Mit fortschreitender Demenz verlieren viele Betroffene nach und nach grundlegende Fähigkeiten, die für das Essen und Trinken notwendig sind. Dies kann zu einer Nahrungsverweigerung führen, die verschiedene Ursachen haben kann. Es ist wichtig, diese Ursachen zu erkennen und geeignete Maßnahmen einzuleiten, um die Nahrungsaufnahme sicherzustellen und die Lebensqualität der Betroffenen zu erhalten.
Veränderungen im Alter und bei Demenz
Der physiologische Alterungsprozess führt zu vielen Veränderungen, die das Essen und Trinken beeinträchtigen oder die Nährstoffversorgung ungünstig beeinflussen. Die Geschmackssinne lassen nach, die Speichelproduktion sinkt, Hunger- und Durstempfinden nehmen ab, Rückbildungen am Zahnapparat erschweren das Kauen. Die Versorgung mit Calcium, Eisen und Vitamin B12 wird schwieriger, da deren Bioverfügbarkeit wegen der reduzierten Magensäuresekretion sinkt. Auch die Biosynthese von Vitamin D nimmt ab. Defizite können entstehen, wenn diese Nährstoffe nicht in ausreichender Menge zugeführt werden.
Menschen mit Demenz haben oft einen höheren Kalorien- und Flüssigkeitsbedarf aufgrund ihrer motorischen Unruhe, können aber meist nicht mehr selbst für ihre Ernährung sorgen. Mit fortschreitender Demenz treten oft Probleme wie verändertes Geschmacksempfinden, Schwierigkeiten beim Umgang mit Besteck und Schluckprobleme auf. Manche Menschen mit Demenz verbrauchen durch motorische Unruhe, Umherlaufen und Stress mehr Kalorien. Gleichzeitig essen und trinken sie oft zu wenig aufgrund eines veränderten Hunger- oder Durstgefühls oder Gedächtnislücken.
Ursachen für die Nahrungsverweigerung bei Demenz
Wenn Menschen mit Demenz die Nahrungsaufnahme verweigern, ist zunächst eine gründliche Ursachenanalyse entscheidend. Häufig sind die Gründe vielfältig:
- Kognitive Beeinträchtigungen: Demenzkranke können Gefühle wie Hunger und Durst nicht mehr deuten. Die Situation bei Tisch wird nicht mehr verstanden, Lebensmittel werden nicht mehr als solche erkannt. Kognitive Störungen können dazu führen, dass ein demenzkranker Mensch «keine Zeit« zum Essen hat, weil er innerlich mit anderen Dingen beschäftigt ist. Er ist zudem sehr leicht ablenkbar. Die Handhabung von Besteck wird vergessen; Messer und Gabel werden mitunter sogar als bedrohlich empfunden. Allgemein verlangsamt sich das psychische Tempo: Die Kranken können sich schlecht auf neue Situationen, zum Beispiel eine Mahlzeit, einstellen.
- Verändertes Geschmacksempfinden: Die Geschmacksempfindungen bei Demenz können sich verändern, oft werden süße Speisen bevorzugt. Bittere oder salzige Speisen werden teilweise als unangenehm empfunden und deshalb abgelehnt. Neben dem Geschmack wird oft auch die Temperatur der Nahrung nicht mehr gut wahrgenommen.
- Schluckstörungen (Dysphagie): Die Beeinträchtigung des Schluckreflexes ist ein Symptom der fortschreitenden Demenz. Bei Schluckstörungen kann das Andicken von Flüssigkeiten das Trinken erleichtern. Sicherheitstrinkbecher helfen, Verschlucken zu vermeiden, indem sie kontrollierte Flüssigkeitsmengen abgeben. Essen sollte breiartig, aber optisch ansprechend sein,.
- Motorische Einschränkungen: Menschen mit fortgeschrittener Demenz verlieren oft die Fähigkeit, Besteck zu benutzen. Bei einer nachlassenden Beweglichkeit der Hände und Arme kann spezielles Geschirr die Nahrungsaufnahme erleichtern. Es gibt Besteck mit dicken, rutschfesten Griffen, vertieften Löffelschalen oder speziell gebogenes Besteck. Um Betroffenen das Essen zu erleichtern, kann auf fingerfreundliche Mahlzeiten umgestellt werden.
- Zahnprobleme und Mundgesundheit: Zahnschmerzen, eine schlecht sitzende Zahnprothese oder Entzündungen im Mund-Rachen-Raum können dazu führen, dass das Essen abgelehnt wird. Ein schlechter Zustand der Zähne bzw. ein schlecht sitzendes Gebiss können das Essverhalten beeinflussen. Nahrung kann nicht mehr ausreichend zerkleinert und gekaut werden.
- Weitere medizinische Ursachen: Medikamente, Schmerzen oder andere Erkrankungen können ebenfalls zu einer Nahrungsverweigerung führen. Menschen mit Demenz im fortgeschrittenen Stadium können oft keine Hinweise mehr auf ihr Befinden geben.
- Psychische Faktoren: Psychische Belastung, depressive Verstimmungen oder ein verändertes Geschmacksempfinden können ebenfalls eine Rolle spielen.
- Umgebungsfaktoren: Eine unangenehme Essenssituation (Geräusche, Gerüche, Nachbarn), inadäquate Essenszeiten oder die Beziehung zu den Versorgungspersonen können ebenfalls die Nahrungsaufnahme beeinflussen.
- Appetitlosigkeit: Hungergefühl und Appetit nehmen bei den meisten Menschen ab, wodurch einige vergessen zu essen. Durch Medikamenteneinnahmen und mangelnde Flüssigkeitszufuhr kann sich der Speichelfluss verringern. Dies kann sich auf das Geschmacksempfinden und die Schluckfähigkeit auswirken.
- Hortung von Nahrungsmitteln: Manche Menschen mit Demenz beginnen, Essen für Notzeiten zu horten. Dies geschieht oft an Orten, die für eine sichere Lagerung ungeeignet sind.
Maßnahmen zur Unterstützung der Nahrungsaufnahme
Entscheidend sind eine strukturierte Risikoeinschätzung (Screening), das Erkennen von Warnzeichen wie Gewichtsverlust oder geringer Trinkmenge sowie individuell angepasste Unterstützung im Alltag. Es ist hilfreich, wenn Betroffene das Essen oder Trinken mit möglichst vielen Sinnen wahrnehmen können. Dazu gehören eine angenehme Atmosphäre und ansprechend dargereichte, angenehm riechende Speisen und Getränke.
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- Individuelle Anpassung der Ernährung: Grundsätzlich gelten für Demenzkranke dieselben Ernährungsempfehlungen wie für gesunde ältere Menschen, die Energiezufuhr erfordert jedoch besondere Aufmerksamkeit. Die Kunst besteht darin, die erforderlichen Kalorien und Nährstoffe in kleinen Portionen unterzubringen, denn für lange Mahlzeiten reicht die Konzentration oft nicht, zumal es ohnehin langsamer geht als in gesunden Tagen. Folglich sollten vor allem energie- und nährstoffdichte Speisen angeboten werden: vollfette statt magere Milchprodukte, Leberwurst statt Lachsschinken oder Doppelrahm-Frischkäse statt Hüttenkäse. Die Zugabe von Sahne oder Butter erhöht nicht nur die Energiezufuhr, sondern intensiviert auch den Geschmack, der bekanntlich über Fette vermittelt wird. Auch Schmelzkäse, Mascarpone, Zucker und Sirup liefern reichlich Kalorien. Kräftiges Würzen und appetitliches Anrichten fördern die Lust auf das Essen.
- Anpassung der Konsistenz: Bei Schluckstörungen sollten Mahlzeiten eine weiche, homogene und gut formbare Konsistenz haben, damit sie sicher geschluckt werden können. Geeignet sind beispielsweise püriertes Gemüse, weiche Kartoffelgerichte, Rührei, cremige Suppen, Pudding oder Joghurt. Auch angedickte Flüssigkeiten können das Risiko des Verschluckens deutlich senken. Ungeeignet sind hingegen krümelige, faserige oder trockene Speisen wie Körnerbrot, Reis, rohe Salate, Nüsse oder zähes Fleisch, da sie leicht im Rachenraum hängen bleiben.
- Schaffung einer angenehmen Atmosphäre: Es ist wichtig, die Mahlzeiten angenehm zu gestalten. Dazu gehören eine ruhige Umgebung, eine ansprechende Tischdekoration und eine positive Interaktion mit den Betroffenen.
- Einbeziehung der Betroffenen: Es kann hilfreich sein, Menschen mit Demenz in die Speisenzubereitung mit einzubeziehen. Durch verschiedene Gerüche werden positive Erinnerungen geweckt. Durch Aktivitäten wie Kochen können motorische Fähigkeiten erhalten bleiben.
- Gemeinsame Mahlzeiten: Bei einer Demenzerkrankung essen Betroffene mehr und besser, wenn sie mit anderen gemeinsam am Tisch essen. Das könnte mit der Vorbildwirkung zu tun haben. Menschen mit fortgeschrittener Demenz verlieren oft die Fähigkeit, Besteck zu benutzen. Hier kann es hilfreich sein, dass sie gemeinsam mit Angehörigen bzw. Pflegepersonal Mahlzeiten (sog. family style meals) einnehmen. Dabei können sie das Essverhalten von anderen abschauen und es nachahmen.
- Fingerfood: In den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung für Menschen mit Demenz ist Fingerfood oder „Eat by Walking“ eine wichtige Komponente. Bieten Sie folglich Menschen mit Demenz einige Speisen in Form von Fingerfood an. Fingerfood verbessert die Selbstständigkeit und die Selbstbestimmung.
- Regelmäßige Flüssigkeitszufuhr: Getränke sollten den Tag über regelmäßig angeboten und an mehreren Stellen in der Wohnung positioniert werden. Das Trinkgefäß und das Getränkeangebot können für die Trinkbereitschaft eine Rolle spielen. Farbige Becher werden besser wahrgenommen und animieren zum Trinken.
- Logopädische Therapie: Bei Schluckstörungen (Dysphagien) gehört die logopädische Therapie zu den Standardmaßnahmen. Logopädinnen und Logopäden unterstützen Betroffene mit gezielten Übungen zur Kräftigung der Schluckmuskulatur, trainieren sichere Schlucktechniken und beraten Pflegekräfte zur Anpassung von Konsistenz und Essenssituation. Eine frühzeitige logopädische Mitbehandlung kann das Risiko von Aspiration und Lungenentzündungen deutlich senken.
- Basale Stimulation: In der Praxis hat sich das Konzept der „basalen Stimulation“ auch bei der Essensaufnahme als sehr wirksam bei Menschen mit Demenz erwiesen. Basale Stimulation bezeichnet die gezielte und systematische Förderung von Wahrnehmung und Kommunikation auf elementarer Ebene. Dabei steht nicht der Ausgleich von Defiziten im Vordergrund, sondern die Stärkung vorhandener Fähigkeiten.
- Berücksichtigung der Essbiografie: Jeder Mensch verbindet mit bestimmten Lebensmitteln, Gerichten und Gerüchen prägende Erinnerungen. Sie wecken Gefühle wie Wohlbehagen, Geborgenheit oder festliche Stimmung. Die Kenntnis der Ess- und Trinkbiografie ist wichtig, um dem Menschen vertraute und angenehme Speisen anbieten und den Ablauf der Mahlzeit einfach strukturieren zu können.
Umgang mit schwierigen Situationen
- Nahrungsverweigerung: So wichtig die Nahrungsaufnahme auch ist: Zwingen Sie bitte niemals einen Menschen mit Demenz zum Essen! Lebensmittel und Getränke sollten immer wieder ohne Druck angeboten werden.
- Horten von Nahrungsmitteln: In vielen Fällen kann man versuchen, das Sammeln als solches dadurch zu kontrollieren, dass eine Absprache getroffen wird: Die Betroffenen dürfen horten, aber einmal in der Woche wird gemeinsam kontrolliert, ob die zusammengetragenen Lebensmittel noch genießbar sind. Es ist dabei aber wichtig, Vertrocknetes, Verfaultes oder Verschimmeltes nicht einfach wegzuwerfen, sondern durch etwas Frisches zu ersetzen.
- Unruhe beim Essen: Einige Menschen mit Demenz müssen auch während des Essens aufstehen und umhergehen. Die Pflegeperson kann den Weg dann mit dem Essen begleiten.
Künstliche Ernährung
Unter Umständen kann die Sonde nach Überwindung eines kritischen Zustands auch wieder entfernt werden. Die Magensonde ist ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit und bedarf der Zustimmung des Patienten bzw. Wenn eine Magensonde für einen Menschen mit Demenz in Frage kommt, der selbst nicht mehr entscheiden kann, muss sorgfältig abgewogen werden, ob die künstliche Ernährung und damit ggf. eine Lebensverlängerung seinem mutmaßlichen Willen entspricht. Dieses Abwägen ist eine schwierige Aufgabe für Bevollmächtigte und Betreuer. Helfen kann eine palliative Beratung oder ein ethischer Abwägungsprozess mit entsprechend kompetenten Fachkräften aus Medizin oder Pflege. Aus medizinischer Sicht soll bei einer schweren Demenz keine PEG-Sonde eingesetzt werden.
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