisiko beeinflussen können

Neben medikamentösen Therapien und innovativen Behandlungsansätzen gibt es auch eine Reihe von Faktoren, die das Demenzrisiko beeinflussen können. Dazu gehören:

  • Ernährung: Eine gesunde Ernährung, insbesondere die mediterrane Ernährung und die MIND-Diät, kann das Risiko für kognitiven Abbau senken.
  • Bewegung: Regelmäßige körperliche Aktivität ist gut für Herz und Gehirn.
  • Soziale Kontakte: Aktive soziale Interaktion und die Teilnahme an Gruppenaktivitäten können die kognitive Funktion unterstützen.
  • Geistige Fitness: Das Erlernen neuer Fähigkeiten und das Trainieren des Gehirns können helfen, die geistige Leistungsfähigkeit zu erhalten.
  • Schlaf: Ausreichend Schlaf ist wichtig für die Erholung des Gehirns und den Abbau von Schadstoffen.
  • Vermeidung von Risikofaktoren: Das Vermeiden von Risikofaktoren wie Rauchen, Übergewicht, Bluthochdruck und Diabetes kann das Demenzrisiko reduzieren.
  • Schlechte Träume und Albträume: Eine Studie hat gezeigt, dass Erwachsene mittleren Alters, die angaben, wöchentlich beunruhigende Träume zu haben, ein vierfach höheres Risiko hatten, einen kognitiven Rückgang zu erleben.

Lithium: Ein Spurenelement mit potenzieller Bedeutung für die Alzheimer-Therapie

Eine weitere interessante Entdeckung betrifft den Stoff Lithium. Eine Studie hat gezeigt, dass in bestimmten Hirnregionen von Menschen mit beginnender Alzheimer-Demenz weniger Lithium als üblich gefunden wurde. Die Forscher vermuten, dass die Amyloid-Plaques Lithium wie in einer Falle festhalten und so dem umliegenden Hirngewebe entziehen. Die Folge könnte sein, dass Nervenzellen nicht mehr ausreichend mit dem Spurenelement versorgt werden und dadurch schneller geschädigt werden. In Experimenten mit Alzheimer-Mäusen konnte gezeigt werden, dass die Gabe von Lithiumorotat, einem Präparat, das offenbar nicht in den Plaques hängen bleibt, zu deutlichen Verbesserungen führte.

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