Demenz, Magensonde und Lebenserwartung: Eine umfassende Betrachtung

Die Frage nach dem Einsatz einer Magensonde (PEG-Sonde - perkutane endoskopische Gastrostomie) bei Demenzpatienten, insbesondere im Hinblick auf die Lebenserwartung, ist ein komplexes und emotional belastendes Thema. Es berührt ethische, medizinische und persönliche Werte und wirft schwierige Fragen nach dem Sinn und der Würde des Lebens auf. Dieser Artikel beleuchtet die verschiedenen Aspekte dieser Thematik, um eine fundierte Entscheidungsfindung zu ermöglichen.

Einleitung

Die alternde Bevölkerung führt zu einem Anstieg von Demenzerkrankungen. Im fortgeschrittenen Stadium sind viele Betroffene nicht mehr in der Lage, sich selbstständig zu ernähren. In solchen Fällen stellt sich die Frage, ob eine künstliche Ernährung über eine Magensonde eine sinnvolle Maßnahme ist. Während einige darin eine Möglichkeit sehen, das Leben zu verlängern und die Lebensqualität zu verbessern, betrachten andere sie als unnötige oder gar schädliche Intervention.

Medizinische Aspekte der Sondenernährung bei Demenz

Eine PEG-Sonde wird gelegt, wenn eine ausreichende orale Ernährung über einen längeren Zeitraum nicht möglich ist. Sie dient der Zufuhr von Nährstoffen und Flüssigkeit, um Mangelernährung zu verhindern. Bei Demenzpatienten im fortgeschrittenen Stadium ist die Indikation jedoch kritisch zu prüfen.

Studienlage zur Lebenserwartung

Zahlreiche Studien haben untersucht, ob eine Sondenernährung die Lebenserwartung von Demenzpatienten verlängert. Die Ergebnisse sind jedoch nicht eindeutig. Einige Studien zeigen keinen Unterschied in der Überlebenszeit zwischen Patienten mit und ohne PEG-Sonde, während andere sogar eine kürzere Überlebenszeit bei sondenernährten Patienten feststellen.

Eine 1997 in den USA durchgeführte Studie an Patienten mit schwerer Demenz zeigte, dass sich die Überlebenszeiten von Patienten, die entweder über eine PEG-Sonde oder auf natürlichem Weg ernährt wurden, nicht unterschieden. Ähnliche Ergebnisse wurden in Italien bei AIDS- und Tumorpatienten im Finalstadium ihrer Erkrankung gefunden. Entscheidend für die Lebenserwartung war demnach nicht die Menge der zugeführten Kalorien, sondern die terminale Erkrankung selbst.

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Risiken und Komplikationen der Sondenernährung

Die Sondenernährung ist nicht ohne Risiken. Zu den möglichen Komplikationen gehören:

  • Unruhezustände und Fixierung des Patienten
  • Selbstentfernung der Sonde
  • Aspirationspneumonie (Lungenentzündung durch Eindringen von Nahrung in die Atemwege)
  • Infektionen
  • Druckgeschwüre (Dekubitus)
  • Diarrhö oder Verstopfung

Eine Studie aus dem Jahr 1988 zeigte, dass die Ernährung über eine Sonde mit erheblichen Risiken und unerwünschten Wirkungen einhergeht. Bei mehr als 50 Prozent der Patienten traten schwere Unruhezustände auf, die regelhaft zu ihrer Fixierung führten. Knapp die Hälfte der Patienten entwickelte eine Lungenentzündung durch aspirierte Sondennahrung.

Auswirkungen auf die Lebensqualität

Obwohl die Sondenernährung dazu beitragen kann, Mangelernährung zu verhindern, verbessert sie nicht zwangsläufig die Lebensqualität von Demenzpatienten. Eine Studie aus dem Jahr 1996 ergab, dass bei keinem der untersuchten Patienten eine Gewichtszunahme, eine Verbesserung der Hirnfunktion oder der Darm- und Blasenkontinenz erreicht wurde.

Viele Experten sind der Meinung, dass eine liebevolle und geduldige orale Ernährung die bessere Alternative ist, da sie die soziale Interaktion und das Geschmackserlebnis ermöglicht.

Ethische und rechtliche Aspekte

Die Entscheidung für oder gegen eine Sondenernährung bei Demenzpatienten ist nicht nur eine medizinische, sondern auch eine ethische und rechtliche Frage.

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Patientenwille und Patientenverfügung

Grundsätzlich hat jeder Patient das Recht auf Selbstbestimmung. Das bedeutet, dass er selbst entscheiden kann, welche medizinischen Maßnahmen er wünscht und welche er ablehnt. Wenn ein Patient aufgrund seiner Demenzerkrankung nicht mehr in der Lage ist, seinen Willen zu äußern, ist es wichtig, seinen mutmaßlichen Willen zu ermitteln. Hierbei können eine Patientenverfügung oder eine Vorsorgevollmacht hilfreich sein.

In einer Patientenverfügung kann der Patient im Vorfeld festlegen, welche medizinischen Maßnahmen er in bestimmten Situationen wünscht oder ablehnt. Eine Vorsorgevollmacht überträgt einer anderen Person das Recht, im Namen des Patienten Entscheidungen zu treffen, wenn dieser dazu nicht mehr in der Lage ist.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat im Juli 2016 entschieden, dass sich eine Patientenverfügung auf konkrete Maßnahmen oder konkrete Krankheiten beziehen muss. Eine allgemeine Formulierung wie "Ich möchte nicht künstlich ernährt werden" ist möglicherweise nicht ausreichend.

Mutmaßlicher Patientenwille

Wenn keine Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht vorliegt, muss der mutmaßliche Wille des Patienten ermittelt werden. Hierbei sind die persönlichen Wertvorstellungen, Überzeugungen und früheren Äußerungen des Patienten zu berücksichtigen. Angehörige und Betreuer spielen bei dieser Ermittlung eine wichtige Rolle.

Ärztliche Aufklärung und Beratung

Ärzte sind verpflichtet, Patienten und ihre Angehörigen umfassend über die Vor- und Nachteile einer Sondenernährung aufzuklären. Sie sollten auch über alternative Möglichkeiten der Ernährung und Flüssigkeitszufuhr informieren. Die Entscheidung für oder gegen eine Sondenernährung sollte gemeinsam von Arzt, Patient (oder seinem Vertreter) und Angehörigen getroffen werden.

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Rechtliche Rahmenbedingungen

In Deutschland ist die künstliche Ernährung rechtlich als medizinische Behandlung anzusehen, die der Zustimmung des Patienten bedarf. Ohne Einwilligung des Patienten oder seines Vertreters stellt sie eine Körperverletzung dar.

Praktische Aspekte der Ernährung von Demenzpatienten

Auch ohne Magensonde gibt es viele Möglichkeiten, Demenzpatienten eine angemessene Ernährung und Flüssigkeitszufuhr zu gewährleisten.

Tipps für die orale Ernährung

  • Schaffen Sie eine angenehme und ruhige Atmosphäre während der Mahlzeiten.
  • Bieten Sie kleine, häufige Mahlzeiten an.
  • Achten Sie auf eine ausgewogene und nährstoffreiche Ernährung.
  • Passen Sie die Konsistenz der Nahrung an die Bedürfnisse des Patienten an (z.B. pürierte Kost bei Schluckbeschwerden).
  • Bieten Sie dem Patienten seine Lieblingsspeisen an.
  • Ermutigen Sie den Patienten, selbstständig zu essen, auch wenn es länger dauert oder etwas unordentlich wird.
  • Bieten Sie regelmäßig Getränke an und achten Sie auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr.
  • Beziehen Sie den Patienten in die Zubereitung der Mahlzeiten ein, um positive Erinnerungen zu wecken und motorische Fähigkeiten zu erhalten.

Umgang mit Schluckbeschwerden

Schluckbeschwerden sind ein häufiges Problem bei Demenzpatienten. Hier können folgende Maßnahmen helfen:

  • Andicken von Flüssigkeiten
  • Anpassung der Konsistenz der Nahrung
  • Halsbeugemanöver beim Schlucken
  • Logopädische Übungen
  • Verwendung von speziellem Geschirr (z.B. Schnabeltassen, Sicherheitstrinkbecher)

Bedeutung von Zuwendung und sozialer Interaktion

Die Nahrungsaufnahme ist nicht nur ein biologischer Vorgang, sondern auch ein sozialer und emotionaler. Gerade für Demenzpatienten ist es wichtig, dass die Mahlzeiten in einer angenehmen Atmosphäre stattfinden und mit sozialer Interaktion verbunden sind. Eine liebevolle und geduldige Betreuung kann dazu beitragen, die Freude am Essen zu erhalten und die Lebensqualität zu verbessern.

Palliativmedizinische Aspekte

Im fortgeschrittenen Stadium der Demenz rückt die Palliativmedizin in den Vordergrund. Ziel ist es, die Lebensqualität des Patienten zu verbessern und Leiden zu lindern. Hierbei spielen die Linderung von Schmerzen, Atemnot, Übelkeit und anderen Symptomen eine wichtige Rolle. Auch die psychische und spirituelle Betreuung des Patienten und seiner Angehörigen ist von großer Bedeutung.

In der Sterbephase ist es wichtig, die natürlichen Bedürfnisse des Körpers zu respektieren. Hunger und Durst nehmen in dieser Phase oft ab, und eine künstliche Ernährung kann mehr Schaden als Nutzen bringen. Stattdessen sollte der Fokus auf die Linderung von Beschwerden und die Gewährleistung eines würdevollen Sterbens gelegt werden.

Die Rolle der Angehörigen

Angehörige spielen eine entscheidende Rolle bei der Betreuung von Demenzpatienten. Sie sind oft mit schwierigen Entscheidungen konfrontiert und benötigen Unterstützung und Beratung. Es ist wichtig, dass sie sich umfassend informieren und sich mit anderen Betroffenen austauschen. Auch professionelle Hilfe durch Ärzte, Pflegekräfte, Therapeuten und Seelsorger kannEntlastung bieten.

Fallbeispiel

Ein älterer Mann, schwer dement und bewegungsunfähig, wurde sechs Jahre lang mit künstlicher Ernährung über eine Magensonde am Leben erhalten, bevor er schließlich im Alter von 72 Jahren eines "natürlichen Todes" starb. Eine Patientenverfügung lag nicht vor. In diesem Fall konstatierte der Richter, dass der Arzt einen Behandlungsfehler begangen habe, da er den Betreuer nicht darüber in Kenntnis gesetzt habe, dass ein über die reine Lebensverlängerung hinausgehendes Therapieziel nicht mehr zu erreichen gewesen wäre.

Dieser Fall verdeutlicht die ethischen und rechtlichen Herausforderungen, die mit der Sondenernährung bei Demenzpatienten verbunden sind. Er zeigt, wie wichtig es ist, den Patientenwillen zu respektieren und eine sorgfältige Abwägung zwischen Nutzen und Risiken vorzunehmen.

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