Krebs stellt eine der größten gesundheitlichen Herausforderungen unserer Zeit dar. Trotz erheblicher Fortschritte in der konventionellen Krebstherapie suchen viele Patienten und ihre Angehörigen verzweifelt nach alternativen oder ergänzenden Behandlungsmethoden. In diesem Kontext rücken Immuntherapien, insbesondere solche, die auf dendritischen Zellen basieren, immer wieder in den Fokus des Interesses. Dieser Artikel beleuchtet die Grundlagen, den aktuellen Forschungsstand und die damit verbundenen Kontroversen der dendritischen Zelltherapie in der Krebstherapie.
Grundlagen der Dendritischen Zellen und ihre Rolle im Immunsystem
Dendritische Zellen (DZ) spielen eine Schlüsselrolle im Immunsystem. Sie wurden erstmals 1973 von Steinman und Cohn beschrieben und erhielten ihren Namen aufgrund ihres baumartigen Erscheinungsbilds (dendros = Baum). Als hochspezialisierte antigenpräsentierende Zellen (APZ) sind sie in der Lage, antigenspezifische Immunantworten zu initiieren und zu regulieren. Sie sind in fast allen Geweben des Körpers vorhanden und bilden ein Netzwerk von Wächterzellen.
Funktionsweise der Dendritischen Zellen
- Antigenaufnahme: Dendritische Zellen nehmen extrazelluläre Bestandteile durch Phagozytose und Endozytose auf und analysieren so ihre Umgebung.
- Antigenprozessierung: Aufgenommene Proteine werden intrazellulär zu Peptiden zerlegt, an MHC-Moleküle gebunden und an die Zelloberfläche transportiert.
- Antigenpräsentation: Die Peptid-MHC-Komplexe werden T-Lymphozyten präsentiert, wodurch diese aktiviert werden können.
- Aktivierung und Reifung: Dendritische Zellen tragen Rezeptoren für "Gefahrensignale", die von Mikroorganismen, körpereigenen Mediatoren oder aktivierten T-Zellen ausgehen können. Die Aktivierung dieser Rezeptoren induziert zellbiologische Veränderungen, die als "Reifung" bezeichnet werden.
- Induktion einer Immunantwort: Im Lymphknoten interagieren dendritische Zellen mit verschiedenen Lymphozytenpopulationen, insbesondere mit T-Lymphozyten, die noch keinen Antigenkontakt hatten (Priming).
Dendritische Zellen und Krebs
Krebszellen unterscheiden sich von gesunden Zellen und tragen spezifische Proteine auf ihrer Oberfläche, die als Tumorantigene bezeichnet werden. Das Immunsystem ist prinzipiell in der Lage, diese veränderten Zellen zu erkennen und zu zerstören. Bei Krebserkrankungen versagen jedoch oft die Kontrollmechanismen des Immunsystems, so dass die Tumorzellen toleriert werden und sich unkontrolliert vermehren können.
Dendritische Zelltherapie in der Krebstherapie
Die dendritische Zelltherapie zielt darauf ab, das Immunsystem des Patienten zu aktivieren, um Krebszellen gezielt zu bekämpfen. Dabei werden dem Patienten dendritische Zellen entnommen, außerhalb des Körpers mit Tumorantigenen beladen und anschließend wieder in den Körper zurückgeführt.
Ablauf der Dendritischen Zelltherapie
- Gewinnung von Dendritischen Zellen: Dendritische Zellen können aus dem Blut des Patienten gewonnen werden. Dies kann entweder über eine herkömmliche Blutentnahme oder über eine Leukapherese erfolgen.
- Aufbereitung der Dendritischen Zellen: Im Labor werden die dendritischen Zellen aus ihren Vorläuferzellen (Monozyten) gewonnen und mit immunologischen Botenstoffen (Zytokinen) bebrütet.
- Beladung mit Tumorantigenen: Die dendritischen Zellen werden im Reagenzglas mit Tumorantigenen beladen. Dabei können entweder definierte Tumorantigene oder nicht definierte Mischungen von Tumorantigenen verwendet werden.
- Aktivierung der Dendritischen Zellen: Um ihre volle Kapazität zur T-Zell-Stimulation zu erlangen, können die dendritischen Zellen in vitro mit Zytokinen oder einem CD40-Liganden aktiviert werden.
- Verabreichung der Dendritischen Zellen: Die "geschulten" dendritischen Zellen werden dem Patienten in Spritzenform in die Haut oder in eine Vene zurückgegeben.
Arten von Dendritischen Zelltherapien
Es gibt verschiedene Arten von dendritischen Zelltherapien, die sich in der Art der verwendeten dendritischen Zellen, der Art der Tumorantigene und der Art der Aktivierung unterscheiden.
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- Vakzinierung mit Peptiden: Hierbei werden die dendritischen Zellen mit spezifischen Peptiden inkubiert, die von Tumorantigenen stammen.
- Vakzinierung mit Tumorzellen: Hierbei werden abgetötete Tumorzellen, Tumorzelllysat, RNA oder DNA von Tumorzellen als Antigenquelle verwendet.
- Fusion von Tumorzellen und Dendritischen Zellen: Hierbei werden Tumorzellen und dendritische Zellen fusioniert, um eine Immunantwort gegen sowohl bekannte als auch unbekannte Tumorantigene zu induzieren.
Klinische Studien und Ergebnisse
In den letzten Jahrzehnten wurden zahlreiche klinische Studien zur dendritischen Zelltherapie durchgeführt. Die Ergebnisse dieser Studien sind jedoch heterogen und oft ernüchternd. Während einige Studien vielversprechende Ergebnisse hinsichtlich immunologischer und klinischer Endpunkte zeigen, konnten andere Studien keine signifikante Wirksamkeit nachweisen.
- Sipuleucel-T (Provenge®): In den USA wurde 2010 Sipuleucel-T als erste Vakzinetherapie zur Behandlung fortgeschrittener Prostatakarzinomerkrankungen zugelassen. In Europa erfolgte die Zulassung im Jahr 2013.
- GlioVax-Studie: In einer vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten klinischen Studie wird die Wirksamkeit einer dendritischen Zellvakzine bei Patienten mit neudiagnostiziertem Glioblastom geprüft.
Herausforderungen und Limitationen
Trotz des vielversprechenden Potenzials der dendritischen Zelltherapie gibt es eine Reihe von Herausforderungen und Limitationen, die ihre breite Anwendung einschränken.
- Komplexität der Immunantwort: Die immunologischen Vorgänge in unserem Körper sind sehr komplex und die Anpassungsfähigkeit der Tumorzellen führt oft zur Resistenzbildung.
- Heterogenität der Tumoren: Tumoren sind heterogen und können sich im Laufe der Zeit verändern. Dies kann dazu führen, dass die Immunantwort auf bestimmte Tumorantigene nicht mehr wirksam ist.
- Toleranzmechanismen: Tumorzellen können verschiedene Mechanismen nutzen, um der Immunantwort zu entgehen, z. B. die Expression von Checkpoint-Molekülen.
- Kosten und Aufwand: Die dendritische Zelltherapie ist eine aufwendige und teure Behandlung, die spezialisierte Einrichtungen und Fachkräfte erfordert.
Kontroversen und Kritik
Die dendritische Zelltherapie ist nicht ohne Kontroversen und Kritik. Einige Experten bemängeln, dass es für die Wirksamkeit der Therapie keine ausreichenden Belege gibt und dass die hohen Kosten nicht gerechtfertigt sind.
Fragwürdige Angebote und rechtliche Grauzonen
Es gibt Firmen und Ärzte, die Krebspatienten fragwürdige Behandlungen mit dendritischen Zellen anbieten und dabei mit "schmerzfreien" Therapien und "geringen bis keinen Nebenwirkungen" werben. Diese Angebote sind oft kostspielig und für die Patienten mit hohen finanziellen Belastungen verbunden.
In Deutschland ist die dendritische Zelltherapie nicht zugelassen. Es gibt jedoch eine rechtliche Grauzone: Im Rahmen eines "individuellen Heilversuchs" dürfen Ärzte Patienten damit behandeln.
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Warnungen vor nicht regulierten Therapien
Die Europäische Arzneimittelagentur EMA warnt vor derartigen nicht regulierten Therapien, die für Patienten ein "ernstes Risiko für wenig oder gar keinen Nutzen darstellen" können.
Kritik an der Firma Immucura
Die Firma Immucura vermittelt Krebspatienten in Deutschland und anderen europäischen Ländern eine Therapie mit dendritischen Zellen. Das Unternehmen wird dafür kritisiert, dass es ohne die erforderlichen Genehmigungen im Gesundheitssektor tätig sei und dass die Wirksamkeit der Therapie nicht ausreichend belegt sei.
Zukunftsaussichten
Trotz der bestehenden Herausforderungen und Kontroversen bleibt die dendritische Zelltherapie ein vielversprechendes Gebiet der Krebsforschung. Durch die Identifizierung geeigneter Tumorantigene, die Optimierung der Generierung und Aktivierung von dendritischen Zellen und die Kombination mit anderen Immuntherapien könnte die Wirksamkeit der dendritischen Zelltherapie in Zukunft verbessert werden.
Mögliche Verbesserungen
- Identifizierung neuer Tumorantigene: Die Identifizierung von spezifischen Tumorantigenen, die von T-Zellen erkannt werden können, ist entscheidend für die Entwicklung effektiver Tumorvakzine.
- Optimierung der dendritischen Zellpräparation: Die Generierung von dendritischen Zellen mit optimaler T-Zell-stimulatorischer Aktivität ist ein wichtiger Faktor für den Erfolg der Therapie.
- Kombination mit anderen Immuntherapien: Die Kombination der dendritischen Zelltherapie mit anderen Immuntherapien, wie z. B. Checkpoint-Inhibitoren oder der CAR-T-Zelltherapie, könnte die Wirksamkeit der Behandlung erhöhen.
Klinische Studien
Um den Stellenwert der dendritischen Zelltherapie in der Krebstherapie zu definieren, bedarf es weiterer Grundlagenforschung und kontrollierter klinischer Studien. Patienten sollten sich daher nur im Rahmen klinischer Studien mit dendritischen Zellen behandeln lassen.
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