Demenz und Weglaufen: Verfahren, Ursachen und Schutzmaßnahmen

Wenn Menschen mit Demenz weglaufen, ist das kein Zeichen von Boshaftigkeit, sondern ein Ausdruck ihrer Erkrankung. Die Gründe für dieses Verhalten sind vielfältig und reichen von Langeweile und Reizüberflutung bis hin zum Verlust des Zeitgefühls und dem Wunsch, in die Vergangenheit zurückzukehren. Dieser Artikel beleuchtet die Hintergründe des Weglaufens bei Demenz, die Verfahren der Polizei bei der Suche nach Vermissten und die Schutzmaßnahmen, die Angehörige und Pflegekräfte ergreifen können.

Hintergründe des Weglaufens bei Demenz

Menschen mit Demenz haben oft kein Gefühl mehr für die Zeit und leben im "Damals". Sie können sich in eine vergangene Lebensphase zurückversetzt fühlen und beispielsweise glauben, sie müssten zur Arbeit gehen oder sich um ihre Kinder kümmern. In solchen Fällen laufen sie nicht weg, sondern "hin" zu einem Ziel, das für sie in diesem Moment real ist. Dieser Beweggrund wird oft als "Hinlauftendenz" bezeichnet.

Die Ursachen für die Hinlauftendenz sind vielfältig:

  • Orientierungslosigkeit: Demenzpatienten können sich in ihrer Umgebung nicht mehr zurechtfinden, selbst an bekannten Orten.
  • Verlust des Zeitgefühls: Sie leben in der Vergangenheit und wollen beispielsweise ihre Eltern besuchen oder zur Arbeit gehen.
  • Emotionale Bedürfnisse: Sie suchen nach Sicherheit, Geborgenheit und Vertrautheit.
  • Körperliche Ursachen: Schmerzen, Unwohlsein, Hunger oder Durst können zu Unruhe und Bewegungsdrang führen.
  • Medikamentöse Nebenwirkungen: Bestimmte Medikamente können Unruhe und Hinlauftendenz verstärken.

Das Verfahren der Polizei bei vermissten Demenzkranken

Wenn ein Mensch mit Demenz als vermisst gemeldet wird, ist schnelles Handeln gefragt. Die Polizei geht in der Regel wie folgt vor:

  1. Durchsuchung der Pflegeeinrichtung: Zunächst wird die Einrichtung gründlich durchsucht, da sich die Person möglicherweise nur verirrt hat.
  2. Abwägung der Suchmaßnahmen: Je nach Wetterlage, Gesundheitszustand des Vermissten und Dringlichkeit der Medikamenteneinnahme werden die Suchmaßnahmen festgelegt.
  3. Einsatz von Suchhunden und Hubschraubern: Bei dringenden Fällen werden Suchhunde und Hubschrauber eingesetzt, um das Suchgebiet zu erweitern.
  4. Öffentlichkeitsfahndung: Wenn die Suche erfolglos bleibt, wird die Öffentlichkeit um Mithilfe gebeten.

Die Polizei rät dazu, Angehörige und das Umfeld von Demenzkranken über die Erkrankung zu informieren. Nachbarn, Bekannte, Geschäftsinhaber und Busfahrer können so besser auf die Person achten und sie im Notfall nach Hause bringen.

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Schutzmaßnahmen bei Weglauftendenz

Um das Weglaufen von Menschen mit Demenz zu verhindern oder zumindest das Risiko zu minimieren, können verschiedene Schutzmaßnahmen ergriffen werden:

  • Information des Umfelds: Informieren Sie Nachbarn, Bekannte und Geschäftsinhaber über die Erkrankung und bitten Sie sie um Aufmerksamkeit.
  • SOS-Band oder -Anhänger: Der Erkrankte sollte ein SOS-Band oder einen Anhänger mit seinem Namen und der Telefonnummer der Angehörigen tragen.
  • Aktuelle Fotos und Kleiderbeschreibung: Halten Sie aktuelle Fotos des Erkrankten bereit und notieren Sie, welche Kleidung er trägt. Dies ist wichtig für eine Vermisstenmeldung.
  • Begleitung bei Unruhe: Wenn der Patient unruhig ist und das Haus verlassen möchte, begleiten Sie ihn. So können Sie erkennen, was ihn umtreibt und wo er hin möchte.
  • Beschäftigung und Einbindung: Bieten Sie dem Erkrankten Beschäftigung und binden Sie ihn in das tägliche Leben ein. Dies kann Langeweile und Bewegungsdrang reduzieren.
  • Weglaufschutzsysteme: Es gibt verschiedene technische Systeme, die helfen, den Patienten zu orten, wenn er weggelaufen ist.
  • Anpassung der Wohnumgebung: Gestalten Sie die Wohnumgebung so, dass sie Sicherheit und Orientierung bietet. Vermeiden Sie Veränderungen und sorgen Sie für eine vertraute Atmosphäre.

Technische Hilfsmittel und GPS-Ortung

Technische Hilfsmittel wie GPS-Tracker können eine zusätzliche Sicherheit bieten, insbesondere wenn der Erkrankte dazu neigt, wegzulaufen. Die kleinen Ortungsgeräte können in Kleidung eingenäht oder als Schmuck getragen werden und ermöglichen eine schnelle Ortung im Notfall.

Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass der Einsatz von GPS-Trackern in die Rechte des Patienten eingreift. Daher ist die Zustimmung des Betroffenen erforderlich. Wenn der Patient nicht einverstanden ist, sollte er zumindest einen Notfallausweis mit seinen persönlichen Daten und einer Notfallrufnummer bei sich tragen.

Rechtliche Aspekte und Freiheitsentzug

Der Schutz von Menschen mit Demenz darf nicht dazu führen, dass ihre persönlichen Freiheiten unzulässig eingeschränkt werden. Freiheitsentziehende Maßnahmen wie das Abschließen von Türen oder die Fixierung im Bett sind nur in Ausnahmefällen und unter strengen Auflagen zulässig.

Grundsätzlich gilt, dass Menschen mit Demenz das Recht haben, sich frei zu bewegen und ihre eigenen Entscheidungen zu treffen, solange sie keine Gefahr für sich oder andere darstellen. Einschränkende Maßnahmen können Aggressionen und Verwirrung auslösen und den Pflegealltag zusätzlich belasten.

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Validation und Biografiearbeit

Ein wichtiger Ansatz im Umgang mit Hinlauftendenz ist die Validation. Diese Methode basiert auf der Grundhaltung, dass die Realität von Menschen mit Demenz genauso gültig und wertvoll ist wie unsere eigene. Anstatt das Wandering-Verhalten zu korrigieren oder zu unterdrücken, geht es bei der Validation darum, die Gefühle und Bedürfnisse der Betroffenen zu verstehen und zu würdigen.

Die Biografiearbeit ist ein weiteres wichtiges Element im Umgang mit Hinlauftendenz. Durch die Auseinandersetzung mit der Lebensgeschichte des Erkrankten können Pflegekräfte und Angehörige die Motive hinter dem Wandering-Verhalten verstehen und angemessen darauf reagieren.

Die Rolle der 24-Stunden-Betreuung

Die 24-Stunden-Betreuung stellt eine besonders geeignete Betreuungsform für Menschen mit Hinlauftendenz dar, da sie kontinuierliche Begleitung ohne freiheitsentziehende Maßnahmen ermöglicht. Eine spezialisierte Betreuungskraft kann früh erkennen, wenn Unruhe aufkommt, die zu Wandering-Verhalten führen könnte, und entsprechend präventiv eingreifen.

Die häusliche 24-Stunden-Betreuung hat gegenüber der Pflegeheim-Betreuung den Vorteil, dass die Person in ihrer vertrauten Umgebung bleiben kann. Diese Vertrautheit kann die Hinlauftendenz reduzieren, da viele der gewohnten biografischen Anknüpfungspunkte noch vorhanden sind.

Kostenübernahme für Polizeieinsätze

In Niedersachsen hat das Oberverwaltungsgericht Lüneburg entschieden, dass Demenzkranke für den Transport im Polizeiwagen zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn sie orientierungslos aufgegriffen und nach Hause gebracht werden. Diese Praxis ist jedoch umstritten und wird in anderen Bundesländern anders gehandhabt.

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