Für Menschen mit Demenz wird die Kommunikation im Verlauf der Krankheit immer schwieriger. Gleichzeitig verschärft sich der Mangel an Pflegekräften, was die Überwachung der Pflegebedürftigen zusätzlich erschwert. Das junge Unternehmen ichó Systems hat eine Lösung für beide Probleme entwickelt: den interaktiven Therapieball.
Die Idee hinter ichó Systems
Das junge Team von ichó Systems, bestehend aus Steffen Preuß, Eleftherios Efthimiadis und Mario Kascholke, hat mit seiner Idee bereits mehrere Preise gewonnen. Die Gründer lernten sich im Forschungsprojekt „NutzerWelten“ der Hochschule Düsseldorf kennen, in dem Studierende technikgestützte Lösungsansätze für Menschen mit Demenz entwickeln. Schnell erkannten die beiden Kommunikationsdesigner Preuß und Efthimiadis sowie der Elektrotechniker und Medieninformatiker Kascholke, dass sie sich ideal ergänzen. Ihre persönlichen Erfahrungen mit an Demenz erkrankten Großeltern schweißten sie zusätzlich zusammen.
Funktionsweise des ichó-Balls
Der ichó-Ball ist ein interaktiver Therapieball, der alle Sinne anregt. Er reagiert auf verschiedene äußere Einflüsse und unterstützt die Kommunikation auf niedrigschwellige Weise. Die eingebaute Sensorik erfasst Daten wie Reaktionszeiten und motorischen Umfang der Patienten. Diese Daten ermöglichen es, Fortschritte und Rückschritte zu dokumentieren und künftig auch Diagnosen zu treffen.
Multisensuale Stimulation
Das Wirkungsprinzip des ichó-Balls basiert auf bestehenden Studien sowie Aktivierungs- und Fördermethoden, die bereits bei kognitiven Erkrankungen und insbesondere bei Demenz eingesetzt werden. Durch eine multisensuale Stimulation werden Kognition und Motorik des Nutzers gleichzeitig gefördert. Musik- und Rhythmustherapie unter Einbeziehung der Biografie des Nutzers zeigen eine hohe Ansprache und Aktivierung.
Vielfältige Einsatzmöglichkeiten
Der ichó-Ball ist etwa so groß wie ein Handball und mit einer milchig-weißen, muschelähnlichen Oberfläche ausgestattet. Er registriert alle äußeren Einflüsse, also ob er gefangen, geworfen, gestreichelt oder einfach nur gehalten wird. Daraufhin reagiert er mit farbigem Leuchten, Vibration, Klang oder Musik. Die Kugel lässt sich zudem auf die unterschiedlichen Vorlieben der einzelnen Benutzer einstellen: Bei einem leuchtet sie rot, beim nächsten grün, und beim dritten vibriert sie sanft mit leisen Tönen.
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Anwendungsbereiche des ichó-Balls
Ursprünglich für die Therapie von Demenzpatienten entwickelt, wird der ichó-Ball mittlerweile in verschiedenen Bereichen eingesetzt:
- Demenztherapie: Der Ball hilft, mit Demenzpatienten, die in ihrer Gedanken- und Gefühlswelt gefangen sind, spielerisch wieder eine Kommunikation aufzubauen. Er ermöglicht es, den Patienten Momente zu schenken und sie aus ihrer Isolation zu holen.
- Neurologische Erkrankungen: Der Ball wird auch zur Therapie von Kindern mit neurologischen Erkrankungen, von Schlaganfall- oder Parkinsonpatienten eingesetzt.
- Autismus-Therapie: ichó arbeitet aktuell an Anwendungen und Handlungskonzepten für autistische Kinder und befindet sich in einer Testphase.
- Weitere Anwendungsbereiche: Denkbar ist der Einsatz des Therapieballs ebenfalls bei Kindern mit Lern- oder geistiger Behinderung, zur Rehabilitation nach einem Schlaganfall oder bei der Therapie von Menschen mit Depressionen.
Einsatz in der Tagespflege
In der Tagespflege wird der ichó-Ball für Gruppen- und Einzelangebote genutzt. Wechselnde Programme sorgen für Abwechslung und immer neue Eindrücke. Zum Beispiel kann das Tier-Memory gespielt werden, wobei die Kugel beim Weiterreichen immer einen anderen Tierlaut abspielt. Es können auch mehrere ichó-Kugeln genutzt werden, wobei jede Kugel ein anderes Instrument abbildet. Je nachdem, wie die Kugel bewegt oder berührt wird, wird auch die Trommel, die Gitarre, die Flöte oder das Klavier anders gespielt.
Einsatz in vollstationären Einrichtungen
Im Bewohnerbereich vollstationärer Einrichtungen kann der ichó-Ball unterstützend bei herausforderndem Verhalten eingesetzt werden.
Märchentherapie
Auch das Erzählen von Märchen ist mit dem ichó-Ball möglich. Dann ist die Kugel zum Beispiel die goldene Kugel des Froschkönigs und muss von unten aus dem Brunnen hochgeholt werden. Wird diese Handlung ausgeführt, erkennt dies der ichó-Ball, beginnt golden zu leuchten, und das Märchen wird weitererzählt, entweder über die Kugel, den Therapeuten oder über die aufgezeichnete Stimme von Angehörigen.
Vorteile des ichó-Balls
- Fördert die Kommunikation: Der ichó-Ball ermöglicht eine niedrigschwellige Kommunikation mit Menschen, denen es schwerfällt, sich verbal auszudrücken.
- Stimuliert die Sinne: Der Ball regt Sehen, Hören und Fühlen an und fördert so die Wahrnehmung.
- Fördert die Motorik: Durch das Fangen, Werfen, Streicheln und Halten des Balls werden die motorischen Fähigkeiten trainiert.
- Beruhigt und entspannt: Der Ball kann unruhige Menschen beruhigen und ihnen ein Gefühl der Sicherheit vermitteln.
- Erfasst wichtige Daten: Die eingebaute Sensorik erfasst Daten zu Reaktionszeiten und motorischem Umfang, die für die Therapieplanung genutzt werden können.
- Flexibel einsetzbar: Der Ball kann in verschiedenen Therapieformen und in unterschiedlichen Einrichtungen eingesetzt werden.
Erfolge und Auszeichnungen
Das Team von ichó Systems hat mit seiner Idee bereits einige Erfolge gefeiert und Auszeichnungen erhalten:
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- 1. Platz beim Wittener Preis für Gesundheitsvisionäre
- Finalist beim EU-Wettbewerb „Ideas from Europe“
- Gründerstipendium NRW
- Nominierung für den Start-up-Wettbewerb „Ideas from Europe“
Die Bedeutung des Namens Ichó
Ichó ist griechisch und bedeutet Echo oder Klang. Der Name hat aber noch eine tiefere Bedeutung: In der griechischen Mythologie war Ichó eine Nymphe, die von Hera dazu verflucht wurde, nur noch die letzten Worte anderer wiederholen zu können. Die Gründer von ichó Systems sehen in dieser Geschichte eine Parallele zu Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen, denen es oft schwerfällt, sich auszudrücken.
Die Vision von ichó Systems
Die Vision von ichó Systems ist es, für kognitiv erkrankte Menschen einen neuen Weg zur Kommunikation zu finden. Langfristig möchte das Unternehmen für möglichst viele - auch seltene - Krankheitsbilder Produkte entwickeln, die Angehörige und Betreuer befähigen, hochwertige Pflege und Förderung zu leisten. In einem nächsten Schritt soll der ichó-Ball die pflegenden Angehörigen erreichen und auf Rezept erhältlich werden.
Unterstützung und Förderung
Die Entwicklung des ichó-Balls wurde durch verschiedene Institutionen und Programme unterstützt:
- Hochschule Düsseldorf
- Social Impact Lab Duisburg-Ruhrort
- KfW Stiftung
- NRW.SeedCap
- win NRW.BANK Business Angels Initiative
- Gründerstipendium NRW
Dank der finanziellen Beteiligung von Business Angels konnte der Prototyp zur Marktreife entwickelt werden.
Produktion und Vertrieb
Der Therapieball ist mittlerweile als Medizinprodukt zugelassen und seit April 2020 im Online-Shop des Unternehmens für gewerbliche und private Kunden erhältlich. Gefertigt wird er ausschließlich in Deutschland, „von der Platine bis zur Außenhülle“, wie Gründer Steffen Preuß stolz erzählt.
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Das Team von ichó Systems
Zum Gründerteam gehören:
- Steffen Preuß (Kommunikation und Vertrieb)
- Eleftherios Efthimiadis (Produktdesign)
- Mario Kascholke (Elektrotechnik und Medieninformatik)
- Alkje Stuhlmann (Finanzen)
Reaktionen und Feedback
Das Feedback der Kunden ist für das junge Unternehmen nach wie vor eine große Motivation: „Wir sind häufig ganz gerührt, wenn uns die Nachrichten von Angehörigen erreichen, die seit Langem wieder herzergreifende Momente mit Verwandten erleben durften. Eine Mutter, die plötzlich wieder spricht, sich kurz an einzelne Momente im Leben erinnert oder anfängt, zu singen. Das bewegt einen schon sehr“, so Preuß. Der Ball hat bereits mehr als 10.000 Menschen in über 300 Pflegeeinrichtungen ein Lächeln ins Gesicht gezaubert.
Herausforderungen und Zukunftspläne
Die Corona-Krise hat die Pläne des Unternehmens für das Jahr 2020 stark ausgebremst. Messen und Veranstaltungen fielen aus, das Produkt konnte nicht wie erhofft einer breiteren Masse präsentiert werden. Das Team denkt aber bereits weiter Richtung Zukunft.