Betablocker und das Demenzrisiko: Neue Erkenntnisse und Perspektiven

Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind wichtige Risikofaktoren für Demenz. Eine aktuelle Studie aus dem November 2024, veröffentlicht in der Fachzeitschrift "Alzheimer's & Dementia", deutet darauf hin, dass die langfristige Einnahme von Medikamenten gegen diese Erkrankungen möglicherweise auch vor Demenz schützen kann. Diese Erkenntnisse werfen ein neues Licht auf die potenziellen Vorteile von Herz-Kreislauf-Medikamenten und unterstreichen die Bedeutung einer frühzeitigen Behandlung von Risikofaktoren wie Bluthochdruck und hohen Cholesterinwerten.

Die schwedische Studie im Detail

Forscherinnen und Forscher werteten Daten aus schwedischen Registern aus und verglichen rund 88.000 Menschen über 70 Jahren, bei denen zwischen 2011 und 2016 eine Demenz diagnostiziert wurde, mit 880.000 Kontrollpersonen. Das Ergebnis war, dass die langfristige Einnahme von Blutdruck- und Cholesterinsenkern sowie entwässernden und blutverdünnenden Arzneimitteln mit einem um 4 bis 25 Prozent geringeren Demenzrisiko einherging. Interessanterweise schützten Kombinationen dieser Medikamente stärker als die Einnahme eines einzelnen Medikaments. Die Einnahme von Blutdrucksenkern zusammen mit weiteren Medikamenten über fünf Jahre hinweg oder mehr war verbunden mit 16 bis 34 Prozent weniger Demenzdiagnosen.

Alexandra Wennberg, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Umweltmedizin des Karolinska Instituts und eine der Autorinnen der Studie, betonte, dass frühere Studien sich oft auf einzelne Medikamente und bestimmte Patientengruppen konzentriert hatten, während diese Studie einen breiteren Ansatz verfolgte.

Der Zusammenhang zwischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Demenz

Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind wichtige Risikofaktoren für Demenz. Hoher Blutdruck und hohe Cholesterinwerte fördern Atherosklerose (Arterienverkalkung) im Gehirn, was zu Durchblutungsstörungen und Entzündungsreaktionen führen kann. Diese Entzündungsreaktionen können die Bildung von Eiweiß-Ablagerungen (Beta-Amyloiden) im Gehirn fördern, die als eine der Ursachen von Alzheimer gelten.

Es ist daher naheliegend, dass Medikamente, die den Blutdruck und die Cholesterinwerte senken, auch das Demenzrisiko reduzieren könnten. Allerdings war dies in den Zulassungsstudien der einzelnen Medikamente bisher nicht aufgefallen, möglicherweise aufgrund der relativ kurzen Studiendauer und der geringen Teilnehmerzahl im hohen Alter.

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Thrombozytenaggregationshemmer und erhöhtes Demenzrisiko

Das Forscherteam fand jedoch auch heraus, dass bei der Einnahme sogenannter Thrombozytenaggregationshemmer das Risiko für Demenz höher war. Diese Medikamente werden zur Vorbeugung von Schlaganfällen eingesetzt und verhindern, dass Blutplättchen verklumpen. Es wird vermutet, dass diese Arzneimittel das Risiko von Mikroblutungen erhöhen könnten, die mit dem Verfall der geistigen Fähigkeit in Zusammenhang stehen. Obwohl der Anstieg des Demenzrisikos bei Einnahme von Thrombozytenaggregationshemmern relativ gering war und die Studie bisher die einzige ist, die zu diesem Ergebnis kommt, sollte dies bei der Nutzen-Risiko-Abwägung berücksichtigt werden. Ein Verzicht auf diese Medikamente, um das Demenzrisiko zu senken, ist jedoch nicht ratsam, da dies das Risiko für Schlaganfall und Herzinfarkt erhöhen würde.

Die europäische Perspektive und Metaanalysen

Eine aktuelle Metaanalyse zeigt, dass das Risiko, eine Demenz zu entwickeln, für unbehandelte Hypertoniker deutlich höher ist als für Patienten unter einer antihypertensiven Therapie. Unbehandelter Bluthochdruck kann schwerwiegende Erkrankungen wie Nierenleiden, Arteriosklerose oder chronische Herzinsuffizienz nach sich ziehen. Auch neurologische Schäden wie Demenz zählen zu häufigen Folgen einer Hypertonie.

Eine im September dieses Jahres veröffentlichte Metaanalyse eines australischen Forschungsteams der medizinischen Fakultät der University of New South Wales in Sydney, Australien, kombinierte die Ergebnisse von 17 Studien aus 15 Ländern weltweit zur selben Fragestellung. Dabei flossen die Daten von mehr als 34.500 Menschen ab 60 Jahren ein, von denen knapp zwei Drittel vor Beginn der Behandlung an einer Hypertonie litten. Die Analyse stellte fest, dass unbehandelte Hypertoniker innerhalb der Nachbeobachtungszeit 42% häufiger an Demenz erkrankten als diejenigen aus der gesunden Kontrollgruppe und 26% häufiger als Probanden, welche blutdrucksenkende Arzneimittel (Antihypertensiva) einnehmen.

Geschlechterspezifisch fiel bei Unbehandelten die höhere Demenzrate von 53% bei Männern verglichen mit 36% bei Frauen auf. Die Studie zeigte, dass eine kontinuierliche antihypertensive Therapie bis ins hohe Alter ein wichtiger Bestandteil der Demenzprävention ist.

Betablocker im Fokus: Eine detailliertere Betrachtung

Eine Studie, die im März auf der Jahrestagung der American Academy of Neurology in San Diego vorgestellt wurde, umfasste 774 Amerikaner japanischer Herkunft, die an der Honolulu-Asia-Aging-Study teilgenommen hatten. Die histologische Untersuchung des Gehirns der 610 Teilnehmer, die zuvor an einer arteriellen Hypertonie litten, ergab, dass eine antihypertensive Therapie die Schäden am Gehirn einschränkt. Dies konnte für alle Wirkstoffgruppen gezeigt werden, die größte Wirkung wurde jedoch mit Betablockern erzielt.

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Betablocker würden dabei zwei unterschiedlichen Hirnschäden vorbeugen, die zur Demenz führen. Dies seien zum einen die typischen Ablagerungen der Alzheimer­erkrankung. Die Therapie mit Betablockern würde aber auch die Zahl der Mikroinfarkte senken, die Folge von lokal begrenzten Hirnischämien sind, die einzeln nicht zum Schlaganfall führen, in der Masse aber eine Demenz verursachen können. Des Weiteren konnte White der Pressemitteilung zufolge auch nachweisen, dass das Gehirn von Patienten, die ihre Hypertonie mit Betablockern behandelten, weniger geschrumpft sei als bei anderen Patienten.

Weitere Forschungsergebnisse und Metaanalysen

Eine Anfang 2020 publizierte Studie kam zu dem Ergebnis, dass die erfolgreiche medikamentöse Einstellung eines Bluthochdrucks das Demenz-Risiko um 12 % und das Risiko, an Alzheimer zu erkranken, sogar um 16 % senkt. Eine Ende 2019 veröffentlichte Metaanalyse zeigte, dass die Patienten, deren Bluthochdruck-Erkrankung behandelt wurde, ein um 12 % geringeres Risiko hatten, an Demenz bzw. Alzheimer zu erkranken. Die gleiche Studie untersuchte darüber hinaus, ob bestimmte Substanzklassen von Blutdrucksenkern möglicherweise besser vor einer Demenz schützen als andere. Im Ergebnis zeigte sich, dass der Effekt bei allen Substanzklassen gleich war, es also nicht auf die Substanz, sondern auf die erfolgreiche Blutdrucksenkung ankam.

Die Rolle der Neurologie und Prävention

Professor Dr. med. Richard Dodel, DGN-Experte für dementielle Erkrankungen, sieht hier ein großes Potenzial für die Prävention: „Bluthochdruck ist ein immenses Gesundheitsproblem in unserer Bevölkerung. Im Alter von über 60 ist fast jeder Zweite davon betroffen und viele Patienten sind unbehandelt oder unzureichend eingestellt. Wir wissen nun, dass diese Menschen durch die medikamentöse Blutdrucksenkung nicht nur ihr Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen verringern können, sondern auch das Risiko, später an Demenz zu erkranken." Er betont, dass es nicht entscheidend sei, mit welcher Substanzklasse die Patienten behandelt worden waren, da keine der fünf verschiedenen Substanzklassen hinsichtlich der Risikoreduktion gegenüber den anderen als überlegen erwies. „Es ist also nicht so, dass eine bestimmte Klasse von Blutdrucksenkern einen ‚Anti-Demenz-Effekt‘ hätte, sondern, dass eine erfolgreiche Blutdrucksenkung in den Zielwertbereich unter 140/90 mm Hg zur Reduktion des Demenzrisikos führt“, so der Experte weiter.

Herz-Kreislauf-Medikamente und Demenzrisiko: Ein Überblick

Die langfristige Einnahme von Herz-Kreislauf-Medikamenten kann das Risiko, an Demenz zu erkranken, verringern. Dies gilt insbesondere für Diuretika, Beta-Blocker, Kalziumkanalblocker, ACE-Hemmer und Lipidsenker (Statine). Alle diese Medikamente wirken sich positiv auf das Gefäßsystem aus, indem sie den Blutdruck senken oder die Blutfettwerte verbessern. Eine gute Gefäßgesundheit kann eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung von Demenzerkrankungen spielen, insbesondere bei der vaskulären Demenz.

Es ist wichtig zu beachten, dass Thrombozytenaggregationshemmer das Demenzrisiko möglicherweise erhöhen können, obwohl diesbezüglich weitere Forschung erforderlich ist.

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Prävention von Demenz: Ein ganzheitlicher Ansatz

Umgekehrt wäre es aber auch falsch, Herz-Kreislauf-Medikamente als Vorbeugung von Demenz einzunehmen. Bewegung, gesunde Ernährung und ein nicht zu hohes Körpergewicht reduzieren bei Gesunden das Risiko für Demenz und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Medikamente helfen dann, wenn das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöht ist oder die Betreffenden bereits darunter leiden.

Wer sich ausreichend bewegt, gesund ernährt und damit vor allem starkes Übergewicht vermeidet, tut bereits eine Menge für seine Gesundheit. Das allein vermindert das Risiko für Demenzen und für Herz-Kreislauf-Krankheiten. Fakt ist aber auch, dass sehr viele Menschen ein erhöhtes Risiko für Herz- und Hirninfarkte und weitere Gefäßerkrankungen haben oder diese bereits erlitten haben. Ärztinnen und Ärzte verordnen ihnen aus guten Gründen Herz-Kreislauf-Medikamente. Dass diese auch ein Stück weit vor Demenz schützen können, ist eine erwünschte Nebenwirkung.

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