Das Absterben von Nervenzellen im Gehirn ist ein komplexer Prozess, der vielen neurodegenerativen Erkrankungen zugrunde liegt. Diese Erkrankungen, wie Alzheimer, Parkinson, Huntington und Amyotrophe Lateralsklerose (ALS), beeinträchtigen die Lebensqualität von Millionen Menschen weltweit. Das Verständnis der Ursachen und Mechanismen des Nervenzellsterbens ist entscheidend für die Entwicklung von Präventions- und Therapiestrategien.
Neurodegenerative Erkrankungen: Eine wachsende Herausforderung
Der Anteil älterer Menschen an der Bevölkerung nimmt stetig zu, wodurch neurodegenerative Erkrankungen zu einer der größten medizinischen Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte werden. Expertenschätzungen zufolge sind allein in Deutschland rund 1,5 Millionen Menschen von Demenz betroffen. Neben der Alzheimer- und Parkinson-Krankheit gibt es eine Vielzahl weiterer neurodegenerativer Erkrankungen, die das Nervensystem beeinträchtigen.
Ursachen des Nervenzellsterbens
Die Ursachen für das Absterben von Nervenzellen sind vielfältig und je nach Krankheit unterschiedlich. In einigen Fällen spielen genetische Faktoren eine entscheidende Rolle, während in anderen Fällen Umweltfaktoren oder das Immunsystem eine Rolle spielen.
Genetische Faktoren
Bei bestimmten Formen der Parkinson-Krankheit oder der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit führt eine genetische Besonderheit zur Zusammenlagerung von Eiweißstoffen in den Nervenzellen des Gehirns. Diese Aggregate beeinträchtigen die Funktion der Zellen und führen schließlich zu ihrem Tod. Bei Menschen mit der Huntington-Krankheit tritt eine bestimmte genetische Sequenz im Erbgut viel häufiger auf als bei gesunden Menschen.
Die Huntington-Krankheit ist eine vererbbare Erkrankung des Gehirns, die durch einen Gendefekt verursacht wird. Betroffen ist eine Region auf Chromosom Nummer vier, in der sich die DNA-Bausteine CAG (Cytosin, Adenin und Guanin) mehrfach wiederholen. Ab einer bestimmten Anzahl von Wiederholungen (zirka 36) bricht die Krankheit aus. Der verlängerte DNA-Abschnitt führt dazu, dass ein Eiweißstoff namens Huntingtin nicht korrekt hergestellt wird. Die veränderte Form des Huntingtin ist giftig und führt zum Absterben von Nervenzellen.
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Proteinaggregate und ihre Rolle beim Nervenzellsterben
In Hirnzellen von Patienten mit neurodegenerativen Erkrankungen können Mediziner und Forscher unter dem Mikroskop Proteinverklumpungen sehen, die auch Aggregate genannt werden. Es wird seit vielen Jahren vermutet, dass diese Aggregate massiv zum Tod der Nervenzellen und zu Krankheiten wie der Parkinson-, der Alzheimer-, der Huntington-Krankheit oder der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) beitragen.
Wissenschaftler haben gezeigt, dass der Ort der Proteinaggregate innerhalb der Zelle ihr Überleben stark beeinflusst. Während Aggregate im Zellkern die Zellfunktion kaum beeinträchtigen, stören die Verklumpungen im Zellplasma wichtige Transportwege zwischen Zellplasma und Zellkern. Proteinverklumpungen im Zellplasma verhinderten den Transport von RNA und richtig gefalteten Proteinen zwischen Zellkern und Zellplasma. Weil die Aggregate klebrige Eigenschaften haben, werden aus der Zelle lebensnotwendige Proteine weggefangen.
Immunsystem
Neuere wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass auch unser Immunsystem Auswirkungen auf die Entstehung und den Verlauf neurodegenerativer Erkrankungen haben kann. Immunzellen, die den Körper eigentlich schützen sollen, könnten im Gehirn Schäden anrichten und so beispielsweise die Alzheimer-Krankheit antreiben. Mikrogliazellen spielen eine wichtige Rolle im Immunsystem unseres Gehirns. Wie eine Gesundheitspolizei sorgen sie dafür, dass schädliche Substanzen wie Krankheitserreger zerstört und abtransportiert werden.
Alzheimer-Krankheit
Bei der Alzheimer-Krankheit sterben nach und nach Nervenzellen im Gehirn ab, was zu einem fortschreitenden Verlust der geistigen (kognitiven) Fähigkeiten führt. Gedächtnisprobleme und Orientierungsschwierigkeiten sind nur zwei der Symptome, die den Alltag der Betroffenen zunehmend erschweren. Die Ursachen der Alzheimer-Krankheit sind noch nicht vollständig geklärt.
Im Gehirn von Menschen mit Alzheimer sammelt sich übermäßig viel Amyloid-beta zwischen den Gehirnzellen an und bildet kleinere, giftige Klumpen (Oligomere) und riesige Zusammenlagerungen (Plaques). Im Inneren der Gehirnzellen sorgt das Tau-Protein für die Stabilität und Nährstoffversorgung. Bei der Alzheimer-Krankheit ist das Tau-Protein chemisch so verändert, dass es seiner Funktion nicht mehr nachkommen kann. Die chemische Veränderung des Tau-Proteins bewirkt, dass es eine fadenförmige Struktur bildet.
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Hypoxischer Hirnschaden
Der hypoxische Hirnschaden (hypoxisch-ischämische Enzephalopathie, auch HIE) beim Erwachsenen ist eine Hirnschädigung aufgrund eines schweren Sauerstoffmangels im Gehirn (Hypoxie). Häufig tritt er nach einem Kreislaufstillstand mit erfolgreichen Wiederbelebungsmaßnahmen (Reanimation) auf. Die Nervenzellen des Gehirns, vor allem die für höhere Funktionen des Bewusstseins wie Wahrnehmung, Gedächtnis und Koordination zuständigen und besonders empfindlichen Zellen an der Oberfläche des Großhirns, sterben aufgrund des Sauerstoffmangels innerhalb weniger Minuten ab. Da sich diese Nervenzellen nicht wieder nachbilden, wird das Gehirn irreparabel geschädigt und es entsteht ein hypoxischer Hirnschaden.
Wissenschaftler haben die Prozesse, die bei Sauerstoffentzug zu Schädigungen des Hirns führen, untersucht. Innerhalb von 20 bis 40 Sekunden stellt das Hirn in einer Art Energiesparmodus seine elektrische Aktivität ein, die Kommunikation der Nervenzellen stoppt vollständig. Minuten später, wenn die Energiereserven aufgebraucht sind, bricht das energiebedürftige Ionen- und Spannungsgefälle zwischen dem Inneren der Nervenzellen und ihrer Umgebung zusammen. Dies passiert in Form einer massiven elektrochemischen Entladungswelle, die als Spreading Depolarization oder auch bildhaft als Tsunami bezeichnet wird.
Selektiver Zelltod
Charakteristisch für neurodegenerative Erkrankungen ist, dass meist nicht das ganze Gehirn betroffen ist, sondern unterschiedliche, oft sehr genau umschriebene Bereiche beziehungsweise Zelltypen. Bei der Parkinson-Erkrankung beispielsweise sind ausschließlich Nervenzellen betroffen, die den Botenstoff Dopamin produzieren. Bei der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) wiederum gehen selektiv sogenannte Motoneurone zugrunde.
Forschung und Therapieansätze
Weltweit arbeiten Forscherinnen und Forscher daran, Antworten darauf zu finden, wie neurodegenerative Erkrankungen entstehen, wie sie verhindert oder geheilt werden können. Das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE) erforscht die Ursachen von Störungen des Nervensystems und entwickelt Strategien zur Prävention, Therapie und Pflege bei Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson oder Amyotrophe Lateralsklerose (ALS).
Medikamentöse Ansätze bei Alzheimer
Mit modernen Antikörper-Medikamenten ist es beispielsweise gelungen, die Amyloid-Plaques im Gehirn von Alzheimer-Patienten zu entfernen und damit den Krankheitsverlauf etwas zu verzögern. Dauerhaft aufhalten lässt sich der kognitive Abbau jedoch nicht.
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Therapie bei hypoxischem Hirnschaden
Bisher besteht die Therapie bei Schlaganfall und Herzstillstand nur darin, den Blutkreislauf so rasch wie möglich wiederherzustellen. Das Wissen um die Spreading Depolarization ist eine Grundvoraussetzung für die Entwicklung ergänzender Behandlungsstrategien, die auf eine Verlängerung der Überlebenszeit von Nervenzellen während Durchblutungsstörungen des Hirns abzielen.