Viele Menschen erleben im Laufe ihres Lebens das Phänomen des Stimmenhörens. Für einige ist dies eine gelegentliche und unproblematische Erfahrung, während es für andere eine Quelle erheblichen Leidens sein kann. Stimmenhören kann jedoch auch ein Symptom einer ernsthaften psychischen oder neurologischen Erkrankung sein und sollte daher fachärztlich abgeklärt werden. Insbesondere bei älteren Menschen kann das Auftreten von Stimmenhören auf degenerative Prozesse wie Demenz hinweisen.
Stimmenhören: Ein vielschichtiges Phänomen
Das Stimmenhören ist ein Phänomen, das in verschiedenen Formen und Kontexten auftreten kann. Es ist wichtig zu verstehen, dass das Hören von Stimmen nicht zwangsläufig ein Zeichen für eine psychische Erkrankung ist. Studien zeigen, dass ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung (zwischen drei und zehn Prozent) irgendwann im Leben Stimmen hört. Diese Erfahrung kann einmalig sein oder wiederholt auftreten.
Psychotische Erkrankungen als Ursache
Prof. Peter Falkai von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) betont, dass Stimmenhören und andere Halluzinationen Anzeichen einer beginnenden Psychose sein können. Eine Psychose ist durch einen Realitätsverlust gekennzeichnet, bei dem Betroffene Dinge wahrnehmen, die nicht real sind. Dies können Stimmen sein, die Befehle geben oder Situationen kommentieren, aber auch andere Sinnestäuschungen wie unangenehme Gerüche, Lichtblitze oder eine veränderte Farbwahrnehmung.
Junge Erwachsene sind besonders gefährdet, an einer Psychose zu erkranken. Der Beginn ist oft schleichend, mit einer langsamen Veränderung der Wahrnehmung und dem Auftreten weiterer Symptome. Dazu gehören beispielsweise chaotische Gedanken oder das Gefühl, neben sich zu stehen. Bereits vor dem Auftreten psychotischer Symptome können Beeinträchtigungen der Stimmung, des Antriebs sowie der kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten auftreten, die das soziale Leben und die Ausbildung oder den Beruf beeinträchtigen.
Degenerative Prozesse im Alter
Das erstmalige Auftreten von Stimmenhören im höheren Lebensalter kann auf degenerative Prozesse wie Demenz hindeuten. Es ist wichtig zu beachten, dass Demenz nicht nur das Gedächtnis beeinträchtigt, sondern auch andere kognitive Funktionen und die Wahrnehmung verändern kann. Stoffwechselentgleisungen können ebenfalls eine Rolle spielen und sollten ärztlich abgeklärt werden.
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Stimmenhören als Bereicherung
Es ist wichtig zu betonen, dass Stimmenhören nicht immer behandlungsbedürftig ist. Viele Menschen kommen gut mit ihren Stimmen zurecht und empfinden sie sogar als Bereicherung. Sie integrieren die Stimmen in ihr Leben und nutzen sie als eine Art inneren Dialog.
Umgang mit Stimmen
Einem Teil der Stimmenhörer gelingt von selbst ein erfolgreicher Umgang mit den Stimmen. Sie begreifen diese als eine Art Besonderheit ihres zentralen Nervensystems oder nutzen die Stimmen auch als Gradmesser der eigenen Befindlichkeit. Die Stimmen zeigen ihnen auf, dass sie vielleicht gerade unter besonderer Anspannung oder in einer Konfliktsituation stehen und man dies als Gelegenheit nutzen kann, sich etwas zurückzunehmen und mehr Regenerationsphasen einzuplanen. Manchen Menschen gelingt es, die Wahrnehmung auf die als positiv empfunden Stimmen zu lenken, Stimmen einzugrenzen, zuzulassen, verstummen zu lassen oder auch in einen konstruktiven «Dialog» mit den Stimmen zu treten. Auch berichten einige, dass die Stimmen ihnen Aufschlüsse über ungelöste Lebensprobleme geben und dies bei der Bewältigung von Problemen helfen kann. Es hat sich gezeigt, dass Menschen, die bereits in jüngeren Jahren von Stimmen begleitet wurden, diese als weit weniger belastend oder verstörend erleben und es eher gelingt, sie in ihr Leben zu integrieren.
Belastendes Stimmenhören
Das Stimmenhören kann vom Kopf, den Ohren, von außerhalb des Körpers oder auch von bestimmten Körperteilen ausgehen. Dies kann für manche Menschen, auch wenn keine psychische oder organische Erkrankung zugrunde liegt, sehr problematisch und belastend sein. Werden die Stimmen als tyrannisierend empfunden oder fühlt man sich in seiner Lebensführung eingeschränkt, kann psychotherapeutische Hilfe wichtig sein. Selbst wenn das Stimmenhören gar nicht oder nur unwesentlich beeinflusst werden kann, können sich Betroffene einen besseren, weniger belastenden Umgang damit aneignen. Auch die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe kann eine gute Möglichkeit sein, das Phänomen leichter in sein Leben zu integrieren, denn dort erhält man Einblick in eine Vielzahl von Selbsthilfestrategien.
Ursachen von Stimmenhören
Es gibt keine abschließende Erklärung dafür, warum ein Mensch plötzlich anfängt, Stimmen zu hören. Das Stimmenhören kann unter anderem im Rahmen traumatischer oder intensiver emotionaler Ereignisse auftreten, wie bei Unfällen, zwischenmenschlichen Konflikten, Todesfällen, Scheidungen, Erkrankungen oder auch nach der Einnahme von Drogen.
Das Stimmenhören kann dabei ganz unterschiedlich in Erscheinung treten. Manche Menschen hören nur eine Stimme oder aber viele. Sie können von bekannten Menschen stammen oder als völlig fremd erscheinen. Auch Lautstärke, Tonalität und der Zeitrahmen, in dem die Stimmen vernommen werden, sind ganz variabel.
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Stimmenhören im Kontext von Demenz
Demenzerkrankungen können mit Halluzinationen und Wahnvorstellungen einhergehen. Die Betroffenen werden außerdem zunehmend vergesslich und verwirrt; es kommt zu Angst- und Erregungszuständen sowie Persönlichkeitsveränderungen. Bei der Lewy-Körperchen-Demenz beispielsweise treten relativ schnell heftige Symptome wie Halluzinationen und Wahnvorstellungen auf. Betroffene sehen Menschen oder Tiere, die gar nicht da sind. Seltener treten akustische Halluzinationen auf. Die Demenz-Kranken „hören“ Töne, Melodien oder Stimmen, die sonst niemand hört.
Es ist wichtig zu beachten, dass nicht jede Wahnvorstellung bei Demenz unbegründet ist. Auch Menschen mit Demenz können reale Ängste und Sorgen haben. Fehleinschätzungen müssen nicht immer Wahnvorstellungen sein, sondern können auch körperlich bedingt sein, etwa durch altersbedingte Veränderungen am Auge.
Weitere Ursachen für Halluzinationen
Halluzinationen können auch durch andere Erkrankungen des zentralen Nervensystems ausgelöst werden, wie beispielsweise:
- Schlaganfall: Hier können Halluzinationen, Wahnvorstellungen, Verwirrtheit, Gedächtnis- und Bewusstseinsstörungen auftreten.
- Gehirnentzündung (Enzephalitis): Sie wird meist durch eine Virusinfektion verursacht. Zu den möglichen Symptomen zählen Teilnahmslosigkeit, Schläfrigkeit, Verwirrtheit, Erregung, Verhaltensauffälligkeiten und Halluzinationen.
- Schädel-Hirn-Trauma: Halluzinationen und Wahnvorstellungen treten manchmal im Rahmen einer Schädel-Hirn-Verletzung auf.
- Epilepsie: In einigen Fällen werden epileptische Anfälle von Sinnestäuschungen begleitet, etwa von Geruchs- und Geschmackshalluzinationen.
- Huntington-Krankheit (Chorea Huntington): Die Huntington-Krankheit ist eine erblich bedingte, fortschreitende Gehirnerkrankung, die Bewegungsstörungen und psychische Veränderungen verursacht. Auch Halluzinationen und Wahnvorstellungen sind möglich.
Auch psychische Erkrankungen wie Schizophrenie und Depressionen können mit Halluzinationen einhergehen. Weitere mögliche Ursachen sind Migräne, Tinnitus, Augenerkrankungen, hohes Fieber, Alkohol- und Drogenmissbrauch, Medikamente, Vergiftungen, Austrocknung, Unterkühlung, soziale Isolation, Schlafmangel und starke Erschöpfung.
Diagnose und Behandlung
Die Diagnose von Stimmenhören und Halluzinationen erfordert eine umfassende medizinische und psychiatrische Untersuchung. Es ist wichtig, organische Ursachen auszuschließen und die psychische Gesundheit des Betroffenen zu beurteilen.
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Die Behandlung richtet sich nach der Ursache des Stimmenhörens. Bei psychotischen Erkrankungen können Medikamente wie Neuroleptika eingesetzt werden, um die Symptome zu lindern. Psychotherapie kann helfen, einen besseren Umgang mit den Stimmen zu entwickeln. Bei Demenz ist die Behandlung komplexer und zielt darauf ab, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität zu verbessern.
Umgang mit Aggressionen bei Demenz
Aggressives Verhalten kann im Rahmen einer Demenzerkrankung auftreten und stellt eine große Herausforderung für Angehörige und Pflegepersonen dar. Es ist wichtig zu verstehen, dass aggressives Verhalten bei Demenz oft Ausdruck von Frustration, Verwirrung oder Schmerzen ist.
Ursachen für Aggressionen bei Demenz
- Verwirrung und Frustration: Die Demenz selbst kann zu Verwirrung und Frustration führen, die sich in aggressivem Verhalten äußern können.
- Schmerzen: Körperliche Schmerzen oder Unwohlsein können eine Ursache sein.
- Zu viele Reize: Umweltfaktoren spielen ebenfalls eine wichtige Rolle.
- Allgemeiner Stress: Im Alltag von Menschen mit Demenz kommt es immer wieder zu Überforderungssituationen, die Frustration oder Angst auslösen können.
Tipps für den Umgang mit Aggressionen bei Demenz
- Ursachenforschung: Versuchen Sie, die Ursache für das aggressive Verhalten zu identifizieren.
- Ruhige Umgebung: Schaffen Sie eine ruhige und reizarme Umgebung.
- Einfühlungsvermögen und Kommunikation: Erklären Sie bevorstehende Aktivitäten behutsam und vergewissern Sie sich, dass die betroffene Person verstanden hat, was geschieht.
- Schmerzmanagement: Sorgen Sie für regelmäßige Untersuchungen auf körperliche Beschwerden und verabreichen Sie bei Bedarf angemessene Schmerzmedikation.
- Professionelle Hilfe: Ziehen Sie bei Bedarf professionelle Hilfe in Anspruch.
Medikamentöse Behandlung
Medikamente zur Beruhigung sollten nur unter strenger fachärztlicher Aufsicht eingesetzt werden, da sie Nebenwirkungen haben können. Auch die Wechselwirkung mit anderen Medikamenten bedarf der genauen ärztlichen Überprüfung.
Entstigmatisierung des Stimmenhörens
Zukünftig sollte über das Phänomen Stimmenhören mehr in der Öffentlichkeit berichtet werden mit dem Ziel, den Begriff zu entstigmatisieren. Ein großes Problem ist für viele Betroffene, dass sie mit ihrem Erleben alleine bleiben und aus Angst vor Stigmatisierung oder der Möglichkeit, für verrückt erklärt zu werden, die Stimmen der Umwelt gegenüber verschweigen. Leider reagiert das Umfeld auch oft mit Unverständnis, Zurückweisung und wenig tolerant.