Könnte eine Grippeimpfung vor Demenz schützen? Eine umfassende Analyse

Die Frage, ob eine regelmäßige Grippeimpfung nicht nur vor Influenza schützt, sondern auch vor Demenz, ist Gegenstand aktueller Forschung. Eine große amerikanische Kohortenstudie an ehemaligen Soldaten deutet auf den ersten Blick auf einen solchen Zusammenhang hin, wobei regelmäßige Grippeimpfungen das Risiko, an Demenz zu erkranken, verringerten. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass die Schlussfolgerung nicht eindeutig ist.

Studienergebnisse und ihre Bedeutung

Eine retrospektive Kohortenstudie, veröffentlicht in der Fachzeitschrift „Vaccine“, analysierte die Krankenakten von 120.000 Veteranen. Die Ergebnisse zeigten, dass ehemalige Soldaten, die Grippeimpfungen erhalten hatten, ein geringeres Risiko hatten, an Demenz zu erkranken.

Die Militärangehörigen waren im Durchschnitt 75,5 Jahre alt, wobei die Mehrheit (91,6 %) weiß und nur ein kleiner Teil (3,8 %) weiblich war. Die Studie umfasste Zehn-Jahres-Daten vom 1. September 2009 bis zum 31. August 2019, wobei Krankenakten von Veteranen berücksichtigt wurden, bei denen bis zum Ende der ersten Grippesaison (1. März 2012) keine Demenz festgestellt wurde. Zum Auswertungszeitpunkt hatten 66.822 Veteranen Influenzaimpfungen erhalten, während 56.925 nicht geimpft waren. Die Veteranen wurden je nach Anzahl ihrer erhaltenen Grippeimpfungen in Gruppen eingeteilt, um die Häufigkeit von Demenzerkrankungen zu analysieren. Insgesamt entwickelten 15.933 Veteranen eine Demenz.

Nach Berücksichtigung von Störfaktoren wie Alter und Geschlecht war die Wahrscheinlichkeit, an Demenz zu erkranken, bei geimpften Patienten signifikant geringer als bei ungeimpften. Die Häufigkeit der Impfungen spielte dabei eine Rolle: Nur Veteranen, die sich mindestens sechsmal gegen Grippe hatten impfen lassen, zeigten ein um 12 Prozent geringeres Demenzrisiko im Vergleich zu Nicht-Geimpften. Bei ein- bis fünfmal geimpften Personen war das Demenzrisiko ähnlich hoch wie bei Ungeimpften.

Mögliche Erklärungen für den Zusammenhang

Die Wissenschaftler vermuten, dass Impfungen das Demenzrisiko nicht durch die Vorbeugung spezifischer Infektionskrankheiten verringern, sondern durch das „Training des Immunsystems“. Diese Annahme könnte sich als kostengünstige, risikoarme und wirkungsvolle Präventionsmaßnahme erweisen, falls sie sich bestätigt.

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Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) hat die Studie ebenfalls analysiert und eingeordnet. Obwohl der Effekt nicht unerheblich sei, beweise die Untersuchung keinen eindeutigen Zusammenhang, sondern zeige ihn lediglich auf. DGN-Demenzexperte Professor Dr. Richard Dodel erklärt, dass auch Impfungen gegen Tetanus oder Diphtherie ähnliche Zusammenhänge aufzeigen konnten. Der zugrunde liegende Wirkmechanismus könnte darin bestehen, dass Impfungen die Mikroglia aktivieren, die als „Immunzellen des Gehirns“ krankheitsauslösende Stoffe und Abfallprodukte abbauen, einschließlich Beta-Amyloid, das sich bei Alzheimer-Erkrankungen zwischen den Nervenzellen ablagert und diese schädigt.

Es ist jedoch wichtig zu berücksichtigen, dass Menschen, die sich impfen lassen, möglicherweise generell gesünder leben und somit ein geringeres Krankheitsrisiko haben.

Weitere Forschungsergebnisse

Jüngste epidemiologische Studien deuten darauf hin, dass auch eine Impfung gegen Gürtelrose das Risiko, an Alzheimer zu erkranken, senken könnte. Eine retrospektive Kohortenstudie mit über 436.000 Teilnehmern zeigte, dass Impfstoffe mit dem AS01-Adjuvans das Demenzrisiko im Vergleich zur Grippeimpfung signifikant senkten. Die zusätzliche demenzfreie Zeit betrug 87 Tage für die RSV-Impfung, 53 Tage für die Gürtelrose-Impfung und 113 Tage für eine kombinierte Impfung.

Grippeimpfung und Demenzrisiko bei Risikogruppen

Aktuelle Forschungsdaten zeigen, dass eine Grippeimpfung das Risiko für Demenz bei Menschen mit hohem Erkrankungsrisiko senken kann. Eine systematische Übersichtsarbeit über acht Kohortenstudien mit zehn Millionen Studienteilnehmern ergab, dass die Grippeimpfung bei Hochrisikogruppen mit einem reduzierten Demenzrisiko verbunden war. Dieser Zusammenhang wurde in der Gesamtbevölkerung nicht bestätigt, jedoch konnte bei Hochrisikogruppen ein dosisabhängiger Effekt festgestellt werden.

Molekulare Erklärungen und Perspektiven

Experten der Deutschen Gesellschaft für Neurologie leiten aus Laborergebnissen eine mögliche molekulare Erklärung für den Zusammenhang zwischen Grippeimpfung und Demenzrisiko ab. Impfungen führen zu einem Anstieg der Aktivität der Mikroglia, den „Immunzellen des Gehirns“, die krankheitsauslösende Stoffe und Abfallprodukte abbauen. Die erhöhte Mikroglia-Aktivität nach der Impfung führt dazu, dass Beta-Amyloid vermehrt abgebaut wird.

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Trotz dieser vielversprechenden Ergebnisse betonen die Experten, dass die Studiendaten retrospektiv erhoben wurden und somit lediglich einen Zusammenhang aufzeigen, aber keinen ursächlichen Beweis liefern.

Bedeutung der Grippeimpfung für ältere Menschen

Die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG) und die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) empfehlen Menschen über 60 Jahren dringend, sich neben einer Corona-Impfung auch gegen das Influenza-Virus zu schützen. 90 Prozent der Grippe bedingten Todesfälle entfallen auf diese Altersgruppe. Die Influenzaimpfung schützt nicht nur vor einer akuten Grippeerkrankung, sondern kann auch das Risiko für Herzinfarkte senken und die Gesamtsterblichkeit reduzieren.

Herausforderungen und zukünftige Forschung

Trotz der vielversprechenden Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Impfungen und einem verringerten Demenzrisiko gibt es noch viele offene Fragen. Zukünftige Studien sollten untersuchen, ob auch die COVID-19-Impfung einen positiven Einfluss auf das Demenzrisiko haben könnte. Es ist auch wichtig zu berücksichtigen, dass verschiedene Lifestyle-Faktoren als Auslöser für Demenz identifiziert wurden und dass eine umfassende Demenzprävention möglicherweise mehrere Ansätze erfordert.

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