Demenzielle Erkrankungen stellen eine wachsende globale Herausforderung dar, deren Bedeutung mit der Alterung der Bevölkerung stetig zunimmt. Prognosen zufolge wird sich die Zahl der Demenzkranken in Deutschland von derzeit 1,1 Millionen auf etwa 2,3 Millionen im Jahr 2050 erhöhen. Obwohl zahlreiche Studien körperliche Aktivität als präventive Maßnahme empfehlen, mangelt es bisher an einer flächendeckenden Umsetzung entsprechender Bewegungsprogramme.
Die Bedeutung von Bewegung und Sport für die Demenzprävention
Sport ist eines der wirkungsvollsten und sichersten „Medikamente“, und regelmäßige körperliche Aktivität kann das Leben verlängern. Studien belegen, dass bereits 15 Minuten Bewegung pro Tag das Mortalitätsrisiko um 14 % senken. Jede weitere Viertelstunde reduziert das Risiko um weitere 4 %. Superaktive, die etwa 50 Minuten intensiven Sport pro Tag treiben, können ihr Sterberisiko sogar um fast die Hälfte reduzieren. Regelmäßiger Ausdauersport kann die Aktivität des Enzyms Telomerase erhöhen, das die Schutzkappen der Chromosomen (Telomere) verlängert und so die Körperzellen verjüngt.
Darüber hinaus profitiert das Immunsystem von regelmäßiger Bewegung. Ältere Menschen, die ihr Leben lang viel Ausdauersport betrieben haben, weisen aktivere B- und T-Zellen im Blut auf und sind dadurch weniger anfällig für Infektionen, chronische Entzündungen und Autoimmunerkrankungen. Sport kann auch die natürlichen Killerzellen aktivieren, die Krebszellen bekämpfen. Körperlich aktive Menschen haben ein geringeres Risiko für bestimmte Krebsarten.
GESTALT: Ein bewegungstherapeutisches Interventionskonzept gegen die Alzheimerkrankheit
Das Projekt GESTALT (Zsuzsanna Majzik, Sportamt der Stadt Erlangen Andrea Wolff, Anna Streber, Prof. Dr.) zielt darauf ab, körperlicher Inaktivität als einem der Hauptrisikofaktoren für Demenz entgegenzuwirken. Ziel ist es, die Zielgruppe zu befähigen, einen körperlich aktiven Lebensstil aufzubauen und langfristig beizubehalten. Das Bewegungsprogramm umfasst die Bereiche „Tanz & Bewegung zu Musik“, „Sport & Spiel“ sowie „Bewegung im Alltag - Gehen“, wobei kognitive, physiologische, soziale und emotionale Stimulationen integriert werden. Eine begleitende Bewegungsberatung soll die Teilnehmenden an körperliche Aktivität und einen aktiven Lebensstil binden.
GESTALT startete in Erlangen mit einer lokalen Analyse und der Einbindung potenzieller Partner in einen kooperativen Planungsprozess. Nach der erfolgreichen Umsetzung wurden die Ergebnisse gemeinsam mit den Partnern evaluiert und neue Strategien entwickelt, um sozial benachteiligte und körperlich inaktive Zielgruppen stärker zu fokussieren. Seit Oktober 2012 werden systematisch Strategien zur Nachhaltigkeitssicherung und Einbindung von GESTALT in die kommunalen Strukturen verfolgt, wobei die Trägerschaft auf das städtische Sportamt übergegangen ist.
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Zielgruppe und Ergebnisse von GESTALT
Die Intervention richtet sich an Erwachsene ab 60 Jahren mit Risikofaktoren für Demenz, bei denen aber noch keine Demenz diagnostiziert wurde. Zu den modifizierbaren Risikofaktoren gehören kardiovaskuläre Risikofaktoren, psychologische Risikofaktoren, behaviorale Faktoren und sozio-kulturelle Risikofaktoren.
Im ersten Durchlauf von GESTALT nahmen 78 Personen teil, von denen 75 in die statistische Analyse einbezogen wurden. Die Testergebnisse zeigten positive Auswirkungen auf die kognitive Leistungsfähigkeit, insbesondere auf das Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis. 60 % der Teilnehmenden nahmen während und nach dem Programm zusätzliche Bewegungsaktivitäten auf und behielten diese auch sechs Monate nach der Intervention bei. Im zweiten Durchlauf wurde der Fokus auf die Erreichung sozial Benachteiligter verstärkt.
Strukturelle Veränderungen durch GESTALT
Das GESTALT-Programm konnte erfolgreich bei fünf Präventionsanbietern verankert werden. Zudem wurde eine Koordinationsstelle am Sportamt Erlangen eingerichtet, um GESTALT-Interventionen nachhaltig anbieten zu können. Im zweiten Durchlauf wurden ältere Menschen der Zielgruppe gezielt in die Planung und Teilnehmerwerbung eingebunden, wobei Teilnehmende des ersten Durchlaufs als Peer-MitarbeiterInnen gewonnen wurden.
GESTALT vermittelt den Teilnehmenden, dass sie ihr Leben auch im hohen Alter aktiv gestalten und ihre Gesundheit positiv beeinflussen können. Das Programm verbessert die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit, vermittelt Spaß und Geselligkeit und ermöglicht den Teilnehmenden, auf Kenntnisse und Fähigkeiten aus ihrem früheren Leben zurückzugreifen und neue Formen der Bewegung zu erlernen. Die neu gewonnenen sozialen Kontakte fördern gemeinsame Aktivitäten über das Programm hinaus.
Weitere Studienergebnisse zur Demenzprävention durch Sport
Eine aktuelle Studie des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) zeigt, dass eine gute körperliche Fitness der Entstehung von Demenz entgegenwirken kann. Die Forscher ermittelten die Fitness des Herz-Kreislauf-Systems von über 2.000 Probanden und stellten fest, dass eine bessere kardiorespiratorische Fitness mit einem höheren Hirnvolumen assoziiert war. Die Experten schlussfolgerten, dass eine gute kardiorespiratorische Fitness zur Gehirngesundheit beitragen und den Rückgang des Hirnvolumens verlangsamen könnte.
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Eine US-amerikanische Studie aus dem Jahr 2012 ergab, dass eine bessere Fitness mit einem geringeren Sterblichkeitsrisiko durch Demenz verbunden sein könnte. Die Forscher fanden heraus, dass jede Zunahme der VO2max (maximale Sauerstoffaufnahme) mit einem höheren Volumen der grauen Hirnsubstanz verbunden war, insbesondere in den Hirnbereichen, die an der Kognition beteiligt sind.
Eine finnische Kohortenstudie aus dem Jahr 2018 zeigte, dass ein niedriges kardiorespiratorisches Fitnesslevel mit einem fast doppelt so hohen Demenzrisiko bei Männern verbunden war. Eine weitere Kohortenstudie kam zu dem Schluss, dass die Aufrechterhaltung und Verbesserung der kardiorespiratorischen Fitness eine Möglichkeit sein könnten, um das Risiko für Demenz und Mortalität zu verringern.
Sportarten und Aktivitäten zur Demenzprävention
Es gibt keine „beste“ Sportart zur Demenzprävention, wichtig ist, dass die Aktivität Spaß macht und regelmäßig ausgeübt wird. Gut geeignet sind:
- Ausdauersportarten: Gehen, Radfahren oder Schwimmen verbessern die Herz-Kreislauf-Funktion.
- Ganzkörpertrainings: Yoga oder Pilates fördern Beweglichkeit und Balance.
- Tanzen oder Tai-Chi: Stärken die Koordination und das Gedächtnis.
- Krafttraining: Beugt Muskelabbau und Stürzen vor.
Neben gezieltem Sport ist auch Bewegung im Alltag wichtig. Kurze Strecken zu Fuß gehen oder mit dem Rad fahren, Treppen steigen statt den Aufzug benutzen und die Freizeit aktiv gestalten.
Bewegungstherapie bei Demenz
Auch bei bereits bestehender Demenz kann Bewegungstherapie positive Effekte haben. Sie kann dazu beitragen, die körperliche Leistungsfähigkeit zu verbessern, die Sturzgefahr zu reduzieren und die Lebensqualität zu erhöhen.
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Inhalte der Bewegungstherapie
- Gleichgewichts- und Balancetraining: Übungen zur Verbesserung des Stands und der Stabilität.
- Kräftigungstraining: Übungen zur Stärkung der Beinmuskulatur und des Rumpfes.
- Multitaskingaufgaben: Gleichzeitiges Ausführen von sportlichen Bewegungen und kognitiven Aufgaben.
Methodische Aspekte
- Langsames, deutliches Vermitteln und geduldiges Vorgehen.
- Kurze, klare Anweisungen, ggf. verbunden mit Bildern.
- Visueller Fokus durch deutliche Bewegungsdemonstrationen.
- Taktile und rhythmische Hilfen.
- Gewohnte Räumlichkeiten, fester Organisationsablauf und kleine Gruppengröße.
Integration von Emotionen und Musik
Die Akzeptanz und der Erfolg der Bewegungstherapie hängen stark von der Integration von Emotionen ab. Ein sozialer Rahmen und gemeinsame Aktivitäten können Freude wecken und verbinden. Der Einsatz von Musik, insbesondere alte Stücke aus der Jugend der Betroffenen, kann Erinnerungen hervorrufen und Bewegung auslösen.
Neurobiologische Grundlagen der Wirkung von Bewegung auf das Gehirn
Körperliche Aktivität hat vielfältige positive Auswirkungen auf das Gehirn.
Durchblutungssteigerung
Gehirnareale haben bei körperlichen Aktivitäten ein gesteigertes Stoffwechselbedürfnis. Schon geringe körperliche Aktivität kann die Hirndurchblutung stärker steigern als jede geistige Aktivität allein.
Sinne schärfen
Die menschlichen Sinne bilden die Voraussetzung für die Informationsaufnahme aus der Umwelt. Sport- und Bewegungstherapie kann dazu beitragen, möglichst viele Sinne durch Aktivität zu schärfen.
Synapsenverbindungen
Je koordinativ komplexer eine Bewegung ist, desto mehr Verstrickungen der Gehirnzellen entstehen. Wichtig ist, dass diese Vernetzung nicht nur in dem Gehirnbereich stattfindet, der für die Körperteile verantwortlich ist, die die Bewegung ausführen, sondern auch mit Neuronen aus den Motivations-, Aufmerksamkeits- und Emotionszentren.
Neubildung von Nervenzellen (Neurogenese)
Auch im Erwachsenenalter können sich bei entsprechenden Stimuli wieder neue Neuronen bilden, insbesondere im Hippocampus.
Neurotransmitter
Körperliche Aktivität kann die Konzentration von Neurotransmittern wie Dopamin, Serotonin und Noradrenalin erhöhen, die die Stimmung verbessern und Stressgefühle vermindern. Eine zentrale Bedeutung nimmt der Substanzkomplex BDNF (Brain Derived Neurotrophic Factors) ein, der die Übertragungseffektivität der Synapsen steigert.
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