Menschen mit Down-Syndrom (Trisomie 21) haben ein genetisch bedingt erhöhtes Risiko, an einer früh beginnenden Alzheimer-Demenz zu erkranken. Dieses erhöhte Risiko wirft eine Reihe von Fragen und Herausforderungen auf, die in diesem Artikel umfassend beleuchtet werden.
Genetische Grundlagen und erhöhtes Alzheimer-Risiko
Das Down-Syndrom ist eine Chromosomenstörung, bei der Betroffene eine zusätzliche, dritte Kopie des 21. Chromosoms in ihrem Erbgut aufweisen. Normalerweise liegen alle Chromosomen als Paar vor, bei Menschen mit Trisomie 21 ist das Chromosom 21 jedoch dreifach vorhanden.
Als Ursache für das erhöhte Alzheimer-Risiko bei Menschen mit Down-Syndrom wird das dreifache Vorkommen des 21. Chromosoms vermutet. Auf diesem Chromosom befindet sich das Gen für das Amyloid-Vorläuferprotein (APP). Durch das dreifache Vorliegen des Chromosoms 21 kommt es zu einer vermehrten Produktion von APP, was wiederum die Bildung von Amyloid-Plaques im Gehirn begünstigt. Diese Plaques sind ein charakteristisches Merkmal der Alzheimer-Krankheit.
Es gibt jedoch seltene Ausnahmen. In einigen Fällen von "partieller Trisomie 21", bei denen nur ein Teil des Chromosoms 21 dreifach vorhanden ist, konnte gezeigt werden, dass das Alzheimer-Risiko geringer ist, wenn der betroffene Teil des Chromosoms nicht das APP-Gen enthält.
Prävalenz und Verlauf der Alzheimer-Krankheit bei Down-Syndrom
Etwa 90 Prozent der Menschen mit Trisomie 21 haben ein hohes Risiko, im Laufe ihres Lebens an einer Frühdemenz zu erkranken. Die Häufigkeit der Alzheimer-Krankheit bei Menschen mit Down-Syndrom über 65 Jahre liegt bei etwa 88 bis 100 Prozent und damit um ein Vielfaches höher als in der Gesamtbevölkerung.
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Der zeitliche Verlauf der Erkrankung ist im Vergleich zur sporadischen Alzheimer-Erkrankung bei Menschen ohne Down-Syndrom sehr gut vorhersehbar. Fast alle Menschen mit Down-Syndrom weisen bereits vor dem 40. Lebensjahr beide für die Alzheimer-Krankheit charakteristischen Veränderungen im Gehirn auf: Amyloid-Plaques und Tau-Fibrillen.
Auch bei Menschen mit Down-Syndrom sind die ersten Symptome eine zunehmende Vergesslichkeit und Orientierungslosigkeit. Da jedoch viele Aufgaben im Alltag von Menschen mit Down-Syndrom von Betreuungspersonen übernommen werden, werden diese ersten Symptome oft nicht bemerkt beziehungsweise der Behinderung zugeschrieben. Häufig sind die ersten Symptome, die bemerkt werden, veränderte Reaktionen und Auffälligkeiten im Verhalten.
Herausforderungen in der Diagnose
Die Diagnose von Alzheimer bei Menschen mit Down-Syndrom stellt besondere Herausforderungen dar. Viele Menschen mit Down-Syndrom haben einen gewissen Grad an geistiger Behinderung, was die Anwendung von kognitiven Standardtests erschwert. Zudem ist unklar, welche Normwerte für eine bereits erkrankte Person mit Down-Syndrom gelten.
Es bedarf daher spezieller Instrumente, die die Wahrnehmungs- und Denkprozesse bei Menschen mit Down-Syndrom besser messbar machen. Aufgrund der Variabilität der geistigen Beeinträchtigung ist ein individueller Ausgangswert für einen Alzheimer-Test notwendig.
Auch die Lebensumstände von Menschen mit Down-Syndrom können die Diagnose beeinflussen. Viele leben in Einrichtungen und werden betreut, was dazu führen kann, dass erste Anzeichen für Alzheimer nicht erkannt werden.
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Medizinische Versorgung und Forschung
In der medizinischen Versorgung sind Menschen mit einem Down-Syndrom deutlich benachteiligt. In großen Medikamentenstudien werden sie noch immer nicht berücksichtigt, und es gibt nur wenige klinische Studien mit dieser Personengruppe. Dadurch fehlen für neue Therapien spezifische Daten zu Sicherheit und Anwendungsrisiko. Es ist bereits von anderen Medikamenten, die bei der Alzheimer-Therapie angewendet werden, bekannt, dass sie bei Menschen mit einem Down-Syndrom nur in anderen Dosierungen oder gar nicht angewendet werden können.
Neue Antikörper-Therapien wie Lecanemab und Donanemab lassen hoffen. Doch auch hier wurden Menschen mit Down-Syndrom in den klinischen Studien leider nicht berücksichtigt. In einer Anwendungsempfehlung für das Medikament Lecanemab (Leqembi) raten Wissenschaftler aufgrund fehlender Daten vorerst von der Anwendung bei Menschen mit Down-Syndrom ab. Grund dafür ist unter anderem die Sorge vor stärkeren Hirnblutungen als bei Menschen ohne Down-Syndrom.
Es gibt zwar einige Kliniken, die sich auf Menschen mit Down-Syndrom spezialisiert haben, diese konzentrieren sich aber oft nur auf die pränatale Diagnostik oder auf das Down-Syndrom bei Kindern. Leider gibt es bisher nur wenige Kliniken, die sich auch speziell mit älteren Menschen mit Down-Syndrom und der Diagnose Demenz beschäftigen. Eine dieser Kliniken befindet sich am LMU-Klinikum in München und wird von Prof. Dr. med. Johannes Levin geleitet.
Der Innovationsausschuss des Bundes führt derzeit das Versorgungsforschungsprojekt „DS-Demenz“ durch, in dem untersucht werden soll, welche Verbesserungen in der Versorgung, Diagnostik und Therapie von demenziellen Erkrankungen bei Menschen mit Down-Syndrom notwendig sind. Ziel des Projekts DS-Demenz ist die Entwicklung von gesundheitspolitischen Handlungsempfehlungen zur Verbesserung der medizinischen Versorgung von Menschen mit Trisomie 21 und gleichzeitigen demenziellen Erkrankungen. Die Forschenden wollen Schwachstellen in der Versorgung und darauf aufbauend Verbesserungsmöglichkeiten aufzeigen, wie sich die Versorgung patienten- und ergebnisorientiert vereinfachen lässt.
Das Projekt "DS-Demenz"
Das vom Innovationsfonds geförderte Projekt „(Zugang zur) Diagnostik und Therapie demenzieller Erkrankungen bei Menschen mit einem Down-Syndrom“ (DS-Demenz) soll die Herausforderungen in der medizinischen Versorgung von Menschen mit DS und einer Demenz identifizieren und Verbesserungsmöglichkeiten in Form von Handlungsempfehlungen formulieren. Beteiligt an diesem Projekt sind sowohl medizinische Expert:innen als auch gesundheitsökonomische und -politische Forscher:innen und das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO). Unterstützt wird das Projekt zudem vom Down-Syndrom Info-Center und der Deutschen Alzheimer Gesellschaft.
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Im Rahmen des Projekts wurden Versorgungsdefizite und Herausforderungen in der Versorgung von Menschen mit DS und einer Demenz sowie mögliche Lösungsansätze erhoben. Neben einer Literaturrecherche wurden dafür Krankenkassendaten analysiert und Interviews mit Patient:innenvertretungen, ärztlichen Vertreter:innen und Vertreter:innen von Wohn- und Arbeitseinrichtungen durchgeführt. Zudem wurden formell Betreuende sowie Eltern und Geschwister befragt.
Erste Projektergebnisse
Es wurden acht Handlungsfelder identifiziert, die in der medizinischen Versorgung von Menschen mit DS und Demenz relevant sind:
- Fehlende Verfügbarkeit spezialisierter Leistungserbringender (z.B. Medizinische Zentren für Erwachsene mit Behinderung (MZEB) und Spezialambulanzen).
- Fehlende Erfahrungen bzw. Kenntnisse bei medizinischen Leistungserbringenden der Regelversorgung in der Versorgung von Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen.
- Fehlende Strukturen zur übergreifenden Förderung der Versorgungsqualität.
- Fehlende Steuerung durch das medizinische Versorgungssystem sowie eine fehlende Zusammenarbeit zwischen den an der Versorgung beteiligten Leistungserbringenden.
- Fehlende zeitliche sowie personelle Ressourcen.
- Probleme in der Medikation (z.B. seltener Einsatz von Antidementiva, häufiger Einsatz sedierender Medikamente).
- Fehlendes Wissen um das erhöhte Demenzrisiko sowie das Erkennen von Symptomen in Abgrenzung zur Symptomatik des DS oder anderer Komorbiditäten.
- Herausforderungen in der Demenzdiagnostik (u.a. durch fehlende Kenntnisse zu speziellen Testverfahren sowie die fehlende Erhebung des individuellen kognitiven Ausgangszustandes).
Vorbeugende Maßnahmen und Therapieansätze
Angesichts der hohen Erkrankungsrate ist es wichtig, nach Möglichkeiten zu suchen, den Ausbruch von Alzheimer bei Menschen mit Down-Syndrom zumindest zu verzögern.
Sport ist eine vielversprechende Maßnahme zur Prävention und Verlaufsmilderung von neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer. Es gibt Projekte, die Menschen mit Down-Syndrom zu einem intensiveren Sportprogramm anleiten.
Weitere allgemeine Empfehlungen zur Begrenzung von Alzheimer- und Demenz-Risikofaktoren sind:
- Regelmäßige Kontrolle von Cholesterinwerten und Blutdruck.
- Bei Hörstörungen ein Hörgerät und bei Sehstörungen eine passende Brille tragen.
- Soziale Teilhabe.
- Kognitive Aktivität.
- Ausgewogene Ernährung.
- Behandlung von Schlafapnoe.
- Vorsorgeuntersuchungen beim Frauenarzt, Urologen und anderen Fachärzten.
Ganz grundsätzlich werden Menschen mit Down-Syndrom bei der Alzheimer-Therapie sehr ähnlich behandelt wie andere Betroffene. Es muss aber gesagt werden, dass die wissenschaftliche Grundlage, auf der Therapieentscheidungen getroffen werden, bei Menschen mit Down-Syndrom viel schlechter ist. Bei den allermeisten Medikamentenstudien wurden und werden Menschen mit Down-Syndrom nicht berücksichtigt.
Die Rolle von Menschen mit Down-Syndrom in der Alzheimer-Forschung
Menschen mit Down-Syndrom haben eine zentrale wissenschaftshistorische Rolle in der Erforschung der Alzheimer-Krankheit gespielt. Man wusste schon früh, dass es bei ihnen viele Alzheimer-Plaques im Gehirn gibt. Sie haben ganz erheblich dabei geholfen herauszufinden, welches Gen für Alzheimer verantwortlich ist und dass es auf Chromosom 21 liegt. So konnte das APP-Gen als Ursache für die Alzheimer-Plaques ausfindig gemacht werden.
Umgang und Betreuung im Alltag
Eine individuelle, wertschätzende und zugewandte Versorgung und Unterstützung sind für die Betroffenen wichtig. Dazu gehört auch, sie nicht zu früh in ihrer Selbständigkeit einzuschränken, ihr Person-Sein zu respektieren und Wärme und Geborgenheit zu vermitteln. Kontinuität und Struktur bieten Sicherheit - was dazu beitragen kann, schwierigen Situationen und herausforderndem Verhalten vorzubeugen.
Wenn Einrichtungen der Behindertenhilfe keine entsprechenden Konzepte haben und auch den personellen und pflegerischen Aufwand nicht leisten können, müssen Menschen mit Down-Syndrom und Demenz häufig in eine Pflegeeinrichtung umziehen. Daher ist die entsprechende Fortbildung und Qualifizierung von professionellen Mitarbeitenden von Pflegeeinrichtungen in diesem Bereich wichtig.
"Ageing in Place" und "in place progression"
Beim „Ageing in Place“ geht es darum, das soziale Umfeld der Betroffenen vorzubereiten, Unterstützungssysteme bis hin zur palliativen Begleitung aufzubauen und räumliche Anpassungen frühzeitig in den Blick zu nehmen. Das „in place progression“ bedeutet eine konzeptionelle Weiterentwicklung des stationären oder ambulant betreuten Wohnumfeldes. Es geht um die Anpassung der personellen Präsenz und um adäquate Angebote, die sich an den Bedürfnissen der Betroffenen orientieren. So müssen diese nicht in neue Einrichtungen mit passendem Versorgungsangebot umziehen, sondern das Versorgungsangebot vor Ort wird an ihren Bedarf angepasst.
Fazit
Die Alzheimer-Krankheit stellt für Menschen mit Down-Syndrom eine besonders große Herausforderung dar. Das erhöhte genetische Risiko, die Schwierigkeiten in der Diagnose und die Defizite in der medizinischen Versorgung erfordern ein Umdenken und die Entwicklung spezifischer Konzepte.
Es ist wichtig, das Wissen um das erhöhte Demenzrisiko zu verbessern, die Symptomerkennung zu schärfen, spezielle Testverfahren zu entwickeln und den individuellen kognitiven Ausgangszustand zu erheben. Zudem bedarf es einer besseren Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Leistungserbringern und einer stärkeren Berücksichtigung von Menschen mit Down-Syndrom in Medikamentenstudien.
Durch gezielte Präventionsmaßnahmen, eine individuelle und wertschätzende Betreuung sowie die Anpassung der Wohn- und Versorgungsumgebung kann die Lebensqualität von Menschen mit Down-Syndrom und Demenz verbessert werden.
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