Diabetes und Demenz: Ein komplexer Zusammenhang mit Auswirkungen auf die Lebenserwartung

Der Zusammenhang zwischen Diabetes und Demenz ist ein viel diskutiertes Thema in der medizinischen Forschung. Seit den 1990er-Jahren ist bekannt, dass Menschen mit Diabetes ein höheres Risiko haben, an Demenz zu erkranken. Dieser Artikel beleuchtet die komplexen Zusammenhänge zwischen Diabetes, Demenz und Lebenserwartung und gibt einen Überblick über aktuelle Studien und präventive Maßnahmen.

Erhöhtes Demenzrisiko bei Diabetespatienten

Die Rotterdam-Studie zeigte bereits in den 1990er-Jahren, dass Menschen mit Diabetes etwa doppelt so häufig eine Demenz entwickeln wie Menschen ohne Diabetes. Aktuelle Studien bestätigen diesen Zusammenhang und zeigen, dass das Risiko, an einer Demenz zu erkranken, bei Menschen mit Diabetes etwa 1,5-fach erhöht ist. Insbesondere Typ-2-Diabetes ist mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung vaskulärer Demenzen assoziiert. Frauen mit Diabetes haben ein 2,3-fach und Männer ein 1,7-fach erhöhtes Risiko, eine vaskuläre Demenz zu entwickeln.

Statistisch gesehen sind Frauen häufiger von Altersdemenz betroffen. Diabetes und Demenz sind häufig Erkrankungen des höheren Lebensalters. Während im Alter von 60 Jahren etwa 1,2 % der Bevölkerung betroffen sind, sind es von den über 90-Jährigen bereits 35 %. Angesichts der Verdoppelung des relativen Anteils der über 65-Jährigen an der Gesamtbevölkerung in den nächsten 30 Jahren, ist entsprechend auch mit einer Verdoppelung der absoluten Zahl Demenzkranker in diesem Zeitraum zu rechnen. Im Vergleich zu Stoffwechselgesunden unterliegen Menschen mit Diabetes-Typ-2 einem bis zu vierfach erhöhten Risiko für eine gefäßbedingte Demenz. Das Risiko für eine Altersdemenz ist doppelt so hoch. Eine aktuelle Studie zeigt sogar, dass Personen, die bereits vor dem 65. Lebensjahr an Diabetes und Depressionen erkrankten, bis zu fünfmal eher dement werden als Gleichaltrige mit normalem Zuckerstoffwechsel und sonnigerem Gemüt.

Ursachenforschung: Ein komplexes Zusammenspiel

Die Ursachen für die Häufung von Demenzerkrankungen bei Diabetespatienten sind vielfältig und noch nicht vollständig geklärt. Es gibt keine einzelne, einheitliche kausale Ursache. Es wird vermutet, dass verschiedene Faktoren eine Rolle spielen, darunter:

  • Vaskuläre Schäden: Diabetes kann die Blutgefäße im Gehirn schädigen, was zu einer vaskulären Demenz führen kann. Frauen mit Diabetes haben ein 2,3-fach und Männer ein 1,7-fach erhöhtes Risiko, eine vaskuläre Demenz zu entwickeln. Circa 15 % der Demenzkranken leiden unter einer vaskulären Demenz, bei der in der Bildgebung größere und kleinere Infarkte, eine zerebrale Mikroangiopathie oder lakunäre Insulte nachgewiesen werden können. Weitere 15 % zeigen ein gemischtes Bild aus primär degenerativer Demenz vom Alzheimer-Typ plus zusätzlicher vaskulärer Läsionen. Für dieses Drittel an Demenzerkrankungen gibt es recht klare Zusammenhänge mit der Qualität der Diabetesbehandlung, insbesondere mit den Komponenten des metabolischen Syndroms.
  • Metabolisches Syndrom: Die Komponenten des metabolischen Syndroms, wie Hyperlipidämie und Hypertonie, können ebenfalls zur Demenzentwicklung beitragen. Eine Arbeit zeigte, dass sowohl die Hyperlipidämie als auch die Hypertonie einen Einfluss auf die Demenzentwicklung haben, der stärkste Effekt jedoch dem Typ-2-Diabetes zuzuschreiben ist.
  • Insulinresistenz: Eine periphere Insulinresistenz scheint auch mit einer zerebralen Insulinresistenz verbunden zu sein. Die kognitive Leistung kann bei nichtdiabetischen Probanden, vermutlich auch bei Menschen mit Diabetes durch nasale Gabe von Insulin verbessert werden.
  • Zerebraler Glukosestoffwechsel: Bei der Alzheimer-Demenz kommt es zu Veränderungen des zerebralen Glukosestoffwechsels, Ablagerung von Beta-Amyloid und Neurofibrillen und letztlich zur Zerstörung von Neuronen; dies ist besonders ausgeprägt im Hippocampus, einem wichtigen Areal für das Gedächtnis. Viele Zusammenhänge zum Diabetes sind dabei entdeckt worden, eine monokausale Ursache jedoch noch nicht. Der zerebrale Glukosestoffwechsel scheint bereits früh bei der Alzheimer-Demenz verändert zu sein.
  • Erhöhte Blutzuckerwerte: Chronisch erhöhte Blutzuckerwerte gehen mit einer Verschlechterung der kognitiven Leistung einher. Dies gilt bereits für leicht erhöhte Werte, sogar noch vor der eigentlichen Diabetesdiagnose.
  • Hypoglykämien: Deutliche Unterzuckerungen stellen einen Risikofaktor für Demenzen dar. Drei und mehr schwere Hypoglykämien verdoppeln das spätere Demenzrisiko, wie schon 2009 gezeigt worden ist. In einer prospektiven Studie wurde dies über die Zeitdauer von 12 Jahren bestätigt.
  • Lebensstilfaktoren: Fehlende Bewegung, Depression, niedriger Bildungsgrad oder Rauchen sind ebenfalls mit der Demenzentwicklung assoziiert. Eine Metaanalyse ergab, dass fehlende Bewegung einer der wichtigsten Risikofaktoren für die Demenzentwicklung ist und von den Lifestyle-Maßnahmen her allein jede 5. Demenz erklären kann.
  • Weitere Risikofaktoren: Ein abnehmendes Sehvermögen und ein zu hohes Cholesterin sind zwei neue Demenz-Risikofaktoren, welche die Lancet-Kommission zur Prävention, Intervention und Pflege von Demenz in ihrer neuen Studie vorstellt. Laut Lancet-Studie kann man das Erkrankungsrisiko um zwei Prozent senken, wenn besonders im hohen Alter Sehschwächen ausgeglichen werden. Hohe Cholesterinwerte können zu Ablagerungen in den Blutgefäßen führen, die die Blutversorgung des Gehirns beeinträchtigen. Dadurch steigt das Risiko für eine vaskuläre Demenz.

Diabetestherapie und Demenzrisiko

Einzelne Studien haben für bestimmte diabetische Behandlungsregimes eine protektive Wirkung in Hinblick auf die Demenzentwicklung gezeigt. So konnte für die Therapie mit Pioglitazon, aber auch für die mit Metformin ein gewisser protektiver Effekt hinsichtlich der Demenzentwicklung gezeigt werden. Andere Arbeitsgruppen kamen hingegen zu differierenden Ergebnissen (8). Eine systematische Auswertung der Cochrane Collaboration fand keinerlei Abhängigkeit der Demenzentwicklung von der Art der Diabetesbehandlung.

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Eine Analyse von Krankenkassen-Daten zeigt einen statistischen Zusammenhang zwischen der Behandlung mit Pioglitazon und der Senkung des Demenzrisikos. Pioglitazon kann vom Blut ins Gehirn gelangen und ist entzündungshemmend. Außerdem wirkt er der Ablagerung schädlicher Eiweiße entgegen. Denn Pioglitazon blockiert das Enzym Beta-Sekretase, das an der Entstehung solcher Eiweiß-Ablagerungen beteiligt ist. Das Forschungsteam untersuchte auch, wie andere häufig verschriebene Antidiabetika sich auf das Demenzrisiko auswirkten. Es zeigte sich, dass eine Behandlung mit „Metformin“ das Gefährdungspotenzial ebenfalls herabsetzte.

Auswirkungen von Demenz auf die Diabetesbehandlung

Einerseits führt Diabetes zu einem häufigeren Auftreten von Demenz, andererseits führt das Vorliegen von Demenz häufiger zu Therapieproblemen wie Unterzuckerungen. Dieser Zusammenhang ist geradezu ein „Teufelskreis“, bei dem sich die Probleme gegenseitig verstärken. Kognitive Fähigkeiten sind im Bereich des Diabetes-Selbstmanagements wichtig; ihr Nachlassen macht bei Menschen mit Demenz und Diabetes die Behandlung schwierig und erhöht die Risiken, wie beispielsweise das Auftreten von Hypoglykämien. Menschen die gleichzeitig von Demenz und Diabetes betroffen sind, tragen ein erhöhtes Risiko für schwere Unterzuckerungen (Blutzuckerwerte < 60 mg/dl bzw. 3,3 mmol/l). Normalerweise werden die Symptome einer Unterzuckerung, wie schwitzen oder zittern, frühzeitig erkannt und vor allem gespürt und können dann auch eigenständig behandelt werden. Deutlich schwieriger wird es für Patienten mit einer Demenzerkrankung, die ihre Medikamente und ihre Ernährung nicht mehr richtig aufeinander abstimmen und die Anzeichen einer Unterzuckerung nicht mehr deuten können. Falsch gespritzte Insulinmengen, Über- oder Unterschätzungen der Kohlenhydratmenge einer Mahlzeit können die Folge sein. Auch kann es passieren, daß die Patienten vergessen nach der Insulininjektion etwas zu essen. Schwere Unterzuckerungen stellen damit ein erhöhtes Risiko für diese Patienten dar, scheinen aber auch (nach einer aktuellen Studie) das bereits beeinträchtigte Gehirn weiter zu schädigen und das Fortschreiten der Demenz zu beschleunigen. Daher ist es besonders wichtig die Therapie bei einer Demenzerkrankung und Diabetes mellitus adäquat aufeinander abzustimmen.

Im Laufe einer Demenz können sich der Appetit und damit die Essgewohnheiten sehr verändern. Auch steigt mit zunehmender Demenz der Bewegungsdrang. Beides kann zu einem ungewollten Gewichtsverlust führen, welcher ungünstig für die Therapieeinstellung ist. Es erhöht das Risiko für Unterzuckerung und reduziert die Lebenserwartung der an Demenz erkrankten Patienten. Diabetologische Diätempfehlungen sind da eher kontraproduktiv, da sie die Nahrungsvielfalt zusätzlich einschränken. Empfehlenswert sind, mehrere kleine Portionen über den Tag verteilt anzubieten. Auch das Verlangen nach „Süßem„ kann stark ansteigen und diesem sollte auf jeden Fall nachgegeben werden. Auch das Bereitstellen von süßen Getränken kann ggf. die Nährstoffzufuhr weiter verbessern. Wichtig ist ein vielseitiger und ausgewogener Speiseplan. Um die Diabetestherapie zu verbessern und auf den neuen Alltag mit der Demenzerkrankung anzupassen, kann es helfen, wenn Angehörige oder Pflegepersonal die eingenommenen Mahlzeiten dokumentieren. Je nach geistiger Situation ist zu überlegen, welche diabetologischen Inhalte vom Patienten weiterhin selbständig durchführbar sind.

Individualisierte Therapieziele bei Demenz und Diabetes

Die Zielwerte der Diabetesbehandlung müssen bei Menschen mit Demenz sehr individualisiert gesetzt werden. Vermutlich sind diese Zielwerte für den Blutglukosespiegel im Hinblick auf den Gesamtnutzen deutlich höher anzusiedeln. Ein Langzeit-Blutzucker (HbA1C) von ca. 8 % ist anzustreben. Die Therapie muss individuell auf die Beeinträchtigungen, die Lebensgewohnheiten und die soziale Situation abgestimmt werden. Daher sehen viele Experten den HbA1C-Wert als zweitrangig, denn im Vordergrund steht ganz klar die Förderung der Selbständigkeit und der Erhalt der Lebensqualität unter Berücksichtigung der Vermeidung von lebensbeeinträchtigenden Situationenwie Unter- oder Überzuckerungen. Dies alles kann nur funktionieren, wenn alle Beteiligten gut und kenntnisreich zusammenarbeiten.

Bedeutung der Früherkennung

Die frühzeitige Diagnose und intensive Behandlung von Typ-2-Diabetes ist entscheidend, um das Risiko für Komplikationen zu verringern und die Lebenserwartung zu verbessern. Um das Risiko für Komplikationen zu verringern und die Lebenserwartung zu verbessern, gelte es vom ersten Tag an, möglichst normnahe Glukosewerte anzustreben. „Eine frühe Therapie mit Metformin scheint das Komplikationsrisiko zusätzlich zu reduzieren und die Lebenserwartung zu verlängern“, sagte Prof.

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Demenzprävention bei Diabetes

Bedingt durch die letztlich noch unklare, sicher multifaktorielle Genese der Demenzen sollten Menschen mit Diabetes über ihr erhöhtes Risiko, aber auch über sinnvolle Maßnahmen zur Demenzprävention informiert werden. Während sich ein geringes Ausbildungsniveau als Risikofaktor nicht beeinflussen lässt, gibt es eine Reihe von anderen Bedingungen, die man ändern beziehungsweise behandeln kann.

Dazu zählen:

  • Diabetes mellitus
  • Übergewicht
  • Hypertonie
  • Depression
  • Bewegungsmangel
  • Rauchen

Und letztlich sind soziale Aktivitäten mit Freunden oder in Gruppen gut für die Seele - und das Gehirn. Durch einen gesunden Lebensstil und medizinische Vorsorge können laut Studie 45 Prozent der Demenzerkrankungen verzögert oder verhindert werden.

Einsatz von Technologie zur Therapie

Besonders der Einsatz von Technologien, gerade der Virtuellen Realität (VR), wurde dabei stark diskutiert. Es gibt bereits zahlreiche Beispiele für den Einsatz von Technologien der VR zur Therapie bei älteren Personen mit körperlichen und kognitiven Einschränkungen.

Auswirkungen auf die Lebenserwartung

Eine australische Studie bestätigte, dass Demenz-kranke Menschen mit Diabetes früher sterben (im Schnitt 2.6 Jahre). Bei Diabetikern trat der Tod durchschnittlich 2,6 Jahre früher ein als bei Nicht-Diabetikern.

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