Demenz nach Operationen: Ursachen und Prävention

Ein postoperatives Delir, oft auch als Durchgangssyndrom bezeichnet, ist eine vorübergehende Funktionsstörung des Gehirns, die nach Operationen oder schweren Erkrankungen auftreten kann. Es ist wichtig, die Ursachen und Präventionsmaßnahmen zu verstehen, um das Risiko zu minimieren und die bestmögliche Genesung zu gewährleisten.

Was ist ein Delir?

Ein Delir ist eine akute organische Störung im Gehirn, die zu Verwirrtheit und einer gestörten Wahrnehmung führt. Typisch für ein Delir sind ein plötzlicher Beginn und ein schwankender Verlauf. Es handelt sich um eine reversible Erkrankung, die vor allem bei älteren Patienten auftritt. Ein Delir ist keine Demenz: Eine Demenz schreitet langsam und dauerhaft fort. Ein Delir kann nach Stunden, Tagen oder Wochen wieder vollständig abklingen. Aber es kann auch erhebliche gesundheitliche Folgen haben.

Symptome eines Delirs

Delir-Symptome sind vielgestaltig. Charakteristisch sind gleichzeitig bestehende Störungen des Bewusstseins und der Aufmerksamkeit, der Wahrnehmung, des Denkens, des Gedächtnisses, der Psychomotorik, der Emotionalität und des Schlaf-Wach-Rhythmus. Die Symptome müssen nicht gemeinsam auftreten. Sie können sich abwechseln und über den Tag stark schwanken, teilweise mit Verstärkung zum Abend hin. Menschen mit Delir sind plötzlich zum Beispiel: verwirrt, desorientiert, unkonzentriert, vergesslich, teilnahmslos, benommen, unruhig, gereizt, aggressiv, verstört, niedergeschlagen oder ängstlich. Zudem können der Schlaf-Wach-Rhythmus gestört sein und weitere Schlafprobleme sowie Alpträume auftreten. Manche haben Halluzinationen und Wahnvorstellungen. Sie sehen, hören, spüren oder riechen etwas, das nicht da ist und können sich dadurch bedroht fühlen. In einer neuen Umgebung kann die Orientierung schwerfallen. Das gilt insbesondere, wenn geistige Einschränkungen oder Probleme beim Hören oder Sehen bestehen. Menschen mit Delir haben Beeinträchtigungen im Denken und in der Wahrnehmung.

Arten von Delir

Es wird unterschieden zwischen dem hyperaktiven und dem hypoaktiven Delir. Hyperaktivität zeigt sich zum Beispiel durch Unruhe, Ungeduld, Nesteln sowie ziellose gesteigerte Aktivität. Bei einem hypoaktiven Delir sind die Reaktionen eher verzögert und die Sprache verlangsamt. Betroffene wirken benommen, antriebsarm oder teilnahmslos. Möglich ist auch eine Mischform von hyperaktivem und hypoaktivem Delir. Die Mischform tritt bei circa 65 Prozent der Patientinnen und Patienten mit Delir auf. Das hypoaktive Delir macht etwa 30 Prozent der Delir-Diagnosen aus und zeichnet sich aus durch Apathie, wenig Antrieb, Schläfrigkeit. Die hyperaktive Form des Delirs macht ungefähr fünf Prozent der Delir-Diagnosen aus.

Häufigkeit von Delir

Genaue Zahlen zum Auftreten von Delir gibt es nicht. Denn die Studienergebnisse variieren teilweise stark je nach Screening-Methode, untersuchter Gruppe und Institution. Hinzu kommt, dass ein Delir mit erheblichen Schwankungen der Symptomausprägung einhergehen kann. Hierdurch kann es zu Fehleinschätzungen, vor allem Unterschätzungen, kommen. Dennoch ist klar: Delir kommt häufig vor. Zwischen 11 und 25 Prozent der Patienten und Patientinnen über 65 Jahre weisen bei Krankenhausaufnahme ein Delir auf. Bei weiteren rund 30 Prozent tritt es während des Krankenhausaufenthaltes auf. Für Intensivstationen werden aus der Forschung entsprechende Erkrankungsraten zwischen 15 und 90 Prozent beschrieben.

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Ursachen und Risikofaktoren für ein postoperatives Delir

Die Ursachen für ein postoperatives Delir sind vielfältig. Es gibt einen Zusammenhang mit dem Entzündungsgeschehen im Körper nach großen Eingriffen oder sehr schweren Erkrankungen. Auch zahlreiche Vorerkrankungen und bestimmte Medikamentengruppen, die den Hirnstoffwechsel beeinflussen, können das Auftreten eines Delirs begünstigen. Auslöser für ein Delir sind unter anderem Operationen, intensivmedizinische Behandlungen, Infektionen, Schmerzen und Flüssigkeitsmangel. Auch plötzliche Veränderungen können ein Delir auslösen, zum Beispiel der Verlust der Mobilität - auch im Zusammenhang mit freiheitsentziehenden Maßnahmen (FEM), etwa in Form von Fixierungen. Gleiches gilt für eine fremde Umgebung und einen Ortswechsel, Reizüberflutung und die Störung des Tag-Nacht-Rhythmus.

Erhöhtes Risiko im Alter

Ältere Menschen, insbesondere ab 80 Jahren, haben ein erhöhtes Risiko, ein Delir zu entwickeln, denn im höheren Lebensalter kommen meist mehrere vorbestehende Faktoren zusammen. Dazu gehören unter anderem Demenz, Gebrechlichkeit, Beeinträchtigungen von Hören oder Sehen, Schlafstörungen, chronische Schmerzen, Mehrfacherkrankung, Multimedikation, stark eingeschränkte Beweglichkeit und Mangelernährung. Je älter ein Mensch ist, umso höher ist das Risiko, eine Demenz oder ein Delir zu bekommen. Demenz ist einer der Risikofaktoren ein Delir zu entwickeln. Daher müssen ältere Patienten vom Pflegepersonal besonders geschützt werden.

Weitere Risikofaktoren

Weitere Risikofaktoren sind:

  • Herzkreislaufstörungen
  • Alkoholabhängigkeit
  • Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes
  • Niereninsuffizienz
  • Sehstörungen
  • Schwerhörigkeit
  • Akuter Schmerz

Je mehr Risikofaktoren ein Mensch hat, umso weniger Auslösefaktoren braucht es, um ein Delir zu entwickeln.

Auswirkungen eines Delirs

Ein Delir stellt ein hohes Gesundheitsrisiko dar. Es kann zu Komplikationen wie Infektionen, Dekubitus führen. Die Lebensqualität der Betroffenen kann nicht nur während, sondern auch nach einem Delir stark beeinträchtigt sein. So kann es zu bleibenden körperlichen und geistigen Einschränkungen oder einem schnelleren Fortschreiten einer Demenz kommen. Auch für Angehörige kann es sehr schwierig sein, damit umzugehen. Aufgrund eines Delirs können ein längerer Krankenhausaufenthalt erforderlich sein und der Pflegebedarf steigen. Zudem ist ein Delir psychisch sehr belastend.

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Wird ein Delir nicht umgehend behandelt, verschlechtert sich der Allgemeinzustand und die Gefahr von Komplikationen, zum Beispiel Sturz, steigt. Gegebenenfalls müssen Betroffene sogar in einer Langzeit-Pflegeeinrichtung untergebracht werden, da sie sich zu Hause nicht mehr selbst versorgen können.

Untersuchungen gehen davon aus, dass die Ein-Jahres-Überlebensrate je Delirtag um zehn Prozent sinkt.

Prävention eines postoperativen Delirs

Es gibt viele Ansätze, ein Delir zu verhindern oder zu lindern. Wichtig dabei ist: Vertrautheit, Orientierung und damit Sicherheit vermitteln. Dies trägt auch dazu bei, mit der Situation umzugehen und diese im Nachhinein besser zu verarbeiten. Die passende Unterstützung hilft zudem, die geistigen und körperlichen Funktionen zu fördern und weiteren gesundheitlichen Beeinträchtigungen vorzubeugen. Durch aktive Vorsorge sowie einer konsequenten und frühzeitigen Behandlung erster Symptome kann ein Delirium vermieden beziehungsweise abgeschwächt werden. Daher ist die Identifikation möglicher Risikopatient:innen von großer Bedeutung.

Maßnahmen vor der Operation

  • Sorgfältige Erhebung der Krankengeschichte: Eine sorgfältige Erhebung der Krankengeschichte im Vorfeld der stationären Aufnahme ist wichtig, um Risikopatienten zu identifizieren.
  • Detailliert geplante Operationen: Detailliert geplante Operationen mit möglichst geringer Narkosebelastung beugen der Gefahr wirksam vor.
  • Informationen weitergeben: Geben Sie Informationen zur Gesundheit weiter, zum Beispiel: Erkrankungen, geistige Einschränkungen wie Demenz, Schmerzen, Medikamente, Unverträglichkeiten, Alkoholkonsum. Teilen Sie auch mit, was aus Ihrer Erfahrung beruhigend oder anregend wirken kann.
  • Patienten informieren: Je genauer ein Patient über die bevorstehende Operation informiert ist, desto besser kann er sich darauf einstellen und gerät nicht so leicht aus der Spur. Es sollten vorab die physiologischen Reserven des Patienten erfasst werden. Wer etwa unsicher geht, kann vor der OP ein Muskelaufbau-Programm bekommen, damit er sich anschließend leichter bei der Mobilisation tut.
  • Delir-Monitoring: Fragen Sie nach, ob die Klinik ein Delir-Monitoring betreibt. Schon im Aufwachraum sollte ein Screening gemacht werden.

Maßnahmen während der Operation

  • Narkosetiefe präzise durchführen: Während des Eingriffs überwachen die Anästhesisten gefährdete Patienten besonders sorgfältig. Bei ihnen darf die Narkose weder zu flach noch zu tief sein. Das Neuromonitoring per EEG erlaubt es, die Narkosetiefe präziser durchzuführen.
  • Vermeidung bestimmter Medikamente: Bei Patienten mit Risikofaktoren für ein Delir kommen bestimmte Medikamente gar nicht zum Einsatz. Andere Medikamente bedürfen einer strengeren Indikation.
  • Kurze Wirkzeiten der Anästhetika: Je kürzer die Wirkzeiten der verwendeten Anästhetika, umso kürzer die kognitiven Funktionseinschränkungen unmittelbar postoperativ.

Maßnahmen nach der Operation

  • Vertrautheit und Orientierung: Vertrautheit, Orientierung und damit Sicherheit vermitteln. Dies trägt auch dazu bei, mit der Situation umzugehen und diese im Nachhinein besser zu verarbeiten.
  • Angehörige einbeziehen: Angehörige können bei der Re-Orientierung helfen, sie können viel eher als das Pflegepersonal an Erinnerungen anknüpfen und diese aktiv halten. In einem gewissen Rahmen können gegebenenfalls auch Rituale von zu Hause in der Klinik umgesetzt werden. Beispielsweise das Ritual mit der Ehefrau zu Hause Kaffee trinken und über das Welt Geschehen sprechen.
  • Ruhe und Reizreduktion: Reduzieren Sie Reize wie grelles Licht, Lärm oder Nebengeräusche. Schließen Sie zum Beispiel die Tür. Verlassen Sie zum Telefonieren den Raum. Helfen Sie am Abend zur Ruhe zu kommen, etwa mit Ritualen, die den Schlaf fördern.
  • Förderung des Tag-Nacht-Rhythmus: Gestalten Sie den Ablauf so, dass der Patient einen normalen Tag-Nacht-Rhythmus hat, also beispielsweise tagsüber natürliches Licht, nachts kein künstliches Licht, kein Lärm (Geräte, Klingel), damit der Patient schlafen kann.
  • Mobilisierung: Fördern Sie die Bewegung. Gehen Sie gemeinsam spazieren, zum Beispiel auf dem Flur oder im Park. Oder motivieren Sie zu Gymnastik im Bett oder auf dem Stuhl.
  • Hilfsmittel nutzen: Sorgen Sie dafür, dass der Patient schnellstmöglich nach der OP sein(e) Hörgerät(e) eingesetzt bekommt und die Brille benutzt. Auch die Zahnprothesen sind von Bedeutung.
  • Ernährung und Flüssigkeitszufuhr: Erinnern Sie daran, zu trinken. Bringen Sie das Lieblingsessen mit. Helfen Sie wenn nötig beim Essen und Trinken, zum Beispiel: Getränk anreichen, Essen schneiden, Verpackung öffnen. Achten Sie darauf, dass die Zahnprothese getragen wird.
  • Kommunikation fördern: Sprechen Sie langsam und deutlich in kurzen Sätzen. Verharmlosen Sie Angst und Halluzinationen nicht. Bleiben Sie möglichst ruhig und geduldig. Probieren Sie dies auch über Körperkontakt, etwa indem Sie die Hand halten. Beschäftigung und Unterhaltung können anregend, aufmunternd und entspannend wirken. Beschäftigen Sie sich gemeinsam, zum Beispiel: ein Spiel spielen, ein Kreuzworträtsel lösen oder die Tageszeitung lesen. Bitten Sie eine andere vertraute Person um Besuche, wenn Sie nicht vor Ort sein können.
  • Informationen weitergeben: Berichten Sie rasch, wenn Sie Veränderungen beobachten.

Rolle der Angehörigen

Angehörige können entscheidenden Einfluss auf die Prävention und Linderung eines Delirs nehmen. Sie können Vertrautheit, Orientierung und damit Sicherheit vermitteln sowie Angst und Stress reduzieren: durch praktische Hilfe, emotionale Unterstützung und Erklären der Situation. Außerdem können sie dazu beitragen, dass ein Delir frühzeitig erkannt und dadurch angemessen behandelt wird. Entscheidend ist, dass sie möglichst gut darüber aufgeklärt sind. Hierfür sind zielgruppengerechte Informationen über das Krankheitsbild und delir-präventive Maßnahmen sowie eine passgenaue Beratung zu ihren Einflussmöglichkeiten seitens des Gesundheitspersonals wichtig.

  • Rechtzeitig vor dem Ortswechsel da sein: Begleiten Sie die Person bei einem Ortswechsel wenn möglich von Anfang bis Ende.
  • Fremde Umgebung vertraut machen: Seien Sie möglichst oft da, besonders nachmittags und abends. Bringen Sie vertraute Gegenstände mit, etwa Fotos oder die gewohnte Decke.
  • Veränderungen mitteilen: Teilen Sie es dem Pflegepersonal mit, wenn Sie Veränderungen im Verhalten bemerken.

Was tun, wenn ein Delir auftritt?

Wenn Sie Veränderungen im Verhalten bemerken, informieren Sie die Ärztin, den Arzt oder Pflegefachpersonen bei Fragen und Unsicherheiten an. Fragen Sie, wann und wie eine Verlegung oder Entlassung geplant ist. Sie sollten möglichst 2 Tage vorher informiert werden, damit Sie sich vorbereiten können. Fragen Sie, wie Sie die Person nach dem Delir bei der Verarbeitung des Erlebten unterstützen können. Zum Beispiel kann ein Patienten-Tagebuch helfen, die Erinnerungen im Nachhinein besser einordnen zu können. Erkundigen Sie sich nach Angeboten für Angehörige, wenn Sie die Situation psychisch oder körperlich sehr belastet. Informieren Sie die Ärztin oder den Arzt, wenn sich die Delir-Symptome zu Hause nach Monaten nicht bessern.

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Diagnostik eines Delirs

Für den Behandlungserfolg sind eine frühzeitige Diagnostik und Therapie wesentlich. Daher sollten sowohl bei gefährdeten Personen als auch in Risikosituationen spezifische Screening- und Assessmentinstrumente zum Einsatz kommen. Die Diagnose Delir wird ärztlich anhand klinischer psychopathologischer Symptome gestellt. Durch Anamnese und körperliche Untersuchung werden Risikofaktoren und mögliche Auslöser ermittelt. Je nach Ausprägung werden weitere Untersuchungen durchgeführt, etwa EKG oder Labor.

Screening-Instrumente

Es gibt einen einfachen Fragebogen (Nu-DESC), mit dem Angehörige ein Delir erkennen können.

Auch ein Test kann bei Verwirrtheit nach Narkose durchgeführt werden:

  • Wie alt sind Sie?
  • Wie spät ist es (nächste volle Stunde)?
  • Merken Sie sich bitte die folgende Adresse: Kirchengasse 42.
  • Welches Jahr haben wir gerade?
  • Wie heißt dieses Krankenhaus?
  • Wiedererkennen von zwei Personen (z.B. Arzt, Schwester)
  • Wann sind Sie geboren?
  • In welchem Jahr hat der Erste Weltkrieg begonnen?
  • Wie heißt der Bundespräsident?
  • Zählen Sie bitte zurück von 20 bis 1.

Behandlung eines Delirs

Grundlegend für das Gelingen von Delir-Prävention und Delir-Management ist eine gute, strukturell verankerte Zusammenarbeit im multiprofessionellen Team. Diese kann durch eine positive Sicherheitskultur gestützt werden. Dabei gilt es mittels vielfältiger Methoden bei den individuellen krankheits-, behandlungs- und umgebungsassoziierten Auslösern von Delir anzusetzen.

Zunächst werden nicht-pharmakologische Maßnahmen eingesetzt, um das postoperative Delir zu mildern.

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